V. Sedangeneral

Wie dem bei der Kolonisierung und in der Verwaltung Algeriens hohe Verdienste und Auszeichnungen erlangten ältesten der französischen Generale EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN  (1811 – 1884) der Generation 13, dem einzigen Sohn des viertältesten Sohnes des Franz Ludwig von Wimpffen namens FÉLIX DE WIMPFFEN  (1778 – 1813), im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 in der letzten Phase der unabänderlich verloren gehenden Umfassungsschlacht bei Sedan der Oberbefehl und im Zuge der von ihm mit dem preußischen Ministerpräsidenten OTTO VON BISMARCK und seinem Verwandten und Chef des Generalstabs HELMUT VON MOLTKE in der Nacht vom 1. zum 2. September 1870 im Jagdschloss von Donchery ausgehandelten und am Morgen danach im Schloss Bellevue unterzeichneten Kapitulation der Spottname „Sedangeneral” zufällt.

a. Emmanuel Félix wächst mutter- und vaterlos auf und besucht, der Familientradition folgend, ab dem 10. Lebensjahr die Militärvorschule und ab dem 18. Lebensjahr die berühmte Offiziersschule Saint-Cyr, die er 1833 als Unterleutnant verlässt.

Bevor nun die vorstehend zu beschreiben begonnene Württembergische Nebenlinie der Von Wimpffen weiterverfolgt wird, erscheint es notwendig, zunächst vorrangig sich auch dem bislang übergangenen viertältesten der Söhne des Zweiggründers Franz Ludwig von Wimpffen, nämlich FÉLIX VICTOR CHARLES EMMANUEL DE WIMPFFEN (1778 – 1813) zuzuwenden und dann in einer unausweichlich höchst umfänglichen Lebensbeschreibung sich dessen einzigem Sohn EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN (1811 – 1884) zu widmen, der, wie der Blick in die II. Stammtafel des Constantin von Wurzbach zeigt, ein Vetter des schon mehrfach – zuletzt am Anfang des vorangehenden Kapitels U. Verwandtschaftliche Verknüpfungen – erwähnten sowie im seinen Namen führenden Folgekapitel W. Wilhelm von Wimpffen  im Mittelpunkt stehenden königlich-württembergischen Kammerherrnn und Rittmeister WILHELM VON WIMPFFEN (1820 – 1879) gewesen ist. Dass demselben extrem viel Platz eingeräumt wird, hat mannigfache Gründe. Nicht nur, dass dessen im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1 im Generalsrang gestandene Person damals plötzlich den Menschen in Europa und darüber hinaus in aller Welt sowie nicht zuletzt auch der Einwohnerschaft Wimpfens – ganz im Gegensatz zu den bisherigen militärischen Ruhmestaten seiner Vorfahren – unrühmlich als Verlierer der spektakulären Umfassungs- und Artillerieschlacht bei Sedan des 31. August und 1. September 1870 sowie als so gut wie erfolglos Verhandelnder und Unterzeichner der Kapitulation seiner Armee in die Geschichte eingegangen und ihm dadurch bleibend der Spottname „Sedangeneral” zugekommen ist! Sondern es erscheint auch, will man der Einschätzung seiner Persönlichkeit gerecht werden, notwendig, dass gerechterweise seine erfolgreiche Karriere und seine großen Verdienste in den vorausgegangenen fast vier Jahrzehnten davor, so vor allem bei der Kolonisation, Entwicklung und Verwaltung von Algerien, für sein französisches Vaterland, herausgestellt werden.

Zunächst sei über dessen Eltern berichtet, zuerst den Vater, der bei Wurzbach sowohl in seiner Stammtafel II als auch in seiner diesen sehr knapp behandelnden Lebensbeschreibung Nr. 10 nur mit dem Hauptvornamen als FÉLIX DE WIMPFFEN erscheint, dessen voller Name, wie Jean-Piere Allart in seiner Biografie des Jahres 2012 des Titels „Le général de Wimpffen (1811 – 1884). L’autre homme de Sedan“ berichtet,
– FÉLIX VICTOR EMMANUEL CHARLES DE WIMPFFEN lautete. Geboren ist dieser, wie Wurzbach richtigerweise angibt, am 02. 11. 1778 und, wie bereits in Kapitel P. Zweiggründer Franz Ludwig dargelegt, auf der Bornburg nächst Frankfurt a. M.; gest. laut Wurzbach am 24. Februar 1814 zu Frankfurt am Main, doch richtigerweise laut Jean-Pierre Allart am 21. 07. 1813 in Paris. Über dessen Lebensgang ist aus Wurzbach kaum mehr zu erfahren, als dass er in die französische Armee eingetreten und als Oberst des 2. Linien-Infanterie-Regiments gestorben sei. „Er war vermählt“, so weiß er noch abschließend zu schreiben, „doch ist der Name der Gemalin, welche ihm einen Sohn  E m a n u e l    F é l i x  … gebar, nirgends ersichtlich.“

Dass dieser, entgegen der bei Wurzbach noch zu findenden wie auch der von Dr. Hans H. von Wimpffen getroffenen Feststellung, nicht der Autor des Werkes von 1788 „Le Manuel de Xéfolius” ist und hier eine Verwechslung mit dessen ältestem Onkel FÉLIX LOUIS DE WIMPFFEN (1744 – 1814) vorliegt, darüber wurde bereits eingehend in Kapitel P. Zweiggründer Franz Ludwig berichtet. Somit muss auch Wurzbachs abschließende Feststellung, Félix de Wimpffen sei vermutlich Mitglied des Freimaurerordens gewesen, als gegenstandslos betrachtet werden .

Das bezüglich des Lebensganges desselben bislang vorhanden gewesene Dunkel hat sich, vor allem was die Umstände der Geburt seines einzigen Sohnes EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN und dessen Werden zum französischen Offizier betrifft, neuerdings nun doch dadurch etwas gelichtet, dass ich Anfang Dezember 2013 während der Schaffung des den Freiherren und Grafen von Wimpffen geltenden Textes von Dr. Hans H. von Wimpffen freundlicherweise die erst im Vorjahr 2012 veröffentlichte Abhandlung des vorerwähnten Jean-Pierre Allart „Le général de Wimpffen (1811 – 1884). L’autre homme de Sedan” erhielt. Deren mit „Les années d’apprentissage (1811 – 1832)” überschriebenes erstes Kapitel zeigt, dass die Mutter dieses einzigen Sohnes EMMANUEL FÉLIX nicht, wie Wurzbach wohl meint, die (von ihm nicht ausmachbare) Gattin seines Vater gewesen ist, sondern ein junges 19 Jahre altes Mädchen namens CORNÉLIE BRÉDA (geb. 1792), stammend aus Leeuwarden, dem damaligen Haupt- und Garnisonsort des Départements de la Frise in den Niederlanden. Der 32-jährige Colonel (Oberst) FÉLIX (VICTOR EMMANUEL CHARLES) DE WIMPFFEN hatte dieses, als er sich dort in Garnison befand, im Dezember 1810 kennengelernt. Als dieses von ihm ein Kind erwartete, zögerte er zunächst zwar, unter den gegebenen Umständen dieses als das seine anzuerkennen, trug jedoch nach seiner Rückkehr nach Frankreich Sorge, CORNÉLIE in Laon bei einem Waisenhaus-Arzt niederkommen zu lassen, der in nächster Nähe seiner Schwester namens ADÉLAÏDE CUNÉGONDE DOROTHÉE und deren Gatten FRANÇOIS GUILLAUME MARQUETTE DE LA VIÉVILLE, dem einstigen Schwadronschef, jetzt stellvertretenden Richter am Schwurgerichtshof des Départements de l’Aisne, Mitglied des Wahlvorstandes und Ritter der Ehrenlegion, wohnte. Die Einsicht in die II. Stammtafel von Wurzbach lässt diese beiden in der dortigen durchgehenden grünen Generationslinie XIVc bzw. 12c an der sechsten Stelle folgendermaßen erscheinen: ADELHEID (VON WIMPFFEN), geb. am 5. November 1772, Sterbedatum oder -jahr fehlt, vermählte DE LA VIÉVILLE, Sterbejahr des Gatten: 1814. Damit sind wir abermals bei einem der dort aufgeführten 12 Kinder des in Kapitel P. Zweiggründer Franz Ludwig behandelten Gründers des c) Franzens-Zweiges FRANZ LUDWIG VON WIMPFFEN (1732 – 1800) angekommen, und zwar bei seiner viertältesten Tochter dieses Namens, die, wie wir schon wissen, in Stuttgart geboren ist. Laut Civilregister von Laon gebar, wie dieser Waisenhaus-Arzt am Folgetag der Behörde meldete, am 13. September 1811 um 10 Uhr abends CORNÉLIE BRÉDA, gebürtig zu Leeuwarden, einen Sohn, dem diese die Vornamen EMMANUEL FÉLIX gab. Der die Vornamen desselben betreffende genaue Text der französischen Geburtsurkunde lautet: „ … auquel il a été donné les prénoms de Emmanuel-Félix“. Also ist in der amtlichen französischen Urkunde dessen Hauptvorname, entgegen der hier von Wurzbach und in der Regel auch allen anderen deutschen Autoren verwendeten Schreibweise EMANUEL vieler alter wie neuer deutscher Genealogen (z. B. von Constantin von Wurzbach) EMMANUEL, d. h. mit Doppel-M geschrieben, was wir grundsätzlich beibehalten wollen.

Als dessen leiblicher Vater am 25. Juni des Folgejahres 1812 als Oberst des zweiten französischen Linieninfanterie-Regiments im Begriff ist, in russisches Feindgebiet vorzudringen, will er seine privaten Angelegenheiten in Ordnung bringen und verfasst ein Testament, in dem er für den Fall, dass er zu Tode kommt, dem von „Mademoiselle Breda” geborenen und von ihm anerkannten Sohn Emmanuel alles überlässt, was er besitzt. In der Tat erleidet er am 18. August bei einem Feuerüberfall vor Polotsk am linken Fuß eine Verwundung, die zwar nicht tödlich ist, ihn aber ganz erheblich einschränkt. Er darf nach Besançon, dem Standort seines Regiments, heimkehren und erhält am 2. April 1813 die Erlaubnis, in den Ruhestand treten zu dürfen. Dann zieht er nach Paris, wo er jedoch bereits am 21. Juli 1813 im 34. Lebensjahr stirbt. Letzteres lässt J.-P. Allart die folgende – die Peinlichkeit der Herkunft überspielende – Feststellung treffen: „Voici Cornélie veuve, avant d’être mariée, et Emmanuel Félix, orphelin.” Frei übersetzt: So ist also Cornélie Witwe, ehe sie überhaupt verheiratet ist, und Emmanuel Fèlix Waise.

Hier sei nun der weitere Lebensgang des sog. Sedangenerals zunächst unter Voranstellung der Lebens- und Heiratsdaten dargestellt:
– EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN, der am 13. 09. 1811 in Laon (Département Aisne) unter den oben geschilderten widrigen Umständen von der 19-jährigen CORNÉLIE BRÉDA aus Leeuwarden in den Niederlanden geboren worden und am 25. Februar 1884 in Paris gestorben ist und sich dort am 18. 08. 1839 vermählt hat mit der 20-jährigen
-ADÈLE (ADELHEID) EUPHROSINE QUESNEL, geb. 1818, gestorben am 18. 08. 1878 in Vorges/Département Aisne.
Deren Ehe blieb kinderlos.
Als ADÉLAÏDE CUNÉGONDE DOROTHÉE MARQUETTE DE LA VIÉVILLE von dem Tod ihres Bruders FÉLIX DE WIMPFFEN erfährt, beschließt sie, ihren Neffen EMMANUEL FÉLIX zu sich zu holen und seine Erziehung zu übernehmen. Das Schicksal will es, dass am 6. Januar 1814, d. h. rund ein halbes Jahr danach, ihr Gatte stirbt und sie nunmehr drei Kinder aufzuziehen hat. Da die Folgejahre in finanzieller Hinsicht schwierig sind, entschließt sie sich 1821 in Übereinkunft mit ihrem jüngeren Bruder DAGOBERT SIGISMUND DE WIMPFFEN (1782 – 1862; siehe diesen beschrieben in Kapitel                         ), der laut Jean Pierre Allart damals Oberstleutnant  bei den Königlichen Gardedragonern gewesen ist, für ihren Neffen einen Platz in der mit großer Härte und Disziplinierung erziehenden „Ècole royale militaire préparatoire de La Flèche” (auch „Prytannée militaire” = Militärvorschule) zu erwirken. Damit sollte diesem, der Tradition des Wimpffen-Geschlechts folgend, die bestmögliche Förderung mit dem Ziel der Ausbildung zum Offizier des französischen Heeres zuteil werden. Das Gesuch wird nicht nur befürwortet, sondern mit Rücksicht auf die besonderen Erziehungsumstände sowie darauf, dass der verstorbene Vater den Rang eines Obersten erreicht hatte, darf die Ausbildung des gerade 10 Jahre alt Gewordenen auf Staatskosten erfolgen. Die vom Direktor nach der am 29. September 1821 erfolgten Aufnahme getroffene Feststellung, dass Emmanuel Félix einen für die Aufnahme unzureichenden Bildungsstand besitze, weil er zwar hinreichend lesen könne, doch keinerlei Kenntnisse in Latein und Französisch (Deutsch war demnach seine und immer noch seiner Tante und deren Eltern Mutter- und Umgangssprache gewesen!) aufweise, wird durch eine sechsmonatige Zurückstellung mit Sonderkursen zur Aufholung des Rückstandes überwunden, so dass ein halbes Jahr später die definitive Aufnahme erfolgen kann. Dort bleibt er bis zu seinem 18. Lebensjahr und tritt nach bestandener Abschlussprüfung am 14. November 1829 in die 1802 von Napoleon gegründete berühmte „École royale spéciale militaire Saint-Cyr” über, deren Devise „Ils s’instruisent pour vaincre” (Sie lernen, um zu siegen) lautet. Emmanuel Félix gehört dort zusammen mit 146 anderen Offiziersschülern 1830 – 1832 der „Promotion du Firmament” an. Da er, so stellt er später selbst bedauernd fest, seine Studien vernachlässigt, besteht er die Abschlussprüfung nicht, muss deshalb ein drittes Jahr absolvieren und klassifiziert sich abschließend unter 122 Schülern an 102. Stelle.

b. Emmanuel Félix de Wimpffen steigt in seiner Militärkarriere bis zum Divisionsgeneral und schließlich zum Oberbefehlshaber der algerischen Provinz Oran auf und erringt infolge seiner Tapferkeit, Tüchtigkeit und vor allem mehrheitlich in Algerien verbrachten Diensttätigkeit im August 1861 sogar den Titel und Grad eines „Grand officier de la Légion d’Honneur”.

Er kann sich jetzt Unterleutnant nennen und tritt als solcher im Oktober 1832 in das in Straßburg stationierte 49. Linienregiment ein. Im Sommer 1834 wechselt er in das in Algier stationierte 67. Infanterie-Linienregiment über und wird damit Angehöriger der Armee in Afrika, die im Sommer 1830 mit der Eroberung und Unterwerfung sowie Kolonialisierung von Algerien begonnen hat und insbesondere auf den erbitterten Widerstand der Berberstämme unter Führung des arabischen Emirs Abd el-Kader gestoßen ist. Mit dem Erreichen seines Regiments in Algier ausgangs August 1834 beginnt er dort seinen Dienst, der zunächst zwar nur bis März 1835 geht, dem aber noch drei weitere Verwendungen in Algerien folgen werden, womit er letztlich dort rund 17 Jahre in höchst verdienstvoller Weise für sein Vaterland Frankreich tätig sein wird. Er erlebt seine Feuertaufe im Herbst 1834 im Schlachtengeschehen bei Bouffarick (Westalgerien), in dem sein Regiment ganz besonders der hervorragend kämpfenden arabischen Kavallerie-Guerilla der sog. Hadjoutes die Stirn bietet. Nach weiteren Kampfeinsätzen insbesondere gegen die aufständischen Rif-Kabylen wird sein Regiment im April 1835 nach Frankreich zurückverlegt, wo er dann in wechselnden Garnisonsstädten öd empfundenen Kasernendienst leistet, in seiner Freizeit sich aber im Militärischen fortbildet, mehrere Jahre die Schulungen seines Regiments leitet und im Frühjahr 1837 zum Leutnant des 67. Linienregiments befördert wird. 1839 lernt er bei einem Aufenthalt in Paris die aus einer ehrbaren Familie stammende 20-jährige ADÈLE EUPHROSINE QUESNEL kennen, die er im August heiratet und die 60.000 Francs in die Ehe bringt. Im September danach wird er im vorgenannten Regiment zum Hauptmann befördert.

Zur Durchsetzung der Eroberung Algeriens sowie der Unterdrückung der immer wieder aufflammenden Aufstände wird zunächst neben mehreren Kavallerieregimentern des Namens Chasseurs d’Afrique ein aus drei Bataillonen bestehendes Infanterie-Korps aus einheimischen Söldnern gebildet, den nach einem Kabylen-Stamm benannten sog. Zuaven, deren malerische Uniform an die türkisch-orientalische Tracht angelehnt gewesen ist. 1841 kommt noch ein Bataillon der sog. Tirailleurs algériens indigènes d’Alger et de Titteri hinzu, die wegen ihrer ähnlichen Tracht mit dem Spitznamen Turkos belegt werden. Die Mannschaften dieser Einheiten unterstehen natürlich französischen Offizieren und großteils auch französischen Unteroffizieren. Hauptmann de Wimpffen wird im Juni 1842 der letztgenannten Einheit zubeordert und kehrt somit nach Nordafrika zurück, wo er dann ein Jahrzehnt bleiben und seine Führungsqualitäten unter Beweis stellen wird. Sein auffallender Mut, sein Draufgängerrtum und seine große Tapferkeit bei verschiedenen Einsätzen insbesondere der Eroberung von Stützpunkten der Aufständischen führen dazu, dass er ausgangs Juni 1844 auf Veranlassung des Generalgouverneurs von Algerien Marschall Bugeaud zum „Chevalier de la Légion d’honneur” („Ritter der Ehrenlegion”) ernannt wird, womit die Verleihung der ersten (= untersten) Stufe des auf der Brust getragenen Ordens am Band verbunden ist. Und auch in den Folgejahren sticht den Vorgesetzten immer wieder die große Liebe zu seinem Metier und die große Tapferkeit ins Auge, die Hauptmann de Wimpffen bei den geführten vielerlei Gefechten an den Tag legt. Schließlich wird er im April 1847 zum Bataillonschef im 44. Linieninfanterie-Regiment und im Juli 1848 zum solchen seiner früheren Einheit der Tirailleurs indigènes d’Algier ernannt. Diese bildet er, der von seinen Turkos verehrend Ba-Ba (Papa) genannt wird, im Rahmen der vielen Kämpfe in den erneut aufflammenden Unruhen zu einer herausragenden Truppe heran. So wird er ausgangs Juli 1849 zum „Offizier der Ehrenlegion” (zweite Stufe) ernannt und dadurch das Band seines Ehrenkreuzes auf der Brust mit einer Rosette ausgestattet. Nachdem er bei den anschließenden Operationen gegen den immer wieder sich der französischen Beherrschung widersetzenden Volksstamm der Kabylen große Kompetenz und Tapferkeit und sein Turko-Bataillon sich gleichwertig mit französischen Bataillonen bewiesen hat und er 1851 als „ein ausgezeichneter … Offzier von hoher Intelligenz und konstanter Hingabe für alle seine höchsten Erfolg bringenden Reformvorhaben“, der „Beförderung verdient”, bewertet wird, erfolgt im September 1851 seine Ernennung zum Oberst im ebenfalls in Algerien stationierten 68. Linieninfanterie-Regiment. Im August des Folgejahres 1852 wird er zum in Paris stationierten 13. Linieninfanterie-Regiment versetzt und erhält die Erlaubnis, sich 30 Tage nach Laon, seinem Geburtsort, zu begeben.

Als 1853 das Osmanische Reich (Türkei) Russland wegen dessen Vordringens auf dem Balkan den Krieg erklärt hat und Frankreich und England im März 1854 sich angeschlossen haben und so der sog. Krimkrieg (1853/54 – 1856) im Entstehen begriffen ist, erklärt der Oberst de Wimpffen, befragt wegen seiner Sachkenntnis und Erfahrung, dass die Turkos, die Zuaven eingeschlossen, mit den allerbesten Truppen Frankreichs und selbst auf europäischen Kampfesfeldern Schritt halten könnten. So kommt ihm der Auftrag zu, sich wieder nach Algerien zu begeben und aus diesen und weiteren Freiwilligen ein Regiment zusammenzustellen. Es umfasst zwei Bataillone, nämlich das weniger große Bataillon de Constantine und das größere Bataillon d’Alger et d’ Oran mit insgesamt 2.000 Mann und erhält den Namen „Régiment de Tirailleurs algérien”, dessen Kommando ihm im März 1854 übertragen wird. Von Kaiser Napoleon III. bekommt dieses am 9. März 1854 eine Fahne gestiftet, die von Emmanuel Félix de Wimpffen im Rahmen einer großen Militärparade im nordalgerischen Kolea von Marschall de Saint-Arnaud, dem Kommandanten des französischen Korps, übergeben wird. De Wimpffens Regiment landet bald danach in den Dardanellen bei der Halbinsel Gallipoli an, nimmt am Krimkrieg teil und zeichnet sich wie sein Kommandant in den folgenden Kampfabschnitten aus:
– Zunächst in der Schlacht nahe Sewastapol am Fluss Alma im September 1854, wo die französich-britisch-türkisch-piemontesischen Verbündeten den russischen Truppen gegenüberstehen und in den letzten Phasen des Schlachtengeschehens insbesondere die Zuaven der Armée d’Afrique entscheidend zum Sieg beitragen.
– Dann in der im November 1854 stattfindenden Schlacht bei Inkerman (Festung im Südwesten der Halbinsel Krim), in der bei der Verfolgung des Feindes de Wimpffens Pferd unter ihm getötet wird und nach der General Bosquet in seinem Bericht anerkennend schreibt, dass „der Oberst de Wimpffen an der Spitze seiner Schützen springend gleich Panthern mitten durch das Dickicht auf die Russen losstürzte”.
– Danach bei der im September 1855 erfolgten blutigen Erstürmung des Forts Malakow bei Sewastopol, wo die zunächst in Reserve stehende Brigade de Wimpffen am Schluss in den wachsend verbissenen Kampf tritt und nach der Eroberung des Forts die bedrängenden russischen Gegenangriffe in der Schlucht von Malakow insbesondere durch den harte Zurückschlagen der Tirailleurs d’algériens zurückgewiesen werden.
– Zuletzt bei der Eroberung der drei Forts der einstigen Felsenfestung Kinburn an der Mündung des Dnjepr im Oktober 1855.
Oberst de Wimpffens und seines 2. Turko-Bataillons Einsatz in den vorgenannten Kämpfen zieht bereits im Oktober 1854 nach der Schlacht an der Alma seine Ernennung zum „Kommandeur der Ehrenlegion” (3. Stufe) nach sich, woraus sich jetzt das Tragen des Ordens am Halsband ergibt. Die vorbildhafte Führung seiner Truppe in der Schlacht bei Inkermanm bringt ihm im März 1855 den Rang eines Brigadegenerals ein. Und im Februar 1856 wird ihm die Kommandantur der in Paris stationierten 2. Infanterie-Brigade der Kaiserlichen Garde der 1. Infanterie-Division übergeben, die er im Juni nach dem Friedensschluss übernimmt.

Im mit Österreich geführten sog. Italienischen Krieg 1859 (auch Sardinischer Krieg oder Zweiter Italienischer Unabhängigkeitskrieg) nimmt er insbesondere an der Schlacht bei Magenta und Buffalora (in der Provinz Mailand) am 4. Juni 1859 mit den vier von ihm kommandierten Regimentern der Kaiserlichen Garde teil, wo er am Fuß leicht verwundet und der Sieg teuer mit hohen Verlusten auch seiner Chasseurs d’Afrique erkauft wird.

Hier sei mit der

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  • Abb. V 1: Emmanuel Félix de Wimpffen, Ausschnitt aus dem Gemälde „Chasseurs d’Afrique” von Clara von Wimpffen, geb. Both von Botfalva und Bajna (geb. am 12. Dezember 1907 in Iklad-Domony/Ungarn, gest. am 27. Mai 2000 in Bakonyság/Ungarn)

eine Darstellung eingefügt, die aus der Hand der Mutter des in Bad Wimpfen 1982 Wohnsitz genommenen damaligen Stellvertretenden Leiters der Abteilung Gesundheit im Bayrischen Fernsehen Dr. Hans H. von Wimpffen stammt. In dieser ist die Person des Genannten, der im Italienischen Krieg des Jahres 1859 im Rahmen seiner Funktion als Kommandeur einer Infanteriebrigade der Kaiserlichen Garde auch das Kommando der Chasseurs d’Afrique innnegehabt hat und fünf Jahre zuvor mit dem Halsorden des Commandeur de la Légion d’Honneur ausgezeichnet worden ist, einfühlsam und gekonnt nachempfunden.

Der von ihm am Tag der Schlacht gezeigte beständige Einsatz und die gewohnte Tapferkeit bewirken, dass er am Folgetag zum Divisionsgeneral der ersten Abteilung des Generalstabs der Armee ernannt wird. Als solcher wird ihm das Kommando über die für eine Landung in Venedig bestimmten Truppen aller Gattungen anvertraut und gelangt er in der zweiten Juliwoche an Bord des Admiralsschiffes von Rimini an der Adria her bis vor diese Stadt. Zur Landung lässt es jedoch der wenige Tage danach geschlossene Friede nicht mehr kommen. Mitte August 1856 wird ihm, seinen Wünschen entsprechend, das Kommando über die 1. Infanterie-Division der Armee von Lyon übertragen. Er darf dann in der ersten Hälfte des Januar 1860 an einem in Genf stattfindenden Familientreffen teilnehmen, wo einer seiner vielen Vettern, der österreichische GENERALFELDZEUGMEISTER FRANZ EMIL LORENZ GRAF VON WIMPFFEN (1797 – 1870), damals Militärgouveneur der österreichischen Provinz Triest, der 19-jährigen GRÄFIN KAROLINE VON LAMBERG (1830 – 1883) seinen Sohn ALPHONS GRAF VON WIMPFFEN (1828 – 1866; wie wir schon wissen, gestorben nach seiner schweren Verwundung im Preußisch-österreichischen Krieg) verspricht. Hier sitzen sich am Tisch friedlich zwei Generäle des Namens von Wimpffen gegenüber, die sich im kurz zuvor zu Ende gegangenen Italienischen Krieg als Gegner gegenübergestanden haben. In den Folgejahren 1861 bis 1864 übt Emanuel Félix de Wimpffen die Funktion eines Generalinspekteurs zuerst des 16., dann des 17., später des 5. Infanterie-Arrondissements aus, was die laufende Inspektion einer Vielzahl von in Städten Frankreichs stationierten Lineninfanterie-Regimentern erforderlich macht. Dazwischen, im August 1861, wird er zum „Grand officier de la Légion d’Honneur” ernannt (4. Stufe) und trägt jetzt zusätzlich zum Orden am Band auf der linken Brust noch einen Ordensstern auf der rechten Brust. Außerdem führt er vorübergehend das Kommando über die 3. Infanterie-Division des 1. Armeekorps in Paris. Auf seine Bitte hin wird ihm im März 1865 das Amt des Oberbefehlshabers der Provinz Algier in Vertretung von General Yusuf übergeben.

Somit kehrt er im April nach Algerien zurück, das seit seinem Weggang vor 12 Jahren einigermaßen befriedet und mehr und mehr von hauptsächlich in den Städten lebenden Kolonisten besiedelt ist. Einige Wochen nach seiner Ankunft wird ihm das Amt des Generalinspekteurs des 23. Infanterie-Arrondissements übertragen, das ihm auch in den Folgejahren bis 1870 zuerkannt bleibt. In dieser Funktion hat er vor allem zahlreiche in Algerien stationierte Regimenter und Kompanien zu inspizieren, jedoch nach einem Dekret des Jahres 1864 auch zivile Aufgaben zu erfüllen. Er vertritt die Ansicht, dass an die Stelle der militärischen Beherrschung die Entwicklung der Landwirtschaft und des Gewerbes treten müsse, und sucht, den ihm alle seine Zeit beanspruchenden Tätigkeiten, wie er zu sagen pflegt, nach dem Wahlspruch „Paix et justice aux vaincus” (Friede und Gerechtigkeit den Besiegten) nachzukommen. Im Juni 1869 wechselt er von der ostalgerischen Provinz Algier in die westwärtige der zwei Provinzen Algeriens über, nachdem er zum Oberbefehlshaber der Provinz Oran, General Deligny ersetzend, bestellt worden ist. Dort kommt er bald zu der Erkenntnis, dass die Bevölkerung der Südgebiete von den feindseligen marokkanischen Stämmen, insbesondere der großen gewalttätigen Sippe der Ouled-Sidi-Cheikh, dazu von algerischen Dissidenten bedroht wird. Immer wieder wird die Habe der Bevölkerung geplündert und manchmal werden Teile derselben sogar gezwungen, ihre Wohnplätze zu verlassen. Da die französischen Militäreinheiten die in die Wüste flüchtenden Plünderer nicht fassen könnten und die Autorität der Franzosen dadurch verspottet werde, müsse, so De Wimpffen, mit harter Bestrafung dagegengehalten werden. Es gelingt ihm, den Generalgouverneur in Algerien MARSCHALL MAC-MAHON von der Notwendigkeit der sog. „Expédition de l’Oued Guir” (Oued Guir ist ein Wadi im algerisch-marokkanischen Grenzbereich) zu überzeugen. So bricht er Ende Februar 1870 mit sage und schreibe 1.800 bis 2.000 Infanteristen, 1.200 Reitern, 600 bis 700 einheimischen Söldnern, 3 Abteilungen Artillerie und für den Transport des Materials, der Nahrung und des Wassers 2.200 Kamelen Richtung Südwest auf und legt jeden Tag 17 – 25 km zurück. Der Hauptkampf im Zielbereich des Oued-Guir zwischen der Truppe De Wimpffen und jener der Rebellenstammes zur Verfügung stehenden 8.000 Bewaffneten, die sich in den Dünen über dem Wadi festgesetzt haben und höchsten Widerstand leisten, findet Mitte April 1870 statt und endet mit dem Verlust von 24 Toten und 27 Verwundeten auf französischer Seite und zwischen insgesamt 400 bis 500 solchen auf der Seite der arabischen Stammesangehörigen und deren teilweiser Unterwerfung. Die Strafexpedition, bei der die Truppe fast 1.500 Kilometer zurücklegt, bewirkt in dem aufrührerischen Gebiet allerdings nur eine momentane, keinesfalls dauerhafte Ruhe.

c. Im Deutsch-Französischen Krieg des Jahres 1870/71 fällt Emmanuel Félix de Wimpffen innerhalb von kaum zehn dramatischen Tagen der Aufstieg in den Rang des Generals eines Armeekorps sowie noch weiter des Oberbefehlshabers der französischen Sedanarmee einerseits und die Schmach der ihm nach der verlorenen Schlacht zufallenden Aushandlung und Besiegelung deren Kapitulation andererseits zu.

Im Laufe des Mai 1870 nach Oran zurückgekehrt, wird Emmanuel Félix de Wimpffen von der Möglichkeit eines Krieges mit Preußen informiert und am 19. Juli setzt die französische Kriegserklärung diesen in Gang. Wider jedes Erwarten Frankreichs dringen die raschest mobilisierten Truppen der Länder des Norddeutschen Bundes, vereint mit jenen der süddeutschen Staaten und gegliedert in drei Armeen unter dem Oberbefehl des Generals der Infanterie und Chef des Generalstabes und großen Strategen HELMUTH VON MOLTKE (1800 – 1891), im Laufe des Monats August rasch nach Frankreich hinein und erringen in für beide Seiten verlustreichen Schlachten, so der bei Vionville und Mars la Tour oder Saint Privat und Gravelotte in Lothringen, entscheidende Siege. Und ausgangs August entwickelt sich eine weitere solche Schlacht um die in den Niederardennen unweit der belgischen Grenze gelegenen und von der Maas durchflossenen Festungsstadt Sedan, auf welche die neu aus preußischen, sächsischen, bayrischen und württembergischen Truppenverbänden der ersten und zweiten Armee gebildete vierte sog. Maas-Armee in Stärke von etwa 185.000 Mann und an die 800 Geschützen vordringt und der die sog. Armee von Châlons (en Champagne) mit knapp 130.000 Mann und fast 400 Geschützen gegenübersteht. Letztere stellt die einzige noch im Felde stehende französische Armee dar, die Mitte August dem Oberbefehl von GENERAL MAC-MAHON unterstellt worden ist. Es braucht hier nicht ausgebreitet werden, warum auf deutscher Seite eine Umgliederung der Streitkräfte stattgefunden hat und wie es dazu kam, dass die bei Reims versammelte Armee Mac-Mahon der eingeschlossenen Festung Metz keine Hilfe bringen konnte und schließlich nach aufreibenden Märschen mit mehrfachen Zieländerungen, verlorenen Gefechten sowie dem Vorspiel der Niederlage in der Schlacht bei Beaumont unter GENERAL DE FAILLY sich erschöpft und demoralisiert am 30. August ca. 80 Kilometer nordwestlich des Ausgangsraumes ringförmig nord- bis südostwärts um Sedan an der Maas sowie in dieser Festungsstadt selbst selbst zu sammeln begann. Das gilt auch für die Einzelheiten der zur Abdrängung und Umklammerung des Gegners durch die deutsche vierte und Teile der dritten Armee vorgenommenen berühmten Rechtsschwenkungen Richtung Nord und damit die Abkehr vom Vormarsch in Richtung der Hauptstadt Paris. Wichtig zu sagen ist allerdings, dass sich bei dieser nunmehr so genannten Sedanarmee auch KAISER NAPOLEON III. eingefunden hatte.

Demgegenüber erscheint die andeutungsweise Beschreibung des als „das große Kesseltreiben” bezeichneten Endgeschehens der Schlacht bei Sedan selbst unvermeidbar, weil die französische Armee in der letzten Phase der beinahe vollzogenen Einschließung und damit des so gut wie verlorenen Kampfes unter das Kommando des EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN gestellt worden und diesem die schmachvolle Aufgabe zugefallen ist, mit dem  GENERALSTABSCHEF HELMUTH VON MOLTKE und dem PREUßISCHEN MINISTERPRÄSIDENTEN OTTO VON BISMARCK die Bedingungen der Kapitulation auszuhandeln und schließlich auch zusammen mit dem Erstgenannten die Kapitulationsurkunde zu unterzeichnen. Die

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  • Abb. V 2: R. Brendamour, General v. Wimpffen, undatierte Portraitdarstellung

zeigt diesen auf der Höhe seines Ruhmes mit seinen vielen Ordensauszeichnungen, darunter dem Orden am Band am Hals mit Ordensstern auf der rechten Brust des Grand Officier de la Légion d’Honneuer (Großoffizier der Ehrenlegion), über welchem nur noch das Großkreuz (Grand-Croix de la Légion d’Honneur) mit Ordensstern auf der linken Brust, dazu Ordensband, getragen über der rechten Schulter, als 5. und höchste Stufe dieser Ordensreihe stand.

Die nunmehr beginnende genaue Schilderung des, wie die nachfolgend fett hervorgehobenen Datenangaben zeigen, auf kaum zehn Tage beschränkten Vorganges des gewaltigen plötzlichen Aufstieges des Emanuel Félix de Wimpffen zum Oberbefehlshaber der Sedanarmee wie seines ebensolch raschen Fallens stützt sich großteils auf die höchst umfangreiche Dokumentation des Journalisten und Schriftstellers Theodor Fontane „Der Krieg gegen Frankreich 1870 – 1871, Band 1”, 1873, S. 476 – 633. Dieser versteht es, das Drama dieses beidseits bereits unter massivstem Einsatz moderner technischer Waffen wie vor allem der Artillerie und von französischer Seite der Mitrailleuse, der ersten Form des Maschinengewehrs, geführten Krieges mit Verve minutiös zu schildern und die Handlungsweise sowie Persönlichkeit desselben unter Berücksichtigung des Für und Wider psychologisch klar und überzeugend ins Bild zu setzen und zu beurteilen. Dazu muss man wissen, dass der Autor im Krieg 1870/71 den Kriegsschauplatz um Paris besucht hat, sogar unter falschem Verdacht als Spion verhaftet und erst nach zwei Monaten wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist und dann im April 1871 die Stationen des Feldzuges in Nordfrankreich und Elsass-Lothringen aufgesucht und auch darüber in einem Buch berichtet hat:
De Wimpffens Ehrgeiz, so Fontane, geht vom Beginn des Krieges an dahin, an die Spitze eines Armeekorps oder doch mindestens einer vor dem Feinde stehenden Division gestellt zu werden. MARSCHALL MAC-MAHON, bislang in Algier ihm vorgesetzt als General-Gouverneur Algeriens amtierend, doch jetzt zum Oberbefehlshaber der Armee von Chalon aufgestiegen, weiß ihn aber in Algerien zurückzuhalten. Ob hier Eifersüchtelei im Spiel ist, wie Wimpffen selbst meint, und Mac-Mahon Wimpffen als Nebenbuhler fürchtet oder umgekehrt dieser bei Wimpffen ein Missverhältnis zwischen Anspruch und Begabung erkennt, muss offen bleiben. Fontane: „Unter der Versicherung, daß Algerien ‚durchaus einen Mann von Kriegserfahrung und Charakter erheische’, hat der Marschall wiederholentlich auf die Dienste Wimpffen’s verzichtet.” Nach der Niederlage von Wörth unter GENERAL DE FAILLY, die man diesem anlastet, sieht Wimpffen jedoch seine Stunde gekommen und er bittet den Kriegsminister und Präsidenten des Ministerrats GRAF PALIAKO in einem Brief erneut um seine Verwendung vor dem Feinde. Die positive Antwort in einem am 22. August 1870 eingegangenen Telegramm lautet, er solle sich sofort nach Paris begeben, es handle sich darum, General de Failly im Kommando des 5. Korps zu ersetzen. Am 28. August über Marseille in Paris mit der Eisenbahn angekommen, bespricht PALIAKO mit ihm rückhaltlos die prekäre militärische Lage und richtet dann die Frage an Wimpffen, ob er es nicht doch vorziehe, auf das Kommando des 5. Korps zu verzichten und das in Bildung begriffene 14. Korps zu übernehmen. Doch der lehnt das Angebot ab. Und somit kann Wimpffen am 29. August in Begleitung zweier ihm zugeordneter Offiziere per Eisenbahn nach Sedan zur Übernahme seiner neuen Funktion aufbrechen. Und er hat sogar ein ihm vor der Abreise zugestelltes dienstliches (folgenschweres!) Schreiben Paliakos bei sich, das ihn, den Ältesten unter den Korps-Generalen, ermächtigt, für den Fall, dass GENERAL MAC-MAHON ein Unglück zustoßen sollte, den Befehl über die diesem unterstellten Truppen zu übernehmen.

In Soissons im Département Aisne, seiner speziellem Heimat, angekommen, erlässt er kurzerhand an die Bewohner eine patriotische Proklamation und reist dann raschestens weiter nach Reims. Im Kriegswirrsal des Bahnhofstreibens entdeckt er dort einen für die Rückkehr nach Paris bestimmten Kavallerie-Trupp von 25 Mann. Fontane: „Mit jener raschen Entschlossenheit, die einen Hauptzug seines Charakters bildete, bemächtigte er sich dieses Husarentrupps, änderte die Marschrichtung desselben und befahl dem Leutnant … und seinen Leuten, ihm als Escorte zu folgen. Dies geschah. … Vor allem aber glaubten wir dieses Vorganges … wie auch der zu Soisson im Nu abgefaßten Proclamation … deshalb erwähnen zu müssen, weil sich hierin genau dasselbe Verfahren zu erkennen giebt, das er drei Tage später … auf dem Schlachtfelde von Sedan inne hielt. Ein ebenso dem Temperament wie der Gewohnheit entsprechendes, energisches Drunterfahren, das in kleinen Verhältnissen meist Wunder wirkt, aber freilich nicht ausreicht, eine mit 300,000 Soldaten gespielte Schachpartie zu gewinnen.” In Rethel kaum angekommen, läuft der Schreckensruf „Des Ulans” durch die Straßen. Doch kann die schwache preußische Patrouille durch den Schutz der vereinnahmten Husarenescorte de Wimpffen nichts anhaben. Jetzt wird die bisherige Eisenbahnfahrt zu Pferd durch Gebiete fortgesetzt, die bereits von den Heereseinheiten schleierartig weit vorausgeschickter preußischer Kavallerie durchschwärmt sind. Eine in einem Waldstreifen entstehende plötzliche Kollision, bei der Wimpffen vom Pferde geworfen wird, entpuppt sich glücklicherweise als Begegnung mit einer Gruppe Franctireurs (französischer Freischützen) und nicht, wie zunächst geglaubt, mit preußischer Kavallerie. Im Dorfe Signy-L’Abbaye gibt sich der Maire (Bürgermeister) als der zu erkennen, der das Freischützenkorps gebildet und an der Waldecke postiert hat. Diesem schüttelt Wimpffen die Hand und beglückwünscht ihn zu seinem patriotischen Eifer. Fontanes Einschätzung: „Eine kleinlicher geartete, minder enthusiastische Natur würde außer Stande gewesen sein, den Zwischenfall, der halb unbequem, halb lächerlich war, so frank und frei und so mit Worten der Anerkennung zu behandeln.”

Als am 30. August frühmorgens das rd. 20 km nordwestwärtig von Sedan gelegene Mezières (siehe die ab hier genannten Orte etc. großteils in der nachfolgenden Abb. 81) erreicht ist, gesellt sich dort ein Rittmeister zu der nun vier Offiziere als Adjudantur und Ordonnanz umfassenden Begleitgruppe und geht die Reise wieder per Eisenbahn weiter. Gegen Mittag fährt der Zug merkwürdigerweise ohne Halt über den Zielort Sedan hinaus bis zu dem rd. 3 km südsüdöstlich davon gelegenen Bazeilles, wo nun eine Art Vorspiel zum Drama um den Aufstieg Wimpffens zum Korps-General durch Verdrängung de Faillys und schließlich Ersetzung Mac-Mahons als Oberbefehlshaber der Sedan-Armee beginnt. Denn dieser steigt jetzt wieder kurzentschlossen zu Pferd und rekognostiziert in einem Ritt, der über die Ufer der Maas hüben und drüben und weit über den ostwärtigen Nebenfluss Thiers hinweg südostwärtig bis zum um die 10 km entfernten Amblimont geht und ihn in den Mittagsstunden Augenzeuge des auf die Festung Sedans zugehenden fluchtartigen Rückzugs der französischen Truppen werden lässt. „Wimpffen – auch darin wieder ganz sich selbst – vermochte diesem tristen Schauspiel nicht anzuwohnen, ohne einzugreifen und die Fluth der Flüchtigen zurückzustauen. Binnen kürzester Frist hatte er mehrere Tausende, die den verschiedensten Corps angehörten, um sich versammelt, nahm mit ihnen starke Position in der Nähe von Mairy und schickte mehrfach schriftliche Meldung an den Marschall, worin er diesem anzeigte, daß er da sei, daß er mit einigen tausend Mann die Position zwischen Mairy und Amblimont halte und daß er um Befehle bitte. Endlich um 9 Uhr Abends kam Ordre: Rückzug auf Sedan. – Auch hier wieder hatte er sich bewährt und mit der ihm eigenen Impetuosität (wobei Anderer Anordnungen sehr oft gekreuzt wurden) gehandelt und durchgegriffen. In Allem spricht Eifer und Umsicht, patriotischer guter Wille und rasches Erkennen des local und momentan Nöthigen, aber doch auch zugleich ein Selbstvertrauen und befehlerischer Hang aus, der von den übrigen Generalen, und ganz besonders vom Marschall selbst, fast wie eine Beleidigung, gewiß wie eine Bedrückung empfunden werden mußte. Er war noch nicht eingeführt, war kaum etwas anderes als ein ‚General auf Reisen’ und nahm aus dem Stegreif Allüren an, als sei er erschienen, um endlich nach dem Rechten zu sehen und den ewigen rückgängigen Bewegungen ein Ende zu machen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß der Marschall die Dinge von diesem Gesichtspunkt aus ansah und am Morgen des 1., als er, um seiner Verwundung willen, das Commando abgeben mußte, auch aus einem persönlichen Antagonismus Wimpffen überging und Ducrot zum Nachfolger wählte.”

Am späten Abend des 30. in Sedan eingetroffen und nach langem Suchen in der überfüllten Stadt in einem Zimmer des „Croix d’or” mit seinen vier Ordonnanz-Offizieren untergekommen, stellt er sich am 31. früh 9 Uhr dem MARSCHALL MAC-MAHON vor und wird ziemlich kalt empfangen. Er bittet, ihn dem 5. Korps vorstellen zu wollen, zu dessen Kommandant er ernannt worden sei. Im Wissen darum, dass er von den Generalen der Sedanarmee wie eine Art Eindringling angesehen und in der Erwartung, dass die Notwendigkeit einer Ersetzung Mac-Mahons aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso nicht eintreten werde, schweigt er sich über das empfangene Schreiben der Übertragung des Oberbefehls an ihn im Falle des Ausfalls von Marschall Mac-Mahon aus. Der Marschall verspricht, der Bitte Wimpffens nachzukommen, und steigt zu Pferd. Als dieser bis um 1 Uhr offenbar noch nichts in dieser Sache getan hat, geht Wimpffen selbst zum Vieux Camp, dem an die Festungsstadt im Nordosten angelehnten Lagerpatz des 5. Korps, hinaus und gibt sich den Offizieren und Soldaten als ihr neuer Oberbefehlshaber zu erkennen. In eben diesem Augenblick erscheint GENERAL DE FAILLY, der von seiner Absetzung weder Ahnung noch Kunde hat. Der peinlichen Situation folgen bittere Worte, die sich freilich zunächst mehr gegen die Urheber der Maßregel als gegen Wimpffen richten, diesen aber immerhin mittreffen müssen. Danach kehrt Wimpffen in die Stadt zurück, um sich KAISER NAPOLEON vorzustellen. Dieser nimmt ihn bei der Hand und fragt ihn unter Tränen nach den Gründen der dauernden Niederlagen. Wimpffen meint dazu, dass die Armeekorps in Nähe des Feindes immer in zu großer Entfernung voneinander stünden und Befehle schlecht gegeben und schlecht ausgeführt worden sind. Auf Wimpffens Frage, warum er so spät zur Übernahme eines Kommandos berufen worden sei, weist der Kaiser auf Mac-Mahon hin, der darauf bestanden habe, ihn in Algerien zu belassen, um die Ruhe in der Provinz zu gewährleisten. Die Zwiesprache endet wie folgt: „Ich bedaure, Sire, erst nach so schweren Mißgeschicken eintreffen zu dürfen. Aber rechnen Sie auf meine Energie; ich werde Alles daran setzen, die Unfälle auszugleichen.” – Der Kaiser: „Ich weiß, daß ich darauf rechnen kann.”

Nach einer jetzt folgenden kurzen Begegnung mit dem Marschall begibt sich Wimpffen wieder hinaus in das Lager des 5. Korps, um einzelne Ordres zu geben; dann sucht er den Schlaf. Doch das unbequeme Lager, die Kälte und noch mehr die Erregungen über die beiden Begegnungen mit der mehr abgeneigten denn wohlwollenden Haltung sowie vor allem dem Ausschweigen des Marschalls über seine Vorhaben verweigern ihm die Ruhe. „Endlich”, so schreibt er selbst, „stieg die Morgenröthe des 1. September herauf. Um 4 Uhr hört’ ich lebhaftes Gewehrfeuer von Bazeilles her. Die Schlacht hatte begonnen.” Der gegenüber Wimpffen schweigsame OBERBEFEHLSHABER MAC-MAHON weiß, was die Kartendarstellung der

  • Abb. V 3: Der Vollzug der Einkreisung der Französischen Armee von Châlons durch die Deutsche Vierte (Maas-)Armee in der Schlacht von Sedan vom Abend des 31. August bis zur Mittagszeit des 1. September sowie deren weiteres Vordringen am Nachmittag desselben Tages

zeigt: Dass nämlich der von den rasch vordringenden deutschen 6 Armeekorps und deren zahlreichen Batterien Artillerie gezielt angesetzte Einschließungsgring sich im Raum Illy im Norden mehr und mehr zu schließen beginnt und es somit jetzt nicht mehr um einen Sieg, sondern nur noch um ein Entkommen gehen kann. Wie der Marschall später aussagt, verfolgt er den ihm am aussichtsreichsten erscheinenden Plan, im Südosten bei Bazeilles durchzubrechen, wo der beidseits ungewöhnlich harte Entscheidungskampf gegen die südöstliche Eckbastion um Sedan in der Morgenröte des 1. September tobt, und sich zum belagerten Metz durchzuschlagen. Dessen ein Stück westlich von La Moncelle um 6 ¼ Uhr durch einen Granatsplitter eintretende Verwundung mit nachgefolgten Ohnmachten bewirken, dass die Ausführung dieses Planes, wenn er überhaupt bestanden hat, sich um ca. 3 Stunden verzögert.

Wieder zu sich gekommen, sucht er zu entscheiden, wem er den Oberbefehl übertragen soll. In Unkenntnis der von Kriegsminister Paliako an Wimpffen ergangenen Weisung entscheidet er sich, die Anciennität Wimpffens hintenan stellend, für den das 1. Korps führenden zweitältesten GENERAL DUCROT. Denn Wimpffen ist vor kaum zwei Tagen bei der Armee eingetroffen, kennt nach Lage der Dinge weder das Terrain, noch die Stellung der Truppen in ihrer Gesamtheit. Hinzu kommt die mangelnde persönliche Sympathie. Um 7 Uhr wird der sich weiter nördlich bei seiner Truppe befindliche General Ducrot ins Bild gesetzt und der nimmt die Bestellung an. Nach der Einschätzung Fontanes ist diese Entscheidung vom französischen Standpunkt aus eher als ein Glück denn als ein Unglück zu betrachten. Denn dieser sieht die Gesamt-Situation mit anderen Augen an als Mac-Mahon, und zwar mit den richtigen Augen. Er sieht, dass im Norden um Illy die Mausefalle der Einschließung noch offen ist und setzt somit auf den Abzug über diesen Ort mit anschließendem Flankenmarsch Richtung West auf Mezières. Sofort erlässt er die dementsprechenden Befehle: Das Gros der französischen Armee beginnt Richtung des nordwärtigen Illy abzurücken, während die verbleibenden Einheiten die Sicherung dieses Abzugs übernehmen und später gestuft nachrücken sollen. Als KAISER NAPOLEON gegen 8 Uhr von seiner Besichtigung von Stellungen auf der Höhe von La Moncelle zurückkehrt, bemerkt er zu seinem Erstaunen den plötzlichen Abzug von Truppen, die er zuvor noch unerschüttert in starken Stellungen wähnte. Als er sich von Ducrot den Grund dafür mitteilen lässt, gibt er sich, ohne den Plan Ducrots zu durchkreuzen, zufrieden.

Nicht so GENERAL DE WIMPFFEN. Dieser erhält zwar um 7 ¼ Uhr Kenntnis von den Vorgängen um Mac-Mahon und Ducrot, unternimmt aber zunächst nichts, seine aus dem dienstlichen Schreiben des Kriegsministerts Paliako sich ergebenden Ansprüche auf das Kommandeuramt der Armee bei Ducrot unverzüglich geltend zu machen. Der Grund: Genau wie der Kaiser und wie der außer Gefecht gesetzte Mac-Mahon sieht er die Rückwärtsbewegung der Einheiten im Südostbereich bei Bazeilles als eine durch nichts motivierte Aktion an. Und so tritt er fürs Erste gegen 8 ¼ Uhr oder etwas später den aus ihrer Bazeille-Position eben abziehenden Regimentern der DIVISION GRANDCHAMP entgegen, legitimiert sich diesen als ernannter Oberfeldherr „der Armee von Châlons” und gibt Befehl, in die alten, eben aufgegebenen, Stellungen zurückzukehren. Dann erst, um etwa 8 ½ Uhr, macht er sich daran, Ducrot eine schriftliche Meldung folgenden Inhalts zu schicken: Er sei seitens des Kriegsministers Paliako zur Übernahme des Kommandos, für den Fall, dass Marschall Mac-Mahon von einem Unfall betroffen werde, autorisiert worden. Indem er sich vorbehalte, nach der Schlacht mit dem General noch weitere mündliche Rücksprache zu nehmen, bemerke er doch schon jetzt, dass er das Aufgeben der Stellung Bazeilles-Givonne in einem Augenblick, wo der Feind hier keine Fortschritte mache, nicht gutheißen könne. Er habe daher abziehende Regimenter des 12. Korps in ihre alten Positionen zurückbeordert. Das Schreiben schließt mit der Aufforderung, das 1. Korps in der ihm zugewiesenen Gefechtslinie bei Givonne zu belassen und das rechts neben diesem fechtende 12. Korps lebhaft zu unterstützen.

Ducrot, der dieses unerwartete Schreiben um ¾ 8 Uhr in die Hände bekommt, begibt sich sofort zu Wimpffen und erklärt demselben gegen etwa 9 Uhr oder wenig später, dass er sich seinem Befehl unterstellen wolle, erklärt aber zugleich Folgendes: Er glaube den Feind und dessen Absichten besser zu kennen und beschwöre ihn um des Wohles der Armee willen, die Rückzugsbewegung Richdtung Nord auf Illy weiter fortsetzen zu lassen. Es sei zu befürchten, dass das 1. Korps auf seinem linken Flügel bald umgangen sein werde. Die Bestätigung seiner Befürchtung gehe aus einem Brief des Maire von Villers Cernay hervor, der den Durchmarsch starker feindlicher Massen melde. Ducrots Beschwörungen sind umsonst. Wimpffen, dem Ducrot nach seiner späteren Buchaussage sogar erklären muss, wo Illy liegt und welche strategische Bedeutung dieses in Bezug auf den schmalen Raum zwischen der Maasschleife und der nahen belgischen Grenze besitzt, sieht die Notwendigkeit eines Rückzugs nicht ein. 12. und 1. Korps seien stark genug, um alles écrasieren (vernichten) zu können, was der Feind ihnen entgegenstelle. Nachdem aber der anwesende Kommandierende des 12. Korps, GENERAL LEBRUN, mehr auf Wimpffens Seite tritt, ordnet sich Ducrot schließlich doch unter und sagt zu, die bereits abgerückten Divisionen in ihre alten Stellungen zurückbeordern zu wollen. Dazu die Einschätzung Fontanes: „In gewissem Sinne war das Einrücken Wimpffen’s in das Obercommando nichts anderes als die Wiederaufnahme des Mac-Mahon’schen Plans, der durch die fünfviertelstündige oder ausgedehntesten Falls durch die zweistündige ‚Episode Ducrot’ blos unterbrochen worden war. Wimpffen erwies sich nur um eben so viel zuversichtlicher, als er unvertrauter mit der thatsächlichen Lage und mit der doppelt überlegenen Kraft des ihm gegenüberstehenden Feindes war. Mac-Mahon hatte bei Bazeilles nur siegen wollen, um seiner Armee an dieser Stelle den Durchbruch zu ermöglichen; Wimpffen gab sich, wenigstens auf kurze Zeit, dem Wahne hin, auf der Linie Bazeilles-Givonne überhaupt einen Sieg erringen zu können. Er wollte den Sieg nicht um des Rückzugs, er wollte den Sieg um des Sieges willen.”

Hier sei ein bei Theodor Fontane angehängter Abschnitt, in dem dieser seinen Unwillen über die widersprüchlichen Aussagen der sich gegenüberstehenden Parteien und Personen sowie der Letztgenannten (insbesondere jener von Wimpffen) in sich allgemein und teilweise konkret auslässt, aus Platzgründen übergangen. Was KAISER NAPOLEON betrifft, der von der Unterredung Wimpffen-Ducrot erfährt und das Hin und Her der obersten Befehlsgebung – sicherlich mit Recht – für ein schweres Unglück, eine Zerbröckelung der Kraft und eine Lockerung der Disziplin hält, so scheint dieser nach der Meinung Fontanes in diesen dramatischen Morgenstunden des Schlachtentages die Erkenntnis gewonnen zu haben, dass das von Ducrot Gewollte das allein Richtige sei. Wohl lässt er, Wimpffens Kehrtwende – so wie er zuvor diejenige von Ducrot hingenommen hat – zunächst, ohne ihm die mutmaßlich vorhandenen Bedenken entgegenzuhalten, geschehen. Doch findet er im Laufe eines am Vormittag unternommenen dreistündigen Rittes über das Schlachtfeld zweimal Gelegenheit, dem neuen Oberfeldherren von Wimpffen diese Anschauung zu erkennen zu geben; freilich bleibt dies ohne Wirkung:
– Zunächst zwischen 9 u. 10 Uhr: „Auf dem Terrain westlich von Daigny traf er den General Wimpffen, der eben von Balan kam. ‚Wie steht die Schlacht?’ fragte der Kaiser. Der General antwortete: ‚Sire, die Dinge gehen so gut wie irgend möglich und wir gewinnen an Terrain.’ Auf die nun folgende Bemerkung des Kaisers, daß Meldung eingegangen sei, ein starkes feindliches Corps umgehe bereits die französische Linke, erwiderte Wimpffen, ohne in seiner Zuversicht erschüttert zu werden: ‚Gut! Desto besser; man muß sie gewähren lassen; wir werden sie in die Maas werfen und die Schlacht gewinnen.’”
– Dann ca. eine halbe Stunde später, worüber GENERAL PAJOL berichtet: „Wir waren eben, in Nähe des Bois de la Garenne (A. d. V.: Waldgebiet westlich von Givonne), eine Höhe hinangeritten, um einen Ueberblick zu gewinnen, als ein Chasseur-Offizier von der Division des Generals Goze aus den Reihen trat und zum Kaiser sagte: ‚Sire, ich bin hier zu Hause und kenne die Gegend vollkommen; wenn der Wald von Garenne umgangen ist, ist die Armee eingeschlossen und wir befinden uns in der bedenklichsten Lage.’ Diese Worte, fährt General Pajol fort, verfehlten nicht den Eindruck auf uns Alle. Der Kaiser ließ dem General Wimpffen sofort Mittheilung davon machen. Aber dieser voll derselben Zuversicht, die er eine halbe Stunde vorher im Gespräch mit dem Kaiser gezeigt hatte, antwortete dem Ordonnanz-Offizier: ‚Sagen Sie dem Kaiser, er möge beruhigt sein; in zwei Stunden habe ich sie in die Maas geworfen.’ General Castelnau, so schließt Pajol seine Mittheilung, drückte mir, als der Ordonnanz-Offizier diese Antwort Wimpfffen’s überbrachte, die Hand und sagte: ‚Gott gebe, daß wir nicht hineingeworfen werden.’”

Wimpffens Antworten, man werde den Feind in die Maas werfen und die Schlacht gewinnen, huldigen weniger einem echten, sondern eher einem Zweck-Optimismus, es sei denn, diese sind aus Ermangelung von Argumenten als bloße leere Floskeln anzusehen. Sicher erscheint, dass in ihm im Laufe des späten Vormittags mehr und mehr die Erkenntnis wächst, dass die Armee in der Tat eingeschlossen und verloren sei. Sein Ahnen findet Nahrung, als er gegen 11 Uhr in Vernachlässigung seiner Fixierung auf den Durchbruch bei Bazeilles am Ende des rechten Flügels nun doch den linken Flügel und damit GENERAL DOUAY, den Kommandeur des 7. Korps, aufsucht und von diesem Folgendes hören muss: „Wir schlagen uns nur noch für die Ehre unserer Waffen. Folgen Sie mir, General; es wird leicht sein, Sie davon zu überzeugen.” Zum Höhenrand zwischen Floing und Illy geführt, wird er der jenseits versammelten Truppenmassen gewahr und erlebt die überlegene Feuerkraft und Präzision der zwischen St. Menges und Fleigneux feuernden Artillerie des Feindes. „Avec un coeur navré“ (mit blutendem Herzen) kehrt er nach dem Vieux camp in Sedan, dem Zentralpunkt der französischen Stellung, zurück.

Inzwischen hat am späten Vormittag des 1. September auch der KAISER NAPOLEON nach seinem dreistündigen Aufenthalt auf dem Schlachtfeld sein Pferd gewendet, um nach Sedan zurückzukehren. Unterwegs gewahrt er bereits Unordnungen in Gestalt einzelner Militärabteilungen, die dreifachem Artilleriefeuer von Nordwest, Ost und Süd ausgesetzt gewesen sind und jetzt fluchtartig in die Festungsstadt drängen. Und als er gegen 11 Uhr in der Stadt den Turenne-Platz erreicht, wächst der Beschuss dort von Minute zu Minute und es beginnt Verwirrung. „Der Kaiser hielt ruhig zu Pferde, ruhig, fast apathisch. Er war körperlich und geistig erschöpft. In seiner Seele mochte er lesen: Der Kaiserreichs letzter Tag !” Gegen 12 Uhr ist der Einschließungsring um die Stadt und den diese von Nordwest bis Südost umgebenden Verteidigungsgürtel geschlossen. Nahezu 500 Geschütze feueren jetzt fast unablässig auf die Truppenverbände in den Stellungen um und auch in die Festungsstadt selbst, die durch ihre niedriges Höhenniveau von den Hügelketten ringsherum sich offen und schutzlos darbietet. Es können sich jetzt bestenfalls nur noch kleinere Abteilungen bei Illy, Givonne oder Bazailles durchwinden oder durchschlagen. Dieses glückt nordwärtig in der Tat einer Gruppe von gegen 5.000 Mann, die sich größtenteils nach Belgien retten. Der zweite Teil der Schlacht hat begonnen.

Gegen 1 Uhr beginnen die von GENERAL DUCROT angeordneten und geleiteten vier großen Kavallerie-Angriffe, die nicht mehr auf den Ausbruch gerichtet sind, sondern allein darauf, seine unmittelbar nördlich von Floing auf Illy zu stehenden hart bedrängten Bataillone zu unterstützen und Zeit für die Heranziehung frischer Brigaden zu gewinnen. „Da auf einmal bebte der Boden unter den Hufen der heranbrausenden feindlichen Cavallerie.” In 4 Wellen bei Intervallen von je einer Viertelstunde bis 20 Minuten reiten gegen die preußischen Einheiten, die den Hügel nordwestlich des Holzes de la Garenne zu erstürmen sowie die Vorstadt Cazal zu erreichen suchen, in todesmutiger Verzweiflung Attacke: Zuerst zwei Eskadronen Lanciers, dann mehrere Schwadronen Kürassiere (Chasseurs d’Afrique) auf Berber-Schimmelhengsten, danach zwei Eskadronen Chasseurs à cheval, schließlich mehrere Eskadronen Husaren und wieder Chasseurs á cheval. Sie branden gegen die heftig feuernden Schützenlinien der preußischen Infanterie- und Jägerverbände, bei denen nach dem Zeugnis von Fontane auch der 13. Kavallerie-Brigade zugehörige hessische Husaren Stellung bezogen haben. Deren Linien werden zwar mehrfach durchbrochen und es kommt stellenweise bei den Verteidigern zu harten Verlusten, doch brechen die Angriffe unter den Schnellfeuersalven meist zusammen; zu Hunderten fallen Ross und Mann. Und die durchgebrochenen Kolonnen werden vor Ort zusammengehauen oder kommen auf der Flucht großteils zu Tode. Für den KÖNIG WILHELM VON PREUßEN und dessen Begleiter, die zur Beobachtung die Höhe von Frénois aufgesucht haben und denen sich nach Auflösung der morgendlichen dichten Nebeldecke der Blick bei strahlendem Sonnenschein in die hügel- und plateauumsäumte Maasschlingen-Landschaft eröffnet, wirken diese Kavallerieattacken bei aller Furchtbarkeit des Geschehens „wie ein großartig in Scene gehendes Schauspiel”. Die nachfolgende farbige Darstellung aus unbekannter Hand versucht, den Ansturm der Chasseurs d’Afrique auf ihren Schimmelhengsten (mittig rechts) und die Abwehr durch preußische Jäger (vorne und links) nachzuempfinden:

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  • Abb. V 4: Hessen verhindern in der Schlacht bei Sedan am 1. September 1870 den Durchbruch der „Afrikanischen Jäger” bei Floing.

Das Vorandringen der deutschen Belagerer geht also weiter. Um 1 1/4 Uhr, also um die Zeit der ersten Reiterwelle, schickt Wimpffen, heimgesucht von Verzweiflung und Wut und ungeachtet oder gerade wegen der sich abzeichnenden Niederlage und Sorge um das Schicksal des Kaisers, an diesen nach Sedan hinein ein Billet, das folgendermaßen lautet: „‚Sire, ich gebe dem General Lebrun den Befehl, einen Durchbruch in Richtung Carignan zu versuchen, und ich lasse ihm alle verfügbaren Truppen folgen. Ich befehle dem General Ducrot, diese Bewegung zu unterstützen und dem General Douay den Rückzug zu decken. Möge Euer Majestät in die Mitte Ihrer Truppen kommen; sie werden es sich zur Ehre anrechnen, Ihnen einen Durchweg zu öffnen. 1 ¾ Uhr v. Wimpffen.’ – Es war 1 ¾ Uhr, als das Billet zu den Händen des Kaisers kam. Das Bild, das sich dem letzteren in seiner unmittelbaren Umgebung bot, war nicht geeignet, ihn mit Vertrauen zu einem Schritte zu erfüllen, wie ihn General Wimpffen vorschlug. Die Zustände innerhalb Sedan waren bereits seit 12 Uhr aller und jeder Ordnung entkleidet.” Die letztgenannte Feststellung illustriert eine von dem Amerikaner Linus Pierpont Brockett nach Berichten von Augenzeugen gegebene Schilderung, von der hier ungekürzt ein auf den frühen Nachmittag bezogener Ausschnitt dargeboten werden soll:

„Für Jemanden, der wie ich in die Stadt kam, gab es nicht länger eine Schlacht zu beschreiben. Es war anfangs ein Rückzug, und nur zu bald eine wilde Flucht. Ich hielt mich selbst für glücklich, von dem Schlachtfeld fortzukommen, wie es mir gelang; denn eine Stunde später war die Niederlage jener Truppen, welche in meiner Nähe gestanden hatten vollständig. Bereits stießen Soldaten in dem Kampfe, um in die Stadt hinein zu dringen, heftig gegeneinander an. Abgestiegene Reiter versuchten sogar über die Wälle zu klettern, nachdem sie von der Contrescarpe herunter gesprungen waren; Andere bahnten sich einen Weg durch die Hinterpförtchen. Aus einer Ecke in den Wällen, worin ich einen Augenblick ausruhte, sah ich auch Kürassiere – Mann und Pferd – in den Festungsgraben springen, wobei viele Pferde Beine und Rippen brachen. Soldaten drängten und kletterten rappelnd übereinander. Es waren Offiziere jeden Ranges – Obristen und selbst Generale in Uniformen, welche man unmöglich mißkennen konnte – in diesem schimpflichen Gewühl vermengt. Hinter Allem kamen Geschütze mit ihren schweren Lafetten und starken Pferden dahergerasselt, welche sich in das Gewühl hinein Bahn brachen und die Flüchtlinge zu Fuß verstümmelten und zerquetschten.- Um die Entsetzen zu vermehren, waren die deutschen Batterien inzwischen bis auf Schußweite vorgerückt, und die deutschen Bomben begannen, unter die um die Stadteingänge sich drängenden und ringenden Menschenmassen einzuschlagen. Auf den Wällen bemannten die Nationalgarden die Kanonen der Stadt und antworteten mit mehr oder weniger Wirkung den nächsten deutschen Batterien. Es war ein Schauspiel entsetzlich genug, um selbst die Phantasie eines Gustave Doré zu befriedigen. Ich konnte mir nur eine Vorstellung von der Lage unserer unglücklichen Armee machen – daß sie unten in einem siedenden Kessel stecke. – Ich eilte, so gut ich konnte, in mein Hotel zurück, indem ich den engsten Straßen folgte, wo die Bomben am unwahrscheinlichsten den Boden erreichen würden. Wo immer ein öffentlicher Platz war, stieß ich auf todte Pferde und Menschen, oder die noch zuckten, von platzenden Bomben in Stücke gerissen. Als ich mein Hotel erreichte, fand ich die Straße, worin es stand, wie die übrigen Straßen, mit Wagen, Kanonen, Pferden und Soldaten vollgepropft. Zum größten Glück bestrich in diesem Augenblick das deutsche Feuer nicht diese Straße; denn ein Zug von Munitionswagen, die mit Pulver gefüllt waren, versperrte den ganzen Weg, da er selbst nicht im Stande war, rückwärts oder vorwärts zu kommen. Es war die größte Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß diese Pulverwagen in die Luft fliegen würden, weil die Stadt bereits an zwei Orten in Flammen stand; und ich begann, Sedan für einen unbehaglicheren Platz zu halten als selbst das Schlachtfeld, über welches ein siegreicher Feind rasch vorrückte.”

Der Kaiser empfindet nicht anders und lehnt in seinem Inneren Wimpffens Vorschlag ab, an der Spitze seiner Truppen einen Ausfall Richtung Carignan zu wagen, schiebt aber sein „Nein” zu diesem Verlangen hinaus. So wartet Wimpffen vergeblich und beginnt 2 ¼ Uhr, auf eigene Faust zu handeln; denn er empfindet: „Es war höchste Zeit; es mußte etwas geschehen. Der Durchbruchsversuch, wenn er nicht all und jede Chance verlieren sollte, durfte nicht länger hinausgeschoben werden. Die Gegenwart des Kaisers würde Wunder gewirkt, meine Autorität gestärkt, die Widerwilligen mit fortgerissen haben; da sie nicht zu erzwingen war, so mußte es ohne ihn versucht werden.” Und so begibt er sich zum Vieux Camp und findet dort in noch guter Haltung die Marine-Division, einige Zuaven-Bataillone und das 47. Linien-Regiment vor. Er gibt Ordre zum Avancieren und sofort setzen sich diese „braven Truppen” in Stärke von 5.000 bis 6.000 Mann in Bewegung. Mit diesen zieht er durch das Haupttor von Balan in südöstlicher Richtung über den Fond de Givonne hinaus und nimmt gegen 2 ¾ oder 3 Uhr dort Stand, von wo aus er glaubt, die benachbarten Orte La Moncelle, Balan und Bazeille beherrschen zu können. Nicht wissend, dass die Reste des 12. und 5. Korps ca. 1.000 Schritt weiter östlich in Richtung Ost fechten, wundert er sich, weder auf dem passierten Terrain noch auf der Höhenposition französischen Truppenteilen zu begegnen. Da er diese jetzt in Balan vermutet, begibt er sich dorthin, um diese heranzuholen. Doch findet er dort das auf Sedan zuführende Tor geöffnet und den Ort leer und so weiß er, dass sich alle Truppen in die Festungsstadt Sedan zurückgezogen haben. Unter diesen ist auch GENERAL LEBRUN.

Immer noch rechnet Wimpffen in fieberhafter Ungeduld auf den Kaiser. Und so begibt er sich wieder auf die Festung zu und trifft am Tor um 4 Uhr auf einen Beamten des Hofes, der ihm endlich einen Brief des Kaisers überreicht, aber gleichzeitig mitteilt, dass auf den Wällen bereits die weiße Fahne aufgezogen und er dazu ausersehen sei, mit dem Feinde zu parlamentieren. Wimpffen ist wie vom Donner gerührt und erklärt, keine Kenntnis von diesem Brief zu nehmen und auch nicht zu verhandeln. Nachdem ihn der Hofbeamte beschworen hat, den Brief zu empfangen und zu lesen, nimmt er diesen, öffnet ihn aber nicht. Mit dem Brief in der Hand reitet er dem Turenne-Platz zu und fordert unter dem Ruf „Vive la France! En avant!” und „Bazaine greift gerade die Preußen im Rücken an” einzelne Trupps auf, ihm zu folgen und einen letzten Versuch des Ausbruchs zu wagen. Sie begegnen General Lebrun, der von einem Mann mit Parlamentärfahne begleitet ist. Wimpffens Ordonnanzoffizier entreißt diesem die Fahne und wirft sie zur Erde und beeindruckt, wenngleich ohne wahre Hoffnung, schließt sich GENERAL LEBRUN dem Zug an. Offiziere und Soldaten weisen größtenteils auf die weiße Fahne, von der sie wissen wollen, dass sie auf Befehl des Kaisers aufgehisst worden ist. Andere aber folgen freudig und guten Mutes, so dass Wimpffen schließlich mit „tapfern 2.000”, wie er sagt, zum Balan-Tor hinauszieht. Die Einschätzung des oben bereits zitierten L. P. Brockett: „Von Seelenpein zum Wahnsinn getrieben, und in schnurgeradem Widerspruch mit den Befehlen des Kaisers, hatte der beschlossen, alle Mannschaften zu sammeln, soviel er konnte, und Widerstand zu leisten. Er konnte nicht wissen, daß er durch einen eisernen Ring von 300,000 Mann umspannt war.”

In Balan sind die Häuser bereits voll von Deutschen, die aus jedem Fenster auf die Franzosen feuern. Die Tür der von diesen besetzten Kirche wird von zwei herbeigeholten Kanonen eingeschossen und dort werden 200 Deutsche gefangen. Wie diese letzte Unternehmung Wimpffens weiter- und rasch erfolglos zu Ende geht, hört sich aus der – Vorwurf vor allem gegen die „Umgebung des Kaisers“ (gemeint die in der Stadt außer Lebrun befindlichen Generäle) erhebenden – Feder Wimpffens selbst folgendermaßen an: „So drangen wir bis über die Kirche von Balan hinaus vor. 5 Uhr.- Der Feind stand uns an dieser Stelle, nach Osten und Südosten zu, nirgends in geschlossenen Massen gegenüber. Ich ritt bis an die Maas vor, und überzeugte mich, daß nichts da war, was im Stande gewesen wäre, einem mit vollem Ernst gewonnenen Angriff zu widerstehen; aber in der Umgebung des Kaisers hatte man seit drei Stunden bereits jeden Gedanken an Widerstand aufgegeben. Kein Zuzug, keine Hülfe kam. Als ich in Nähe der Kirche von Balan wieder eintraf, hatten sich die 2000 Mann, die Lebrun und ich gemeinschaftlich bis hierher vorgeführt hatten, bereits sehr verringert. Einzelne todt oder verwundet, die meisten zerstreut. So gingen auch wir zurück. Lebrun und ich waren die Letzten. Es war jetzt gegen 6 Uhr.”

Was er sieht, das ist Chaos. L. P. Brockett schildert das so: „Mit Einbruch der Nacht verlief sich der Menschenhaufe ein wenig, und mit einiger Mühe war es möglich, sich einen Weg durch die Stadt zu bahnen. Das Schauspiel, welches sich darbot, war entsetzlicher als der Krieg selbst. Todte lagen überall – Bürgerliche und Soldaten in einem gemeinsamen Blutbade. In einer Vorstadt zählte ich mehr als fünfzig Leichen von Landleuten und Städtern – einige Frauen darunter und ein Kind. Der Boden war mit Bruchstücken von Bomben übersäet. Hungernde Soldaten zerschnitten todte Pferde, um sie zu kochen und zu essen; denn Lebensmittel fehlten uns abermals, wie Alles seit dem Anfang dieses Feldzuges gefehlt hat. Ich war froh, von dem Anblick unsres Unglückes hinwegzukommen und die Erinnerung daran in einigen Stunden des Schlafes zu verlieren.” Dieses ist auch die Stunde, die Sonne ist hinter schwarzem Gewölk untergetaucht und es fängt schon an zu dunkeln, da auf der Höhe von Frénois, dem Beobachtungs- und Kommandopunkt von KÖNIG WILHELM VON PREUßEN und der Schar seiner Begleiter, so dem PREUßISCHEN MINISTERPRÄSIDENTEN OTTO VON BISMARCK, GENERALSTABSCHEF HELMUTH VON MOLTKE, KRIEGSMINISTER ALBRECHT ROON, GENERAL VON PODBIELSKI UND ANDEREN MEHR, gespannte Erwartung herrscht. Denn nachdem am Spätnachmittag gegen 5 Uhr auf der Zitadelle, den Wällen und am Tor nach Balan von Sedan die weiße Fahne, Zeichen der Kapitulation, erschienen ist, hat man OBERSTLEUTNANT BRONSART VON SCHELLENDORF in die Stadt gesandt, der mit der wie ein Lauffeuer sich verbreitenden Nachricht zurückgekommen ist, dass sich, deutscherseits hatte man davon keinerlei Ahnung gehabt, KAISER NAPOLEON in der Stadt befinde und alsbald ein Parlamentär kommen werde. Als solcher erscheint nunmehr per Pferd der französische GENERAL REILLE mit Begleitern und überreicht dem König den Degen seines Kaisers und ein Schreiben von Napoleon folgenden Inhalts: „Mein Herr Bruder! Da mir nicht vergönnt war, in der Mitte meiner Truppen zu sterben, bleibt mir nur übrig, meinen Degen in die Hände Eurer Majestät zu legen. Ich bin Euer Majestät guter Bruder.- Sedan 1. September – Napoleon.” (Der viel zitierte Kernsatz des französischen Texts lautet: „N’ayant pu mourir au milieu de mes troupes, il me ne reste qu’à remettre mon epée entre les mains de Votre Majesté.”) Tief bewegt gibt der König den Brief an Bismarck, der ihn dem Kronprinzen, Moltke und Roon vorliest. Diesen Akt der völligen Unterwerfung und Preisgabe antwortet der Kanzler im Namen des Königs, indem er dem GRAFEN HATZFELD die folgende Nachricht diktiert: Mit Bedauern über die Umstände nehme der König den Degen an und bäte um einen Bevollmächtigten für seine tapfere Armee. Der König bestimme General Moltke dazu von seiner Armee.

Was Wimpffen, der sich in Sedan zu seinem Hotel Croix d’or begibt, hört und ihn umtreibt, das sind die folgenden zwei Wörter: Kapitulation und Verrat. Entgegen seiner, wie er denkt, besseren militärischen Einsicht missbilligt er immer noch das Aufziehen der weißen Fahne und die Absendung eines Parlamentärs, das über ihn hinweg in völliger Missachtung seiner Funktion des Oberkommandierenden geschehen ist, und ist darüber tief gekränkt. Und er spürt, dass ihm nun zum Spott und Hohn für seinen bis zuletzt gezeigten Widerstandsmut noch Schlimmers droht: nämlich die trostlose Aufgabe, in dieser Funktion die Kapitulationsverhandlungen führen und die Unterwerfung besiegeln zu müssen. Solcher Schande sucht er zunächst zu entgehen, indem er an den Kaiser um 7 ½ Uhr abends folgendes Entlassungsgesuch richtet: „Sire! Ich werde niemals die Beweise von Wohlwollen vergessen, welche Sie mir gewährt haben, und ich würde sowohl im Hinblick auf Frankreich wie auf Sie glücklich gewesen sein, wenn ich den heutigen Tag mit einem glorreichen Erfolge hätte beenden können. Ich habe dieses Resultat nicht erlangen können und ich glaube, einem Anderen die Sorge, unsere Armee zu führen, überlassen zu müssen. Ich glaube zugleich in dieser Lage genöthigt zu sein, meine Entlassung als Obergeneral zu nehmen und meine Pensionirung zu verlangen. Ich bin        General v. Wimpffen.”

Diesmal schon um 8 Uhr trifft des Kaisers Antwort ein: „General! Sie können nicht Ihren Abschied nehmen, wenn es sich noch darum handelt, die Armee durch eine ehrenvolle Capitulation zu retten. Ich nehme Ihre Demission nicht an. Sie haben den ganzen Tag hindurch Ihre Schuldigkeit getan. Thun Sie es ferner. Es ist dies ein Dienst, den Sie dem Lande leisten werden. Der König von Preußen hat einen Waffenstillstand angenommen. Ich erwarte seine Vorschläge. Zweifeln Sie nicht an meiner Freundschaft.        Napoleon.” General von Wimpffen schwankt zunächst, doch dann siegt unter dem Zuspruch seiner Begleiter, wie Fontane es sieht, „seine Liebe zu Armee und Vaterland über seine Selbstliebe”. Er begibt sich um 8 ¼ Uhr zum Schloss, wo der Kaiser Wohnung genommen hat und wo man ihm in den Vorgemächern den Eintritt mit der falschen Ausflucht, der Kaiser habe eine Konferenz mit dem Prinzen, zu verweigern sucht. Laute Unmutsäußerungen lassen ihn nun denn doch ins kaiserliche Kabinett gelangen, wo sich GENERAL CASTELNAU und verschiedene andere Generaladjudanten mit dem Kaiser beraten. Nach den späteren Schilderungen Wimpffens in seiner Verteidigungsschrift „Sedan par le Général der Wimpffen” (Paris 1871) verlassen bei seinem Erscheinen allesamt bis auf GENERAL DUCROT das Zimmer und es entspinnt sich zwischen beiden der folgende Wortwechsel:
– DUCROT in großer Errregung: „General, da Ihr Ehrgeiz Sie dazu stachelte, mich der Ehren des Kommandos zu entheben, so möge Ihnen auch die Schmach der Kapitulation zufallen.”
– WIMPFFEN verteidigt sich: „Ich nahm das Kommando, um eine Niederlage zu vermeiden, die Ihre angeordneten Bewegungen unfehlbar herbeigeführt hätten. Was ich zu erreichen gedachte, habe ich nicht erreicht; aber alle meine Anstrengungen gehören auch in diesem Augenblicke noch der Armee. Im Übrigen, General, bin ich nicht an dieser Stelle erschienen, um mit Ihnen zu verhandeln. Lassen Sie uns.”
Nach den Feststellungen von Ducrot in seiner Verteidigungsschrift „La journée de Sedan par le Général Ducrot” (Paris 1871), in der er sich auf das Zeugnis der angeblich anwesend gebliebenen Generäle (unter Namhaftmachung von GENERALSTABSCHEF GENERAL FAURE) beruft, spielte sich der Wortwechsel folgendermaßen ab:
– WIMPFFEN, hastig ins Zimmer getreten und die Arme gen Himmel hebend: „Sire, wenn ich die Schlacht verloren habe, wenn ich besiegt worden bin, dann liegt es einzig und allein daran, dass meine Befehle nicht ausgeführt wurden, dass Ihre Generale mir nicht gehorchen wollten.”
– DUCROT, aufspringend und sich mit einem Sprung vor Wimpffen stellend: „Was sagen Sie, wer hat Ihnen nicht gehorchen wollen? Auf wen spielen Sie an? Etwa auf mich? Ihre Befehle sind leider nur zu gut ausgeführt worden. Ihrer tollen Anmaßlichkeit haben wir unsere furchtbare Niederlage zuzuschreiben. Sie allein haben sie zu verantworten, denn wenn Sie die Rückzugsbewegung nicht aufgehalten hätten, trotz meiner Gegenvorstellungen, so wären wir jetzt mit Sicherheit in Mezières.”
– WIMPFFEN, etwas überrascht und außer Fassung gebracht durch diese Abfertigung: „Wohlan, wenn ich unfähig bin, so ist dies ein neuer Grund, auf das Kommando zu verzichten.”
– DUCROT: „Sie haben sich heute Morgen des Kommandos bemächtigt, als Sie dachten, dass es Ehre und Nutzen bringen würde; ich habe es Ihnen nicht streitig gemacht, obgleich es vielleicht bestreitbar war. Zur Stunde können Sie sich nicht zurückziehen. Sie allein haben die Schande der Kapitulation auf sich geladen. … .”
Fontane meint, dass Wimpffen wenigstens die letztgenannte Äußerung nicht gemacht haben könne, da er schon vorher entschlossen gewesen sei, im Kommando zu bleiben, um die Kapitulation und dadurch die Rettung der Armee zu ermöglichen.

Nach diesem Zwischenfall, wie dessen genauer Ablauf auch gewesen sein mag, verlässt General Ducrot das Zimmer und Wimpffen erklärt nunmehr dem Kaiser, die ihm zugefallene unglückliche Rolle auch zu Ende führen zu wollen. Der Kaiser zeigt sich bewegt. Es werden Pferde beordert und vorgeführt und Wimpffen erhält zu seiner Legitimation folgendes kaiserliche Handschreiben: „Der Kaiser Napoleon III., nachdem in Folge der Verwundung des Marschalls Mac-Mahon der General v. Wimpffen zum Ober-Commandanten durch ihn ernannt worden war, hat dem General v. Wimpffen Vollmacht ertheilt, über die Bedingungen für seine Armee zu verhandeln, von der der König anerkannt hat, daß sie sich tapfer geschlagen habe.”

Die fehlerhafte Feststellung, dass Wimpffen den Oberbefehl vom Kaiser empfangen habe, in Wirklichkeit hatte sich dieser (gestützt auf das dienstliche Schreiben von Kriegsminister Paliako) desselben bemächtigt, bleibt von diesem unbeanstandet. Begleitet von GENERAL CASTELNAU, der bei den vorbereitenden Unterhandlungen die Interessen des Kaisers wahrnehmen soll, und GENERAL FAURE mit den jeweiligen Adjudanten, begibt sich der glücklose Wimpffen nach dem wenige Kilometer westlich von Sedan an der Maas gelegenen Ort Donchery. In dessen Jagdschloss, wo sich das deutsche Hauptquartier befindet, wird er auf seinen deutschen Widerpartner und gleichzeitig (bei der Begegnung wohl unausgesprochen geblieben) sogar Verwandten (Vetter seiner vor knapp 40 Jahren verstorbenen Tante ELISE VON WIMPFFEN, geb. VON MOLTKE), GENERAL HELMUTH VON MOLTKE mit Gefolge treffen, den der König von Preußen zum Bevollmächtigten der Kapitulationsverhandlungen bestimmt hat.

 d. Emmanuel Félix de Wimpffen versucht bei den nächtlichen Verhandlungen über die Kapitulation mit Generalstabschef Helmuth von Moltke und Graf Otto von Bismarck in Donchery vergebens, den freien Abzug der geschlagenen Armee von Sedan durchzusetzen.

Etwa um 10 Uhr nachts des 1. September treffen diese am Jagdschloss von Donchery ein. Nach dem von CAPITAINE D’ORCET vom IV. französischen Cürassier-Regiment in den Wintermonaten 1870/71 während seiner Gefangenschaft in Stettin abgefassten ganz besonders ausführlichen Darstellung, die später von General Ducrot zur Verfügung gestellt und von diesem veröffentlicht wurde und sich mit den anderen vorhandenen Aufzeichnungen, insbesondere auch jener – allerdings wesentlich kürzeren – Fassung Wimpffens, im Ganzen vorzüglich deckt, geht die denkwürdige „Conferenz von Donchery” folgendermaßen vonstatten (die Großschreibung sowie Unterstreichung von Namen und Wendungen stellen teilweise im Urtext in Sperrdruck präsentierte Hervorhebungen dar, denen jedoch vom Verfasser noch andere solche beigegeben sind):

„ … Wir wurden in ein Zimmer im Erdgeschoss geführt, wo wir 10 Minuten zu warten hatten, bevor GENERAL V. MOLTKE, GRAF BISMARCK, GENERAL V. BLUMENTHAL und einige andere preußische Offiziere eintraten. Nach einer kurzen Begrüßung stellte GENERAL V. WIMPFFEN die ihn begleitenden beiden Generale (FAURE und CASTELNAU) dem General v. Moltke vor. Auf die Frage des Letzteren, in welcher Eigenschaft die beiden Herren zugegen wären, antwortete zunächst General Faure, daß er als Chef des Generalstabes der ehemalig Mac-Mahon’schen Armee den General v. Wimpfen, jedoch ohne jeden offiziellen Charakter, begleitet habe. General Castelnau bemerkte, daß er eine mündliche, halboffizielle Mittheilung seitens des Kaisers zu machen wünsche, daß diese Mittheilung erst am Schluß der Verhandlungen, an denen er sonst in keiner Weise betheiligt sei, von Nutzen sein werde. General v. Moltke nannte darauf, sie mit der Hand bezeichnend, dem General v. Wimpfen den Grafen Bismarck und den General Blumenthal, worauf man sich setzte.

Das Arrangement war das folgende: Inmitten des Zimmers stand ein viereckiger Tisch mir rother Decke; an der einen Seite saß General von Moltke, links den Grafen Bismarck, rechts den General v. Blumenthal neben sich; ihm gegenüber und neben diesem – etwas rückwärts und fast im Schatten schon – die Generale Castelnau und Faure, sammt den sie begleitenden Adjudanten. Von preußischen Offizieren waren noch sieben oder acht zugegen, deren einer, auf einen Wink des Generals v. Blumenthal, sich neben den Kamin stellte, um, auf die Krönung desselben gestützt, eine Art Protokoll zu führen.

Ein momentanes Schweigen trat ein. Man fühlte, daß General v. Wimpffen in Verlegenheit war, wie er das Gespräch einleiten solle; aber General Moltke blieb unbeweglich und war entschlossen, seinem Gegner das erste Wort zu überlassen.

Es würde ihm lieb sein, begann v. Wimpffen endlich, die Bedingungen kennenzulernen, die Se. Majestät der König von Preußen gewillt ist, uns zu bewilligen.

Sie sind einfach genug, erwiderte General v. Moltke. Die Armee ist kriegsgefangen mit Waffen und Gepäck; man wird den Offizieren, in Anerkennung ihrer tapferen Haltung, den Degen lassen; aber sie sind kriegsgefangen wie die Truppen.

Diese Bedingungen sind hart, entgegnete General v. Wimpffen; die Haltung der französischen Armee hätte vielleicht bessere verdient. Wäre nicht eine Capitulation auf folgende Abmachungen einzuleiten: Der Platz und seine Artillerie wird übergeben; die Armee behält ihre Waffen, Fahnen, Gepäck, unter der Zusage in diesem Kriege nicht ferner gegen Preußen zu dienen; der Kaiser und die Generale verpflichten sich für die Arme, die Offiziere für sich selbst; Preußen bestimmt einen Theil Frankreichs (wenn nicht Algier vorgezogen wird), wohin sich die Armee bis zum Friedensschlusse zurückzuziehen hat.

Wimpffen fügte noch einiges Weitere hinzu; als er inzwischen wahrnahm, daß sein Gegner unerbittlich blieb, versuchte er die Sympathien desselben durch einen Hinweis auf seine (Wimpffens) persönliche Lage zu erwecken. ‚Vor zwei Tagen treff’ ich von Afrika hier ein; ein untadeliger militärischer Ruf bekleidet mich; mitten in der Schlacht übernehm’ ich den Oberbefehl und nun soll ich meinen Namen an eine Capitulation setzen, die das Resultat eines Kampfes ist, der von mir weder geplant noch eingeleitet wurde. Sie, der Sie selbst General sind, werden das Bittere meiner Lage besser empfinden, als irgend wer.’

General v. Wimpffen versuchte näher auf diese Dinge einzugehen und ein Bild der besonderen Vorkommnisse und Verlegenheiten zu entrollen, die ihn in das Oberkommando einführten und während desselben begleiteten, alsbald indessen wahrnehmend, daß dieser Appell an die menschliche Theilnahme des Gegners wirkungslos blieb, nahm er einen lebhafteren Ton an und erklärte: ‚Im Uebrigen, General, wenn keine anderen Zugeständnisse gemacht werden können, so sehe ich mich außer Stande, Ihre Bedingungen anzunehmen. Ich werde an meine Armee das Glück der Schlachten noch einmal appelliren, und entweder mich durchzuschlagen oder in Sedan mich zu vertheidigen wissen.’

Hier unterbrach ihn General v. Moltke: ‚Ich bin voll großer und besonderer Hochachtung vor Ihrer Person, ich würdige die Schwierigkeiten Ihrer Lage und ich bedaure, Ihren Forderungen nicht nachkommen zu können; was aber einen erneuten Durchbruchsversuch oder Ihren Entschluß angeht, sich in Sedan zu vertheidigen, so muß ich Ihnen bemerken, daß das eine so unmöglich ist, wie das andere. Gewiß, Sie haben noch immer über Bruchtheile einer ausgezeichneten Armee Verfügung, Ihre Elite-Truppen sind ersten Ranges, aber ein großer Theil Ihrer Infanterie ist demoralisirt, denn wir haben heut, im Laufe des Tages, über 20,000 unverwundete Gefangene gemacht. Sie haben noch 80,000 Mann; wir stehen Ihnen mit 240,000 Mann und 500 Geschützen gegenüber; bestimmen Sie einen Ihrer Offiziere, der sich von der Genauigkeit meiner Angaben überzeugen mag. Sie können nicht durch und können sich eben so wenig in Sedan halten, denn Sie haben keine Munition mehr und nur Lebensmittel auf 48 Stunden.’

General v. Wimpffen, als er seinen Gegner so wohl unterrichtet sah, suchte ihm von anderer Seite beizukommen. ‚Ich möchte doch glauben, fuhr er fort, daß es auch vom politischen Standpunkte aus angesehen, sich empfehlen würde, der mir unterstellten Armee ehrenvolle Bedingungen zu gewähren. Sie wünschen den Frieden, und über kurz oder lang werden Sie ihn haben. Was die französische Nation vor Allem kennzeichnet, ist ihre hochherzige und ritterliche Gesinnung; eine solche Gesinnung aber ist allemal erkenntlich für die Akte des Edelmuths, denen sie begegnet. Verfahren Sie umgekehrt, schreiten Sie zu den härtesten Maßregeln, so wecken Sie Zorn und Haß in den Herzen aller unserer Soldaten und verletzen die Eigenliebe der Nation aufs Empfindlichste. All die alten Leidenschaften und Gegensätze werden wieder wachgerufen und Sie gerathen in Gefahr, einen nicht enden wollenden Krieg zwischen Preußen und Frankreich entbrennen zu sehen.’

Hier fiel Graf Bismarck ein: ‚Ihre Argumentation, Herr General, scheint beim ersten Anblick ernstlich zu sein; aber sie scheint es nur und ist im Grunde unhaltbar. Man muß im Allgemeinen sehr wenig an die Dankbarkeit glauben, und am Allerwenigsten an die Dankbarkeit eines Volkes. Man kann zur Noth an die wohlwollenden Gesinnungen eines Souverains und seiner Familie glauben, ja man kann ihnen unter Umständen ein vollkommenes Vertrauen schenken; aber, ich wiederhole es, von der Dankbarkeit einer Nation ist nichts zu erwarten. Wenn das französische Volk wie ein anderes wäre, wenn es dauerhafte Einrichtungen hätte, wenn es, wie das unsrige, Verehrung und Achtung vor seiner Regierungsform und einem Souverain hätte, welcher fest auf seinem Throne sitzt, so könnten wir an die Dankbarkeit des Kaisers und seines Sohnes glauben und auf diese Dankbarkeit Werth legen; aber in Frankreich sind seit 80 Jahren die Regierungsformen so wenig dauerhaft gewesen, sie haben mit einer so seltsamen Raschheit gewechselt, daß es von Seiten einer benachbarten Nation Unverstand sein würde, Hoffnungen auf die Freundschaft eines französischen Souverains zu bauen. Ueberhaupt aber würde es Thorheit sein, sich einzubilden, daß Frankreich uns unsere Erfolge verzeihen könnte. Sie sind ein über die Maßen eifersüchtiges, reizbares und hochmüthiges Volk. Seit zwei Jahrhunderten hat Frankreich dreißig Mal Deutschland den Krieg erklärt, und diesmal, wie immer, aus Eifersucht, weil man uns unseren Sieg von Sadowa nicht verzeihen konnte, obgleich dieser Sieg Frankreich und seinem Ruhm keinen Eintrag gethan hatte. Aber es scheint, daß der Sieg eine dem französischen Volk allein vorbehaltene Apanage, daß er ein Monopol für dasselbe ist. Man konnte uns Sadowa nicht verzeihen, und man würde uns Sedan verzeihen? Nimmermehr! Wenn wir jetzt den Frieden schlössen, in fünf Jahren, in zehn Jahren, sobald Frankreich es vermöchte, würde es den Krieg wieder anfangen. Das ist die Dankbarkeit, die wir von der französischen Nation zu erwarten haben. Wir sind im Gegensatz dazu eine friedliebende Nation, welche in Ruhe zu leben wünscht und leben würde, wenn man uns nicht fortwährend reizte. Heute ist es genug. Frankreich muß für seinen eroberungslustigen Charakter gezüchtigt werden; wir wollen ausruhen, wir wollen die Sicherheit unserer Kinder wahren, und dazu ist es nöthig, daß wir zwischen Frankreich und uns ein Glacis, ein Territorium, Festungen und Grenzen haben, die uns für immer gegen einen Angriff schützen.’”

Hier sei die Wiedergabe des Berichts von d’Orcet unterbrochen, um darauf hinzuweisen, das laut Wimpffens Darstellung Graf Bismarck das, was im Protokoll des Vorgenannten als „Glacis“ erscheint, konkretisiert sowie vorher auch auf die Forderung einer Kriegsentschädigung in Geld hingewiesen hat. Diese Textpartie soll ihrer besonderen Bedeutung wegen hier zunächst im französischen Originaltext vorgestellt werden:

„Le comte de Bismarck, venant ensuite à parler de la paix, me dit que la Prusse avait l’intention, bien arrêtée, d’exiger non-seulement une indemnité de guerre de quatre milliards, mais encore la cession de l’Alsace et de la Lorraine allemande, ‚seule garantie, pour nous menace sans cesse, et il faut que nous ayons, comme protection solide, une bonne ligne stratégique avancée.’ Je répondis q’on obtiendrait sans doute les milliards, mais q’on ne cédérait point une portion de territoire sans une lutte acharnée et que si la France devait y succomber se voir forcée, pour obtenir la paix, d’abendonner l’Alsace et la Lorraine, cette paix ne serait qu’une trêve durant laquelle de l’enfant au vieillard on apprendrait le maniement des armes pour recommencer avant peu une guerre terrible dans laquelle l’un des deux peuples disparaîtrait comme nation de la carte de L’Europe.“ – Übersetzt: „Graf Bismarck, alsdann auf den Frieden zu sprechen kommend, erklärte mir sehr zurückhaltend, dass Preußen die Absicht habe, nicht allein eine Kriegsentschädigung in Höhe von 4 Milliarden zu fordern, sondern noch die Abtretung des Elsass und Deutsch-Lothringens, ‚einzige Garantie für uns’, fügte er bei‚ ‚denn Frankreich bedroht uns unaufhörlich, und es wäre notwendig, dass wir zum festen Schutz eine tüchtige vorgeschobene strategische Linie hätten.’ Ich erwiderte, dass man ohne Zweifel die Milliarden durchsetzen könne, aber nie wird man ein Stück eines Gebietes ohne verbissenes Ringen abtreten; und wenn Frankreich unterliegen und sich, um den Frieden zu erlangen, Elsass und Lothringen abzutreten gezwungen sehen müsste, würde dieser Friede nichts anderes als eine andauernder zäher Waffenstillstand sein, welcher vom Kind bis zum Greis den Umgang mit Waffen lehren würde, um binnen kurz oder lang wieder einen fürchterlichen Krieg zu beginnen, der eines der beiden Völker als Nation von der Karte verschwinden ließe.” –

Fontane hat diese Partie vereinfachend und verkürzend folgendermaßen dargebracht: „Graf Bismarck schloß dann, auf das politische Gebiet übergehend, damit, daß, außer einer Geldentschädigung von vier Milliarden, nur in Abtretung von Elsaß und Lothringen eine wirkliche Friedensgarantie gegen das uns beständig bedrohende Frankreich zu finden sei.”

Man muss sich wundern, dass dieser für Frankreich besonders folgenschwere (natürlich erst im Vorfrieden zu Versailles vom 26. Februar 1871 formell bestätigte) Passus bei d’Orcet fehlt, zumal Wimpffens Bericht sonst eindeutig kürzer gehalten ist. Dass Wimpffens Ahnung der Folgen harter Kapitulationsbedingungen und gerade einer Abtretung des Elsass’ und Lothringens richtig waren, das zeigt uns die dadurch entstandene schwere in permanente Revanchegedanken gemündete Verletzung der französischen Seele. Freilich kamen für Wimpffen diese Geld- und Gebietsforderungen Bismarcks nicht unverhofft; denn diese waren von diesem bereits bald nach dem Beginn des Krieges öffentlich angesprochen und seitdem immer wieder in den Zeitungen Deutschlands wie Frankreichs mit Leidenschaft konträr behandelt worden.

Nunmehr sei der Bericht von d’Orcet forgesetzt:
General v. Wimpffen suchte hierauf geltend zu machen, daß Graf Bismarck ein früheres Frankreich, etwa das Frankreich von 1815, geschildert habe. Alle diese Dinge hätten seitdem eine große Wandlung erfahren; Jeder strebe nach Wohlleben, nicht nach Ruhm und Krieg, und der Wunsch der Nation ginge in der That dahin, eine Verbrüderung der Völker zu proclamiren. Ein Blick auf England beweise am besten, wie sehr das gegenwärtige Frankreich von dem vergangenen verschieden sei. Die Engländer seien jetzt die besten Freunde der Franzosen. So würde sich auch das Verhältniß zwischen Frankreich und Deutschland gestalten, wenn Deutschland verstände, edelmüthig zu sein.

An dieser Stelle griff Graf Bismarck, nachdem er schon vorher durch Mienen und Bewegungen seine Zweifel an den Auslassungen General v. Wimpffens ausgedrückt hatte, abermals das Wort. ‚Ich kann das nicht zugeben, General, daß sich diese Dinge bei Ihnen zum Besseren geändert hätten. Es war auch diesmal wieder Frankreich, welches den Krieg wollte; lediglich um der Ruhmesmanie der Nation zu schmeicheln und dadurch mittelbar die erschütterte Dynastie zu befestigen, lediglich aus diesem Grunde wurden wir durch den Kaiser provocirt. Wir wissen sehr wohl, daß ein vernünftiger, in seinem Kerne gesunder Bruchtheil Ihres Volkes diesen Krieg nicht wollte; aber auch diese ruhigeren Elemente gaben schließlich ohne sonderliches Widerstreben nach. Wir wissen auch, daß es nicht die Armee war, die vor allem zum Krieg drängte, es war vielmehr die Partei, die in Ihrem Land die Regierungen macht und stürzt. Das Straßenvolk und die Journalisten (und dies letztere Wort betonte er), die sind es, denen wir eine Lektion ertheilen müssen. Und dessentwegen müssen wir nach Paris. Wer will denn vorausbestimmen, wie sich die Dinge bei Ihnen entwickeln werden? Vielleicht bildet sich eine jener Regierungen, die ihre Aufgabe darin setzen, nichts zu respektiren; vielleicht wächst über Nacht ein Gouvernement auf, das willkürlich Gesetze macht und streicht, das die zwischen uns festgestellte Capitulation nicht anerkennt und die Offiziere zwingt, oder doch zu zwingen trachtet, ihr uns gegebenes Wort zu brechen. Dies ist von Wichtigkeit. Ein solches Gouvernement wird zum Aeußersten schreiten, auch in seinem Widerstande gegen uns. Man wird neue Armeen herzustellen beflissen sein und junge Soldaten aufzubringen, das wird gelingen; aber was nicht gelingen wird, das ist, so lange die alte Armee kriegsgefangen bleibt, die Herstellung eines Offiziercorps. Wir wollen einen Frieden, einen dauerhaften Frieden; um ihn zu erlangen, ist es nöthig Frankreich in die Unmöglichkeit ferneren Widerstandes zu versetzen. Das Glück der Schlachten hat uns die besten Soldaten, die besten Offiziere der französischen Armee überliefert; sie in Freiheit zu setzen, um sie aufs Neue gegen uns marschiren zu sehen, wäre Wahnsinn. Es würde den Krieg verlängern und dem Interesse beider Völker widersprechen. Nein, General, alle Theilnahme, die uns Ihre persönliche Lage einflößt, alle gute Meinung, die wir Ihrer Armee hegen, – beides darf uns nicht bestimmen von den Bedingungen zurückzutreten, die wir gestellt haben.’

‚Wohlan denn’, erwiderte General v. Wimpffen, ‚da es mir in gleicher Weise unmöglich ist, diese Bedingungen zu acceptiren, so möge der Kampf aufs Neue beginnen.’

An dieser Stelle nahm General v. Castelnau das Wort. Er bemerkte mit zögernder Stimme: ‚Ich halte den Augenblick für gekommen, mich meines Auftrags zu entledigen. Der Kaiser hat mich beauftragt, Sr. Majestäft dem König Wilhelm zu bemerken, daß er ihm seinen Degen ohne Bedingung geschickt und sich durchaus persönlich Ihm ergeben habe, aber nur in der Hoffnung, daß dies den König bewegen werde, der französischen Armee eine ehrenhafte Capitulation zu bewilligen.’

‚Ist das alles?’ fragte Herr v. Bismarck. ‚Ja.’ ‚Aber welcher Degen ist es, den der Kaiser überreicht hat? Ist es der Degen Frankreichs oder sein Degen? Im ersteren Falle könnten die Bedingungen bedeutend verringert werden und Ihre Sendung würde von der größten Wichtigkeit sein.’ ‚Es ist einfach der Degen des Kaisers.’ ‚In diesem Falle’, bemerkte rasch und fast mit Freudigkeit General v. Moltke, ‚ändert es nichts an den Bedingungen.’ Und er fügte hinzu: ‚Der Kaiser wird für seine Person alles erhalten, was ihm belieben wird zu verlangen.’*

* Die am Seitenende in Kleinstschrift angefügte Fußnote lautet folgendermaßen: „Capitän d’Orcet macht hier eine Anmerkung, in der es heißt: ‚Es schien mir eine gewisse Meinungsverschiedenheit (une secrète divergence d’opinion) zwischen Graf Bismarck und General v. Moltke obzuwalten, die dahin ging, daß jenem eine Beendigung des Krieges nicht ungelegen gewesen wäre, während dieser (Moltke) die Fortsetzung des Kampfes wünschte.’”

Auf diese Worte General v. Moltke’s wiederholte v. Wimpffen nur: ‚So werden wir denn die Schlacht wieder aufnehmen. Um 4 Uhr früh läuft der Waffenstillstand ab.’

(Moltke): ‚Ich werde um diese Stunde das Feuer auf die Stadt wieder eröffnen lassen.’

Die Unterhandlungen waren am Ende; Alles schien gescheitert; die Pferde wurden befohlen. Niemand sprach; es war ein eisiges Schweigen.”

Hier sei der Bericht des Rittmeisters d’Orcet abermals unterbrochen, um auf die nachstehend eingefügten drei Abbildungen hinzuweisen, welche die damals von der ganzen damaligen Welt beachteten nächtlichen Kapitulationsverhandlungen nachempfindend festhalten:

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  • Abb. V 5a: „Die Capitulation von Sedan”. Graf Moltke und General Wimpffen im Jagdschloss Donchery in der Nacht vom 1. zum 2. September 1870. Gedenkblatt zur fünfundzwanzigsten Wiederkehr des Tages von Sedan. 1870 – September – 1895 (nach dem gleichnamigen verschollenen Gemälde von Anton von Werner, Öl auf Leinwand, 3,20 x 4,20 m; 1885, Diorama im Sedan-Panorama); Eduard Thiele, Kunstverlag, Dresden; Blattgröße 28 x 30 cm, Bildgröße 17 x 22 cm.

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  • Abb. V 5b: Die Kapitulations-Verhandlungen von Sedan. Schwarz-Weiß-Druck; in: Arthur Mennell und Bruno Garlepp, Bismarck-Denkmal für das Deutsche Volk, Neudruck ohne Jahreszahl (Erstdruck 1895 zu Otto von Bismarcks 80. Geburtstag) Chicago. Berlin. London. Paris. Melbourne, 20 cm x 28,5 cm (nach der von Anton von Werner ca. 1890 erstellten Neufassung des vorgenannten Gemäldes des Jahres 1885).

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  • Abb. V 5c: Die Kapitulationsverhandlungen von Sedan, Gemälde von Clara von Wimpffen, geb. Both von Botfalva und Bajna, geb. 1907 in Iklad-Domony/Ungarn – gest. 2000 in Bakonság/Ungarn.

Anton von Werner (geb. 1843 in Frankfurt/Oder – gest. 1915 in Berlin), dessen zwei vorstehend aufgeführte Kolossal-Historiengemälde den abgebildeten beiden Druckdarstellungen jeweils als Vorlage gedient haben, war der im Deutschen Kaiserreich bestgefragte Historienmaler, der es verstand, in meisterhafter Weise in einer höchst realistischen Manier die großen historischen nationalen Ereignisse und Begleitgeschehnisse sowie zeitgenössische große Persönlichkleiten der Politik und Gesellschaft darzustellen und diese den Menschen prägend in wilhelminisch-nationalem Geist zu vermitteln. Deshalb galt er auch als ein sogenannter Kunstpolitiker und fanden gerade die vorgenannten beiden Gemälde über die gesamte Zeit des Deutschen Kaiserreiches mittels Nachdrucks in Form von in den bürgerlichen Wohnungen aufgehängten gerahmten sowie in nationale Buchwerke aufgenommenen Schwarz-Weiß-Kunstdrucken gewaltige Verbreitung. Man beachte auf den beiden Druckdarstellungen die unten platzierten Namen und Ränge der sämtlichen den Beschauern vermittelten Handlungsträger. Die erstgenannte ältere der beiden Darstellungen zeigt im Scheine einer Petroleumlampe und zweier Kerzen den französischen obersten General und Verhandlungsführer EMANUEL FÈLIX DE Wimpffen zusammengesunken in der Pose der Niedergeschlagen-, Unterlegen- und Verzweifeltheit auf seinem Stuhl am Verhandlungstisch sitzend, während die beiden preußisch-deutschen Kontrahenten, OTTO VON BISMARCK und HELMUTH VON MOLTKE, hochaufgerichtet, stolzblickend stehend wie auch die Schar deren Begleiter auf den Unglücklichen niederblicken. Und von den die öde Langwand des Raumes belebend füllenden beiden kleinen Portraitbildern her müssen quasi Kaiser Napoleon III. und Kaiserin Eugénie der hier sich vollziehenden Erniedrigung der „Grande Nation“ zusehen. Als dieses im Mai 1885 und damit bald nach dem 70. Geburtstag des Reichskanzlers Bismarck vollendete Gemälde bald darauf im Rahmen des dreiteiligen mächtigen Dioramas „la nuit” (gemeint: Die Nacht der Kapitulation) im Mittelgeschoss des Berliner Panoramagebäudes der Weltöffentlichkeit triumphierend präsentiert wurde, gab es nicht allein hohes Lob, sondern zum Teil auch harsche Kritik, natürlich ganz besonders von Seiten Frankreichs. So schrieb das Pariser Blatt „Le soleil” ausgangs Oktober 1885 u. a. erbost: „ … C’est écœrant. Celui que le peintre a le plus mal traité, c’est le général de Wimpfen. On dirait d’un homme, qui a perdu tout courage et toute dignité, d’un bandit, que l’on va prende.” [„Es ist herzlos. Derjenige, welchen der Maler am schlimmsten dargestellt hat, das ist General de Wimpffen. Man möchte sagen wie ein Mensch, der jeden Mut und jede Würde verloren hat, wie ein Bandit, den man fassen (hängen) will.]” Selbst der Kaiser hat den Maler schließlich ermuntert, das Bild „abzumildern”. So kam es zu der dem zweitgezeigten Druck zugrundliegenden Neufassung: Diese hält jenen Augenblick fest, da die von De Wimpffen angestrebte Gewährung des Abzugs der Truppen in Waffen in einen noch zu bestimmenden Bereich mit der Versicherung, sich an keinen Kämpfen mehr zu beteiligen, abgelehnt worden ist und so die Verhandlungen zu scheitern drohen und dieser sich somit erhebt und zum Gehen anschickt. Zu beachten ist, dass hier jetzt die französische Seite weniger gedemütigt dargestellt ist und Bismarck am Tische Platz genommen hat und so eher als weiser besonnener Staatsmann denn auf die Feinde gebieterisch und überlegen Herabblickender erscheint. Auch finden sich die Bilder des Kaiserpaares entfernt und an ihre Stelle das von Napoleon I. gesetzt. Was die dritte gezeigte Darstellung betrifft, die aus der Hand der oben bereits erwähnten Malerin Clara von Both-Wimpffen stammt, so hat diese nachempfindend und nachkorrigierend im Sinne der Angleichung an die damalige Realität das Bild Napoleons I. entfernt, General Moltke ebenfalls in Sitzstellung gebracht und dies so erklärt: Mit Sicherheit war ein solches Bild damals im Raum nicht vorhanden und es ist nicht anzunehmen, dass die Beteiligten stundenlang standen.

Jetzt sei der Bericht des Rittmeisters D’Orcet zu Ende geführt:
„In diesem Augenblick nahm Graf Bismarck noch einmal das Wort: ‚Ja, General, Sie verfügen über tapfere Soldaten und Ihre erneuten Anstrengungen werden uns neue, herbe Verluste verursachen; aber wozu kann es dienen? Morgen Abend werden Sie nicht weiter sein wie heute und nur das Bewußtsein wird Sie begleiten, das Blut Ihrer und unserer Soldaten nutzlos vergossen zu haben. Soll eine momentane Verstimmung über das Schicksal dieser Conferenz entscheiden! General v. Moltke wird Ihnen, wie ich hoffe, den Beweis führen, daß jeder Widerstand von Ihrer Seite vergeblich ist.’

 Man setzte sich wieder. General v. Moltke nahm das Wort: ‚Ich bestätige aufs Neue, daß ein Durchbrechungsversuch nie und nimmer gelingen kann; denn abgesehen von unserer großen Ueberlegenheit an Truppen und Artillerie, verfügen wir auch über Positionen, von denen aus wir im Stande sind, Sedan in zwei Stunden in Brand zu schießen.’

‚O, diese Positionen sind nicht so stark, wie Sie sie schildern,’ unterbrach v. Wimpfen.

 ‚Sie kennen nicht die Topographie der Umgebung von Sedan,’ fuhr General v. Moltke fort, ‚und hier ist so recht ein Fall gegeben, um die Einbildungen Ihrer Nation an einem Musterbeispiel zu zeigen. Bei Beginn des Feldzuges sind Karten von Deutschland an alle Offiziere der französischen Armee vertheilt worden und so haben Sie sich selber des Mittels beraubt, in entscheidenden Momenten sich im eigenen Lande zurechtfinden zu können. Es ist, wie ich gesagt habe: unsere Positionen sind nicht nur sehr stark, sie sind unangreifbar.’

General v. Wimpffen fand keine Antwort; er fühlte zu sehr die Wahrheit dessen, was gesagt worden war. Nach einer Pause bemerkte er: ‚Ich würde gern von dem Anerbieten Nutzen ziehen, das Sie mir, General, bei Beginn unserer Unterredung gemacht habe; gestatten Sie mir, zur Kenntnißnahme Ihrer Positionen einen meiner Offiziere absenden zu dürfen. Nach seiner Rückkehr will ich meine Entscheidungen treffen.’

‚Schicken Sie Niemanden, es ist nutzlos,’ erwiderte General v. Moltke trocken, ‚Sie können mir glauben. Ueberdies bleibt nicht viel Zeit zu Ueberlegungen. Es ist Mitternacht, um 4 Uhr früh läuft der Waffenstillstand ab und ich kann Ihnen keine längere Frist bewilligen.’

‚Unter allen Umständen kann ich eine so wichtige Entscheidung nicht allein treffen,’ replizirte Wimpffen, ich muß meine Generale zu Rathe ziehen. Wo soll ich Sie zu dieser Stunde in Sedan finden; eine bestimmte Antwort bis um 4 Uhr zu geben, ist unmöglich; eine kurze Verlängerung des Waffenstillstandes scheint mir unerläßlich zu sein.’

Als General von Moltke dies verweigerte, neigte sich Graf Bismarck etwas nach rechts und flüsterte ihm einige Worte zu, die wahrscheinlich darauf hinwiesen, daß der König erst um 9 Uhr einträfe, und daß es nöthig sein werde, dies Eintreffen abzuwarten. Gleichviel, General v. Moltke wandte sich nach diesem kurzen, in gedämpfter Stimme geführten Zwiegespräch an v. Wimpffen, um ihm mitzuteilen, daß der Waffenstillstand bis 9 Uhr verlängert werden solle.

Hiernach war die Conferenz im Wesentlichen beendet; was noch gesprochen wurde, betraf einige Details, für den Fall eines Zustandekommens der Capitulation. Im Prinzip (diesen Eindruck gewann ich) war, als die Unterredung schloß, die Capitulation seitens des Generals v. Wimpffen angenommen. Daß er den sofortigen Abschluß vermied, geschah einerseits um den Schein zu retten, andererseits um die Verantwortlichkeit dadurch nach Möglichkeit zu verringern, daß er die übrigen Generale zu Mitträgern dieser erdrückenden Last machte.”

Damit bleibt die denkwürdig gewordene „Conferenz von Donchery” für General von Wimpffen unter den zweifellos stimmigen und damit zwingend-erdrückenden Argumenten Moltkes und Bismarcks so gut wie ohne Erfolg. Wimpffen begibt sich zum Schloss Sedan und dort wird gegen nachts 1 Uhr des 2. September der Kaiser, der seit Tagen ruhelos und ob der Missachtungen durch seine Generäle sowie die sich abzeichnende totale militärischer Niederlage ein gebrochener Mann ist, über die hart erscheinenden Bedingungen unterrichtet. Dieser erklärt, auf das Gespräch von Monarch zu Monarch bauend, er wolle um 5 Uhr früh das deutsche Hauptquartier aufsuchen und werde dann sehen, ob der König von Preußen günstiger gesonnen sei. Und so wird GENERAL REILLE zu BISMARCK geschickt, der um 6 Uhr morgens von Reille aus dem nur kurzen Schlaf gerissen wird. Ungewaschen und unfrisiert reitet dieser Richtung Sedan und findet den KAISER NAPOLEON auf der von dort kommenden Landstraße in einer offenen Kutsche zusammen mit je drei mitfahrenden bzw. mitreitenden Adjudanten. Absitzend und dann höflichst den Kaiser nach seinen Befehlen und ob er vom König etwas erhalten hätte fragend, erklärt dieser, er habe diesen noch nicht gesehen und auch von diesem nichts erhalten und wünsche den König zu sehen. Da der König sich aber immer noch im ca. 20 km südwestlich von Sedan gelegenen Vendresse aufhält und dem Kaiser nicht begegnen will, um für den Fall eines ergebnislosen Verstreichens des Ultimatums die Wiederaufnahme des Kampfes befehlen zu können, denkt Bismarck nicht daran, diesem die Möglichkeit eines Gesprächs mit dem König einzuräumen. So erklärt er diesem Folgendes: „Dann bleibt es also bei den alten Bedingungen. Diese werden die Basis der Kapitulation bilden.” Und er bietet ihm Quartier im Hauptquartier Donchery an. Auf dem Weg dorthin ergibt es sich, dass der total erschöpft bis krank erscheinende Kaiser plötzlich kurz vor Donchery Rast zu machen verlangt und es somit zu der in vielerlei Darstellungen wiedergegebenen legendären Gesprächsrast NAPOLEON – BISMARCK vor dem einsam gelegenen armseligen sog. Maison du Tisserand (Weberhäuschen) und schließlich noch in einer kleinen kargen Kammer desselben kommt. Als nach einer Stunde die Meldung eintrifft, dass dem Kaiser Unterkunft im zwischen Donchery und Sedan auf einem Hügel gelegenen Schloss Bellevue bei Frénois bereitet werden könne, geleitet Bismarck den Kaiser, begleitet von einer Ehrenformation Kürassiere dorthin.

Da Wimpffen, um nunmehr zu diesem zurückzukehren, im nach dem nächtlichen Gespräch mit dem Kaiser aufgesuchten Hotel keinen Schlaf findet, durchläuft er ruhelos die Stadt und kommt der Morgen heran. Um 7 Uhr versammelt sich der aus den anderen Korps-Kommandeuren DUCROT, DOUAY und LEBRUN sowie den zwei Divisions-Generalen und Kommandeuren der Artillerie und des Genie-Korps zusammengesetzte Kriegsrat, um über die gestellten Bedingungen abschließend zu beraten. Dieser erkennt nach dem zusammenfassenden Bericht Wimpffens vor allem im Blick auf die fehlende Munition, Nahrung und Kommunikation sowie die Überfüllung der Stadt und die Umstellung durch die feindliche Artillerie der Forderung der Kapitulation (Waffenniederlegung, Kriegsgefangenschaft der Soldaten wie der Offiziere, die ihre Degen und Epauletten behalten dürfen) sich den Forderungen nicht zu verschließen. Die Unterschrift zum erstellten Protokoll, in dem die gestellten Bedingungen des Feindes unter Angabe der Gründe Anerkennung finden, wird allerdings von den beiden Divisions-Generalen mit der Begründung, diese seien unehrenhaft, verweigert. Noch vor 9 Uhr erhält das deutsche Hauptquartier Kenntnis von der Annahme der Kapitulation und deren Bedingungen, so dass der Wiederbeginn des Bombardements unterbleibt. Etwa um 9 Uhr kommt GENERAL VON MOLTKE dem KÖNIG WILHELM auf der Chaussee von Vendresse, nach dem Ort des Hauptquartiers Donchery entgegen, legt diesem den Kapitulations-Entwurf vor und bekommt dessen Zustimmung.

Jetzt ist aber noch der genaue endgültige Wortlaut der Kapitulation festzulegen. Dazu begibt sich Wimpffen um 10 Uhr zum bei Frénois gelegenen Schlösschen Bellevue, wohin sich die preußischen Generale von Donchery aus begeben haben. Als er gegen 10 ¼ Uhr die Höhe von Frénois erreicht, begegnet er dort KAISER NAPOLEON, der sich ja ebenfalls, begleitet von der Ehrenformation, nach dorthin aufgemacht hat.

Daraufhin setzt er seinen Weg Richtung Schloss Bellevue bei Frénois fort. Dort trifft er auf seine preußischen Widerpartner der Verhandlungen der Nacht. Um 12 Uhr ist alles geregelt, die Kapitulation abgeschlossen und das zweisprachige Protokoll mit „Gegeben zu Frénois, am 2. September 1870” bzw. „Fait Frénois, le 2 septembre 1870” sowie „v. Moltke” – „v. Wimpffen” unterzeichnet. Dessen Text (deutscher Teil) lautet:

„Protokoll.- Zwischen den Unterzeichneten, dem Generalstabschef des Königs Wilhelm von Preußen, Oberfeldherren der deutschen Armeen, und dem General en Chef der französischen Armee, Beide mit Vollmachten von Ihren Majestäten, dem König Wilhelm und dem Kaiser Napoleon versehen, ist die nachstehende Convention abgeschlossen worden:

– Art. 1. Die französische Armee unter dem Oberbefehl des Generals v. Wimpffen, giebt sich, da sie gegenwärtig von überlegenen Truppen bei Sedan eingeschlossen ist, kriegsgefangen.
– Art. 2. In Rücksicht auf die tapfere Verteidigung dieser französischen Armee werden alle Generale, Offiziere und im Range von Offizieren stehenden Beamten hiervon ausgenommen, sobald dieselben ihr Ehrenwort schriftlich abgeben, bis zur Beendigung des gegenwärtigen Krieges die Waffen nicht wieder zu ergreifen und in keiner Weise den Interessen Deutschlands zuwider zu handeln. Die Offiziere und Beamten, welche diese Bedingungen annehmen, behalten ihre Waffen und ihre ihnen persönlich gehörigen Effecten.
– Art. 3. Alle Waffen und Kriegsmaterial, bestehend in Fahnen, Adlern, Kanonen, Munition etc., werden in Sedan einer von dem französischen General eingesetzten militairischen Commission übergeben, die sie sofort den deutschen Commissären überantworten wird.
– Art. 4. Die Festung Sedan wird in ihrem gegenwärtigen Zustande und spätestens am 2. September Abends zur Disposition Sr. Majestät des Königs von Preußen gestellt.
– Art. 5. Die Offiziere, welche nicht die im Art. 2. erwähnte Verpflichtung eingegangen sind, sowie die Truppen, werden entwaffnet und geordnet nach ihren Regimentern oder Corps in militairischer Ordnung übergeben. Diese Maßregel wird am 2. September anfangen und am 3. beendet sein. Es werden diese Detachements auf das Terrain geführt, welches durch die Maas bei Iges begrenzt ist, um den deutschen Commissären durch die Offiziere übergeben zu werden, welche dann ihr Commando ihren Unteroffizieren abtreten.
– Art. 
6. Die Stabsärzte sollen ohne Ausnahme zur Pflege der Verwundeten zurückbleiben.”

Gegenüber dem Ergebnis der in der Nacht verhandelten Kapitulationsbedingungen enthält dieser Text in Art. 2 und indirekt auch Art. 5 die Bewilligung der Entlassung der Offiziere auf ihr schriftliches Ehrenwort, was am Schluss des großen Berichts Bismarcks an den König von Preußen vom 2. September über seine Begegnung mit dem Kaiser Napoleon folgendermaßen gewertet wird: „Die Bewilligung der Entlassung der Offiziere auf ihr Ehrenwort wurde mit lebhaftem Dank entgegenommen, als ein Ausdruck der Intentionen Ew. Majestät, den Gefühlen einer Truppe, welche sich tapfer geschlagen hatte, nicht über die Linie hinaus zu nahe zu treten, welche durch das Gebot unserer politisch-militärischen Interessen mit Nothwendigkeit gezogen war. Diesem Gefühle hat der General v. Wimpffen auch nachträglich in einem Schreiben Ausdruck gegeben, in welchem er dem General v. Moltke seinen Dank für die rücksichtsvollen Formen ausdrückt, in denen die Verhandlungen von Seiten desselben geführt worden sind.”

Jetzt steht einem Zusammentreffen zwischen dem siegreichen KÖNIG WILHELM und dem gefangenen KAISER NAPOLEON, die sich drei Jahre zuvor auf dem Höhepunkt dessen Macht anlässlich der großartigen Weltausstellung in Paris zuletzt begegnet sind, nichts mehr im Wege. Doch verbietet es sich, hier über das Tun und Ergehen des nun mit dem Schmähwort „Sedangeneral” behafteten Emmanuel-Felix de Wimpffen hinaus Näheres über das beide große Monarchen bewegende etwa viertelstündige Wiedersehen im Mittelsaal des Schlösschens zu berichten. Das gilt auch für das weite Feld der ungeheuren Wirkung des „Tages von Sedan”, der über den Weg in die Gefangenschaft des französischen Monarchen nach Schloss Wilhelmshöhe bei Kassel hinaus auch die Gefangennahme von um die 100.000 Soldaten, 39 Generalen, unter diesen die beiden Oberfeldherren Mac-Mahon und Wimpffen und sämtliche Corpsführer und Divisionäre, dazu von 230 Stabsoffizieren, 2.095 Subalternoffizieren (500 Offiziere werden denn doch auf Ehrenwort entlassen) brachte. Dazu kamen an Kriegsbeute 12.000 Pferde, 350 Feldgeschütze, 70 Mitrailleusen, Trophäen (wie es heißt), überaus vieles Armeematerial u. v. a. m. Nicht zu übergehen: Der bittere, doch angesichts des glanzvollen Sieges als mäßig eingeschätzte Preis auf der deutschen Siegerseite von etwa 9.500 „Verlusten” (Toten und Verwundeten). Kaum auch zu reden, von dem schlimmen Bild, dem Leid und der Not, das die Stätten der Kämpfe um Sedan und besonders auch die Stadt selbst mit ihren vielen Verletzten und Toten auch unter der Zivilbevölkerung nach dem Schweigen der Waffen als Resultat des Schlachtgeschehens bot.

EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN kehrt nach Abschluss der Unterzeichnung der Kapitulation in Schloss Bellevue nach Sedan zurück. Folgt man seinen Aufzeichnungen, so haben sich Offiziere und Mannschaften in die deprimierenden Dinge geschickt; er habe kein bitteres Wort gehört. In Wirklichkeit befindet sich die Armee in völliger Desorganisation und ist alle Disziplin aufgelöst. Es geht drunter und drüber. Ein Bericht über das wüste Schauspiel jener Stunden der völliigen Demoralisation, Auflösung jeglicher Disziplin, Ausbrüche der Wut und Gewalt über die verlorene Schlacht etc. würde noch viele weitere Seiten füllen. Wimpffen sieht sich jedoch jetzt seiner Funktion und Pflichten als General und Oberbefehlshaber der Armee von Sedan enthoben und verabschiedet sich von seinen Truppen am Nachmittag über einen Aufruf. Dieser lautet:

„P r o c l a m a t i o n.
Soldaten! Gegen sehr überlegene Kräfte habt Ihr Euch gestern geschlagen. Von frühem Morgen an bis in die Nacht habt Ihr dem Feinde mit größtem Muthe Widerstand geleistet und Eure letzte Patrone verschossen. Erschöpft vom Kampfe, habt Ihr der Aufforderung Eurer Generale und Offiziere, Euch bis Montmedy durchzuschlagen und dem General Bazaine die Hand zu reichen, nicht nachkommen können. Zweitausend nur sammelten sich, um einen letzten Versuch zu wagen. Sie konnten über Balan nicht hinaus und kehrten nach Sedan zurück, wo Euer General sich mit Schmerz überzeugen mußte, daß weder Magazine noch Munition vorhanden seien.- Man konnte nicht daran denken, einen Platz zu vertheidigen, dessen ganze Lage ihn unfähig machte, einer zahlreichen und gewaltigen feindlichen Artillerie zu widerstehen.- Die innerhalb der Mauern der Festung vereinigte Armee vermochte diese weder zu verlassen, noch sie zu vertheidigen; ohne Lebensmittel, sei es für die Bevölkerung, sei es für die Truppen, mußte ich den traurigen Entschluß fassen, mit dem Feinde zu unterhandeln.- Mit Vollmachten seitens des Kaisers ins feindliche Hauptquartier geschickt, konnte ich mich nicht entschließen, die mir gestellten Bedingungen anzunehmen. Diesen Morgen erst, durch ein Bombardement bedroht, auf das wir außer Stande gewesen wären zu antworten, entschloß ich mich zu neuen Schritten und habe Bedingungen erhalten, in denen nach Möglichkeit jene verletzenden Formalitäten vermieden, die, nach Kriegsbrauch, bei ähnlichen Gelegenheiten dem Besiegten auferlegt werden.- Es bleibt uns, Offizieren wie Soldaten, nichts anderes übrig, als uns mit Ergebung in die Dinge zu finden, gegen die ein Ankämpfen unmöglich ist, da wir, um es zu wiederholen, ohne Munition und ohne Lebensmittel sind.- Mir verbleibt allein der Trost, ein unnützes Massacre vermieden und dem Vaterlande Soldaten erhalten zu haben, von denen es in Zukunft noch gute und glänzende Dienste gewärtigen mag.
Sedan, den 2. September 1870
Der General en Chef v. Wimpffen.”

Als die Proklamation angeschlagen wird, haben bereits Zustände Platz ergriffen, welche die Annahme nahelegen, dass diese von den Wenigsten gelesen worden ist. Wimpffen dankt auch in einem kurzen Schreiben der Einwohnerschaft Sedans für ihre grenzenlose Gastfreundschaft und hebt die harten Entbehrungen hervor, die dieser durch die Versorgung der Verwundeten und Kranken auferlegt ist.

Am 3. September richtet von Wimpffen an General von Moltke folgendes lange Schreiben, in dem er um die Erlaubnis bittet, seine Kriegsgefangenschaft in Württemberg verbringen zu dürfen. Dieses lautet:

„Ich habe die Ehre zu Ihrer Kenntniß zu bringen, daß ich als General en Chef einer kriegsgefangenen Armee die Pflicht zu haben glaube, das Schicksal dieser Armee zu theilen. So bitte ich denn Ew. Exzellenz, mich als Kriegsgefangenen ansehen und den Ort bestimmen zu wollen, wohin ich mich in Deutschland zu begeben habe. Wenn wir über die verschiedenen deutschen Staaten vertheilt werden sollten, so würde ich es als eine Vergünstigung ansehen, nach dem Königreiche Württemberg geschickt zu werden. – Ich hoffe, daß Sie vier Offizieren, die meiner Person attachirt sind, gestatten werden, die Gefährten meines Unglücks zu sein. Es sind:
– Graf d’ Ollone , Capitaine im 12. Jäger-Bataillon;
Daram, Lieutenant im 92. Linien-Regiment;
Desgrandchamps , Lieutenant im 6. Husaren-Regiment;
– Marquis de Laizer , Offizier in der Mobilgarde, Auditeur im Staatsrath.-
Jeder dieser Offiziere würde von einem Diener begleitet sein; ich selbst habe einen Secretair und eine Ordonnanz.- Ich bitte Ew. Exzellenz, mich alle Maßnahmen in Betreff meiner Reise sowie in Betreff der Reise meines Gefolges wissen lassen zu wollen. Die Convention hat mit Rücksicht auf solche Offizierspferde, die Privateigenthum der betreffenden Offiziere sind, keine Festsetzung getroffen; ich glaube indessen, was mich persönlich angeht, zweier alter Pferde von mir Erwähnung thun zu dürfen, die alle Strapazen mit mir durchgemacht haben, in Italien und neuerdings noch in Afrika und Frankreich. Es sind dies alte Thiere, unfähig noch im Kriegsdienst verwandt zu werden, und so bitte ich denn, sie mir lassen zu wollen.- Ich habe die Ehre, Ihnen für die Wohlgewogenheit zu danken, die Sie nicht aufgehört haben, mir in den Beziehungen zwischen uns (schmerzlich wie dieselben für mich waren) zu bezeigen.- Sobald ich Ihre Entschließungen kenne, werde ich Alles thun, denselben zu entsprechen.-
Empfangen Ew. Exzellenz die Versicherung etc.                                                                                                                            v. Wimpffen, Divisionsgeneral.”

e. General Emmanuel Félix de Wimpffen darf, seinem Wunsch entsprechend, die fünf Monate seiner Kriegsgefangenschaft in Stuttgart hinter sich bringen, während der er sich intensiv dem Studium der deutschen Schulerziehung widmet und woraus er die Grundzüge seiner nach seiner Rückkehr nach Frankreich herausgebrachten Rechtfertigungsschrift „Sedan, par le Général de Wimpffen” entwickelt.

Die Affinität des EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN zu Stuttgart und darüber hinaus zum Königreich Württemberg geht sicherlich darauf zurück, dass, hier sei rückblickend vor allem auf die Kapitel P und T verwiesen, im Zeitraum von 1762 – 1774 sieben der elf Geschwister seines Vaters, d. h. seiner Oheime und Tanten, in Stuttgart oder in Ludwigsburg geboren sind, dazuhin im Zeitraum von 1761 bis 1865 sieben enge männliche Verwandte von ihm im Herzogtum bzw. ab 1806 Königreich Württemberg militärische und/oder auf Hofämter bezogene Karriere gemacht und vielfach hohe bis beinahe höchste Ämter bekleidet hatten, von denen zwei sogar in Stuttgart gestorben waren. Nicht zu vergessen zwei weibliche solche, und zwar Kusinen desselben, die zumindest durch ihre Geburt in Stuttgart, davon in einem Fall zudem zeitweilige Tätigkeit als Kammerfrau am dortigen Hofe mit der württembergischen Residenz verbunden waren. Wenn diese alle nachfolgend mit Ausnahme von Nr. 1 ohne genauere Lebensbeschreibung nur unter Nennung von nur wenig mehr als dem Verwandtschaftsverhältnis und Namen, der Lebenszeit und des in Württemberg erreichten Ranges aufgeführt werden, so deshalb, weil deren aller Vita bereits in den vorgenannten Kapiteln behandelt worden ist sowie teilweise noch im Folgekapitel W. Wilhelm von Wimpffen im Rahmen der Schilderung der mit Wimpfen am Neckar verknüpften Lebensumstände des Vetters des Emmanuel Félix namens WILHELM VON WIMPFFEN (siehe diesen unten unter Nr. 8) zur Sprache kommen wird.

  1. Sein bereits ausgiebigst in Kapitel P. Zweiggründer Franz Ludwig vorgestellter Großvater väterlicherseits FRANZ LUDWIG (1732 – 1800), der Begründer des c) Franzens-Zweiges, war in jungen Jahren vom französischen in den württembergischen Militärdienst getreten, wo er von ca. 1761 bis 1776 verblieben, Angehöriger des engsten Kreises der Höflinge geworden war und es bis zum Leiter des Kriegsdepartements (Kriegsratspräsidenten) gebracht hatte. Diesem war sogar die hohe Ehre der Verleihung seines Namens an eines der württembergischen Regimenter zuteil geworden. In diesem Zeitraum waren zwei von dessen sechs Söhnen sowie fünf von dessen sechs Töchtern, d. h. zwei der Oheime und fünf der Tanten väterlicherseits des Emmanuel Félix von Wimpffen, in Stuttgart bzw. Ludwigsburg zur Welt gekommen; und die zwei ältesten der Oheime desselben namens FRANZ GEORG (geboren 1760) und FRANZ KARL EUGEN (geboren 1762) waren dort sogar in die Vorgängerin der berühmtenm „Hohen Carlsschule” aufgenommen gewesen.
  2. Der Sohn seines ältesten Großonkels STANISLAUS (1721 – 1793), d. h. der Großvetter von Emmanuel Félix desselben Namens FRANZ LUDWIG (1752 – 1823), hatte es bis zum Major und Ersten Kammerherren der Königinwitwe CHARLOTTE MATHILDE gebracht und war sogar in Stuttgart verstorben (siehe in Kapitel T. Württembergische Nebenlinie).
  3. Der nächstjüngere Sohn desselben Großonkels STANISLAUS namens GERMAIN bzw. HERMANN (1754 – 1820), d. h. ein weiterer Großvetter des Emmanuel Félix, hatte nach der im August 1792 erfolgten Absetzung und Einkerkerung des Monarchen und dessen Familie seinem Land den Rücken gekehrt und war schließlich um 1800 ebenfalls in militärisch-diplomatische Dienste des Herzogs von Württemberg getreten, doch von Kaiser Napoleon 1812 wieder nach Frankreich zurückbeordert worden (siehe in Kapitel P. Zweiggründer Franz Ludwig und T. Württembergische Nebenlinie).
  4. Des Letztgenannten jüngster Bruder CHRISTIAN FRIEDRICH (1756 – 1824) war (siehe in Kapitel T. Württembergische Nebenlinie) zunächst als Gardelieutenant und Hofjunker in herzoglich-württembergische Dienste getreten, jedoch bald in kaiserlich-österreichische Militärdienste übergewechselt und hatte sich dann in Böhmen niedergelassen.
  5. Der jüngste Onkel des Emmanuel Félix namens FRIEDRICH WILHELM (1784 – 1845), der Begründer der württembergischen Nebenlinie des Franzens-Zweiges, dessen Leben bereits in Kapitel T. Württembergische Nebenlinie umrissen wurde, war früh in württembergische Dienste getreten und hatte in Stuttgart die Funktionen eines wirklichen Kammerherren, Generalmajors und Adjudanten des Königs Wilhelm I. von Württemberg erlangt. Wie sein Vetter FRANZ LUDWIG war er in Stuttgart verstorben.
  6. Der ältere der zwei in Stuttgart geborenen Söhne seines unter Nr. 5 umrissenen ältesten Onkels väterlicherseits Friedrich Wilhelm namens WILHElM (1820 – 1879), d. h. Vetter des Emmanuel Fèlix, hatte es zwar nur bis zum Rittmeister und württembergischen Kammerherren gebracht. Er und sein jüngerer Bruder
  7. DAGOBERT (1821 – 1881), d. h. der andere Stuttgarter Vetter des Emmanuel Félix, waren Jugendgespiele von KRONPRINZ, ab 1864 KÖNIG, KARL und somit in die Stuttgarter Hofgesellschaft fest integriert gewesen. Der Letztgenannte hatte den Rang eines Majors, Adjudanten sowie Reisemarschalls des Kronprinzen Karl, dazu wie sein Bruder eines württembergischen Kammerherren erreicht. Freilich  hatten die beide 1864/65, d. h. ca. anderthalb Jahrzehnte vor der Hinwendung ihres französischen Vetters nach Stuttgart, ihre Tätigkeit im Militär- und Hofwesen des Königreichs Württemberg durch Zurruhesetzung bzw. Aufgebenmüssen eingestellt und waren von ihrem Wohnsitz Stuttgart nach München gewechselt (Ausführliches über diese beiden in den Kapiteln T. Württembergische Nebenlinie und W. Wilhelm von Wimpffen).
  8. Von den beiden ebenfalls in Stuttgart geborenen Töchtern des FRIEDRICH WILHELM, d. h. Kusinen des Emmanuel Félix, KATHARINA (1818 – 1875) und PAULINE (1822 – 1900) war die letztgenannte in den 1840er Jahren vor ihrer Heirat mit dem Grafen GUSRAV ADOLF FELIX VON WIMPFFEN (1805 – 1880) im Stuttgarter Schloss wohnende Hofdame (siehe darüber in Kapitel T. Württembergische Nebenlinie) gewesen.
  9. Ab ausgangs der 1820er Jahre bis zu ihrem Tod 1855 hatte die fünftälteste der sechs Schwestern des unter Nr. 5 beschriebenen FRIEDRICH WILHELM und Tante des Emmanuel Félix, das FREIFRÄULEIN AMALIE (1774 – 1855), in Stuttgart zunächst bei ihrem vorgenannten Bruder und später unter Nr. 6 zu findenden Neffen WILHELM gewohnt (siehe darüber ebenfalls in Kapitel T. Württembergische Nebenlinie).

General von Moltke entspricht, um nun wieder zum weiteren Schicksal des „Sedangenerals” zurückzukehren, noch am selben Tag durch ein Schreiben allen seinen Wünschen und versieht ihn mit einem weiteren solchen, das ihm und seinen Begleitern freien Weg als Kriegsgefangener über Belgien und Aix-la-Chapelle nach Stuttgart bescheinigt und Anweisung erteilt, diesem auf seinem Weg keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten. Und so brechen Wimpffen und sein Gefolge bereits am 4. September 1870 aus dem völlig aus den Fugen geratenen Sedan nach Stuttgart auf. Sie übernachten im belgischen Dorfe Fays-sur-Veneurs, wo der Unglückliche am 5. September seinen ersten umfangreichen Bericht an den Kriegsminister über die Schlacht bei Sedan und die Kapitulation abfasst und seinem Freund eine Kopie davon schickt. Dem Letztgenannten sendet er am 6. September von Aix-la-Chapelle aus einen ergänzenden Brief, der am Schluss die folgende ebenso erbitterte wie wohl höchst fragwürdige Feststellung trifft:
„Si l’Empereur avait répondu à mon appel, il est plus que probable q’une partie au moins de l’armée ne serait pas prisonnière, et moi je n’aurais pas eu cette tache d’une capitulation.” Frei übersetzt: „Wenn der Kaiser auf meinen Appell reagiert hätte, wäre es mehr als wahrscheinlich, dass wenigstens ein Teil der Armee sich nicht in Gefangenschaft befände, und ich hätte nicht diesen Schandfleck einer Kapitulation auf mich geladen.”

Über Aachen geht die Reise weiter nach Stuttgart, dem Ort, der ihm, entsprechend seinem Wunsch, von Generalstabschef Helmuth von Moltke als derjenige seiner Gefangenschaft zugewiesen worden ist. Die in der

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  • Abb. V 6: Bericht in „Schwäbische Kronik, des Schwäbischen Merkurs zweite Abtheilung. III. Blatt” vom 11. September 1870 über die Ankunft und Unterbringung von General von Wimpffen mit seiner neunköpfigen Begleitung in Stuttgart

gezeigte Meldung lässt erkennen, dass dessen Ankunft dort am Abend des 9. September erfolgt und die gesamte Offiziersschar dort im bestrenommierten Hotel Marquardt, gelegen Ecke Königstraße/Schlossstraße, untergebracht worden ist, das z. B. zur Jahreswende 1863/64 Richard Wagner als Quartier gedient hatte (Marquardtbau 1944 kriegszerstört und 1947/48 wieder aufgebaut; heute Bolzstraße; dort u. a. die „Komödie im Marquardt”). Unter den genannten neun begleitenden Offizieren befinden sich auch drei der vier im Brief an General von Moltke als Begleiter gewünschten Offiziere; es fehlt nur Lieutenant Desgrandchamps. Leider wird die Hoffnung betrogen, Weiteres über den Ablauf dieser rund 5 Monate in Stuttgart vollzogenen Gefangenschaft aus diesem auf die Ereignisse des engeren Raumes gerichteten Blattes oder dem weitgesteckt berichtenden „Schwäbischen Merkur” zu erfahren. Offenbar bestand in der Öffentlichkeit kein Interesse oder gar Abneigung, sich mit dem natürlich als Todfeind gesehenen französischen höchsten Offizier und seinen Begleitern weiterhin zu befassen, zumal ja der Krieg trotz des glänzenden Sieges in der Schlacht bei Sedan sorgenbeladen weiterging. Letzteres ist zu spüren aus den der Meldung angehängten Sätzen über die gleichzeitige Ankunft verwundeter deutscher sowie die Rückkehr einer mit Gefangenen angekommenen Gruppe bayrischer Soldaten zu ihren in Frankreich weiter im Kampf stehenden Regimentern.

Umgekehrt hüllt sich EMMANUEL FÈLIX DE WIMPFFEN ebenfalls, was die äußeren Umstände der Monate der Gefangenschaft angeht, in etwa zwei Jahre danach in Paris erschienenen 76-seitigen Schrift, deren Titel in der nachfolgenden

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  • Abb. V 7: Souvenirs de captivité. De l’instruction en Allemagne par un officier général – Paris E. Lauchaud Libraire-Éditeur 4, Place du theatre – Français, 4 – 1872 (Erinnerungen an die Gefangenschaft. Von der Ausbildung in Deutschland von einem Offizier General – Paris E. Lachaud, Buchherausgeber, Place du Theatre Français, 4 – 1872)

dargelegt ist, fast völlig in Schweigen. Aus dem Vorwort derselben ist zu schließen, dass der Militär aus Passion und familiärem Herkommen EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN nach dem (wie er sagt) „Desaster” der militärischen Niederlage seines Vaterlandes mächtigst von der Frage umgetrieben wurde, warum es Preußen, seines Landes „glühendstem Feind”, und den anderen deutschen Staaten möglich gewesen war, „die Größe und Überlegenheit der Nation durch die Stärke der Waffen zu erreichen” und „ein Volk wie das unsere zu besiegen”. Und so entschloss er sich, „die Muße einer schmerzlichen Gefangenschaft dem gründlichen Studium der Sitten und Institutionen unserer Sieger zu widmen”, und dies in der Weise, dass er versuchte, „ein getreues Abbild der öffentlichen Bildung, der sittlichen und körperlichen Erziehung der breiten Masse und der gehobenen Schichten der Gesellschaft in Deutschland aufzuzeigen”. Die von ihm „bei ausreichender Kenntnis der Landessprache im Verstehen und Sichverständlichmachen” unternommenen Besichtigungen einer großen Zahl von Bildungseinrichtungen, so Primarschulen (gemeint: Volksschulen), Gymnasien, Berufs- und Polytechnischen Schulen, dazu sogar Gefängnisschulen, werden, was den weltlichen und religiösen Unterricht, die Erziehung, die Lehrer, die Schulgebäude etc. angeht, ausführlich und vergleichend mit Frankreich beschrieben und beurteilt. Doch bleiben die Namen der besuchten Schulen völlig und die Orte derselben fast ausschließlich ungenannt und somit vollständig in der Anonymität. Nur an zwei Stellen (S. 53 und 58) wird auf „S….” (gemeint: Stuttgart) als den Ort einer der dort besuchten Schuleinrichtungen hingewiesen und nur einmal (S. 68) durch die Wendung „Pendant ma captivité à S….” verschlüsselt auf die Stadt Stuttgart als Ort der Gefangenschaft (Préface, S. 3) durch die Wendung „Interné dans une des grandes villes de la Confédération d’Allemagne” (interniert in einer der großen Städte des Deutschen Reiches) hingewiesen. Seinen dortigen Aufenthaltsort, das Hotel Marquardt, das ihn und seine zahlreichen Begleiter in schwieriger Zeit aufzunehmen und zu verköstigen hatte, erwähnt er mit keinem Wort. Lediglich dem Wohnquartier, in dem sich dieses Hotel befindet, erteilt er auf Seite 53, bezugnehmend auf eine der von ihm besuchten auf die Berufsausbildung gerichteten Schulen, die folgende Lobspendung: „Dans un des beaux quartiers de la ville, qui m’avait été assigné pour résidence pendant ma captivité se trouve une de ces écoles.” (In einem der schönen Quartiere der Stadt, die man mir als Wohnsitz während meiner Gefangenschaft angewiesen hatte, befindet sich eine dieser Schulen.)

Angekündigt unten auf S. 73 durch den Satz „Suivant les considérations que je viens d’émettre, j’arrive aux conclusions suivantes” (Den nachstehend ausgebreiteten Erwägungen folgend, komme ich zu folgenden Schlussfolgerungen), stellt der Autor fünf Leitsätze einer nach seinen Erkenntnissen in Frankreich anzustrebenden Unterrichtung und Erziehung heraus. In diesen spricht er sich unter Verweis auf das deutsche Vorbild für die Wahl und Anstellung der Lehrkräfte (Laien wie Geistlichen) durch die Gemeinden und die Gleichschaltung ihrer Examen und Überprüfung sowie deren gute Bezahlung aus, dazu für die Einführung der Schulpflicht, außerdem die Aufgabe der Kasernierung (gemeint: der Internatsunterbringung) der Schüler durch deren Belassung in der Familie. Hier sei im Wortlaut nur der letzte seiner appellativ gefassten Vorschläge aufgeführt, der den Schluss des Buchtexters bildet:
„50 Dans les établissements de l’Ètat, dans les écoles professionelles, dans l’instutitions des particuliers, des ètudes théoriques développant les facultés physiques, de façon á ce qu’à vingt ans, à vingt et un ans au plus tard, le jeune homme soit apte au métier des armes et déjà façonne au maniement du fusil, à la marche, et avant tout: ROMPU A LA DISCIPLINE.       FIN.” 

Zu Deutsch: „5. In den staatlichen (Schul-)Einrichtungen, in den beruflichen Schulen, in den Privatschulen theoretische Schulausbildung mit Entwicklung der körperlichen Fähigkeiten in der Art und Weise, dass der junge Mensch mit 20 oder spätestens 21 Jahren fähig ist für den Waffendienst und geformt für die Handhabung des Gewehrs, das Marschieren und vor allem: BEWANDERT IN DER DISZIPLIN.       ENDE.”

Mit diesem Vorschlag begibt er sich genau in jene Spur, welche die Menschenerziehung nach preußischen Muster im neugegründeten Deutschen Reich verstärkt einschlägt und die EMMANUEL FÈLIX DE WIMPFFEN im Vorwort seiner Betrachtungen folgendermaßen umschreibt: „Dans l’Allemagne, et surtout dans la partie nord, toute institution, même civile, a pour objectiv l’instruction militaire. Former des généraux capables, des officiers instruits, des soldats disciplinés et robustes, tel est le but.” (In Deutschland, und besonders im nördlichen Teil, hat jede, selbst zivile, Einrichtung, wirkliche militärische Schulung, um allgemeine Befähigungen, geschulte Offiziere, disziplinierte und robuste Soldaten zu formen, solches ist der Zweck.) Man gewinnt den Eindruck, dass der „Sedangeneral” von seines Volkes und seiner eigenen Niederlage traumatisiert und somit wie besessen nach den Gründen derselben wie auch nach Abhilfe sucht. Darüber hinaus beginnt er jedoch schon von Stuttgart aus mit der gleichen Leidenschaft, die Rechtfertigung seines Handelns zum Ende des Schlachtengeschehens von Sedan zu betreiben.

Und so schreibt er im Vorwort seiner später noch genauer vorzustellenden und nicht weniger als 382 Seiten umfassenden weiteren Schrift des Titels „Sedan. Par le Général de Wimpffen”, Paris Libraire Internationale 1871, folgendes hier nur übersetzt Wiedergegebene: „Schon in den ersten Augenblicken meiner Gefangenschaft in Stuttgart entschloss ich mich, meine Freizeit mit der Zusammenstellung des notwendigen Materials für eine wahrheitsgetreue Geschichte der ersten unglücklichen Ereignisse des Krieges mit Preußen zu nutzen. Diese Ordnungsarbeit ließ mich einer Masse sehenswerter Dokumente gegenüberstehen.” So kommt es zunächst dazu, dass er in Stuttgart Briefe sowie Berichte zur Thematik „Schlacht bei Sedan” schreibt und verschickt. Und in der Tagespresse versucht er nachzuweisen, dass er in dieser das Ziel verfolgt habe, sich durch den Ausbruch Richtung Südost über Bazailles-Carignan durchzuschlagen. Und er erhebt den Vorwurf, dass es vor allem Kaiser Napoleon gewesen sei, der durch sein Nein zu seiner Bitte, er möge in die Mitte seiner Truppen kommen und diese würden es sich zur Ehre anrechnen, den Durchweg zu öffnen, dazuhin dessen Befehl, die weiße Fahne auf den Wällen aufzuziehen, sein Vorhaben verhindert habe. Demgegenüber wird Wimpffens diesbezügliches Billet an den Kaiser von 1 ¼ Uhr des 1. September in der Presse „mit mehr oder weniger Recht”, wie Fontane meint, ins Lächerliche gezogen. Und der seines Landes verwiesene Kaiser Napoleon wehrt sich in einem Schreiben vom 3. Oktober 1870 vom Platz seiner Gefangenschaft Wilhelmshöhe bei Kassel aus wie folgt:

„J’ai lu votre rapport officiel sur la bataille de Sedan. Il contient deux assertions que je dois relever.
-Si je n’ai pas répondu à votre appel pour faire une trouée vers Carignan, c’est qu’elle ètait impraticable, comme l’expérience vous l’a prouvé, et la tentative, je le prévoyais, ne pouvait avoir d’autre résultat que de coûter la vie á un grand nombre de soldats.
-Je n’ai consenti á faire arborer le drapeau blanc, que lorsque, de l’avis de tous les chefs de corps d’armée, toute résistance était devenue imposible. Je n’ai donc pas pu contrarier vos moyens d’action.
Croyez, général, à mes sentiments.             NAPOLEON“                                                                                                      

Zu Deutsch: „Ich habe ihren amtlichen Bericht über die Schlacht von Sedan gelesen. Er enthält zwei Behauptungen, die ich richtigstellen muss:
-Ich habe auf Ihre Aufforderung, einen Durchbruch nach Carignan zu machen, nicht geantwortet, weil es mir undurchführbar erschien, wie die Erfahrung es Ihnen bewiesen hat, und der Versuch, wie ich es vorausgesehe hatte, kein anderes Resultat haben konnte, als einer großen Anzahl von Soldaten das Leben zu kosten.“
-Ich habe nicht zugestimmt, die weiße Fahne zu hissen, als nach der Meinung aller Korpschefs jeder Widerstand unmöglich geworden war. Folglich habe ich Ihre Pläne nicht durchkreuzen können.-
Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung, mein General                                                            NAPOLÉON”

Wimpffen will nach seinen Aussagen im Vorwort des erwähnten Buches ursprünglich nur an die Sammlung der mit der Schlacht bei Sedan zusammenhängenden zahlreichen Schriftunterlagen gedacht haben. Doch sieht er sich, nachdem er nach fünfmonatiger Gefangenschaft in Stuttgart etwa Mitte Februar wieder heimkehren kann, aus zwei Gründen veranlasst, nun doch mit einem Buch an die Öffentlichkeit zu treten:

Grund 1: Sein großer erster Bericht über die Schlacht von Sedan vom 5. September 1870 an den Kriegsminister hat – entgegen seiner Erwartung – offiziell keine Veröffentlichung gefunden und er findet diesen wichtigen Schriftsatz bei seiner Vorbeikunft in Versailles im Ministerium am 19. März 1871 nicht oder nicht mehr vor. Am Verschwinden desselben soll, wie Wimpffen erfahren haben will, der von ihm aus dem Oberbefehl der Sedanarmee verdrängte General Ducrot die Hand im Spiel gehabt haben. Hierzu muss man wissen, dass dieser nach der Schlacht bei Sedan sein Ehrenwort gegeben hat, sich in Pont-à-Mousson zu stellen und dieses auch eingehalten hat, aber dort danach in der Verwirrung auf dem überfüllten Bahnhof geflohen und dann Oberkommandierender einer neugebildeten französischen Armee und im Februar 1871 Mitglied der Nationalversammlung mit großem Einfluss geworden ist.

Grund 2: Seit seiner etwa Ende Januar erfolgten Entlassung als Kriegsgefangener und Rückkehr nach Frankreich bzw. bald darauf wieder nach Algerien (Wohnsitz Mustapha bei Algier) habe er vergeblich versucht, Gunstbezeigungen durch den Kriegsrat zu erfahren, die seine Führung (in der Schlacht bei Sedan) hätten anerkennen können. Er habe keinerlei Antwort auf seine berechtigte Bitte bekommen. Der Regierungschef habe vor der Kammer und damit vor dem Land die Kommandanten und Chefs der Armee von Metz und von Châlons glorifiziert. Aber niemand habe ein Wort zu seiner Rechtfertigung hören lassen. Er findet, dass diese Situation nicht mehr erlaube, Schweigen zu bewahren und er glaubt, einfach und wahrhaftig die Ursachen, die das unvermeidliche Desaster von Sedan herbeigeführt haben, darlegen zu müssen.

Und so fertigt er eine Art Rechtfertigungsschrift, die 1871 in Paris erscheint und deren Titel oben bereits aufgeführt worden ist. Unter dem Titel fügt er drei Zeilen bei, die seine auf den Zweck des Buches zielende Devise präsentieren: „Quorum pars magna fui.- VIRG. Énéide. – Suum cuique”, übersetzt aus dem Lateinischen (Anfangs- und Endteil) und dem Französischen (Mittelteil): „Worin ich eine große Rolle spielte (oder auch: ‚Wozu ich zu bedeutendem bzw. wesentlichem Teil mittrug’ bzw. ‚Wovon mir großer Anteil zukommt’) Vergil. Aeneis – Jedem das Seine.” Siehe dazu die

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  • Abb. V 8: Das Titelblatt von Emmanuel Félix de Wimpffens Rechtfertigungsschrift.

Der erste Teil dieser Devise ist, wie er konstatiert, der Aeneis, dem zwölfteiligen Heldenepos des römischen Dichters Vergil, entnommen, und zwar der 6. Zeile des 2. Buches (Aeneis 2.6), die zum „Gefügelten Wort” geworden und dann zu verwenden ist, wenn es gilt, seine Mitwirkung bzw. seine Verdienste an einer Sache zu reklamieren. Dieses wird durch den aus den antiken philosophischen Theorien der Moral und Politik hergeleiteten Endteil „Suum cuique” bekräftigt. Letzteres ist im Doppelsinn gemeint, d. h. im Sinne sowohl des Individuums als auch der Gesellschaft: Jeder soll das Seine (ihm Mögliche) tun, aber Jedem soll auch das Seine (Verdiente) zukommen. Zweifellos fühlt sich der Sedangeneral bezüglich seines Handelns in der Schlacht bei Sedan gegenüber den Mitgenerälen unverdient kritisiert und zurückgesetzt und will dies konkret durch seine Veröffentlichung anmahnen.

Auf den nicht weniger als 377 Seiten des Kerntextes holt er zum Zecke seiner Rechtfertigung weit aus, bezieht auch eröffnend die rühmlichen Erinnerungen und Urkunden aus seiner Zeit davor als Gouverneur in Oran sowie so vollständig wie möglich die Vorgeschichte der Schlacht von Sedan mit ein, dazu eine große Anzahl von mit dieser zusammenhängenden Brief- und Urkundentexten, worauf sich Theodor Fontane zwei Jahre später bei der Abfassung seines Buchtextes vielfach beziehen wird. Der Text gipfelt in dem von den Militärs beider Seiten und ganz besonders von General Ducrot beanstandeten und sich auf die Sinnhaftigkeit seiner viel bestrittenen und umstrittenen Durchbruchsthese beziehendes Satzpaar:
„Meine Angreifer und Verleumder, wie sie besonders in der Umgebung des Kaisers waren, haben ein nobles Unternehmen, wie ich es vorhatte, zu einer Thorheit stempeln wollen. Nichtsdestoweniger bin ich auch jetzt noch überzeugt, daß ein mit 15- oder 20,000 Mann unternommener Angriff auf die feindliche Linie von Erfolg gekrönt gewesen wäre.”
Indem er darüber hinaus aber insbesondere Beschuldigungen gegenüber General Ducrot und den Kaiser erhebt, fällt das erwartete Echo negativ aus und beschwört er heftige Kritik herauf.

Der sich beschuldigt und in seiner Ehre schwer angegriffene GENERAL DUCROT veröffentlicht umgehend noch 1871 eine Verteidigungsschrift von 169 Seiten, deren gleichartig gehaltene Titelfassung „La journée de Sedan, par Le Général Ducrot” die Bezugsetzung auf Wimpffens Werk von vorneherein deutlich zu machen versteht. Dieser sieht sich durch Wimpffen, wie er im Vorwort vom 18. September 1871 darlegt, in fünffacher Hinsicht ungerechtfertigt beschuldigt:

  1. Er habe einen Mangel an Ehrenhaftigkeit dadurch gezeigt, dass er seinen Einfluss bei Kriegsminister General Trochu dahingehend geltend gemacht habe, die Veröffentlichung seines Berichts über die Schlacht von Sedan zu vereiteln.
  2. Er habe durch falsche Manöver das Tagesgeschick gefährdet und so das verhängnivolle Desaster von Sedan vorbereitet.
  3. Er habe das Schlachtfeld vor der Zeit verlassen.
  4. Er habe sich geweigert, den Anordnungen des Chefgenerals zu gehorchen, alsdann habe er Hilfe abgelehnt.
  5. Er habe den Kaiser aufgefordert, die Parlamentärfahne zu hissen und zu kapitulieren.

Abschließend drückt Ducrot in seiner Vorbetrachtung die – mit einem gewissen Zynismus gewürzte – Erwartung aus, dass die Verantwortung dieser bedauerlichen Polemik auf jenen zurückfällt, der diese wachgerufen hat…., „comme l’a dit le général de Wimpffen (so wie es General von Wimpffen gesagt hat): suum cuique” (Jedem das Seine).

Es ist hier leider weder der Platz noch der Ort, die aus der Sicht des Autors zu seiner Entlastung dargestellten Vorgänge sowie zahlreichen Schriftsätze um die Schlacht bei Sedan hier auszubreiten. Eine Haltungsänderung Wimpffens hat Ducrots Schrift nicht erreicht, im Gegenteil. Noch 1871 und 1872 in durchgesehener und korrigierter 2. Auflage erscheint eine 75-seitige Erwiderungsschrift unter dem Titel „Le Général de Wimpffen. Réponse au Général Ducrot par un officier supérieur”, Paris. Libraire Internationale, aus der Feder eines nicht mit Namen genannten „Camarade d’école” (Schulkameraden). Die knappe Hälfte (S. 3 – 32) derselben nimmt eine als biographisch wertvoll anzusehende Lebensbeschreibung ein (Première partie: La vie militaire du Général de Wimpffen), die oben im eröffnenden Lebensgang natürlich nur ansatzweise ausgeschöpft werden konnte. Dann folgt eine weitere knappe Hälfte mit Bemerkungen zur Veröffentlichung desselben (Seconde partie: Observations sur l’opuscule du Général de Wimpffen, S. 33 – 64), welche auf die fünf Beschuldigungen und die Entgegnungen hierzu ausgerichtet ist. Den Rest bilden einige Briefe Wimpfens an den Freund (S. 65 – 75). 1875 folgt eine Neuflage von Ducrots „La Journée …” und 1887 aus den nachgelassenen Papieren Wimpffens eine weitere Rechtfertigungs-Schrift unter dem Titel „La bataille de Sedan, les véritables coupables” („Die Schlacht bei Sedan, die wahrhaft Schuldigen”). Diese erscheint 1889 in Augsburg auch in einer deutschen Ausgabe. Also, und die Beifügung „wahrhaft” belegt dies schlagend, eine Kette gegenseitiger Beschuldigungen ohne versöhnliches Ende.

f. Theodor Fontane schätzt in seinem Werk über den Deutsch-Französischen Krieg den „Sedangeneral” rückblickend zwar als guten und tapferen Divisiongeneral ein, spricht ihm aber die Fähigkeit der Lenkung einer großen Schlacht ab.

Um abschließend die „wahrhafte” Einschätzung der Persönlichkeit des Emmanuel Félix de Wimpffen und seiner Handlungsweise in den letzten beiden Tagen der Schlacht bei Sedan als Befehlshaber des 5. Korps (an der Stelle von General Failly) sowie Oberbefehlshaber der Armee von Sedan (an der Stelle von Marschall Mac-Mahon bzw. von General Ducrot) zu finden, kehren wir zu Theodor Fontanes Buch zurück. Wichtig erscheint, dass dieser Wimpffens Rechtfertigungs- und Ducrots Verteidigungsschrift und des Erstgenannten Erwiderungsschrift gekannt und die maßgeblichen Inhalte derselben bei der Abfassung seiner Betrachtungen über die Schlacht bei Sedan und über den Sedangeneral eingearbeitet hat. Ergebnis einerseits seiner akribischen Kenntnis der Fakten, andererseits seiner in seinen späteren Romanschöpfungen evident gewordenen herausragenden Begabung, den Handlungs- und Zeithintergrund von Menschen zu erspüren und in unnachahmlicher Sprache zu schildern, schließt er seine Betrachtungen zu den Ereignissen um Emmanuel Félix de Wimpffen mit einer meisterlichen umfänglichen Einschätzung von dessen Persönlichkeit (man könnte sagen mit einem Psychogramm) auf dem Handlungshintergrund des 28. August bis 2. September 1870 folgendermaßen ab (die von Fontane zum Zwecke der Hervorhebung gesperrt wiedergegebenen Partien sind hier der Einfachheit halber unterstrichen):

„General von Wimpffen war ein tapferer Soldat. Mehr denn das, er war ein guter Repräsentant militairischer Ehre und untadeliger Gesinnung. Seine Widersacher haben ihm auch das bestreiten wollen; gewiß mit Unrecht. Ducrot – persönlich erbittert und von jener Leidenschaftlichkeit des Charakters, der ein gerechtes Urtheil überhaupt schwer fällt – hat ihn unbedingt zu hart behandelt als er ihm vorwarf, um 9 Uhr Vormittags, wo die Dinge in Bazeilles eher gut als schlecht standen, aus Eitelkeit und Großmannssucht das Commando an sich gerissen zu haben. Er glaubte momentan an die Möglichkeit eines Sieges; gewiß. Aber es lag ihm an diesem, nicht an der Indentificirung seiner Person mit diesem Siege. Folgen wir ihm durch die letzten Augusttage.- Von dem Momente seines Eintreffens in Sedan, ja schon vorher, von der Stunde seiner Pariser Abreise an … , gab er die mannigfachsten Beweise psychischen und moralischen Muthes, rascher Entschlußkraft, lebhaften Geistes, starken Vaterlandsgefühls. Im Fluge orientirte er sich, griff im Großen und Kleinen energisch ein, ermuthigte die Schwachen und bestärkte die Starken in ihrem Widerstande. Die Art, wie er sich in Reims des Husarendetachements versicherte, wie er den Maire von Signy-L’Abbaye belobte und persönlich erfahrene Unbequemlichkeit vergaß, wie er am 30. die Beaumont-Flüchtlinge sammelte, am 31. bei seinem Corps sich einführte, und die Nacht darauf, auf platter Erde schlafend, das Loos des einfachen Soldaten theilte, die Energie, mit der er im entscheidenden Moment das Commando ergriff, gegebene Befehle annullirte, Bedenken beschwichtigte, Widerspruch bekämpfte, um dann, in verzweifelten Kämpfen, erst mit Vielen, dann mit Wenigen den Durchbruch und dadurch die Rettung der Armee zu versuchen, endlich die Entsagung, die er übte, als er seinen Namen unter die Unterwerfungsurkunde setzte, – all das hat in unsern Augen Anspruch auf Achtung bei Freund und Feind. Er war charaktervoll, soldatisch feurig, so lange es noch zu kämpfen gab, ehrenvoll und opferbereit, als das Unglück hereingebrochen, das Unvermeidliche an ihn herangetreten war; in diesem Sinne hat er Anspruch auf die Worte, die General v. Moltke und Graf Bismarck brieflich an ihn gerichtet haben: ‚Im Augenblick, wo Ew. Exzellenz den Oberbefehl übernahmen, wurde die Armee von Sedan, welche sich bis zum Schlusse tapfer geschlagen hat, von uns als eine vollständig verzweifelte betrachtet.’ *) Rand-Anmerkung des Autors: ‚Die Frage, ob ein Entschlüpfungsversuch über Illy nicht besser gewesen wäre, als ein Durchbruchsversuch über Bazeilles, wird hier seitens Generals v. M. nicht berührt. Die Lage war um 8 Uhr verzweifelt, gewiß; aber der eine kommt aus verzweifelten Lagen besser heraus als der andre.’ Fortsetzung des laufenden Textes: ‚Ew. Exzellenz kann sich das Zeugniß ablegen, daß kein Oberbefehlshaber für seine Armee bessere Bedingungen erhalten hätte, als die, welche aus persönlichen Rücksichten für Ihre Person bewilligt wurden. Ich würdige mit Erkenntlichkeit die wohlwollenden Ausdrücke, mit denen sich Ew. Exzellenz betreffs meiner in Ihrer Veröffentlichung ausgedrückt haben.- Aehnlich schrieb Bismarck … ’” –

Hier sei die Wiedergabe von Fontanes Text unterbrochen und darauf hingewiesen, dass dieser jetzt nur den Schlusssatz eines Dankesbriefes zitiert, den Bismarck an Wimpffen gerichtet hat, nachdem dieser ihm ein Exemplar seines Werkes „La bataille de Sedan …” geschickt hatte. Dieses wertvolle in französischer Sprache gehaltene und nachfolgend gezeigte Dokument ist vor kurzem von seinem jetzigen Besitzer, Dr. Hans H. von Wimpffen, im Rahmen seiner großen Dokumentation im Internet „wimpffen.hu” der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Dieser Dankesbrief wurde nach der Auffindung im Nachlass des 2009 verstorbenen großen Politikers der Nachkriegszeit Otto Graf Lambsdorff der Familie von Wimpffen von dessen Gattin Gräfin Alexandra Lambsdorff, geb. von Quistorp, geschenkt. Nach Wurzbach befand sich dieser wie auch der in Fontanes Text teilweise in Übersetzung wiedergegebene Brief Moltkes (siehe oben) früher im Archiv der gräflichen Wimpffen-Linie des Schlosses Kainberg in der Steiermark, wohin diese wohl deshalb gelangen konnten, weil Emmanuel Félix de Wimpffen keine Nachkommen hatte.
Siehe diesen nun nachfolgend in der

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  • Abb. V 9: Dankesbrief des Grafen Bismarck an General Emmanuel Félix de Wimpffen für die Zusendung seines Buches über die Schlacht von Sedan vom 9. Januar 1872.

Und nunmehr hier der gesamte Brieftext, und zwar zunächst in der Originalsprache, dann in der Übersetzung:
„Son Excellence Monsieur le Général Comte de Wimpffen.- Berlin, le 9 Janvier 1872.- Monsieur le Comte, J’ai reçu la lettre que vous m’avez fait l’honneur de m’adresser en date du 20 dernier de même que votre livre sur les événements de Sedan. Je vous remerçie, mon Général, du souvenir bienveillant que vous gardez de nos entretiens et je me suis réjouie, en lisant votre relation de cet esprit de justice qu’elle respire. Mes sympathies resteront toujours requises à un général qui, ayant fait des preuves ailleurs, ne fut appelé sur le terrain qu’au moment où le sort des armes se trouvait déjà jeté de manière à ne plus laisser de chance à sa bravour et à son genie. Veuillez agréer Monsieur le Général, l’assurance de ma haute considération.                         v. Bismarck“

„Seiner Exzellenz Herrn General Graf von Wimpffen.
Berlin, am 9. Januar 1872 – Herr Graf, Ich habe den Brief, den Sie mir zu schicken die Ehre gegeben haben, unter dem 20. letzten Monats, ebenso Ihr Buch über die Ereignisse von Sedan erhalten. Ich danke Ihnen, Herr General, für die wohlwollende Erinnerung, die Sie an unsere Zusammenkünfte bewahrt haben, und es ist mir eine Freude, Ihren einen solchen Geist der Gerechtigkeit atmenden Bericht zu lesen. Meine Sympathien verbleiben immer einem General, der, nachdem er anderwärts seine Proben abgelegt, auf das Terrain erst im Augenblick berufen wurde, wo das Los der Waffen bereits entschieden hatte. Empfangen Sie, Herr General, die Versicherung meiner großen Hochachtung.        v. Bismarck            

Nunmehr sei Fontanes Text fortgesetzt:
„So viel über Wimpffen den tapferen Soldaten, den Mann von Ehre und Gesinnung. Anders freilich stellt sich das Urtheil, wenn wir den Feldherrn Wimpffen ins Auge fassen und nach der Einsicht fragen, die er am Tage von Sedan zu erkennen gab. Hier erschienen uns alle gegen ihn erhobenen Angriffe als berechtigt, und der Verurtheilung zustimmend, die er durch die verschiedensten Stimmen erfahren hat, finden wir es unbegreiflich, daß er sich bei Bazeilles durchkämpfen wollte, während bei Illy noch ein freier Abzug in der Möglichkeit lag. Dies letztere hat Wimpfen freilich bestreiten wollen und sein mehr citirtes Buch ist vorwiegend zu dem Zwecke geschrieben worden, die Unmöglichkeit dieses Abzuges zu beweisen. Aber er ist mit dieser Beweisführung völlig gescheitert. Seine Zeitangaben sind sämmtlich falsch.“

Siehe dazu die nachfolgende Kartenskizze des Schlachtfeldes von Sedan, in der Emmanuel Félix de Wimpffen den Namen und den jeweiligen Standorten der verschiedenen preußischen, bayrischen und württembergischen bzw. französischen Korps und sonstigen Einheiten sowie dem Datum (31. August bzw. 1. September) noch die Uhrzeit hinzugibt:

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  • Abb. V 10: Kartenskizze „Champ de Bataille de Sedan” aus dem Werk „Sedan par le Général de Wimpffen” (Paris 1871).

Und wieder sei der Text Fontanes fortgesetzt:
„Er läßt bereits um 5 Uhr früh unser XI. Corps bei Fleigneux und St. Menges, unser V. Corps bei Vrigne aux Bois stehen, was entweder eine große Unkenntniß verräth oder einen nicht statuirbaren Hang bekundet, die Tathsachen nach persönlichem Bedürfniß zu modeln. Um 5 Uhr früh standen beide Corps bei Donchery noch am linken Ufer der Maas; erst um 6 Uhr waren die Brücken passirt; erst um 8 standen sie in Höhe von Vrigne aux Bois, erst um 10 zwischen St. Menges und Fleigneux. Und zwar höchstens in Stärke von zwei Divisionen. Das ergiebt eine Differenz von fünf Stunden. Mit Recht schreibt Oberst Borbstädt: ‚Wäre der Feind zwischen 9 und 10 Uhr energisch vorgegangen, so wäre es vielleicht möglich gewesen, die preußischen Têten in das Défilée von St. Albert zurückzuwerfen und das Abfahren der Artillerie-Linie zu erzwingen, was auf den Gang der ganzen Schlacht und die Entwicklung der auf einer Straße marschirenden preußischen Marschkolonnen von entschiedenem Einfluß gewesen sein würde.’ Es ist nachträglich für jeden, der sehen will, – also für jeden mit alleiniger Ausnahme des Generals v. Wimpffen – ein unbestreitbares Factum, daß um 9 Uhr ein Entkommen der Armee mindestens noch innerhalb der Möglichkeit lag, daß aber unter allen Umständen ein Abzugsversuch über Illy hinaus besser gewesen wäre, als ein Durchbruchsversuch bei Bazeilles; – es fragt sich nur, ob General Wimpffen verpflichtet war, schon damals am Schlachttage selbst, eine Einsicht zu besitzen, über die wir nachträglich Alle verfügen. Wir müssen auf diese Frage antworten: ja, er war dazu verpflichtet. Er hatte sich am 30. mit eigenen Augen davon überzeugt, daß von Süden und Südosten her unsererseits ganze Armeen heranrückten, die stark genug gewesen wären das französische V. und VII. Corps vor sich her zu treiben und unterstützende Brigaden des I. und XII. Corps zu werfen. Meldungen hatten ihm inzwischen bestätigt, daß bei mannigfachen von Mouzon und Carignan her auf Sedan führenden Straßen von den Unseren überdeckt seien, er wußte also, nach Allem was er gehört und gesehen, mit Sicherheit wissen, daß an seiner Front (nach Osten zu) feindliche Massen vor sich habe. Und trotz alledem hielt er an der Vorstellung fest, daß Alles damit gethan sein würde, die Baiern in die Maas zu werfen. Diese Redewendung kehrt in seinen eigenen Aufzeichnungen beständig wieder. Er sah nicht über das Nächstliegende hinaus; sein geistiges Auge reichte nicht weiter als sein physisches. Er sah immer nur die Baiern und betrachtete die ganze Schlacht als eine Art Zweikampf zwischen dem französischen Corps Lebrun und dem bairischen Corps v. d. Tann. Er schlug nicht eine Schlacht bei Sedan, er schlug nur eine Schlacht bei Bazeilles und hielt, bis es zu spät war, die Vorstellung aufrecht, daß ein Sieg an letztgenanntem Orte (Bazeilles) überhaupt den Sieg bedeuten werde. Er wollte nicht den Abzug über Illy; die Frage ob ‚ausführbar oder nicht’ lag damals seiner Seele noch völlig fern; er wollte einfach siegen, und dieser Sieg, so vermeinte er, war da, wenn die Baiern in die Maas geworfen würden. In diesem Allem sprach sich eine Beschränktheit aus, seine Unfähigkeit, Großes zu umfassen; – die Schlacht war für ihn jedesmal an der Stelle, wo er persönlich stand. Er sah sich plötzlich in Verhältnisse hineingestellt, die erheblich über sein geistiges Vermögen hinauslagen; er war ein Divisionsgeneral, kein Feldherr, der Riesenschlachten schlägt. Kleine Anschauungen übertrug er auf große Dinge, afrikanische Erfahrungen auf europäische Verhältnisse. Zu verlangen war von ihm die Einsicht, daß mit dem ‚in die Maas werfen’ des I. bairischen Corps ein Entkommen auf Montmedy auch noch nicht annähernd gesichert war, zu verlangen war die Einsicht, daß hinter und neben den Baiern andere und immer wieder andere standen, die, in Front und Flanke zufassend, von seinen Durchbruchskolonnen nicht viel übrig gelassen haben würden. Aber von diesen Erwägungen scheint ihm bis zu dem Momente, wo er die Dinge leibhaftig sah, auch nicht eine gekommen zu sein. Er tappte hinein, guten Glaubens, daß er ein Auserwählter sei und mußte sich 12 Stunden später davon überzeugen, daß er nur auserwählt worden sei, eine ungeheure Niederlage zu unterzeichnen. Mit gutem Willen und Feuereifer werden keine modernen Schlachten gewonnen. Sein Fehler war gewesen, daß er geglaubt hatte, mit Gaben zweiten Ranges da auskommen zu können, wo Gaben ersten Ranges nöthig waren. Er war energisch und decidirt; zwei militärische Tugenden, wie nicht bestritten werden soll. Aber ununterstützt durch entsprechende Erkenntniß, können sie verhängnißvoll werden. An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Um 9 Uhr ritt Ducrot an ihn heran: ‚Ich komme nicht, General, um Ihnen das Commando zu bestreiten; … aber lassen Sie mich Ihnen bemerklich machen, daß ich mich seit fast anderthalb Monaten den Preußen gegenüber befinde, daß ich ihre Operationsart besser kenne, daß ich die Situation und das Terrain studirt habe und daß es mir nach Allem unzweifelhaft ist, daß der Feind Miene macht, uns einzuschließen.’ So Ducrot. Jeder empfand ein Gleiches, nur Wimpffen nicht.- So brach es denn herein.- Tapfer, patriotisch und ehrenhaft, und im Unglück sogar würdevoll und edel geartet, ist General Wimpffen nicht frei zu sprechen von dem Vorwurf, dies Unglück selbst zum größeren Theil herbeigeführt zu haben. Ein überraschender Mangel an Einsicht und ein eigensinniges Verharren im Irrthum, die beide seine Haltung am Tage von Sedan charakterisiren, haben die Katastrophe verschuldet oder doch wenigstens erst perfekt gemacht.”

Ein verständlicherweise milderes Urteil trifft vier Jahrzehnte nach dem unglücklichen Geschehen MAX FREIHERR VON WIMPFFEN (1863 – 1917), der Sohn des oben bereits mehrfach erwähnten Vetters des Sedangenerals WILHELM VON WIMPFEN, der in einem in der „Wimpfener Zeitung” veröffentlichten Brief an deren Redaktion aus Wien vom 18. September 1911 u. a. Folgendes schreibt: „Obwohl in Frankreich geboren und mit Leib und Seele Franzose hatte Felix Wimpffen seine deutsche Abstammung nicht vergessen. Er gehörte zu jener kleinen Gruppe französischer Patrioten, die von freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschen und Franzosen die gedeihlichsten Rückwirkungen auf die Entwicklung beider Völker erhoffte. Als gebildeter und tüchtiger Offizier kannte er die Kraft der deutschen Wehrmacht, wußte, daß die Franzosen militärisch den Siegern von Königgrätz nicht gewachsen waren, und sah den schlimmen Ausgang des Krieges voraus. Darin eben liegt das Tragische seines Schicksals, daß er, der Gegner dieses Krieges, im letzten Akte des Sedandramas zu einer Zeit, da die französische Armee rings umstellt und die Entscheidung bereits gefallen war, die führende Rolle übernehmen mußte. Allerdings wäre es klüger gewesen, die Vollmacht, die ihm den Oberbefehl nach Mac-Mahon übertrug, nicht geltend zu machen; ehrenvoller aber war es – wie er es tat – die Klugheit, d. h. die Rücksicht auf die eigenen Person in der verzweifelten Lage beiseite zu setzen und den Versuch einer Rettung mit der Waffe zu wagen. Als Wimpfen das Kommando übernahm, bot ein Durchbruch nach Paris dieselben Schwierigkeiten wie ein Durchbruch nach Metz. Der Durchbruch nach Metz war die dem General von der Pariser Regierung gesetzte Aufgabe und ein Vormarsch daher dem französischen Temperament mit seinem Elan gelegener als ein Rückzug nach Paris. Deshalb entschied sich Wimpffen für den Durchbruch nach Metz. Glückliche Zufälle hätten vielleicht sein Unternehmen zu einem teilweisen Erfolg führen können, die Disziplinlosigkeit höherer Offiziere ließ es aber nicht einmal zu einem durchgreifenden Versuche kommen.General von Wimpffen hat seine Pflicht erfüllt, das war auch Moltkes Urteil. Moltke, der mit der Familie Wimpffen verwandt war, hatte mit seinem Gegner besonderes Mitgefühl.”
Max von Wimpffen stellt sich also eindeutig auf die Seite seines Großvetters und somit gegen die konträre Einschätzung dessen Hauptgegners Ducrot.

Bei allem Fehler Wimpffens, sich auf den Durchbruch im Südwesten Richtung Carignan zu versteifen, ist denn doch Folgendes zu seiner teilweisen Entlastung zu sagen: Der Kardinalfehler, der die Einkreisung und Gefangennahme der Armee von Chalons bei und in Sedan provoziert hatte, war zuvor von MARSCHALL MAC-MAHON begangen worden. Dieser hatte den dort versammelten Truppen am Nachmittag des 31. August Halt geboten mit dem Ziel, diese durch ein oder zwei Tage der Rast sich erholen und reorganisieren zu lassen, anstatt diesen den Weitermarsch in Richtung Mézières nach Nordwesten zu befehlen. Hinzu kommt, dass der als „Sedangeneral” abschätzig in die Geschichte eingegangene EMMANUEL FÉLIX DE WIMPFFEN große kluge politische Weitsicht dadurch bewiesen hat, indem er bei den nächtlichen Kapitulationsverhandlungen zu Donchery dem GRAFEN OTTO VON BISMARCK die schlimmen Folgen einer Annexion von Elsass-Lothringen in Gestalt der Erzeugung neuer Feindschaft und eines neuen Krieges zum Zwecke der Rückgewinnung desselben durch Frankreich eindringlich vor Augen zu führen gesucht hat. „Nie davon reden, immer daran denken!” hieß es fortab in Frankreich, bis dann 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und der erzeugte Hass sich Bahn brach und nach seinem für Frankreich siegreichen Ende im Versailler Vertrag sich Befriedigung mit Ergebnis der Fortsetzung Todfeindschaft und des Zweiten Weltkrieges verschaffte.

g. In den Jahren seines Ruhestandes führt Emmanuel Félix de Wimpffen in mehreren veröffentlichten militärischen Schriften seiner Nation die von ihm nach der Niederlage dringendst für notwendig befundene Armeereform im Sinne der Schaffung optimaler Waffen- und Wehrstärke vor Augen.

Emmanuel Félix de Wimpffen wird im April 1872 aus seiner Militärtätigkeit als Divisionsgeneral mit einer Pension von 9.000 Francs verabschiedet und zieht sich nach Mustapha bei Algier zurück. Als Grand-Officier de la Légion d’honneur steht ihm jährlich noch der zusätzliche Genuss von 2.000 Francs zu. Über die schon genannten mit der Schlacht bei Sedan zusammenhängenden Veröffentlichungen hinaus erscheinen von ihm in der Zeit des Ruhestandes noch die folgenden weiteren militärischen Schriftwerke, die alle auf die ihm nach dem verlorenen Krieg notwendig erscheinenden Armeereformen gerichtet sind:

– La situation de la France et les réformes nécessaires, Paris 1873 (108 S.)
– La Nation armée par le Général de Division de Wimpffen, Paris 1876 (273 S.)
– L’État-major, son rôle dans l’armée, Paris 1879

Die zweitgenannte Schrift wird einige Jahre nach ihrem Erscheinen Hauptgegenstand der nachfolgend gezeigten Farb-Karikatur des „Sedangenerals”, an die des Gesichtsvergleichs wegen eine in der Bibliothéque nationale de France verwahrte Fotografie desselben sowie eine zeichnerische Darstellung (Brustbild) angeschlossen wird:

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  • Abb. V 11: Le Général de Wimpffen, Zeichnung von André Gill auf der Titelseite der literarisch-satirischen Pariser Zeitschrift „Les Hommes d’aujourd’hui” (Die Menschen von heute) Nr. 40 (des Jahres 1879), die erstrangig auf die von diesem 1876 veröffentlichte Schrift „La Nation armée par le Général de Division de Wimpffen” abhebt und eine Beischrift des Autors aufweist (veröffentlicht im Internet durch das „Centre de recherche et d’ Histoire de XIXe siècle”).

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  • Abb. V 12: Dreiviertel-Foto von Emmanuel Félix de Wimpffen in ordensgeschmückter und degenbewehrter Gala-Uniform in etwa der ersten Hälfte der 1870er Jahre, verwahrt in der Bibliothèque nationale de France.

  • Abb. V 13: Zeichnerische Darstellung des Emmanuel Félix de Wimpffen in Zivilkleidung, beschriftet mit „General de Wimpffen“, in einer in Englisch gehaltenen Darstellung der Schlacht bei Sedan unbekannten Datums.

Die Karikatur stellt dessen höchst realistisch wiedergegebenes bebartetes Haupt groß heraus, während der mit einem schwarzen Frack und einer roten Hose bekleidete Körper sich nach unten wachsend minimiert, womit dem Dargestellten ein Anstrich der Respektlosigkeit bis Lächerlichkeit gegeben ist. Die überkreuzten Hände halten in der Rechten einen fast körperhohen Säbel (Anspielung auf seinen Status des Militär) und in der Linken einen ebensolchen Federkiel (Anspielung auf seine eifrige militärschriftstellerische Tätigkeit). Durch die sich ergebende Überkreuzung der groß zur Schau gestellten beiden Symbolgegenstände Säbel und Federkiel will der Zeichner wohl verschlüsselt andeuten, dass der Abgebildete als (über)eifrig schreibender Militär für seine nach dem Abzug der deutschen Besatzung des Jahres 1873 sich mit der notwendigen Neuorientierung und Neuordnung schwer tuenden Nation durch seine Intentionen insofern „zum Kreuz” werden könnte, als dessen Appell zur Verstärkung der Waffenrüstung drohten, für Frankreich Ungemach bis Unglück heraufzubeschwören.- Die Beischrift der heutigen Herausgeber lautet bezeichnenderweise:
„Général du Second Empire avec ses victoires et ses défaites, augmentées d’une œvre d’essayiste (La Nation armée, 1876).” – Zu Deutsch: „General des Zweiten Kaiserreiches mit seinen Siegen und seinen Niederlagen, vergrößert durch ein Schriftwerk (Die waffengerüstete Nation, 1876).”
In der linken Mittelzone des Blattes ist die folgende aus der Hand des Abgebildeten stammende – sein Schriftwerk kommentierende – Anmerkung zu finden:
„Vivre au milieu des Soldats et aller à la bataille a été ma plus grande passion. Je n’ai pris la plume que pour propager mon expérience acquise par une laborieuse carrière et consacrée par de nombreux combats. Mon but est de stimuler nos organisateurs militairs, afin qu’ils fassent de la France une nation armée. Le gal (= Abkürzung für Général) de Wimpffen.”
Frei übersetzt: „Leben in der Mitte der Soldaten und in die Schlacht gehen, das ist meine größte Leidenschaft gewesen. Ich habe die Feder nicht ergriffen, um meine durch eine mühevolle Karriere erworbenen und durch zahlreiche Gefechte geweckten Erfahrungen hervorzukehren. Mein Zweck ist es, unsere Militär-Organisateure anzuregen, aus Frankreich eine waffengerüstete Nation zu machen. General de Wimpffen.”
Man sieht, dass der auf diese herabsetzende Weise der Öffentlichkeit präsentierte betagte General dem Spott nicht besser als mit der in heiligem Ernst ausgebreiteten Bekräftigung der seiner Schrift zugrundegelegten Intention der Steigerung der Wehrhaftigkeit zu begegnen versteht.

Aus der Sicht des knapp dreieinhalb Jahrzehnte später ausgebrochenen Ersten Weltkriegs erscheint sein Appell der Erziehung seiner Nation zur Wehrhaftigkeit insofern gerechtfertigt, als es Frankreichs Soldaten damals gelingt, den Orkan des Angriffs nach dem sog. Schlieffenplan über Belgien in Frankreich einbrechenden und an einen raschen Sieg glaubenden deutschen Armeen im Marne-Raum durch die Entschlossenheit, jeden Meter französischen Bodens mit Aufbietung aller Kräfte zu verteidigen, aufzuhalten und mit der Hilfe von Großbritannien und schließlich den Vereinigten Staaten von Nordamerika der Abwehr Dauer zu verleihen.

Er stirbt, ohne Kinder zu hinterlassen und nachdem seine Gattin ihm bereits 5 ½ Jahre vorausgegangen ist, in seinem Wohnsitz in Paris, Boulevard Poisonnière Nr. 28, am 25. Februar 1884 an einem Schlaganfall im Alter von 72 ½ Jahren und wird dort auf dem Friedhof Père Lachaise (division 47, angle chemin du Tertre) begraben. Die

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  • Abb. V 14: Die Büste des steinernen Grabmonuments von General Emmanuel Félix de Wimpffen

zeigt ihn, seinem Wirken und Wesen entsprechend, uniformbewehrt und ordendekoriert. Aus der Ordenspracht sticht wieder der doppelte Ordensstern des Grand Officier de la Légion d’honneur am Hals am Band und auf der Brust ins Auge. Hinter der auf einer kranzgeschmückten hohen Rundsäule stehenden Büste erhebt sich ein schmuckloser hoher Grabstein, auf dessen oberem Halbrund in großen Lettern die Inschrift „AFRIQUE – ARMÈE – ITALIE” eingelassen ist. Damit sind die Plätze seines ruhmreichen Tuns herausgestellt, nicht jedoch der Ort seiner Niederlage Sedan, der ihm besonders große, wenngleich traurige, Berühmtheit eingebracht hat. Aus seinen nachgelassenen Papieren gab Emile Corra heraus:
– „La bataille de Sedan, les véritables coupables: Histoire complète et militaire d’aprés des matériaux inédits, élaborés et coordonnés“; Paris Paul Ollendorff, 1887; in Deutsch Augsburg 1889.
Und von den nachgelassenen Papieren gab H. Galli diejenigen heraus, die sich auf seinen erfolgbringenden Einsatz im Krim- und Italienkrieg beziehen, unter dem Titel
– „Notes et correspondences de campagne: Crimée – Italie”, Paris 1892.

Natürlich konnte die da und dort sporadisch in die vorliegenden Betrachtungen einbezogene jüngste 31-seitige Untersuchung des Jahres 2012 von Jean-Pierre Allart
– „Le génerál de Wimpffen (1811 – 1884). L’autre homme des Sedan”, die Dr. Hans H. von Wimpffen wohl mit Recht als „die beste Arbeit” über diesen bezeichnet, hier nicht mehr als nur bruchstückhaft eingearbeitet werden.

Wenn nunmehr der Abschluss der Schilderung des Lebens des sog. Sedangenerals sich der Zitierung deren letzten Abschnittes bedient, so um mit des vorgenannten Autors dort ausgedrückter Wertung einherzugehen, die bereits im Titelschluss („L’autre homme de Sedan”) anklingt:
„Wenn, auch heute noch, General Wimpffen als der Mann gilt, der 1870 die Kapitulation von Sedan unterzeichnet hat, so darf man sein Dasein nicht allein auf den Tag des 1. September einschränken. Denn dieser war einer jener Militairs, die zur Kolonisation Algeriens beitrugen und der auf den europäischen Schlachtfeldern der Krim und Italiens Ruhm erwarb. Seine republikanischen Empfindungen, die jene eines aufrichtigen Menschen sind, haben ihm manche Entäuschung bereitet, und wenn er auch ein Mensch seiner Zeit bleibt, so hat er es verdient, besser bekannt zu sein.”