D. Verlust der Kreiseigenschaft

DIE NACH DER REICHSGRÜNDUNG EINSETZENDEN REFORMEN DER KIRCHEN-, VERWALTUNGS- UND JUSTIZBEHÖRDEN BESCHEREN WIMPFEN DIE AUFHEBUNG DES DEKANATS, DEN VERLUST DES KREISAMTES UND DER OBERFÖRSTEREI, DOCH BLEIBEN MIT RÜCKSICHT AUF DIE EXKLAVEN-EIGENSCHAFT DIE STELLE DES BAUAUFSEHERS, DAS GROßHERZOGLICHE STEUERAMT, SALZSTEUERAMT UND LANDGERICHT BESTEHEN, WOBEI DAS LETZTGENANNTE IM ZUGE DER EINFÜHRUNG DER REICHSEINHEITLICHEN ZIVIL- UND STRAFGERICHTSBARKEIT IN EIN KAISERLICHES AMTSGERICHT UMGEWIDMET WIRD UND NACH EINEM UNTER LANDRICHTER CESSNER UND AKTUAR KRONENBERGER GESCHEHENEN JUSTIZSKANDAL JETZT DIE BEHÖRDEN BEMÜHT SIND, DIE STAATSSTELLEN MIT BESSER ALS BISLANG QUALIFIZIERTEN AMTSINHABERN ZU BESETZEN.

  1. Der Auflösung des Evangelischen Dekanats zum 1. Januar 1873 folgt mit Wirkung vom 1. Juli 1874 die Aberkennung der Kreiseigenschaft durch die Zuordnung zum Kreis Heppenheim und schließlich zum Frühherbst 1875 auch die Stelle des Oberförsters durch Zuweisung an die Oberförsterei Heppenheim, während das Großherzogliche Landgericht, die Distriktseinnehmerei, das Salzsteueramt und die Stelle des Bau- und Straßenaufsehers sowie des Kreisarztes erhalten bleiben.

Nach dem vorstehenden großen zeitlichen Vorwärtssprung über anderthalb Jahrzehnte hinweg ist es notwendig, wieder in die Anfangsjahre des Deutschen Kaiserreiches zurückzukehren, um die beträchtliche Anzahl der in diesen erlassenen anderweitigen verwaltungs-, justiz- sowie (letzteres gesondert im Nachfolge-Kapitel E) wahlrechtsbezogenen Rechtsveränderungen auf Landesebene in ihren teilweise gravierenden örtlichen negativen wie aber auch positiven Auswirkungen darzustellen. Diese vollzogen sich sukzessive und es begann damit, dass zunächst, wie bereits unter C.3 erwähnt, das Evangelische Dekanat Wimpfen mit Wirkung vom 1. Januar 1873 im Zuge einer im Zusammenhang mit der anstehenden Bildung von Dekanatssynoden stehenden Neueinteilung der Evangelischen Dekanate des Großherzogtums Hessen aufgehoben wurde. Da diese Aufhebung bereits vor der Reichsgründung 1870 in der Ständekammer beantragt worden war, überraschte das nicht. Wimpfen mit seinen verschiedenen Teilorten Wimpfen am Berg, Wimpfen im Tal, Hohenstadt und dem hessischen Anteil von Helmhof sowie dem noch zugeordneten hessischen Teil von Kürnbach wurde durch das Edikt vom 15. April 1872 dem Dekanat Zwingenberg an der Bergstraße zugewiesen. Diese Veränderung findet sich von Stadtpfarrer oder Erstem Pfarrer (seit 29. 03. 1868) und Dekan (seit 29. 02. 1869) WILHELM SCRIBA ohne Kommentar in der Kirchenchronik vermerkt. Dieser, der bislang als Dekan quasi sein eigener Visitator gewesen war, sowie der Zweite evangelische Pfarrer wurden nunmehr, wie ebenfalls bereits gezeigt, von dort her beaufsichtigt. Den Titel „Dekan“ durfte Scriba allerdings behalten.

Anderthalb Jahre später wurde durch das Gesetz vom 12. Juni 1874 die innere Verwaltung und Vertretung der Kreise und Provinzen durch Kreis- und Provinzialtage neu geregelt und zugleich eine umfängliche Änderung der Einteilung der Kreise des Großherzogtums verordnet, der die Auflösung der Kreise Lindenfels, Neustadt, Wimpfen, Grünberg, Nidda und Vilbel brachte. Der von REGIERUNGSRAT CARL FUHR seit dem 23. April 1870 geleitete Kreis Wimpfen wurde (wie auch der Kreis Lindenfels) dem (durch Abtretung einer großen Anzahl nordwärtiger Orte an den Kreis Bensheim stark veränderten) Kreis Heppenheim an der Bergstraße zugeteilt. „In diesem Jahre“, so ist dies kommentarlos in der Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde festgehalten, „wurde das Großherzogliche Kreisamt dahier aufgehoben und der bisherige Kreis Wimpfen dem Kreis Heppenhein zugetheilt.“ Und im Regierungsblatt heißt es: „Seine  Königliche Hoheit der Großherzog haben allergnädigst geruht, den Kreisrath des Kreises Wimpfen, Regierungsrath Carl Fuhr, … unter Verleihung des Charakters als ‚Geheimer Regierungsrath’ … in den Ruhestand zu versetzen.“ Dieses wurde mit dem 12. Juni 1874 wirksam. Der Zurruhesetzung dieses letzten Leiters des hessischen Kleinstkreises Wimpfen folgt kurz danach durch Verfügung vom 24. Juni 1974 diejenige von KREISDIENER CARL JOSEPH WELDE nach. Kurz zuvor am 3. Mai 1874 war KREISWUNDARZT JOHANNES BRÜCHER verstorben und somit die Frage einer Zurruhesetzung gegenstandslos. Am 12. Juli 1880 wird auf sein Ersuchen hin der zwangsläufig infolge der an die ortsmäßige Patientenklientel gebundene und deshalb in seiner Amtstätigkeit und Amtsstellung gebliebene KREISARZT MEDIZINALRAT DR. KARL THEODOR WEIGAND, der am 11. Juli 1849 nach dem Tod von DR. CARL WALTER an dessen Stelle getreten war, als solcher in den Ruhestand versetzt, nachdem ihm zuvor im Mai im Blick auf seine lange Tätigkeit das Ritterkreuz 1. Klasse des Verdienstordens Philipps des Großmütigen verliehen worden ist. Er setzt jedoch seine Tätigkeit als Praktischer Arzt, Bade- und städtischer Armenarzt fort.

Nunmehr unterstand Wimpfen dem seit 1865 in Heppenheim tätigen KREISRAT FRIEDRICH JOSEPH GRÄFF, katholisch, geb. am 15. 07. 1822 in Darmstadt, über dessen dienstliches Werden Folgendes gesagt sei:

– ab 1841 Studium in Gießen und ab 1843 in Heidelberg;
– zunächst: Hofgerichts-Sekretariats-Akzessist zu Mainz;
– ab 12. 05. 1852: Kreisassessor des Kreises Mainz;
– später mit der Verwaltung des Kreises Grünberg in Oberhessen beauftragt;
– ab 20. 06. 1861: Kreisrat des Kreises Grünberg;
– 21. 06. 1865: Kreisrat des Kreises Heppenheim.

Im Blick auf den geänderten Zuständigkeitsbereich wurde dem Heppenheimer Kreisamt am 12. Juni 1874 noch der bislang beim Kreisamt Schotten tätig gewesene KREISASSESSOR CARL JOST zugewiesen. Mit einem zweispännigen Fuhrwerk wurden die Kreisamtsakten nach Heppenheim gebracht und dort für Wimpfen für das laufende Jahr wie für die künftigen Jahre je ein Audienztag angesetzt. Im „Wimpfener Bote“ lässt sich merkwürdigerweise über die im Grunde bedeutsamen Änderungen auf der Verwaltungsebene nichts finden. Im November 1874 wird lediglich ohne weitere Angaben darauf verwiesen, dass jetzt Eisenbahnfahrbillette nach der Kreisstadt Heppenheim und zurück gelöst werden können. Und Ende Juli des Folgejahres 1875 steht dort zu lesen, dass Bürgermeister Ernst zur Urkundsperson des neugeschaffenen Kreistages Heppenheim gewählt worden ist. Für diesen brachte die Zuweisung nach Heppenheim an der Bergstraße u. a. die Erschwernis mit sich, dass er zur Teilnahme an den Sitzungen des Kreistages, dessen Mitglied er kraft seines Amtes gewesen ist, eine weite und kostenaufwändige Reise machen musste. Offenbar war den Bürgern und den Amtspersonen Wimpfens allerdings der Umstand, genau wie dies im Jahre 1852 der Fall gewesen war (siehe Band 2, S. 375 – 378), dass künftig im Rathaus über dem Ratssaal und dem Bürgermeisterzimmer kein Landrat mehr residierte, eher genehm denn unlieb. Und dass die Obsorge der nunmehr von Heppenheim aus lenkenden und verwaltenden Kreisbehörde durch den zuständigen KREISRAT FRIEDRICH GRÄFF, dem die Stadt Heppenheim im Jahr seines 20-jährigen Wirkens die Ehrenbürgerwürde verleiht, fortab nicht nur zu keinerlei Beschwerden Anlass gab, sondern bei Bürgermeister und Gemeinderat dauerhaft Lob erntete, wird sich an späterer Stelle, etwa bei der Darstellung der Gründung und Fortentwicklung der Landwirtschaftlichen Kreditkasse, zeigen.

Die von Regierungsrat Fuhr bisher benützte Amtswohnung im obersten Stock des Rathauses mit Amtslokal, dazuhin unten Keller, Waschküche, Kohlenkammer, Holzlagerungsplatz und darüber der gesamte Speicher, wofür der hessische Staat jährlich eine Miete in Höhe von 200 fl bezahlt hatte, blieben vorläufig von diesem noch weiter gegen eine Mietzahlung von 150 fl bei gegenseitigem vierteljährigem Kündigungsrecht belegt. Im Sommer des Jahres 1874 beantragte das Großherzogliche Justizministerium jedoch, die frühere Kreisrat-Wohnung mit Amtslokal dem Großherzoglichen Landgericht zu überlassen. Dazuhin wurde unter der Ankündigung, dass ab 1876 öffentliche Gerichtssitzungen stattfinden würden, der Wunsch ausgesprochen, gegen ein Mietgeld den Rathaussaal für solche Zwecke (wie das auch schon teilweise in der Zeit des hessischen Landgerichts geschehen war) mitbenützen zu können. Diese Anträge befürwortend, stellte der Gemeinderat gegen eine Gesamtmiete von 400 fl die ehemalige Kreisrat-Wohnung samt allen Nebenräumen sowie dem nördlichen Teil der Zimmer im mittleren Stock als Büro und dem Benützungsrecht des dort gelegenen Ratssaales zur Verfügung. Die frühere Kreisrat-Wohnung wurde jetzt von LANDRICHTER CESSNER bezogen. Und auch dessen Nachfolger sowie die ab 1880 amtierenden Oberamtsrichter bezogen dort Wohnung.

Der letztbeschriebene Vorgang lenkt den Blick auf eine Reihe landesstaatlicher Einrichtungen, die trotz des größen- und einwohnermäßig sehr kleinen Bezirks Wimpfen mit Rücksicht auf die Exklavenlage von dem im Gefolge der Umgliederungen des Verwaltungswesens eingetretenen Ämterabbau verschont geblieben sind:[1]

– Das Großherzogliche Landgericht Wimpfen, besetzt seit dem 10. 04. 1869 mit Landrichter WILHELM CESSNER als Nachfolger von KONRAD HEYER sowie seit dem 17. 01. 1867 mit LANDGERICHTSAKTUAR MICHAEL KRONENBERGER als Nachfolger von WILHELM BIERAU (Näheres siehe bereits in Band 2, S. 540 und 377); dazu mit: LANDGERICHTSDIENER JOHANN ADAM STAPP, dessen langes aufschlussreiches Leben hier besonders herausgestellt zu werden verdient: Geboren 1794 in Großzimmern, katholisch; Teilnehmer der Freiheitskriege 1814/15, als Soldat es bis zum Korporal bringend; dann ab 1818 Gendarm in Gernsheim, ab 1820 in Wimpfen; dort nach seinem Ausscheiden mit 59 Jahren aus der Polizeitätigkeit ab 15. 06. 1853 Landgerichtsdiener. Ihm wird am 10. November 1874 mit Rücksicht auf seine 60-jährigen mit Eifer und Treue geleisteten Dienste die goldene Verdienst-Medaille des Ludwigs-Ordens verliehen; am 10. 03. 1879 bekommt er das silberne Kreuz des Verdienst-Ordens Philipp des Großmütigen; eingestuft ist er in die niedrigste aller die hessischen „Staatsdiener“ betreffenden Besoldungsklassen IX. Bald darauf am 28. 05. 1879 (also erst mit 85 Jahren!) wird er auf sein Nachsuchen unter Anerkennung seiner mehr als 60-jährigen treu geleisteten Dienste in den Ruhestand versetzt. Er stirbt als letzter Veteran der Freiheiheitskriege und damals ältester Einwohner Wimpfens mit 95 ¾ Jahren am 15. Januar 1890 und wird unter großer Teilnahme im Beisein verschiedener Kriegervereine der Umgegend von Pfarrer Klein, der eine kurze Trauerrede hält, beerdigt. 6 Verdienstzeichen schmückten seine Brust.

Die Distriktseinnehmerei Wimpfen, unterstellt der Obereinnehmerei Groß-Umstadt, besetzt seit 17. April 1866 mit Distrikts(steuer)einnehmer EDUARD MORITZ FRANK als Nachfolger von FRANZ VON FLAMMERDINGHE; 1874 findet sich dort STEUERAUFSEHER JOHANNES MULCH, 1876 und 1881 JUSTUS KLÖCKNER, 1887 GEORG REITZ. Letzterer wird am 13. November 1895 zusammen mit ebenfalls in Wimpfen tätigen Steueraufseher JOHANN FRIEDRICH STORK mit Wirkung vom 1. Dezember in den Ruhestand versetzt.

Das Salzsteueramt Wimpfen, findet sich 1871 besetzt mit SALZSTEUER-AUFSEHER GEORG LAUKHARD, ab dem 3. Januar 1872 mit Salzsteuer-Rendant ERNST PETERS, dessen Stelle wie die des Distriktseinnehmers nach Klasse VI (wie auch die der Lehrer an Gymnasien und an Realschulen) besoldet ist. Am 7. 02. 1876 wird dieser zum STEUERKONTROLLEUR ernannt, womit allerdings keine Besoldungserhöhung verbunden ist. 1876 finden wir RENDANT GEORG SCRIBA, 1881 STEUER-KOMMISSAR GEORG ROSSLER, der zum Vorstand des ausgangs des vorgenannten Jahres wiedergegründeten „Casino-Vereinigung“ gewählt und über den in der Zeitung gesagt wird, dass er durch seinen offenen geraden Charakter und sein biederes, liebenswürdiges Wesen in Wimpfen zahlreiche Freunde gewonnen habe. Er heiratet eine Tochter von SALINE-KASSIER GOTTSCHICK und wird mit Wirkung vom 1. April 1888 zum Steuerkommissär des Steuerkommissariat Homberg ernannt. Die interimistische Verwaltung übernimmt jetzt STEUERASSESSOR GÄRTNER. 1887 finden wir in dieser Funktion MATTH. HAMMER. 1902 amtet dort der RENDANT ADAM WEISS, der zum 1. April zum HAUPTSTEUERAMTSRENDANT ernannt wird und dem am 12. April der vom Hauptsteueramt Worms kommende ehemalige Revisionskontrolleur und zum RENDANT ernannte KARL BAUER beigegeben wird. Mit Wirkung vom 2. April 1912 wird der vom Hauptsteueramt Mainz bereits nach Wimpfen abgeordnete HAUPTSTEUERAMTSDIENER JAKOB FREY zum STEUERAUFSEHER ernannt und ihm eine Steueraufseherstelle beim Salzsteueramt Wimpfen mit dem Wohnort Wimpfen übertragen.

Die Stelle des Kreisbauaufsehers war besetzt mit CHRISTIAN HEINZELMANN, der 1853 von der II. zur I. Klasse aufgestiegen war und 1870 sein 20-jähriges Dienstjubiläum begehen konnte. Nachfolger wurde KREISBAUAUFSEHER WILHELM BRAUN, dem 1881 KREISBAUAUFSEHER-ASPIRANT WOLFGANG DIETER Geipert aus Darmstadt folgte, über dessen Stelle gesagt wird, dass sie in Zukunft nicht mehr definitiv, sondern nur mit einem ASPIRANTEN besetzt werde. Doch erscheint dieser noch im selben Jahr in den Gemeinderatsprotokollen als GROSSHERZOGLICHER BAUAUFSEHER und STRAßENMEISTER, 1884, 1887 und 1891 als STRAßENMEISTER sowie 1887 als STRAßENWART LUDWIG GREINER. Mit Wirkung vom 1. April 1895 wird, wie es wieder heißt, STRAßENMEISTER DIETER GEIPERT in den 4. Straßenmeisterbezirk des Straßenbauamtes Grünberg mit Wohnsitz zu Alsfeld/Oberhessen, doch bereits zum 1. Mai 1895 (wohl auf dessen Antrag hin) wieder nach Wimpfen mit der Folge des dortigen Wohnenbleibens versetzt. 1882 versucht der Gemeinderat vergeblich, sich von der Last der Beitrags zur Erhaltung der Kreisstraßen zum Kreisstraßenverband zu befreien, indem er unter dem Hinweis, dass die Vicinalstraßen Richtung Wimpfen im Tal, Biberach, Heinsheim, Jagstfeld „einigermaßen gut“ seien, die Bitte ausspricht, die Straßenunterhaltung in den Händen der Gemeinde zu lassen.

Die Stelle des Kreisarztes blieb, wie bereits angesprochen, weiterhin vom PRAKTISCHEN ARZT sowie BADEARZT DR. KARL THEODOR WEIGAND versehen, der diese seit dem 11. 07. 1849 innehatte und dem im Mai 1880 im Blick auf diese lange Tätigkeit sowie auf seine bevorstehende Zurruhesetzung das Ritterkreuz 1. Klasse des Verdienstordens Philipps des Großmütigen verliehen wurde.

– Nicht zu halten war die Stelle des Oberförsters, die seit dem 21. 08. 1855 mit OBERFÖRSTER WILHELM KÖNIGER als Nachfolger von DR. CARL VON SCHMALKALDER besetzt war. Dieser war laut der Wählerliste zum Zweiten Deutschen Reichstag des Jahres 1874  65 Jahre alt; er wurde in gleicher Eigenschaft am 21. August 1875 nach Schaafheim versetzt. „Im Herbst dieses Jahres“, so die Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde, „wurde auch die Oberförsterei Wimpfen aufgehoben und die Waldungen der Oberförsterei Heppenheim unterstellt.“ Im Hinblick auf Wimpfens verhältnismäßig großen Waldbestand (insbesondere Forstwald, dazu die Nahwaldungen: Bonfelder Wald, Einsiedel, Mühlwald) wurde diese Stellenstreichung als besonders schmerzhaft empfunden, zumal der bisherige Beitrag zur Oberförster-Besoldung unverändert blieb. Nicht anders als in den vorangegangenen Jahren (z. B. 1870 und 1874) hieß es jetzt (z. B. 1877) in der diesbezüglichden amtlichen jährlichen Bekanntmachung: „IV. Forst Lorsch. Rentamt Zwingenberg. 4) Oberförsterei Heppenheim (statt früher Oberförsterei Wimpfen). Ord.-Nr. 35: Gemeinde Wimpfen: Fläche der beitragspflichtigen Waldungen 807,1 Hektar (früher 3.229,2 Morgen); Steuer-Kapital 472,6 fl; Beitrag zu den Oberförstersbesoldungen 700 M. 54 Pf. (früher 408 fl 39 kr); Bemerkungen: Vertragsmäßig fixierter Betrag.“ Die Umrechnung der Morgen-Fläche in Hektar und des Gulden-Beitrags in Mark entspricht genau den Werten von vor dem Jahr Aufhebung der Oberförsterei 1875. Natürlich blieben die Stellen für die in den Diensten der Stadt Forstbediensteten bestehen, so die des sog. STADTFÖRSTERS, die sich 1875 noch seit fast 38 Jahren in der Hand des damals 68-jährigen KARL CRAMER (wohnhaft in Wimpfen am Berg) befand. Hinzu kamen damals noch drei STÄDTISCHE FORSTWARTE: JOHANN LEONHARD KLENK (Hohenstadt, 51-jährig), JAKOB SCHICK (Helmhof, 47-jährig) und KARL HEBERER (Forsthaus, 66-jährig).

  1. Um die beiden Inhaber der Stellen am erhalten bleibenden Großherzoglichen Landgericht entspinnt sich 1879 ein die Gemüter empörender Disziplinarprozess, der den Vorwürfen der bisherigen Versorgung mit schlechten oder untauglichen hessischen Beamten und ihrer mangelnden Beaufsichtigung schlagend Nahrung bietet.

Was die in Wimpfen vor wie nach der Aufhebung des Kreisamtes in Wimpfen tätigen großherzoglich-hessischen Beamten in ihrer Gesamtheit betrifft, so gab es unter diesen immer wieder sicherlich tüchtige, einsatzfreudige oder auch ihr Fach herausragend ausfüllende Staatsdiener. Das dürfte z. B. für manche der Pfarrer gelten, wenn wir an LUDWIG FROHNHÄUSER denken, dessen nach seíner kurzen segensreichen Amtstätigkeit (siehe Band 2, S. 526 – 531) erfolgtes Weiterwirken für Wimpfen vor allem als Schriftsteller noch an späterer Stelle zu würdigen sein wird. Zu denken ist natürlich auch an die Lehrer z. B. vom Schlage des unter C.4 erwähnten langjährigen Lehrers im Tal CARL WILHELM u. a. m. MUCKH. Wenngleich nur „Anekdote“, dennoch in diesem Zusammenhang nicht übergehbar, sind die beiden von FRIEDRICH FEYERABEND (1871 – 1959) aus seinem frühen Erleben niedergeschriebenen humorgetragenen Wimpfener Geschichten der 1870er Jahre, die nicht an einer bestimmten Beamtengattung festgemacht sind, sondern an den großherzoglich-hessischen Beamten Wimpfens dieses Zeitraumes im Allgemeinen sowie im Besonderen an dem in Unterkapitel B.4 bereits erwähnten herausragend tüchtigen und mustergültigen Beamten POSTMEISTER WILHELM SCHMEHL:[2]

„Zwei Anekdoten von Postmeister Schmehl (1863 – 1887)

V o r b e m e r k u n g (deren erster Teil hier fehlt, weil dieser bereits bei B.4 wiedergegeben wurde):

Er (gemeint: der o. g. Postmeister) konnte dieser (gemeint: seiner Tätigkeit) uneingeschränkt nachkommen, da er unter badischer Oberhoheit (Karlsruhe) stand und hierdurch den hessischen Verwaltungsbehörden gegenüber eine spitze Feder führte, was er mit besonderer Vorliebe tat. Durch seine Gefälligkeit war er bei der Einwohnerschaft sehr beliebt; auch in Gesellschaft hatte seine abgestimmte kurze Redensart einen markanten Erfolg. Neben seiner äußerst gewissenhaften und pünktlichen Lebensart hatte er jedoch eine Leidenschaft, der er mit besonderer Vorliebe huldigte. Er war ein leidenschaftlicher Schnupfer und das gehörte zum Symbol eines kräftigen Willensausdruckes, dass er diesen mit einem ebenso kräftigen ‚Pries’ einleitete. Gewöhnt an sein Frühschöppchen, das er sehr liebte, stand er auch in engster Verbindung mit der Bevölkerung, bei der er sich wohlfühlte und die er noch in allem unterstützte.

1. Die Darmstädter Windmühle

Den hessischen Beamten, die nach Wimpfen beordert wurden, hatte sich – da weit vom Schuss – eine gewisse Sicherheit und Selbständigkeit bemächtigt. Jedoch hatte ein hoher Regierungsbeamter in Darmstadt das Gefühl, einmal nach dem weit entfernten Wimpfen zu reisen, um zu hören, wie man dorten die hessischen Beamten beurteilt. Selbstverständlich kam er unangemeldet, denn er strebte zuerst nach einer Äußerung direkt vom Volke, bevor er seine Beamten aufsuchte. Was lag näher, als dass er sich in ein Wirtslokal begab, wo er eine Gesellschaft oder Tischrunde traf und aus deren Munde er die ungeschminkte Wahrheit erfahren konnte. So war sein Vorsatz und er hatte Glück. In einer Wirtschaft saß eine fröhliche Tischrunde beim Frühschoppen, darunter auch der Postmeister. Der Regierungsbeamte gesellte sich zu diesen, griff langsam und vorsichtig in die Unterhaltung ein und lenkte allmählich das Gespräch auf die hessischen Beamten und was die Bevölkerung von diesen halte. Die Tischrunde wurde plötzlich etwas misstrauisch. Die einen zuckten mit den Achseln, die anderen, nun ja, so, so. Es trat plötzlich eine Stille ein. – Nun schob der Postmeister sich einen zu Gemüte und begann: ‚Der Sprache nach sind Sie ein Darmstädter?!’ Was der Herr auch bestätigte; worauf der Postmeister weiterfuhr: ‚Man spricht hier allgemein davon, dass in Darmstadt sich eine Windmühle befände zu dem folgenden Zweck: Bei Beorderung der Beamten würden dieselben in die Windmühle geschüttet, die Guten (Schweren) bleiben bei Darmstadt liegen und die ganz Leichten (die Spreu) fliegen bis nach Wimpfen. Und wenn alles dieser Meinung ist, so wird auch etwas Wahres daran sein.’ Es setzte ein herzliches Lachen und Beifall ein.- Besonders der Postmeister lachte, dass ihm die Tränen die Backen herunterliefen. Aber der Regierungsbeamte wusste Bescheid; es trat hierauf wesentliche Besserung ein.

Nb.: Trotz aller Verschwiegenheit wurde diese Beurteilung auch in Darmstadt populär, ja es soll damals in einem Faschingsumzug die Mühle in natura aufgeführt worden sein.

2. Der Weltuntergang

An das Kreisamt Heppenheim kam Beschwerde auf Beschwerde, insbesondere wegen der schleppenden Verzögerung in Beantwortung der Eingaben und Gesuche.- ‚Da steckt wieder der Postmeister dahinter, der uns ständig aus der Ruhe bringt!’ bemerkte der Kreisrat. Der Kreisrat, der den Postmeister persönlich kannte, nahm sich vor, per Gelegenheit diesem Postmeister eins auszuwischen. Er machte seinen Dienstbesuch auf dem Rathaus in Wimpfen (d. h. in Wirklichkeit als großer Liebhaber von Altertümern war er zu 4/5 der Zeit beim Altertumshändler und zu 1/5 auf dem Rathaus). Nach diesem begab er sich in eine Weinwirtschaft. Und wer saß am Tisch?! Der Herr Postmeister, der sein Frühschöppchen zu sich nahm. ‚Diese Gelegenheit ist äußerst günstig’, dachte der Kreisrat, begrüßte den Postmeister und lenkte sofort zum Angriff ein. ‚Sie sind zu beneiden, Herr Postmeister, denn Sie genießen hier alle Vorzüge, die man sich nur denken kann. Sie können sich als Beamter ihr Frühschöppchen erlauben, haben gesunde Luft, schöne Aussicht, Badegelegenheit, weit vom Schuss genießen Sie eine beneidenswerte Selbständigkeit und Freiheit, ja, Sie haben alle Vorzüge.’ – Der Postmeister schob sich Einen zu Gemüte und begann: ‚Herr Kreisrat, Sie haben recht, doch den größten und wertvollsten Vorzug haben Sie vergessen.’ – ‚Nun, das würde mich interessieren’, erwiderte der Kreisrat. ‚Man spricht heute viel vom Weltuntergang, da haben wir den Vorzug, dass Wimpfen sechs Wochen später untergeht, denn zu dem Kreisamt Heppenheim gehörig, dauert alles mindestens sechs Wochen, bis es der Herr Kreisrat genehmigt hat.’ – Ein stürmisches Gelächter und Bravo setzte ein; besonders freute sich der Postmeister und schob sich auf Grund des Sieges einen äußerst Kräftigen zu Gemüte.- Jedoch der Kreisrat hielt es für das Beste, das Schlachtfeld zu räumen mit der sonderbaren Bemerkung: ‚Die Wimpfener sind doch ein eigenartiges Völkchen. Mit denen ist nicht gut Kirschen essen.’“

Eindeutig negativ hinsichtlich ihrer Amtsführung ist die Erinnerung an manche der amtierenden Landrichter besetzt, worüber, was die 1860er Jahre betrifft, bereits in anderem Zusammenhang in Band 2, S. 539 – 540, berichtet worden ist. Es handelt sich um den als skandalös empfundenen Disziplinarprozess des Jahres 1877/78 gegen den LANDRICHTER WILHELM CESSNER sowie den LANDGERICHTSAKTUAR MICHAEL KRONENBERGER, worüber rückblickend die Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde folgendermaßen berichtet:

„Noch eines Ereignisses wollen wir Erwähnung thun, welches seiner Zeit hier viel Staub aufwirbelte. Zu Anfang August (1877) kam als Untersuchungsrichter gegen das hiesige Landgericht der Gr. Oberappelationsgerichtsrath Böttger von Darmstadt hierher und vernahm viele Zeugen, da gegen den Landrichter Ceßner und Landgerichtsaktuar Kronenberger Indicien wegen Annahme von Geschenken, Bestechungen, Nachlässigkeiten in der Dienstführung, Unfähigkeit und unwürdiges Verhalten im öffentlichen Leben vorlagen. Im November wurde diese Untersuchung weiter geführt durch den Gr. Hofgerichtsrath Maurer aus Darmstadt.“

Die Bevölkerung glich einem aufgeregten Bienenschwarm; die Debatten wurden nicht nur in die Wirtshäuser, sondern in hitziger Weise auch auf die Straße getragen. Am 8. November 1877 legt Ceßner dem Stadtvorstand unter dem ahnungsvollen Hinweis, dass er und seine Familie demnächst ihre im Obergeschoss des Rathauses befindliche Wohnung räumen müssten, die Bitte um Ersetzung der Ausgaben für das wegen Rissebildung und Ablösung der Tapete von ihm veranlasste Neutapezieren des westlichen Eckzimmers in Höhe von 40 Mark vor, was unter Hinweis auf den Mietvertrag jedoch abgelehnt wird. Der Prozess fand am 29. April 1878 seinen Abschluss. Fast ein Jahrzehnt hindurch, so berichtet die Zeitung, hätten die Angeklagten zum großen Nachteil ihrer Gerichts-Untergebenen in gewissenloser, pflichtvergessener Weise gewirtschaftet, ja fast in Allem gerade das Gegenteil von dem getan, was sie hätten tun sollen. Vorwürfe wurden auch gegen die hessischen Behörden erhoben, die für ihr Amt Unfähige eingestellt hätten, im Falle des Aktuars jemanden, der vorher nicht für würdig befunden worden war, im Accessisten-Stande zu verbleiben. Das Oberappellations- und Cassationsgericht erkannte bei Ceßner auf fünfmonatige und bei Kronenberger sogar auf eine neunmonartige Suspension vom Dienst und Gehalt. Die Verurteilung erfolgte wegen Dienst- und Pflichtverletzung, beim Erstgenannten wegen leichtfertigem Unterschreiben von gefälschten Vormundschafts-Tabellen, beim Zweitgenannten wegen gewerbsmäßigem Betreiben von Maklergeschäften und herabwürdigendem Spott gegen einen Vorgesetzten. Dennoch geruhte der Großherzog unter dem 10. Mai 1878, die beiden nach Ablauf der jeweiligen Suspension von Dienst und Gehalt in den Ruhestand zu versetzen.[3] Immerhin gebührte Landrichter Ceßner das Verdienst, im Vorjahr führend den Verschönerungsverein ins Leben gerufen und dessen Vorsitz übernommen zu haben.

„Da beide katholisch waren“, so schließt Dekan Scriba in der Evangelischen Kirchenchronik seinen diesbezüglichen Bericht, „so hat diese Sache begreiflicher Weise auf die hiesige katholische Gemeinde deprimierend wirken müssen.- Im November (1877) kam dann Stadtgerichtsassessor (Friedrich) Hirsch von Darmstadt als Landrichter und Landgerichtsaktuar (Georg) Usinger von Reinheim hierher, zwei tüchtige Beamte, da die Regierung die früher befolgte Maxime fallen ließ, ausgediente oder minder fähige Beamte hier anzustellen, weil die Arbeit am hiesigen Gerichte, wegen geringer Seelenzahl des Bezirks weniger groß sei.“
Die gegen die hessischen Behörden im Zusammenhang mit dieser Affäre erhobenen Vorwürfe in Verbindung mit dem letzten Satz der Chronikeintragung weist schlagend aus, dass im Grundtenor der vorstehend wiedergegebenen beiden Anekdoten sehr viel mehr als nur ein Körnchen Wahrheit wiedergegeben gewesen ist.

  1. Das bisherige Landgericht wird im Zuge der Rechtsvereinheitlichung durch ein mit einem Oberamtsrichter und einem auch als Gerichtsschreiber fungierenden Gerichtsvollzieher ausgestattetes Amtsgericht abgelöst, bei dessen Rechtsprechung gewählte Schöffen mitwirken.

Das Landgericht Wimpfen sollte jedoch nicht mehr lange bestehen. Denn im Zuge der schon zu Zeiten des Norddeutschen Bundes auch in den südlich des Mains gelegenen Teilen des Großherzogtums Hessen begonnenen Vereinheitlichung des Straf- und später des Zivilrechts trat im Mai 1879 das Deutsche Gerichtsverfassungsgesetz in Kraft, wonach u. a. die Landgerichte aufgelöst, dafür Amtsgerichte errichtet und auch dem kleinen Gebiet Wimpfens ein solches zugeordnet wurde. Übergeordnete Instanzen waren nunmehr das Landgericht und das Oberlandesgericht Darmstadt. Wie zu Zeiten des Landgerichts umfasste der Amtsgerichtsbezirk Wimpfen:
1. Finkenhof,
2. Helmhof mit Forstbezirk,
3. Hohenstadt,
4. (den hessischen Teil von) Kürnbach,
5. Wimpfen am Berg,
6. Wimpfen im Tal,
7. Zimmerhöfer Feld.
Der Gemeinderat reagierte auf diese Neuerung höchst positiv, indem er erklärte, die benötigten Mittel und Lokalitäten sowie die notwendigen Bauveränderungen im oberen Stock des Rathauses auf eigene Kosten vornehmen zu lassen, ebenso die Mitbenützung des vorhandenen Saals zur Abhaltung der öffentlichen Gerichtssitzungen in der gewünschten Weise einzuräumen. Die unter der Kontrolle des Kreisbauamtes Erbach erfolgenden Arbeiten sollten so rechtzeitig ausgeführt werden, dass das Lokal dem Gericht 1. August 1879 zur Verfügung stehen würde. Gleichzeitig bat er jedoch die Behörden darum, „es möchten dem Amtsgericht Wimpfen noch umliegende württembergische und badische Orte zugeteilt und der hiesige Bezirk dem benachbarten Landgericht Heilbronn oder einer sonst naheliegenden Stadt (an Stelle von Darmstadt) einverleibt werden. Dadurch würde der Personen-Zugang zu hiesiger Stadt folglich auch der Geschäftsverkehr für die Gewerbetreibenden wesentlich zunehmen. Wir wären dankbar für mit den Nachbarstaaten in diesem Sinne aufgenommene Verhandlungen. Es wäre sehr wünschenswert, wenn bei der Errichtung eines Landgerichts auf die große Entfernung zum Mutterland Rücksicht genommen würde.“
Dieser Antrag weist zwar aus, wie sehr die Reichsgründung in den Köpfen der Menschen die bestehen gebliebenen Ländergrenzen bereits hatte schwinden lassen; in Anbetracht der den Ländern immer noch gegebenen Rechtssouveränität musste dieses Ansinnen jedoch ein unrealistischer Wunsch bleiben.

Die geschilderte Umorganisation geschah im Zuge der um die Mitte der 1870er Jahre erfolgten Beseitigung der Rechtszersplitterung durch die Einführung eines reichseinheitlichen Straf- sowie Zivilrechts, wonach die Richter des Großherzoglichen Land- bzw. später Amtsgerichts Wimpfen ihre Urteile in Straf- wie Zivilsachen zu sprechen hatten. Deren Bestimmungen werden ab 1874 über die ganzen restlichen 1870er Jahre hinweg häufig der Bevölkerung in der Zeitung bekanntgemacht und auch interpretiert. Jetzt beruft sich, Autoritätsstützung suchend, Bürgermeister Ernst in seinen die öffentliche Ordnung betreffenden Bekanntmachungen häufig nicht etwa auf diesbezügliche Orts- oder kreisrätliche Satzungen, sondern auf Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches, z. B. wenn es im Herbst 1874 um das Verbot des Betretens der Weinberge oder 1877 im Frühjahr des Herumlaufenlassens von Gänsen bzw. im Sommer des Peitschenknallens innerhalb des Ortes geht. Letzteres z. B. ist, wie es heißt, § 360 des Reichsstrafgesetzbuches mit Strafe zu ahnden“. Zum Jahresbeginn 1877 erscheint in mehreren Extrabeilagen der Zeitung die folgende Abhandlung: „Die deutschen Justizgesetze. Eine Ansprache des nationalliberalen Centralcomitées an das Deutsche Volk“, was folgendermaßen angekündigt wird:
„Unser Wissen von den neuen deutschen Justizgesetzen war Stückwerk, wir alle kannten sie seither nur aus den verzettelten und zum Teil verzerrten parlamentarischen Verhandlungen und Kämpfen. Die Gesetze als Ganzes bringen Fortschritte und Bürgschaft für Rechtseinheit und Rechtssicherheit des Einzelnen.“

Nachdem am 9. Juli 1879 die Verwaltung des Landgerichts Wimpfen wegen Erkrankung von LANDRICHTER FRIEDRICH HIRSCH provisorisch dem LANDGERICHTSASSESSOR FREIHERR VON DIEMAR übertragen worden und dieser aber im September nach Gießen versetzt worden war, trat an seine Stelle – und zwar infolge der oben geschilderten Justizreform – als nunmehriger OBERAMTSRICHTER mit Wirkung vom 10. April 1880 der bisherige Stadtgerichtsassessor beim Stadtgericht Darmstadt OTTO JOST. Dieser wurde jedoch durch Dekret vom 28. März 1880 zum Landgerichtsrat beim Landgericht der Provinz Starkenburg befördert und durch Dekret vom 5. Mai 1880 durch OBERAMTSRICHTER CARL RÜHL ersetzt, der zuvor Amtsrichter in Groß-Umstadt gewesen war. Damit war der nach dem Justizskandal eingetretene dreimalige kurzfristige Wechsel der Leitung am Land- bzw. Amtsgericht Wimpfen beendet und eine über ein knappes Jahrzehnt gehende personelle Stabilisierung hergestellt. Als GERICHTSSCHREIBER wird am 21. April 1880 der seither diese Funktion zu Offenburg einnehmende GEORG STEINACKER dekretiert. Mit Wirkung vom 2. Juli 1889 tritt an die Stelle des nach Seligenstadt versetzten Carl Rühl der vom Amtsgericht Friedberg kommende OBERAMTSRICHTER WILHELM SÜFFERT. Dieser wird unter dem 7. Juli 1894 an das Amtsgericht Lich versetzt und für ihn kommt der zuvor in Offenbach tätig gewesene AMTSRICHTER WILHELM SANDER, der unter dem 20. Juli 1895 zum Oberamtsrichter ernannt wird. Als dieser nach etwa zehnjähriger Tätigkeit im Herbst 1899 nach Darmstadt versetzt wird, findet ihm zu Ehren im „Ritter“ eine große Abschiedsfeier statt. Ihm folgt AMTSRICHTER KARL WILHELM KRÄMER, der am 16. April 1900 zum Oberamtsrichter befördert wird, in Wimpfen 13 ½ Jahrzehnte amtiert und dessen Abgang auf seinen am 20. März 1913 erfolgten Tod zurückgeht. Nachfolger wurde mit Wirkung vom 7. April 1913 OBERAMTSRICHTER DR. KARL GEBHARD, zuvor Notar in Gau-Algesheim/Rheinhessen, der, wie die Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde besonders herausstellt, katholisch gewesen ist.

Das Wimpfener Amtsgericht wurde gleichzeitig mit der mit einer Hilfsschreiberstelle verbundenen Stelle eines Gerichtsvollziehers ausgestattet, die mit Wirkung vom 10. Oktober 1879 mit dem vom Amtsgericht Langen bei Darmstadt kommenden AMTSGERICHTSDIENER MICHAEL LENZ besetzt wurde. Selbstredend wurde dessen Tätigwerden als Gerichtsvollzieher, mit dessen Hilfe die private und öffentliche Hand jetzt ohne Zuhilfenahme eines Rechtsanwaltes ihre rückständigen Forderungen durch Pfändungen eintreiben konnte, trotz zustimmender Pressekampagne alles andere als populär. Und so entlockt die Begründung des Gerichtsvollzieheramtes einem Bürger den folgenden im Zuschriftenteil der Zeitung veröffentlichten Stoßseufzer: „O goldene Zeit, wo bist du und wann kommst du wieder?“

Feste personelle Setzungen waren nicht nur im Hinblick auf die nach dem Justizskandal dringend notwendige Wiederherstellung des Vertrauens der Einwohnerschaft in die Recht sprechenden Amtspersonen nötig, sondern auch, weil – wie schon gesagt – durch die zum 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Reichs-Justizgesetze ein einheitliches Recht für das gesamte Deutsche Kaiserreich gültig geworden war, das die bisher in den einzelnen Staaten und Provinzen verschiedensten Gerichtsverfahren tiefgreifend umgestaltete und sowohl die Verfassung der Gerichte als auch das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen gleichschaltete. Das Rechtsbewusstsein der Menschen wurde insbesondere durch die damit verbundene neue Einrichtung von Schöffengerichten (bzw. an Schwurgerichten durch Bestellung von Geschworenen) geprägt, wodurch jetzt gewählte Vertreter aus der Einwohnerschaft bei der Rechtsprechung mitzuwirken hatten und auf diese Weise das Gerichtswesen zu einer vom Volke mitgetragenen Institution werden sollte. Hierzu sei der diesbezügliche belehrende Appell der „Wimpfener Zeitung“ vom 28. November 1879 auszugsweise aufgeführt:
„ … Dazu ist es die Pflicht eines Jeden, der sich vor Schaden bewahren will, sich mit den neuen Gesetzen vertraut zu machen, um sich hernach schnell zurechtzufinden.- Wir sagen: PFLICHT EINES JEDEN! Denn wer wir künftig nicht mit den Gerichten zu tun haben? – Jeder unbescholtene Staatsbürger ist wählbar zum Schöffen, und da deren künftig mehr als 10.000 jährlich bei den Amtsgerichten als Richter tätig sein werden, so muß sich ein jeder darauf gefaßt machen, als Schöffe einberufen zu werden und sich also mit den ihm auferlegten Pflichten vertraut machen. Ferner aber, wem kann es nicht passieren, sei er Hoch oder Niedrig, Beamter, Kaufmann, Gewerbetreibender oder Landwirt, verklagt zu werden oder sich zur Klage gezwungen zu sehen, eines Vergehens oder Verbrechens angeschuldigt zu werden oder die Bestrafung eines Anderen beantragen zu müssen, in einen Konkurs verwickelt zu werden oder durch Verluste gezwungen zu sein, den Konkurs anzumelden? Wie hat man sich in diesen Lagen zu benehmen, welche Schritte zu tun und bei welchem Gerichte?- All diese Fragen beantworten aufs Eingehendste die Reichsjustizgesetze. Das Bedürfnis, sich über dieselben zu unterrichten, ist also allgemein und hat bereits eine Reihe leicht faßlicher, allgemein verständlicher Aufsätze über die neue Rechtsmaterie hervorgerufen. … Um aber dieselben unseren Lesern unter denkbar geringstem Opfer zu ermöglichen, haben wir uns mit der Berliner Verlagshandlung Franz May in Verbindung gesetzt und sind durch deren Entgegenkommen imstande, deren handliche und anerkannt solid ausgestattete billige Volksausgabe der Justizgesetze unseren Abonnenten zu einem ermäßigten Preis zu liefern. In zwei Bänden: 1. Die Civilprozeßordnung nebst Einführungsgesetz. 2. Das Gerichtsverfassungs-Gesetz, die Strafprozeßordnung und die Konkursordnung.- Die Expedition der Heilbronner Stadtglocke.“

Aus einer nachstehend aufgeführten Meldung der „Wimpfener Zeitung“ vom 21. Oktober 1879 erfahren wir sowohl das Ergebnis der ersten Schöffengerichts-Wahl als auch den Gegenstand der ersten Schöffengerichts-Sitzung (die Namen der gewählten Schöffen sind hier durch Großbuchstaben herausgehoben sowie die abgekürzt wiedergegebenen Vornamen derselben vollständig wiedergegeben, außerdem deren Berufe dazugesetzt):

„Nächsten Samstag, 25. Oktober, morgens 9 Uhr, findet die erste Schöffengerichtssitzung im amtsgerichtlichen Sitzungssaale statt. Den Gegenstand bildet die Anklage gegen Heinrich Hartwick von hier wegen Amtsehrenbeleidigung. Die gewählten Schöffen sind:

EMIL MÖRICKE (Rentner, früherer Apotheker),
PHILIPP BORNHÄUßER (Ökonom und Lammwirt),
WILHELM ROßBACH (Bierbrauer u. Beigeordneter im Tal),
FRIEDRIch MUCKH (Kaufmann),
CARL SCHITTENHELM (Landwirt),
WILHELM MWETZGER (Kaufmann),
ALBERT MÜNCH (Gerber),
FRIEDRICH EHEBALDT (Spengler),
HERMANN VÖRG (Bäcker),
CARL LINK (Kaufmann),
EMIL GROß (Geometer),
FRIEDRICH STAUDT von Hohenstadt (Landwirt).

Von diesen zwölf Schöffen haben abwechselnd je zwei einer Gerichtssitzung beizuwohnen und sind für die erste Gerichtssitzung bestimmt die Schöffen: Dr. Emil Mörike und Hermann Vörg. Die Schöffen sind auf die Dauer vom 1. Oktober 1879 bis 31. Dezember 1880 gewählt; von da ab erfolgt die Neuwahl derselben auf ein Jahr. Jeden Monat findet einen Schöffengerichtssitzung statt. Zu Hilfsschöffen sind gewählt die Herren

FRIEDRICHN FINNINGER (Bierbrauer),
CARL SCHWENZER (Seifensieder),
HERMANN BENDER (Kübler),
HEINRICH WASSENMÜLLER (Zimmermeister),
JAKOB FRIEDRICH MAISENHÄLDER (Bäcker).“

Unter dem Datum des vorgenannten Verhandlungstages (25. Oktober 1879) bringt dann die Zeitung über die erste Schöffengerichtssitzung den folgenden Bericht:

„Die auf heute Vormittag 9 Uhr anberaumte erste Gerichtssitzung wurde durch den Herrn Ober-Amtsrichter mit einigen einleitenden Worten eröffnet und zunächst die Beeidigung der anwesenden Schöffen Bornhäußer (nicht, wie ursprünglich festgelegt, Dr. Emil Möricke) und Vörg vorgenommen. Die Gerichtsverhandlung mußte, da der Angeklagte nicht erschienen war und gegen welchen deshalb gleich Vorführungsbefehl erlassen wurde, auf 11 Uhr verlegt werden. Nachdem in dieser Sitzung der Angeklagte Hr. Hartwick sowie die Zeugen der Reihe nach vernommen wurden und von dem Gerichtsschreiber das Leumundszeugnis bzw. die verschiedenen Vorstrafen des Angeklagten verlesen waren, beantragte der Amtsanwalt gegen denselben eine Gefängnisstrafe von 3 Wochen und Verurteilung in die Kosten. Das Gericht zog sich zu ½-stündiger Beratung zurück und verurteilte hierauf den Angeklagten dem Antrage des Amtsanwalts gemäß sowie in Erwägung der zahlreichen Vorstrafen zu 3 Wochen Gefängnis und in die Kosten. Damit war die Tagesordnung für die heutige Verhandlung beendet.“

Der Angeklagte, TAGLÖHNER FRIEDRICH HEINRICH HARTWICK, geb. am 21. Januar 1836, war der Einwohnerschaft und den Behörden sowie auch in den Ortschaften der Nachbarschaft durch seine Diebereien, Betrügereien, Spitzbübereien sowie auch seine Trunksucht sattsam bekannt und zu traurigem Ruhm des Zuchthäuslers und größten Taugenichtses seit den Tagen des legendären Ludwig Runkel der 1820er – 1840er Jahre (siehe Band 1, S. 405 – 408) gekommen. Z. B. findet sich im Regierungsblatt des Jahres 1864 verzeichnet, dass Friedrich Heinrich Hartwick, Taglöhner von Wimpfen a. B., durch Urteil des Großherzoglichen Assisenhofes der Provinz Starkenburg vom 6. Oktober 1863 wegen ausgezeichneten Diebstahls im ersten Rückfall zu einer geschärften Correktionshausstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden ist. Eine seiner Spitzbübereien hat FRIEDRICH FEYERABEND[4] für wert befunden, in der ersten seiner „Drei Episoden“ der Nachwelt zu bewahren:

„I. Galgenhumor (in Wahrheit zugetragen).- Der Gewohnheitsverbrecher Hartwick kam gut gekleidet von der Strafanstalt zurück in die Heimat. Einige Tage später beging er über dem Neckar im württembergischen Nachbarorte Offenau einen schweren Diebstahl, wobei er gefasst wurde. Der Landjäger, mit Gewehr ausgerüstet, befahl Hartwick, zehn Schritte vorauszugehen. Der Weg ging dem Oberamt zu und führte durch Jagstfeld. Ein Bierbrauer stand vor seiner Wirtschaftstüre, sah die beiden des Weges kommen; er erkannte Hartwick und fragte spöttisch: ‚Nun, Hartwick, wohin des Wegs?’ Hartwick antwortete: ‚Ich geh’ auf die Jagd, der da hinten (Landjäger) trägt mein Gewehr.’’

Grausig-tragisch endete am 19. September 1886, d. h. knapp 7 Jahre nach der geschilderten Verurteilung, Hartwicks Leben im Alter von 50 Jahren durch einen schrecklichen Unfall. Dieser ist bereits dadurch geschildert worden ist, dass der diesbezügliche mitleidlose Bericht der Evangelischen Kirchenchronik im Unterkapitel C.3 wiedergegeben wurde. Dieser spielte sich, wie die „Wimpfener Zeitung“ berichtet, vormittags bei der Neckarmühle ab, „wonebst ein Mann (H) in die dort aufgestellte Dreschmaschine mit dem rechten Bein geriet und ihm dasselbe bis über die Knöchel buchstäblich zermalmt wurde“. Das Bein musste in der Mitte des Oberschenkels abgenommen werden, was Hartwick aber nicht retten konnte.

  1. Die Gegenstände und Ergebnisse der Verhandlungen vor dem Schöffengericht werden stets unter schonungsloser Namensnennung quasi als Erziehungsmittel in der Zeitung bekanntgemacht.

Ziemlich gnaden-, schonungs- und respektlos ging fortab die Zeitung auch mit allen anderen mit dem Gesetz in Konflikt Gekommenen und vom Wimpfener Amts- und Schöffengericht Verurteilten um, indem sie der Öffentlichkeit stets unter voller Namensnennung – es gab ja noch keinen Persönlichkeits- und Datenschutz – die Vergehen sowie Strafmaß und Strafart preisgab. Solche Anprangerung sollte in erster Linie abschreckend wirken und die wichtige Rolle der Justiz als Wahrerin von und Wächterin über Ordnung und Gerechtigkeit demonstrieren. Das galt auch für schwerere auf höherer gerichtlicher Ebene geahndete Vergehen, so z. B. das unter dem 21. Juni 1880 berichtete solche, das sich daraus ergab, dass am 31. März 1881 im Schiedsee ein neugeborenes weibliches Kind gefunden wurde, das eine unverheiratete Näherin in der Nacht zuvor geboren und, nachdem sie es, nach den Wunden am Kopf zu schließen, getötet, in Stroh und ein altes Aufwaschtuch gewickelt, ins Wasser geworfen hatte:

„Heute nahmen die Schwurgerichts-Verhandlungen (in Darmstadt) unter Vorsitz des Oberlandesgerichtsrats Freiherrn von Ricou ihren Anfang. Als erster Fall wurde die Anklage gegen die 42jährige Jakobine K. (Nachname im Bericht voll angegeben) von Wimpfen wegen Kindsmord verhandelt. Die Beschuldigte soll, was sie freilich entschieden in Abrede stellt, Ende März ds. Js. zu Wimpfen ihr neugeborenes uneheliches Kind alsdann nach der Geburt getötet haben. Nach dem Gutachten der Gerichtsärzte ist der Tod durch des Kindes gewaltsame Zertrümmerung des Schädels erfolgt und verdienten die Aussagen der Angeklagten über den Hergang der Sache keinen Glauben. … Die Geschworenen bejahten nach kurzer Beratung die Schuldfrage, bewilligten indeß dem Antrag der von Rechtsanwalt Buchner geführten Verteidigung entsprechend mildernde Umstände, worauf die Angeklagte zu einer Gefängnisstrafe von 3 Jahren, wovon 2 Monate Untersuchungshaft in Anrechnung zu bringen sind, verurteilt wurde. …“ Hier sei angemerkt, dass im Amtsgerichtsbezirk Wimpfen auch jeweils sieben Geschworene zur Beschickung des in diesem Fall tätig gewesenen Schwurgerichts Darmstadt zu wählen gewesen sind.

„Als ein gutes Zeichen ist erwähnenswert“, so hatte die Zeitung im Februar 1881 berichten können, „daß für diesen Monat kein Material für eine Schöffengerichtssitzung vorlag.“ Und Mitte Juli desselben Jahres heißt es ähnlich: „Schöffengerichts-Sitzung fällt wegen Materialmangel aus“ bzw. Mitte August „ … wird wegen Abwesenheit des Beschuldigten ausgesetzt.“ Als Beispiel der in den Jahren nach der Einführung des Amtsgerichts fortlaufend in der Zeitung veröffentlichten Berichte über dessen Verhandlungen sollen nunmehr zunächst aus dem Jahr 1883 (in Kurzfassung) zwei Einzelfälle, dann der des Gesamtverlaufes einer Vormittagssitzung mit fünf verhandelten (mehr oder minder) Bagatellfällen (insbesondere kleinen Diebstählen, Betrugsversuch, Zerstörung von Sachen) wiedergegeben werden:

– 06. März 1883: Metzger Hofmann wird zum zweiten Mal wegen Wurstverfälschung (Beimischung von Stärkemehl) bestraft.

– 18. Mai 1883: „Aus der Schöffengerichtsverhandlung: Wilhelm von Langen, Landwirth zu Wimpfen a. B., begegnete am 22. Februar d. J. dem Nachtwächter Carl Bosch hier, welcher gerade die 10te Stunde rief. Zu diesem äußerte er: ;Du mußt dein Maul besser aufmachen, daß man dich auch versteht’ etc. Auf die Erwiderung des Bosch, wenn er etwas gegen ihn hätte, möge er es dem Bürgermeister anzeigen, sagte von Langen: ‚Du Flegel, du Grobian, du Bettelmann’ u.s.w. Bosch erhob Anklage auf Grund § 186 des R.-St.-G.-B., auf welche sich heute der Angeklagte zu verantworten hat. Er ist geständig und wird deßhalb in eine Geldstrafe von 8 Mark ev. 1 Tag Gefängniß und die Kosten verurtheilt. Der gute Ruf des Angeklagten wirkte strafmildernd.“[5]

– „Lokales. Wimpfen, den 15. Juni 1883 … (Schöffengericht) Die Schöffenstühle waren wie in der vorigen Sitzung von HH. H. Heuerling und Ph. Bornhäußer besetzt. Es kamen folgende Anklagesachen zur Verhandlung und Aburtheilung:

1. Caroline Wieland von Grab, früher Dienstmagd bei J. M. Allmendinger hier, jetzt bei Metzger Friedrich Rappold von da, welche wegen Zuwiderhandlung gegen die Verordnung über die Erhebung der Uebergangsabgabe von Branntwein zur Anzeige kam und bestraft wurde, erhob Einspruch gegen den ihr zugestellten Strafbefehl, weil sie die Beschuldigung nicht zutreffend hielt; die gute Meinung von ihr wurde aber durch die vollständige Ueberführung durch die Zeugenaussagen derart geschwächt, daß die Wieland neben 13 Mk. 40 Pf. Geldstrafe ev. 6 Tage Haft auch noch die Kosten des Verfahrens auferlegt bekam.

2. Der 55 Jahre alte Zimmermann Johann Brandmayer von hier und der 56 Jahre alte Taglöhner Christian Schöll von da haben Anfangs April ds. J. der Saline Ludwigshalle dahier in der Helde Dielen gestohlen und an hiesige Handwerksleute verkauft. Die Angeklagten leugnen, werden überführt und erhalten ersterer eine Gefängnisstrafe von 14 Tagen, letzterer eine solche von 8 Tagen. Die Gr. Staatsanwaltschaft beantragte diese hohen Strafen mit Rücksicht darauf, weil die kleineren Diebstähle in Wimpfen seit neuerer Zeit eine Landplage seien. Der angeklagte Brandmayer verkaufte am 4. März d. J. dem Schneider Johann Bauer von Bonfeld sein sog. Bürgerholz für den Preis von 25 M. und ließ sich von demselben ein Draufgeld von 1 M. geben mit dem Bemerken, daß Bauer in den nächsten Tagen den Abfuhrschein, sobald er ihn bei der hiesigen Bürgermeisterei erhalten habe, bei ihm in Empfang nehmen könnte. Einige Tage darauf verkaufte jedoch Brandmayer das in Rede stehende Holz auch an den Cigarrenfabrikanten Stecher von hier, gab aber das von Bauer an ihn bezahlte Draufgeld nicht wieder zurück. Er wurde deßhalb wegen Betrugs angezeigt, wurde aber, da ihm ein solcher nicht bewiesen werden konnte, von Strafe freigesprochen. Der Gr. Amtsanwalt warnte jedoch die anwesenden Personen, keine derartigen Verträge mit Brandmayer abzuschließen, da gegen denselben zwar auf dem Civilprozeßwege vorgegangen, aber nichts von demselben zu erheben sei.

3. Mit 10 Tagen Gefängnis büßt der 50 Jahre alte Taglöhner Joh. Bechtel von hier den Diebstahl zum Nachtheil des Johann Adam Schmidt von Wimpfen i. T. Der Angeklagte hatte nämlich am 12. Mai ds. J. dem Schmidt ein baumwollenes Hemd im Werthe von ca. ca. 2 Mk., welches in der Nähe des Orts auf einer Wiese zum Trocknen gelegen hatte, auf dem Heimwege von Jagstfeld mitgenommen, dasselbe von seiner Frau waschen lassen und nach einigen Tagen angezogen. Die Ehefrau des Bestohlenen sah das fragl. Hemd bei dem Angeklagten und zeigte es dem Gensdarm Brückmann an, welcher dasselbe sofort in Beschlag nahm. Die Gr. Staatsanwaltschaft hatte eine Gefängnißstrafe von 14 Tagen beantragt.

4. Die Ehefrau des Joh. Carl Klenk I., Louise geb. Kern von hier ließ am 19. April ds. Js. in dem Kaufladen des J. M. Allmendinger von da gelegentlich, als sie für 5 Pfg. Gries kaufte, ein Halstüchlein im Werthe von 50 Pfg. ohne Wissen des Eigenthümers unter ihrer Jacke verschwinden; eine sofort von dem Bestohlenen angestellte Durchsuchung förderte das Tüchelchen wieder zu Tage. Die Angeklagte behauptet, sie hätte dasselbe nicht stehlen, sondern kaufen wollen und Allmendinger wollte ihr nur ihren ‚ehrlichen’ Namen nehmen, was jedoch durch die Aussage des Zeugen widerlegt wird; sie erhält als Warnung vor ähnlichen Vorkommnissen 1 Woche frei Kost und Logis im Gefängniß. Allmendinger will die Anklage nur erhoben haben, weil die Angklagte ihm auch schon früher Waaren entwendet haben soll.

5. Die erst jüngst wegen Beleidigung bestrafte Ehefrau des Landwirths Wilhelm Lang von hier steht der Anklage vor den Schranken, am 3. April ds. J. zu Wimpfen an der Wohnung des Bierbrauers Christian Oehler von da einen Fensterflügel mit einer Haue eingeschlagen und dadurch einen Schaden von 2 Mk. 50 Pfg. verursacht zu haben. Sie ist geständig und erhält mit Rücksicht auf ihren guten Ruf und Gereiztheit bei fragl. Vorfalle eine Geldstrafe von 3 Mk. ev. 1 Tag Gefängniß. Die Gr. Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe von 5 Mk. beantragt. Ende der Sitzung 11 ½ Uhr.“

Die nachfolgend direkt wiedergegebenen drei weiteren Beispiele aus der großen Anzahl der laufend in der „Wimpfener Zeitung“ veröffentlichten Gerichts-Berichte aus den Jahren 1883, 1885 und 1886 sind zwar kürzer gefasst, geben jedoch ebenso schonungslos die Personalien der in die Mühlen der Ortsjustiz Geratenen preis:

– Über einen im Sommer des Jahres 1888 durch die Militärgerichtsbarkeit – und zwar nach der für Soldaten geltenden Preußischen Militär-Strafgerichts-Ordnung – wegen einer Kette von Vergehen als Füsilier zu einer vieljährigen Zuchthausstrafe verurteilten Wimpfener berichtet die nachstehende groß in der „Wimpfener Zeitung“ unter dem 10. August 1888 den Lesern drastisch vor Augen gestellte „Bekanntmachung“:[6]

„17. 08. 1889: Tabakarbeiter Anton Mersensky von Wimpfen am Berg wird wegen Körperverletzung angeklagt und kostenfällig zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt.“

Über den Vorgenannten wird noch mehrfach an späterer Stelle – und zwar insbesondere im Zusammenhang mit den zu Beginn der 1890er Jahre in Wimpfen beginnenden Aktivitäten der Sozialdemokratie – (in Kap. J) zu berichten sein. Diese Thematik ist auch durch den nachfolgenden ersten und später im vorgenannten Kapitel noch mehrfach aufzuführenden Fall der Bestrafung eines Wimpfeners wegen Majestätsbeleidigung angesprochen:

– 09. 03. 1890 ff.: Im Tal wird in einer Gaststätte gelegentlich der Landwirt Wilhelm Braunberger wegen angeblicher Majestätsbeleidigung durch zwei verschiedene selbständige Handlungen verhaftet und später von der Großherzoglichen Strafkammer auch deswegen verurteilt. Der Verurteilte hat beim Reichsgericht in Leipzig gegen das Urteil Revision eingelegt. Dieses hat die Revision im ausgehenden Jahr 1890 für begründet erachtet und die Anklage zur nochmaligen Verhandlung an die Strafkammer zurückverwiesen. Bei der am 13. Januar 1891 angesetzten nochmaligen Verhandlung stellte der Angeklagte die Anklage in Abrede und erklärte, er habe nicht die Absicht gehabt, Seine Majestät zu beleidigen. Durch die Beweisaufnahme wurde der Angeklagte nur in einem Falle für schuldig und gegen ihn eine Gefängnisstrafe von 2 Monaten erkannt und ihm die Kosten des Verfahrens zur Last gelegt. Strafmildernd war in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte sich bei der Begehung des Verbrechens in angetrunkenem Zustande befand. Bezüglich der zweiten Beschuldigung wurde er mangels genügender Beweise freigesprochen.

Dann noch eine auf die Sitzung vom 20. 09. 1890 bezogene Fallmeldung, die der Abschreckung dienen sollte und ebenfalls in das vorgenannte Problemfeld hineinspielt:

– „20. September: Ein kleiner Zwischenfall ereignete sich gestern während der Schöffengerichtssitzung, welcher zur Warnung jedermann mitgeteilt zu werden verdient. Der Zigarrenarbeiter Ott hatte die Unverfrorenheit, ohne Rock mit hochaufgeschürzten Hemdsärmeln in den Zuhörerraum des Schöffengerichtssaales zu gehen. Er wurde dieserhalb vom Vorsitzenden Oberamtsrichter in eine Ordnungsstrafe von 5 Mark genommen.“

Abschließend seien noch ein Bericht über zwei von der Strafkammer Darmstadt verurteilte 13-jährige Straffällige aus Wimpfen sowie ein den Berichten über Schöffengerichtssitzungen des Jahres 1890 entnommener Straffall aufgeführt, die erkennen lassen, dass es damals noch keine Strafunmündigkeit für ältere Kinder gegeben hat:

– „16. November 1881: Von der II. Strafkammer in Darmstadt werden zwei Dreizehnjährige aus Wimpfen wegen Einbruchs zu je einem Monat Gefängnis und Erstattung der Kosten verurteilt.“

– „Lokales.- Wimpfen, 19. Juli 1890: Der 12-jährige Knabe Klein von Kürnbach erhielt wegen Diebstahls 1 Tag Gefängnis, die mitangeklagte Karl Kraus Ehefrau von Kürnbach war zum Termin nicht erschienen und wurde deren Vorführung beschlossen.“

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[1] Die nachfolgende Aufführung der in den angeführten Amtsbereichen tätigen Amtsträger kann in der Regel keinen Anspruch auf Vollständigleit erheben.

[2] Scheible, Erich, 2009, S. 141 – 143

[3] Wimpfener Zeitung vom 10. 05. 1878; Haberhauer, Günther, 1999, S. 47; Großherzoglich-hessisches Regierungsblatt 1878, Beilage Nr. 17, S. 136

[4] Scheible, Erich, 2009, S. 146 – 147

[5] Haberhauer, Günther, 1999, S. 58

[6] Haberhauer, Günther, 1999, S. 67