E. Landtags- und Gemeinderatswahlen

ZWAR WIRD DURCH DAS NEUE GESETZ DER ZUSAMMENSETZUNG DER BEIDEN KAMMERN UND WAHLEN ZUM LANDTAG DIE BEVORRECHTUNG DES HOHEN ADELS UND DER HÖCHSTEN AMTSTRÄGER NUR WENIG EINGESCHRÄNKT UND ERFOLGT DIE WAHL ZUR ZWEITEN KAMMER IMMER NOCH INDIREKT ÜBER WAHLMÄNNER; AUCH SIND NACH DER NEUEN LANDGEMEINDEORDNUNG DIE WAHLEN ZUM GEMEINDERAT DURCH DIE TEILUNG DER WÄHLBAREN IN ZWEI EINKOMMENSKLASSEN IMMER NOCH VOM KLASSENWAHLRECHT BEEINFLIUSST; ABER WENIGSTENS WIRD DER NACH WIE VOR EHRENAMTLICHE BÜRGERMEISTER – WIE SCHON FRÜHER ZU ZEITEN DER ALTEN VERFASSUNG –  VON DER BÜRGERSCHAFT UNMITTELBAR – UND ZWAR JETZT NACH ALLGEMEINEM FREIEM UND GLEICHEM WAHLRECHT – GEWÄHLT, WOBEI NACH DEM RÜCKTRITT DES DIESES AMT FAST DREI JAHRZEHNTE INNEHABENDEN BÜRGERMEISTERS FRIEDRICH ERNST DIE WAHL IN EINEN STREIT DER KONFESSIONEN AUSARTET, DER SICH DANACH TROTZ DER BEENDIGUNG DES SOG. KULTURKAMPFES IN FORM FORTWÄHRENDER AUSEINANDERSETZUNGEN ZWISCHEM DEM KATHOLISCHEN PFARRER UND DEN PROTESTANTISCHEN GEISTLICHEN ÜBER JAHRZEHNTE FORTSETZT.

  1. Während bei den Wahlen zum Landtag einerseits bezüglich des Wahlrechts keine Einschränkungen mehr bestehen, bleibt andererseits die Indirektheit der Wahl sowie das Bevorrechtungen erhaltende Zweikammer-System und die Abhängigkeit der Wählbarkeit zum Wahlmann von der Höhe des Steueraufkommens bestehen.

Hinsichtlich der Neubestimmung des Wahlrechts der Landes- und Gemeindegremien ist zunächst das Gesetz vom 8. November 1872 zu nennen, das die Wahl und Zusammensetzung der beiden Landständischen Kammern zwar modifizierte, jedoch das Zweikammer-System aufrecht erhielt. Nach wie vor (darüber siehe in Band 2, S. 543 – 545) blieb die Mitgliedschaft in der Ersten Kammer von der allgemeinen Wählbarkeit ausgeschlossen und dem hohen Adel sowie den hohen Amtsträgern vorbehalten:
– den Prinzen des Großherzoglichen Hauses,
– den Häuptern der standesherrlichen Familien,
– dem katholischen Landesbischof oder Stellvertreter,
– einem vom Großherzog bestimmten evangelischen Geistlichen, – – – dem Kanzler der Landesuniversität Gießen,
– zwei aus der Mitte des eingesessenen Adels mit großem  Grundeigentum (mit mindestens 1.200 fl = 2.057 Mark gezahlter Grundsteuer) gewählten Abgeordneten,
– schließlich vom Großherzog berufenen ausgezeichneten Staatsbürgern.

Was die Zweite Kammer betrifft, so blieben weiterhin acht der alten Städte Hessens privilegiert, in diese 10 eigens von ihnen gewählte Abgeordnete zu schicken. Ein gewisser Fortschritt war es, dass in dieser die früheren 6 Sitze des Adels wegfielen und dafür von den nicht „begabten“ Städten und Landgemeinden statt früher 34 jetzt 40 Abgeordnete in sogenannten Einmann-Wahlbezirken gewählt werden konnten. Davon kamen – entsprechend diesen Wahlbezirken – 17 aus der Provinz Starkenburg, 13 aus der Provinz Oberhessen und 10 aus der Provinz Rheinhessen. Der Landgerichtsbezirk Wimpfen, bestehend aus den Gemarkungen Finkenhof, (dem hessischen Teil von) Helmhof mit Forstbezirk, Hohenstadt, (dem hessischen Teil von) Kürnbach, Wimpfen am Berg, Wimpfen im Tal und Zimmerhöfer Feld, bildete innerhalb der Provinz Starkenburg zusammen mit den Landgerichtsbezirken Beerfelden (mit Ausnahme von Hüttenhal) und Hirschhorn den Ersten Wahlbezirk (1. Wahlbezirk: „Wimpfen-Neckarsteinach-Hirschhorn-Beerfelden“). Dazu kam, dass die Abgeordneten in allgemeiner, freier und gleicher Wahl auf sechs Jahre gewählt wurden. Doch sollte die Zweite Kammer alle drei Jahre (gültig allerdings nur bis 1875) in der Weise teilweise erneuert werden, dass, durch das Los bestimmt, die Hälfte auszutreten hatte und durch Neuwahl ersetzt wurde. Die Wahl der Abgeordneten der Zweiten Kammer erfolgte jedoch wie zuvor mittel- und nicht unmittelbar, nämlich in zwei Stufen:

1. Stufe = Urwahl: Die mit dem allgemeinen und freien Walhlrecht begabten männlichen Staatsbürger ab 25 Jahren waren die sog. Urwähler. Als solche wählten diese die aus ihrer Mitte genommenen Bevollmächtigten, die sog. Wahlmänner. Die Zahl der zu wählenden Wahlmänner richtete sich nach der „Seelenzahl“ der jeweiligen Gemeinde; ab 250 – 500 Seelen ein Wahlmann, für jede weiteren 500 Seelen ein weiterer Wahlmann. Wimpfen mit seine Teilorten stellte bei seiner Einwohnerzahl von zwischen 3.000 und 2.500 (1871: 2.916, 1875: 2.940) zunächst fünf, später (1880: 3.178, 1885: 3.261, 1890: 3.165, 1895: 3.189, 1907: 3.195) sechs Wahlmänner.

2. Stufe = Wahlmännerwahl: Die Wahlmänner wählten die Abgeordneten. Gewählt war, wer mehr als die Hälfte der Zahl der Wahlmänner (= absolute Mehrheit) erreichte. Im anderen Falle war eine Nachwahl nötig, bei der die einfache Mehrheit entschied. Hinsichtlich der Wählbarkeit war gegen das Gleichheitsprinzip insofern verstoßen, als zum Wahlmann nur gewählt werden konnte, wer mindestens 40 fl (68,57 Mark) an direkter jährlicher Steuer entrichtete.

Die erste nach dem neuen Gesetz durchgeführte Wahlmännerwahl zum XXI. Landtag des Jahres 1872 erbrachte das folgende Ergebnis: Von den nur 122  abgegebenen Stimmen, was bei rund 600 Stimmberechtigten nicht mehr als 20,3 % entspricht) fielen die meisten auf die folgenden Gewählten:

PHILIPP BORNHÄUßER (Ökonom) 22,
WILHELM LUDWIG VÖRG (Fabrikant und Kaufmann) 19,
CHRISTOPH MÜNCH (Bäcker) 16,
DR. EMIL MÖRIKE (Apotheker) 13 und
CARL LINK (Kaufmann und Fabrikant) 9 Stimmen.

Ganz im Gegensatz zu den Reichstagswahlen des Vorjahres war demnach das Wahlinteresse und die Wahlbeteiligung bei dieser antiquierten Art der Wahl extrem gering. Weiteres, so vor allem das Ergebnis der sog. Wahlmänner-Wahl (2. Stufe) im Wahlbezirk, sowie über die nachgefolgten Wahlen zum XXII. (1875) und XXIII. Landtag (1878) usw. ließ sich trotz der Nachfrage beim Stadtarchiv Bad Wimpfen nach evtl. vorhandenem Aktenmaterial nicht in Erfahrung bringen. Was sich diesbezüglich schließlich erst im Jahr 1887 in der „Wimpfener Zeitung“ finden lässt, das ist die für Wimpfen bedeutsame Tatsache, dass bei der am Mittag des 2. August des genannten Jahres stattgefundenen Wahl der Wahlmänner zum XXVI. Hessischen Landtag der Wimpfener Rentner WILHELM LUDWIG VÖRG zum Abgeordneten des 1. Wahlbezirks Wimpfen-Neckarsteinach-Hirschhorn-Beerfelden gewählt worden ist. Sein für seinen Heimatort denkwürdiger Einzug in das Ständehaus als Abgeordneter der Zweiten Kammer der durch das gesamte Kaiserreich ununterbrochen die Spitze einnehmenden Nationalliberalen war leider nur von kurzer Dauer. Denn er starb bereits am 9. Januar des Folgejahres 1888 im Alter von erst 55 Jahren. Hier sei zur Würdigung dessen in herausragender Weise in und für Wimpfen tätig gewesenen Persönlichkeit der Text des von der „Wimpfener Zeitung“ am 12. Januar 1888 unter der Rubrik „Lokales“ zu dessen plötzlichem Tod erfolgten Berichts gegeben:[1]

Aus der Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde erfahren wir noch, dass Vörg bei der im vorgenannten Bericht erwähnten Heilbronner Freimaurer-Loge die Funktion des Almonseniers (Verwalter der Almosen) innegehabt hat und der Vorstand derselben bei der am 11. Januar 1888 erfolgten Beerdigung unter Worten der Anerkennung seiner Verdienste ihm einen Palmzweig, das Symbol der Freimaurer, auf das Grab gelegt habe. Über die im obigen Zeitungsbericht erwähnten herausragenden beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie Mitgliedschaften bei Vereinen der 1870er und 1880er Jahre hinaus hatte Vörg in Wimpfen sich als zeitweiliger Gemeinderat (siehe unten) und zuvor schon in den 1860er Jahren als Gastwirt im „Ritter“ einen Namen gemacht und war wegen seines nachhaltigen Eintretens für den Eisenbahnbau resp. der Platzierung des Bahnhofs in nächster Nähe seines Gasthofes ins Gerede gekommen (siehe Band 2, S. 610/611). Knapp zwei Jahre vor seinem Tod waren anlässlich seines bevorstehenden Abschieds nach Heilbronn wegen Übernahme des dortigen vielgerühmten Gasthofs „Harmonie“ als Pächter am 21. Februar 1878 die Feuerwehr und der Gesangverein, gefolgt von einen großen Menschenmenge, mit Musik, Lampions, Fackeln zu seinem Wohnhaus gezogen und hatten ihm mit Gesang, Ansprachen und Hochrufen einen würdigen Abschied bereitet. Und im Saale des „Ritter“ hatten ihm danach die versammelten Beamten, bürgerlichen Kollegien und Einwohner einen mit weiteren Ansprachen, Gesängen, Hochs sowie Tanzunterhaltung bis in die Morgenstunde hinein gegangenen Abschiedsabend bereitet. An späterer Stelle werden wir ihn auch noch anlässlich der Schilderung seiner Festrede bei der Fahnenweihe des 1874 gegründeten Kriegervereins u. a. m. als glühenden Verehrer von Kaiser, Reich und Vaterland sehen.

  1. Die Wahlen zum Gemeinderat geben durch die Teilung der Wählbaren in zwei (nicht mehr drei) Steuerzahlungs-Klassen den Stimmen der Vermögenderen immer noch mehr Gewicht als den Weniger- oder Nicht-Vermögenden.

Elementarer als von der Modifikation der Zusammensetzung sowie des Wahlmodus der Landstände des Großherzogtums Hessen nach der Reichsgründung sowie der Landtagswahlen als solchen fühlte sich Wimpfen von der 1874 verabschiedeten neuen Städte- und der Landgemeinde-Ordnung berührt. Zwar galt die Städteordnung erstrangig nur für die Gemeinden ab 10.000 Einwohnern. Doch konnte diese auch für solche ab 3.000 Einwohnern auf Antrag des Ortsvorstandes und gutachtlicher Anhörung des Kreistages Gültigkeit erlangen. Da die Einwohnerzahl Wimpfens und seiner Teilorte zur Zeit der Verabschiedung derselben knapp unter dieser Grenze (siehe die obigen Einwohnerahlen) lag, war abzusehen, dass binnen kurz oder lang diese Zahl erreicht und somit evtl. die Möglichkeit der Einführung der Städteordnung gegeben sein würde. Zunächst stellte sich jedoch die Frage einer Umstellung nicht und galt, was die Zusammensetzung des Gemeinderates betrifft, die landgemeindliche Bestimmung, dass Gemeinden unter 3.000 Seelen neun Gemeinderäte zustehen, was aber bald durch Wiederansteigen der Einwohnerzahl über 3.000 die Zahl von zwölf solchen nach sich zog. Das diesbezügliche Wahlrecht stand nach wie vor allen grund-, gewerb- oder, seit 1870, einkommensteuerpflichtigen Ortsbürgern zu, außerdem allen männlichen weiteren seit zwei Jahren Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde gewährten Einkommensteuerpflichtigen (und zwar ohne Einschränkung im Gegensatz zu vorher, wo wenigstens 40 fl jährliches direktes Steueraufkommen verlangt war).

Somit gab es hinsichtlich des Wahlrechts für den Gemeinderat keinerlei Einschränkungen mehr, es sei denn, es bestanden Rückstände bei der Zahlung der Staats- oder Kommunalsteuer. Deshalb wurden die Wähler vor einer Gemeinderats-Wahl über die Zeitung ersucht, der Wahlkommission ihre Steuerquittung vorzuzeigen. Was die Wählbarkeit betraf, kam jetzt die bisherige Anwendung des reinen Dreiklassenwahlrechts (siehe dazu in Band 2 die S. 362 – 375) zu Fall. Allerdings musste die Hälfte des Gemeinderates bzw. mussten im Wimpfener Fall von den neun Gemeinderäten fünf aus dem höchstbesteuerten Drittteil der Wählbaren gewählt werden, d. h. es bestand bezüglich der Wählbarkeit immer noch ein gewichtiger Rest Ungleichheit, wodurch die Zusammensetzung der Gemeindevertretung zugunsten der vermögenderen Klassen verschoben blieb (Zensuswahlrecht). Bei der ersten Wahl nach Inkrafttreten der neuen Landgemeindeordnung im September 1874 gehörte zum höchstbesteuerten Drittel der Wahlberechtigten, wer monatlich 46 kr (jährlich 552 kr = 9 fl 12 kr = 15,77 Mark) und mehr direkte Steuer zahlte. Die Wahl des Gemeinderats erfolgte auf neun Jahre. Jedoch hatte (ähnlich wie zuvor) bei der ersten auf Grund des Gesetzes stattfindenden Wahl sowie bei einer infolge einer Auflösung eintretenden Neuwahl alle drei Jahre, bestimmt durch Los, ein Drittteil aus dem Gemeinderat auszuscheiden und wurde durch neue Wahlen ersetzt, wobei jedoch abtretende Gemeinderatsmitglieder wieder gewählt werden konnten.[2]

Mitte September 1874 fand die erste Gemeinderatswahl auf der Basis dieser neuen Wahlbestimmungen statt.

Der bisherige Gemeinderat war zusammengesetzt aus:

DR. EMIL MÖRICKE (Apotheker),
CARL LINK (Kaufmann und Fabrikant),
FRIEDRICH EHEBALDT (Spengler),
CHRISTIAN MAYER (Ochsenwirt),
FRIEDRICH KLENCK (Ökonom, Rosenwirt),
CHRISTOPH MÜNCH (Bäcker),
WILHELM VÖRG (Fabrikant),
PHILIPP BORNHÄUßER (Ökonom),
FRIEDRICH RÜBLING (Ackersmann, Hospitalgutpächter),
FRIEDRICH MISSELBECK (Sattler),
FRIEDRICH MUCKH (Kaufmann),
MATHEUS KÜNTZEL (Privatier).

Als neue Gemeinderäte wurden gewählt:

DR. EMIL MÖRICKE (Apotheker), 158 Stimmen,
FRIEDRICH KLENCK (Ökonom), 157 Stimmen,
CARL LINK (Fabrikant), 153 Stimmen,
PHILIPP BORNHÄUßER (Ökonom), 145 Stimmen,
WILHELM VÖRG (Fabrikant), 128 Stimmen,
JAKOB KLENK (Ackersmann), 96 Stimmen,
LUDWIG DIERUFF (Schmied), 92 Stimmen.
CHRISTOPH MÜNCH (Bäcker), 90 Stimmen,
WILHELM METZGER (Privatier), 77 Stimmen.

Sechs der gewählten neun Gemeinderäte waren demnach bereits im vorhergehenden Gemeinderat zu finden. Und die fünf gewählten Wahlmänner der Landtagswahl von 1872 sind auch hier alle vertreten.

Drei Jahre später, ausgangs Oktober 1877, findet die notwendige dreijährige Gemeinderats-Ersatzwahl für die jetzt durch Los ausscheidenden drei Gemeinderäte, dazu für den durch Wegzug ausgeschiedenen Gemeinderat WILHELM VÖRG statt. Es werden gewählt:

FRIEDRICH KLENK (Rosenwirt), der dem 1871 abgelösten Gemeinderat angehört hat;
KARL LINK (Kaufmann und Fabrikant), der nach Ausscheiden wiedergewählt wird;
JAKOB MAISENHÄLDER (Bäcker), Neuling;
CHRISTOPH MÜNCH (Bäcker), ebenfalls nach dem Ausscheiden wiedergewählt.

Vor dieser Wahl findet sich in der Zeitung eine mit dem 22. April datierte Leserzuschrift, in der Klage über die örtliche Praxis der Festlegung der Steuerzahlung geführt wird, die – abgesehen von der finanziellen Belastung – vom Wahlverfahren des Gemeinderats her besondere Bedeutung besaß:

„Es ist eine eigentümliche Art und Weise, wie von der Stadt die Einschätzung der Steuer vorgenommen wird: Frischweg durch Taxation, ohne zu fragen. … Der deutsche Reichsbürger erfreut sich gegenwärtig einer fortwährend fortschreitenden Steuerbelastung, während leider täglich die Geschäfte schlechter gehen. Da ist es doch nicht unbescheiden, wenn der oder Jener auch wissen möchte , warum er diese oder jene Summe zahlen muß und die Behörde würde sich nichts vergeben, wenn sie eine befriedigende Erklärung gäbe.“

Im Herbst 1880 vor der Gemeinderats-Ersatzwahl finden sich viele Wahlaufrufe und -vorschläge in der Zeitung. Von den 601 Wahlberechtigten stimmen dennoch nur 192 Wähler ab. Es werden bei der Mitte November stattfindenden Wahl gewählt:

EMIL GROß (Geometer),
HEINRICH BECK (Rentner, ehem. Ökonom) und
JAKOB BETSCH (Müller Hohenstadt).

Von verschiedenen Wählern werden wegen angeblicher Formfehler beim Kreisausschuss Reklamationen vorgebracht. Somit kommt es im März 1881 zu einer erneuten Wahl, der eine Wählerversammlung vorausgeht und bei der von 626 Stimmberechtigten immerhin 473 abstimmen. Es scheiden aus: CHRISTOPH MÜNCH, JAKOB KLENK und PHILIPP BORNHÄUßER und es werden gewählt und damit der Letztgenannte wiedergewählt und wird die Wahl der obig beiden Erstgenannten bestätigt :

PHILIPP BORNHÄUßER,
EMIL GROSS,
HEINRICH BECK.

Dass bei den Gemeinderatswahlen es auch Unmutsäußerungen seitens der durch den weiten Weg zum Wahllokal auf dem Rathaus benachteiligten Einwohner der Teilorte, Standesgeplänkel, Rivalitäten etc. gab, zeigt die Zuschrift an die Zeitung vom 13. März 1881:
„Wimpfen im Tal. Danksagung und Erwiderung. Dem verehrten Herrn Neckarmüller Goos sprechen wir hierdurch für seine Güte, mit der er uns bei der letzten Gemeinderatswahl sein Fuhrwerk zur Verfügung stellte, unseren herzlichen Dank aus. Dagegen können wir unseren Unwillen und unsere Entrüstung über jenen Mann nicht unterdrücken, welcher über uns sagte: ‚Früher fuhren die Edelleute sechsspännig und jetzt die Bettelleute!’ Wenn wir auch in Bezug auf unsere Vermögensverhältnisse uns nicht mit ihm vergleichen können, so glauben wir gerade, ihn deshalb auf das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus verweisen zu dürfen, wo der reiche Schlemmer, der im guten Essen und Trinken und wohl auch als erster Liebhaber Außergewöhnliches geleistet hat, doch zuletzt beim armen Lazarus um einen Wassertropfen bettelte. Sämtliche Bettelleute vom Tal, die gewählt haben.“
Am 16. November 1881 kommt es wegen Austritts von WERKMEISTER DEPREZ und des Todes des KAUFMANNES UND GEMEINDERATES SEIT 1849 FRIEDRICH MUCKH zu einer notwendigen Ersatzwahl. Dieser geht eine lebhafte Wahlpropaganda voraus, bei der die Wähler aufgefordert werden, „ihre Stimme auch für solche Männer abzugeben, die für den mittleren und geringeren Stand ein warmes Verständnis zeigen … wir machen bei dieser ernsten Angelegenheit auf Männer aufmerksam, die auch für die arbeitende Klasse zu sorgen sich bemühen und schlagen deshalb vor … J. Angelberger, Maurermeister, Albert Münch, Gerber. … Gebt eure Stimme nur solchen Männern, denen ihre Wahl auch höheren Orts bestätigt werden kann.“ Es wurden bei 630 Wahlberechtigten 326 Stimmen abgegeben. Doch bleibt der Aufruf  letztlich erfolglos; denn die zwei Gewählten, nämlich

EMIL MÜLLER (Grünebaumwirt) und
JAKOB KLENK (Landwirt),
sind ziemlich vermögende Leute.

Doch wird diese Wahl ausgangs Mai 1882, weil Bestechungen vorgekommen sind, in einer Sitzung des Kreisausschuses für ungültig erklärt. Sicherlich stellte auch die Trennung der Bewerber in zwei Vermögensgruppen und die dem höchstbesteuerten Drittteil zugestandenen fünf Sitze gegenüber den vier Sitzen der Minderbesteuerten sowohl ein Hemmnis für die Realisierung obiger Forderung als auch eine ständige Quelle für Wahleinsprüche und behördliche Ungültigkeitserklärungen dar. Der Bürgermeister hatte jederzeit die nötigen Bestimmungen zur Ergänzung der geforderten Zahl von Höchstbesteuerten zu treffen. So ergab sich ausgangs November 1883 wieder die folgende Situation: Es sind sieben Gemeinderatsmitglieder zu wählen, wovon fünf aus dem höchstbesteuerten Drittel der Einwohner sein müssen. In einem Wahlaufruf in der Zeitung wird ohne Namensnennung dafür geworben, als Wähler der Verantwortung der Wahl von mehr als der Hälfte des Gemeinderates nachzukommen, unparteische und unabhängige Männer mit eigener Meinung und selbständiger Handlungsbereitschaft zu wählen, nichts auf Versprechungen, Wirtshauspolitik und blinden Gehorsam zu geben. „Wir brauchen Männer, die recht sind und diese Männer kennt Ihr. Laßt Euch nicht von solchen leiten, die im Siegestaumel einst gesagt haben: ‚Und wenn wir Runkel und Hartwick aufstellen würden, sie gingen durch.’“ (Bei den Vorgenannten namens Runkel und Hartwick handelte es sich um zwei legendsär gewordene Tunichtgute!). Von 604 Stimmberechtigten geben jedoch nur 282 ihre Stimme ab. Gewählt werden:

  1. GOTTLIEB BETSCH (Landwirt in Hohenstadt) 209 Stimmen,
  2. LUDWIG DIERUFF (Schmiedemeister)190 Stimmen,
  3. EMIL MÜLLER (Baumwirt) 160 Stimmen,
  4. HEINRICH HEUERLING (Kaufmann) 141 Stimmen,
  5. WILHELM BECK (Landwirt im Tal) 129 Stimmen,
  6. JEAN GOOS (Neckarmüller) 125 Stimmen,
  7. JAKOB KLENK (Landwirt) 120 Stimmen.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Wahlbeteiligung der gering- und unvermögenden Einwohner in der Regel entschieden geringer gewesen ist als die der Einkommens- und Vermögensstarken, wozu die vom „Zweiklassen-Wahlrecht“ her gegebene Bevorrechtung der Letztgenannten wesentlich dazu beigetragen haben dürfte. Aus einer Besteuerungsliste des Jahres 1888 geht z. B. hervor, dass die unterste Grenze der Zugehörigkeit zum höchstbesteuerten Drittel, zu dem rd. 200 der rd. 600 Steuerzahlenden gehörten, jetzt bei einer Steuersumme von rd. 50 Mark pro Jahr lag. Salinearbeiter und Taglöhner, die mit nur um die 15 Mark oder weniger eingeschätzt waren, lagen weit darunter.

Dass die in der Regel geringe Wahlbeteiligung allerdings nicht allein den Wahlberechtigten und dem Wahlverfahren, sondern z. T. auch den Mitgliedern des Gemeinderates bzw. den Kandidaten anzulasten war, zeigt diejenige vom 22. November 1886, in der vier Mitglieder, davon zwei aus dem höchstbesteuerten Drittel, zu wählen waren. Eine im Gasthaus „Anker“ im Tal auf 19. November, abends 8 Uhr, ausgeschriebene Wählerversammlung war, wie die Zeitung berichtet, gut besucht, doch erschien aber niemand zur Mitteilung eines Wahlprogramms oder dergleichen, worüber man sich ungehalten äußerte. Zur Wahl erschienen nur 165 Wähler, obgleich in der Zeitung, wie die hier angeschlossenen Wahlvorschläge etc. zeigen, tüchtig geworben worden war:

Es erhielten die meisten Stimmen, wovon die vier Erstgenannten gewählt waren:

KAUFMANN CARL LINK (wiedergewählt mit 147 Stimmen),
KAMMMACHER FRIEDRICH FEYERABEND (130 Stimmen),
LANDWIRT WILHELM ANGELBERGER (94 Stimmen),
BÄCKER UND WIRT PHILIPP SCHMITT (90 Stimmen),
METZGER JOHANN KAUFMANN (65 Stimmen),
RENTNER WILHELM VÖRG (41 Stimmen).

Eine „sehr lebhafte Beteiligung“ mit 424 Wählern von 624 Wahlberechtigten weist die am 26. Juli 1889 durchgeführte nächste Gemeinderats-Ergänzungswahl auf. Es sind fünf Räte zu wählen und es bildet sich nach angeblichen Schmähungen und Beleidigungen sowie Wahlagitation per Flugblätter im bürgerlichen Stammlager eine Front, welche die Wiederwahl der aus dem Gemeinderat ausscheidenden Nicht-Bürger, nämlich GEOMETER EMIL GROß, Parteigänger der als zu liberal verschrieenen Deutsch-Freisinnigen, und NECKARMÜLLER JEAN GOOS, zu verhindern sucht. Wie der angefügte Zeitungstext über das Wahlergebnis zeigt, erreichen die beiden Vorgenannten mit 154 bzw. 112 Stimmen in der Tat nur den 6. und 7. Rang und wird ihr Wiedereinrücken somit verhindert:

Es sind also gewählt :

RENTNER (EHEMALIGER ÖKONOM) HEINRICH BECK mit 360,
KAUFMANN JULIUS ERNST mit 287,
SEIFENSIEDER CARL SCHWENZER mit 253,
KAUFMANN WILHELM KÜNTZEL mit 210 und
OCHSENWIRT HEINRICH MAYER mit 158 Stimmen.

Was die von der Zeitung aufgeführte erhebliche Zahl weiterer Einwohner anbelangt, die sehr viel weniger Stimmen von 38 bis hin von nur zwei oder gar nur einer erhielten, so zeigt sich hier die Realität der in der Regel weiten Stimmenstreuung, die bei all den anderen zuvor vorgestellten Wahlergebnissen der Einfachheit halber nicht aufgeführt ist. Am 23. September 1890, also zwei knappe Monate nach dieser Wahl, wird gemeldet, dass die gestrige auf 4 Uhr anberaumte Gemeinderatssitzung beschlussunfähig war, weil die Gemeinderäte nicht in hinreichender Zahl erschienen seien!

Laut der in der Spitze des Blauen Turmes aufgefundenen Urkunde vom 20. August 1891 bestand der Gemeinderat damals aus folgenden Personen:

KARL LINK, Wimpfen am Berg,
LUDWIG DIERUFF, Wimpfen am Berg;
HEINRICH BECK, Wimpfen am Berg;
EMIL MÜLLER, Wimpfen am Berg;
HEINRICH HEUERLING, Wimpfen am Berg;
PHILIPP SCHMITT, Wimpfen am Berg;
JULIUS ERNST, Wimpfen am Berg
KARL SCHWENZER, Wimpfen am Berg;
HEINRICH MAYER, Wimpfen am Berg;
WILHELM ANGELBERGER, Wimpfen im Thal;
GOTTLIEB BETSCH, Hohenstadt.

Am 22. September 1892 ist die Wahl von fünf Gemeinderatsmitgliedern fällig. Es geht keine besondere Agitation voraus. Von den 560 eingeschriebenen Wählern haben bis 12 Uhr nur 75 abgestimmt, aber im Laufe des Nachmittags wird es lebhafter, doch kommen nur 213 Abstimmende (42,6 %) zusammen, die eine große Stimmenzersplitterung erbringen.

Wiedergewählt werden:

KAUFMANN HEINRICH HEUERLING,
SCHMIED LUDWIG DIERUFF,
BAUMWIRT EMIL MÜLLER.

Neu gewählt werden:

NECKARMÜLLER JEAN (JOHANN HEINRICH) GOOS und
LANDWIRT CHRISTOPH STAUDT, Hohenstadt.

Ähnlich fällt die Wahlbeteiligung bei den Ergänzungswahl vom 20. August 1895 aus, wo von den 550 Wahlberechtigten 234 (42,5 %) abstimmen;

wiedergewählt werden:

LANDWIRT WILHELM ANGELBERGER sowie
GEOMETER EMIL GROß und

neu gewählt werden:

KAUFMANN OTTO MUCKH sowie
KAUFMANN UND FABRIKANT OSKAR LINK.

  1. Das jetzt nicht mehr behördlicherseits bestimmte, sondern wieder durch Wahl besetzte Amt des Bürgermeisters bleibt laut neuer Landgemeindeordnung ein unbesoldetes Ehrenamt, in dem sich der seit mehr als einem Dutzend Jahren amtierende Kaufmann Friedrich Ernst weiterhin anderthalb Jahrzehnte lang behaupten kann und nach dessen Abtreten aus Gesundheitsrücksichten der vermögende Ökonom Philipp Bornhäußer sich gegen den katholischen Gegenkandidaten Kaufmann Heinrich Heuerling durchsetzt.

a. Bei der nach der neuen Landgemeindeordnung 1874 durchgeführten Wahl des Bürgermeisters wird der bislang behördlicherseits bestimmte und seit 1861 im Amt befindiche Kaufmann Friedrich Ernst unangefochten, ohne einen Gegenkadidaten zu haben, bestätigt.

Der Umstand, dass, wie bereits beschrieben, für Wimpfen als kleine Gemeinde mit unter bzw. wenig über 3.000 Einwohnern zunächst unabdingbar die Landgemeindeordnung gültig war, brachte es mit sich, dass das Amt des nunmehr durch Wahl für die Dauer von neun Jahren und nicht mehr durch die hessischen Behörden bestimmten Bürgermeisters nach wie vor laut Artikel 33 ein Ehrenamt blieb. Danach hatte dieser und hatten auch die zu wählenden Beigeordneten, die den Bürgermeister bei seinen Amtsgeschäften zu unterstützen und zu vertreten hatten, „weder Befreiung von Lasten, die auf dem Vermögen haften, zu genießen, noch Besoldung zu beziehen, noch Diäten für Geschäfte der Bürgermeisterei … zu empfangen“. Erst ab einer Einwohnerzahl von 5.000 oder wo besonders verwickelte Verhältnisse des Gemeindevermögens die unausgesetzte Tätigkeit des Bürgermeisters in Anspruch nahmen, wurde es dem Gemeinderat erlaubt, diesem im Budget „Repräsentationskosten“ zum persönlichen Gebrauch zur Verfügung zu stellen. Stimmberechtigt waren alle unbescholtenen und ihren Steuerverpflichtungen nachkommenden männlichen Einwohner ab 25 Jahren. Das Wahlergebnis bedurfte der Bestätigung der Aufsichtsbehörde.

Für den im September 1874 gewählten neuen Gemeinderat (siehe oben) sowie auch die überwiegende Mehrzahl der Einwohnerschaft war es unbestritten, dass das seit 1861 von KAUFMANN FRIEDRICH ADOLPH ERNST versehene und jetzt durch Wahl zu besetzende Amt des Bürgermeisters in dessen Händen bleiben sollte. Siehe dazu die

  • Abb. E 1: Fotografie des Bürgermeisters Friedrich Ernst (1813 – 1890).[3]

Unter dessen Regie hatte Wimpfen insbesondere 1869 den Anschluss an das Eisenbahnnetz erlangt. Und so gab es keinerlei sichtbare Regungen, einen Gegenkandidaten aufzustellen und somit auch keinen Wahlkampf. Der auf einen Dienstag (10. September 1874) gelegte Wahltag und die Wahl als solche, die auch für die Wahlberechtigten der Teilgemeinden, alter Gewohnheit folgend, im Rathaus als einzigem Ort der Wahl stattfand, verlief laut Bericht der Zeitung wie folgt (Einschiebungen in Klammer = Anmerkungen des Verfassers):

Bürgermeisterwahl. Gestern fand unter ziemlich reger Betheiligung die Wahl des Bürgermeisters statt, denn nicht nur die hiesigen Wähler, sondern auch diejenigen aus Hohenstadt und Helmhof hatten sich zahlreich eingefunden; die Bürger unseres Bezirks haben bewiesen, daß sie Verdienst zu schätzen wissen. Unser seitheriger Bürgermeister, der seit 1861 dieses Amt in Treue und Gewissenhaftigkeit begleitete, ist wieder aus der Wahlurne hervorgegangen. Von 176 Abstimmenden (das waren noch keine 30 % der Wahlberechtigten; mit der Wahlbeteiligung war es also keineswegs so gut bestellt!) erhielt er 174 Stimmen, zwei vertheilten sich auf zwei Gemeinderathsmitglieder. Nach Bekanntwerden der Wahl setzte sich Abends 7 Uhr ein Zug in Bereitschaft, voraus die Tamboure der Feuerwehr, dann die Feuerwehr selbst mit Fackeln, der Gesangverein Cornelia und der Kriegerverein; außerdem schloß sich noch ein großer Theil der übrigen Bürgerschaft an, denn Jedermann wollte zeigen, daß er unsern Herrn Bürgermeister hochschätzte. Bei Ankunft des Zuges am Hause des Herrn Bürgermeisters (Gebäude Obere Hauptstraße Nr. 58, ab 1895 Nr. 65, heute Nr. 78 , dessen Hausinschrift „18 J Fr E 22“ auf dessen Vater, den Färber Johann Friedrich Ernst, hindeutet) hielt der Hauptmann der Feuerwehr eine kurze Ansprache und brachte ein Hoch, begleitet von Ehrensalven, auf den wiedergewählten Bürgermeister aus, worauf der Gesangverein einige Lieder vortrug. Damit schloß der Tag, der jedem Wimpfener noch lange in Erinnerung sein wird.“[4]

Bürgermeister Ernst standen zur Seite: der seit 1851 tätige GEMEINDE-EINNEHMER (auch: GEMEINDERECHNER genannt) LUDWIG WELDE (59 Jahre) und RATSSCHREIBER (auch: BÜRGERMEISTEREIGEHILFE geheißen) HEINRICH WIDMANN (48 Jahre) sowie AKTGEHILFE JOHANN FRIEDRICH SCHMIDT (42 Jahre). Am 7. Juni 1873 tritt LUDWIG HIMMELREICH als Gemeindediener in den Dienst der Stadt, der nach über 50-jähriger Tätigkeit erst 1924 ausscheidet.

Was die wie früher zu wählenden Beigeordneten anbelangt, die den Bürgermeister bei seinen Amtsgeschäften zu unterstützen hatten, so musste in jeder der zur Bürgermeisterei gehörenden Gemeinde, in welcher der Bürgermeister nicht wohnte, mindestens ein solcher vorhanden sein. Ihre durch Ortsstatut zu bestimmende Zahl wurde wieder auf vier festgelegt, d. h. dass neben Wimpfen im Tal, Hohenstadt und Helmhof auch Wimpfen am Berg, dem Wohnort des Bürgermeisters, ein Beigeordneter zugesprochen war. Als solche sind (Angaben nur sporadisch) z. B. zu ermitteln:
1874: Kaufmann FRIEDRICH MUCKH (für Wimpfen am Berg), JOHANN CHRISTOPH MAIER (für Hohenstadt); 1875 gewählt AUGUST MÜßIG (für Wimpfen im Tal), 1976: wieder FRIEDRICH MUCKH (für Wimpfen am Berg) und Landwirt WILHELM BECK (für Wimpfen im Tal), wieder JOHANN MAIER (für Hohenstadt) und FRIEDRICH HAFFELDER I. (für Helmhof). Im Januar 1881 stirbt KAUFMANN FRIEDRICH MUCKH, der sich als Gemeinderat (seit 1849), Beigeordneter (für Wimpfen am Berg) und im Vereinsleben der Stadt sowie als Stellverteter des Bürgermeisters ganz besonders verdient gemacht hat, als ein hochgeachteter Mann. Sein Nachfolger im Beigeordneten-Amt wird der ehemalige APOTHEKER DR. EMIL MÖRICKE. In Helmhof stirbt am 23. Januar 1881 der BEIGEORDNETE FRIEDRICH HAFFELDER. An seiner Stelle tritt durch Wahl PHILIPP RÜGLER.[5]

Laut der in der Spitze des Blauen Turmes aufgefundenen Urkunde vom 20. August 1891 übten damals dieses Amt aus:

BEIGEORDNETER DR. MOERIKE hier
(d. h.: Wimpfen am Berg),
BEIGEORDNETER ROHSBACH im „Thal“,
BEIGEORDNETER SCHMIDT, Hohenstadt,
BEIGEORDNETER RÜGLER, Helmhof.

b. Bürgermeister Friedrich Ernst gewinnt 1884 die angestrebte Wiederwahl überlegen gegen den vom „Proletariat“ unterstützten Geometer Groß, muss aber nach fünf weiteren Jahren altershalber vorzeitig von seinem Amt zurücktreten.

Nachdem durch die Einführung des Standesamtes die Belastung des Bürgermeisters zugenommen hatte, wurde vom Gemeinderat die Zahlung ab 1. Januar 1876 von jährlich 2.000 Mark sog. Bürokosten an diesen festgelegt. Als nach 9 Jahren 1883 erneut die Wahl ansteht und Bürgermeister Ernst die Wiederwahl anstrebt, ist er nicht mehr alleiniger Kandidat. Aus der Bürgerschaft heraus werden verschiedene andere Wahlkandidaten vorgeschlagen, so die Gemeinderäte LANDWIRT WILHELM BECK (Wimpfen im Tal) und KAUFMANN HEINRICH HEUERLING, außerdem ÖKONOM PHILIIPP BORNHÄUßER und GEOMETER EMIL GROß. Die drei Erstgenannten ersuchen die Wähler, ihre Stimmen auf Friedrich Ernst zu übertragen. EMIL GROß jedoch, „welcher das Proletariat durch Versprechungen auf seiner Seite hatte“, wie es in der Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde heißt, hält seine Bewerbung aufrecht und es kommt zu einem lebhaften Wahlkampf, der seitens der vermögenden Klasse teilweise mit Freibier geführt wird und z. B. dazu führt, dass aus der Wirtschaft des Bierbrauers Sinn „Deutschen Kaiser“ (an der Straße nach Rappenau Nr. 14, ab 1895 Nr. 27, ehemals und später der „Hirsch“) ein Anhänger des Kandidaten Groß hinaus- und die Treppe hinuntergeworfen wird.[6] Die Wahlaufrufe und das sonstige Werben beider Lager bewirkt, dass von den stark 600 Wahlberechtigten dieses Mal 443, d. h. weit über das Doppelte der ersten Wahl von 1874, ihre Stimme abgegeben. Zwar erringt BÜRGERMEISTER FRIEDRICH ERNST in der Wahl vom 15. Januar 1884 mit 299 Stimmen, wie die Zeitung schreibt, die „glänzende Mehrheit von 161 Stimmen. Doch immerhin erzielt GEOMETER EMIL GROß mit 138 erhaltenern Stimmen einen Achtungserfolg und zeigt sich zum ersten Male in der Wahlgeschichte Wimpfens auch eine gewisse Aktivierung der Nicht- oder Geringerbegüterten. Ein kleiner Rest von 6 Stimmen verteilt sich folgendermaßen: DR. E. MÖRIKE und BERNHARD STRAIB (je 1 Stimme), PHILIPP BORNHÄUßER (2 Stimmen), 2 ungültige Stimmen.

Dem Wiedergewählten wird um ¾ 9 Uhr abends von der Stadtkapelle und der Wählerschaft ein Ständchen dargebracht, worauf „Herr Bürgermeister Ernst in warmen Worten dankte“. Nachdem sich Bürgermeisterr Ernst jetzt fast 25 Jahre im Dienst befindet, verleiht ihm der Großherzog am 12. September 1885 das Silberne Kreuz des Verdienst-Ordens Philipps des Großmütigen, das ihm KREISRAT GRÄFF bei einem aus diesem Anlass im „Ritter“ am 27. September veranstalteten Festessen überreicht. Dieses führt zu der folgenden kritischen Äußerung in der Zeitung: „Das Fest am Sonntag im Ritter war zu Ehren und aus Veranlassung der Decoration des Herrn Bürgermeister Ernst, aber nicht um Parteireden zu halten. Es ist nicht jedermanns Sache hinzugehen, wo gewisse Herren gewöhnlich das große Wort führen.- Einige bessere Bürger, worunter ein widerspenstiger Gemeinderat.“ Der im 71. Lebensjahr Stehende ist natürlich nicht mehr in der Lage, die ganze Wahlperiode durchzustehen. Er legt im Frühjahr 1888 zunächst sein Amt als Ortsgerichtsvorsteher nieder, das sein Stellvertreter, der APOTHEKER I. R. DR. EMIL MÖRICKE, übernimmt. Und im beginnenden Februar des Folgejahres 1889 bitttet Ernst wegen seines hohen Alters die vorgesetzte Behörde um Entlassung, die ihm gewährt wird.

Dass es für diesen Zeit zum Abtreten gewesen ist, zeigt das folgende seinen Abgang begleitende und für ihn peinliche sowie seine Tätigkeit als Bürgermeister zweifellos belastende Vorkommnis: Der 37 Jahre tätig gewesene STADTRECHNER LUDWIG WELDE bitttet zur selben Zeit wegen Altersschwäche ebenfalls um seine Entlassung. Nach der Meinung des Kreisrates war dieser bislang ungenügend honoriert gewesen und sein Gehalt erst ab 1880 erhöht worden. Durch die Zunahme seiner Arbeit war er jedoch genötigt gewesen, fremde Hilfe anzunehmen, was wiederum sein Einkommen verminderte. Der Vorschlag des Kreisamtes, ihm ein Ruhegehalt von 500 Mark zu gewähren, wird vom Gemeinderat trotz wiederholter Vorlage des Bürgermeisters nicht bewilligt. Bei der seinem Antrag erwachsenen Kassenrevision durch den OBER-RECHUNGS-REVISOR BRÜCHER aus Darmstadt in der ersten Hälfte des November ergibt sich ein hoher, 32.000 Mark betragender, Fehlbetrag. Anfang Dezember 1889 wird deshalb eine Untersuchung durch eine aus Darmstadt eintreffende dreiköpfige Kommission eingeleitet: LANDRICHTER WERLE, OBERREVISOR PETRY und GERICHTSSCHREIBER BÜCHNER. Am 13. Dezember trifft dazuhin noch aus Darmstadt der Großherzogliche Untersuchungsrichter ein, um am folgenden Tag den Beschuldigten sowie eine große Anzahl Personen zu vernehmen. Provisorischer Verwalter der Stadtkasse wird bis zur Einsetzung eines neuen Rechners der POSTVERWALTER A. D. WILHELM SCHMEHL. „Seitdem Herr Schmehl unsere Stadtkasse provisorisch verwaltet“, so vermeldet am 9. Januar 1890 die Zeitung lobend und tadelnd zugleich, „ist eine so erfreuliche Besserung in allen Verhältnissen derselben eingetreten, daß es einer öffentlichen Erwähnung wert erscheint. Bekanntlich wurde einem bisher auf der Stadtkasse die stehende Redensart entgegengehalten: ‚Es ist kein Geld da, es geht nichts ein usw. usw.’ Der provisorische Rechner hat es aber in der kurzen Zeit zu Wege gebracht, daß die Stadt jetzt nicht nur allen an sie herangetretenen Verpflichtungen nachzukommen in der Lage ist, sondern daß er noch auch dieser Tage die stattliche Summe von 2.700 Mark auf der Kreditkasse zinsbar anlegen konnte. Nun muß man aber nicht denken, daß der provisorische Rechner vermöge eines Hexeneinmaleins derartige Resultate erzielt hätte. Lediglich seiner prompten gewissenhaften und redlichen Geschäftsführung wegen – und das hätte auch schon in viel früheren Jahren der Fall sein können, wenn – ja wenn – hier kommt eben das Fragezeichen, das noch immer seiner Lösung wartet, die aber hoffentlich nicht ausbleiben wird.“
Dekan Scriba vermeldet in der Chronik der evangelischen Kirchengemeinde für 1889 diese beschämende Kassenangelegenheit wie folgt:
„Am 13. (Dezember) wurde gegen Stadtrechner Welde (katholisch) wegen Eingriff in die Kasse (Deficit 36.000 Mark), eine Untersuchung eingeleitet und derselbe vom Amte suspendiert.“
Zum neuen Stadtrecher wird im beginnenden Januar 1890 durch den Gemeinderat der 29-jährige unverheiratete und bestens bezeugniste Stadtkassengehilfe PETER GILLMANN aus Gießen unter Stellung einer Kaution von 10.000 Mark mit einem jährlichen Gehalt von 1.800 Mark bestellt.[7]

Als Nachwehen der Veruntreuungsaffäre sind außerdem aufzuführen:

– März 1890: Beim Abschluss der Rechnung der Stadtverwaltung für das Etatjahr 1888/89 betragen die Einnahmen 148.808 Mark, die Ausgaben 107.310 Mark, und so ergibt sich ein Überschuss von 41.498 Mark; der vorhandene Barvorrat müsste 34.362 Mark betragen. Doch steht dieser nur auf dem Papier, weil er unter dem Stadtrechner Welde verschwunden ist. „Die Untersuchung“, so blickt die Zeitung tadelnd auf das immer noch ausstehende Ergebnis derselben zurück, „muß eine recht gründliche sein, denn seitdem sind wieder volle drei Monate verstrichen. Wie weit die Sache bis heute gediehen ist, konnten wir trotz eifriger Erkundigungen nicht in Erfahrung bringen.“
– 09. April 1890: Mit der Durchführung der Zwangsvollstreckung gegen Ludwig Welde wird versucht, die sich aus der Unterschlagung ergebenden Ansprüche der Gemeinde Wimpfen zu befriedigen.
– 04. Oktober 1890: Nachdem die gerichtliche Untersuchung gegen den früheren Gemeinderechner Welde abgeschlossen ist, wurde die Sache zur Verhandlung an das Schwurgericht gewiesen. Über das ergangene Urteil ließen sich leider keine Angaben finden.

FRIEDRICH ERNST konnte seinen Ruhestand nicht mehr lange genießen. Er starb bereits Anfang April des Folgejahres 1890 im 77. Lebensjahr: Dazu berichtet die Zeitung:
„Am Sonntag Nachmittag wurde die irdische Hülle unseres verstorbenen früheren Bürgermeisters Herrn Adolf Friedrich Ernst zu Grabe geleitet. Ein überaus zahlreiches Gefolge, darunter die beiden Feuerwehren in Uniform, der Gesangverein Concordia mit Fahne, bildete einen imposanten Leichenzug. Ein großartiger Blumenschmuck zierte den Sarg und deckte das Grab. Die Leichenrede hielt Herr Dekan Wilhelm Scriba, in welcher er ein Lebensbild des Dahingeschiedenen als Gatte, Vater, Bürgermeister und Mitglied des Kirchenrates zeichnete und seine feste Opferwilligkeit, seinen milden Sinn und die hingebende Thätigkeit in seinem Amte rühmte. Ein ergreifender Männerchor, welchen die Concordia vortrug, bildete den Schluß der Leichenfeierlichkeit.“[8]

c. Nach dem Rücktritt von Bürgermeister Ernst im Jahr 1887 kann sich im zum Zwist der Konfessionen ausartenden Wahlkampf um die Nachfolge zwischem dem evangelischen Ökonomen Philipp Bornhäußer und dem katholischen Kaufmann Heinrich Heuerling der Erstgenannte nur durch die zahlenmäßig hohe Überlegenheit der Evangelischen durchsetzen.

Lässt die im obengenannten Bericht über die Unterschlagungssache Welde des evangelischen Dekans Wilhelm Scriba das in Klammer beigegebene Wort „katholisch“ ahnen, dass es um das Verhältnis der beiden Konfessionen Wimpfens seit der Wiederbesetzung der katholischen Pfarrstelle mit PFARRER JAKOB KLEIN im Jahre 1887 nicht gut bestellt ist, so wird das durch die nunmehr geschilderten Geschehnisse um die Wiederbesetzung des Bürgermeisteramtes im Frühjahr 1889 bestätigt. Offenbar fanden seitens der Evangelischen die Aktivitäten des neuen resoluten katholischen Geistlichen in Gestalt der vom Vorgänger PFARRER WAGNER vergeblich versuchten Wiedergründung der Jakobs-Bruderschaft am 14. April 1888 und danach im Juli 1888 vom Apostolat des Gebetes alles andere als Gefallen. Dazuhin waren zuvor zu den vorhandenen zehn Kreuzwegstationen noch die fehlenden fünf angeschafft und am 10. Juni 1888 der Kreuzweg bei der Katholischen Kirche durch den KAPUZINERPATER PETRUS AUS DIEBURG eingeweiht worden. Und in Erscheinung trat die Katholische Gemeinde verstärkt jedes Jahr bei den jährlichen beiden Kreuzfesten am 5. Mai und 14. September, wo die Katholische Pfarrkirche zunehmend sehr besetzt und der Zuspruch Auswärtiger aus den benachbarten ehemaligen Deutschordensgebieten rechts und links des Neckars im Wachsen war.

Was nun die auf den 2. April 1889 festgesetzte Wahl eines neuen Bürgermeisters betrifft, so ergab es sich, dass sich zwei Kandidaten gegenüberstanden:

–  ÖKONOM PHILIPP BORNHÄUßER, evangelisch, Gemeinderat seit 1858, und
– KAUFMANN HEINRICH HEUERLING, katholisch, Gemeinderat seit 1883, Rechner der 1879 gegründeten Kreditkasse sowie der Katholischen Kirchengemeinde, Sohn des früheren Türmers und Leiters der Stadtmusik CHRISTOPH HEUERLING.

Sicherlich ist es zunächst so, dass der katholische Bewerber, unterstützt von Glaubensgenossen, aber auch von einer Anzahl evangelischer Bürger, die in ihm den Befähigteren und in Bornhäußer einen eher von seinem Vermögen und der Klasse der Besitzbürger her gestützten Bewerber sehen und die Meinung vertreten, dass die Befähigung für das Amt und nicht der Besitzstand entscheidend für die Besetzung des Amtes sein müsste. Doch gerät der sich entwickelnde heftige Wahlkampf mehr und mehr zur Sache der Konfessionen und, wenn auch weniger, der Besitzstände, wie dies  1884 der Fall gewesen ist. Die Auseinandersetzung spielt sich außer in den Wirtschaften einen Monat lang in der „Wimpfener Zeitung“ durch Artikel und andere Zuschriften ab, zumal von deren Schriftleitung erklärt wird, dass alle solche, wenn sie nicht anonym sind, aufgenommen würden. Das führt zu gegenseitigen Beschimpfungen en masse. Ein evangelischer Wähler ist über den Charakter des Wahlkampfes entsetzt und ruft die Wähler auf, im Geiste religiöser Duldsamkeit nach der Devise „Liebet einander!“ zu handeln. Doch Pfarrer Scriba verklagt den Schreiber wegen Beleidigung im Amt. Die evangelischen Anhänger Heuerlings werden als „Glaubensverleugner“ ausgeschimpft. In der nachstehend wiedergegebenen „Erklärung“ versuchen die Katholiken vergeblich, zum konfessionellen Frieden aufzurufen:[9]

Ein Schreiber versucht dasselbe mit Hilfe eines vom ihm verfassten trefflichen Gedichts, wobei dieses auf das Beispiel Württembergs der Wahl des Bürgermeisters auf Lebensdauer und die württembergische Nachbarstadt Heilbronn abhebt, die allerdings mit ihrem auf Lebenszeit angestellten OBERBÜRGERMEISTER PAUL HEGELMAIER immer wieder ihre liebe Not hat:

Man versucht, gegen Heuerling dessen Vergütung von 600 Mark für seine Tätigkeit als Rechner der Kreditkasse ins Feld zu führen sowie die als seine Freunde bezeichneten (gemeindefremden) Reallehrer. Zu seiner Wahl rufen aber auch Arbeiter auf. In seinem eigenen Zeitungsaufruf vor der Wahl spricht HEINRICH HEUERLING sich für die Hebung der Landwirtschaft, die Unterstützung des Standes der kleinen Bauern, die Hebung des Arbeiterstandes, die Nutzung der Lage Wimpfens für den Fremdenverkehr, Sparsamkeit im städtischen Haushalt, die Erhaltung der Realschule, die Hebung der Volksschulen sowie die Einigkeit unter den Bevölkerungsklassen und den Konfessionen aus. Am Wahltag selbst stirbt, Fluch der unseligen Auseinandersetzung der sich unversöhnlich gegenüberstehenden Parteigänger, LANDWIRT GEORG WAIDLER an den Folgen eines Falles von der Treppe der am Beginn der Alten Heilbronner Straße Nr. 215, ab 1895 Nr. 252, gelegenen Bierwirtschaft Wacker, wo (wie auch früher schon üblich) wegen der Bürgermeisterwahl Freibier ausgeschenkt worden ist.

Der EVANGELISCHE DEKAN SCRIBA schildert den Wahlkampf und das im Hinblick auf das damalige Verhältnis von Protestanten zu Katholiken von 2.819 : 280 = 10 : 1 in der Gesamtgemeinde voraussehbare Ergebnis der Wahl so:

„In diesem Jahr war die Gemeinde in große Aufregung durch die Wahl eines neuen Bürgermeisters versetzt. Nachdem Bürgermeister Ernst wegen hohen Alters und Krankheit seine Stelle im Februar niedergelegt hatte, fand am 2. April eine Neuwahl statt, in welcher nach hartem Wahlkampf der evangelische Candidat, Landwirth Philipp Bornhäuser mit 389 Stimmen als Sieger aus der Wahlurne hervorging, während sein Gegenkandidat der katholische Kaufmann Heinrich Heuerling nur 158 Stimmen erhielt.“

Demgegenüber sieht die Chronikeintragung des KATHOLISCHEN STADTPFARRERS KLEIN hinsichtlich dieser denkwürdigen Wahl folgendermaßen aus:

„Es war von Seiten des intelligenteren Theiles der Bevölkerung Kaufmann Heinrich Heuerling, Rechner der landwirtschaftlichen Creditkasse und kath. Kirchenrechner, als Candidat aufgestellt worden, dessen Aussichten wegen seiner hervorragenden Befähigung auch sehr günstig waren. Als aber in letzter Stunde noch die Parole ausgegeben wurde: In Wimpfen darf kein Katholik Bürgermeister werden, siegte der Furor protestanticus.“

Das Stimmenverhältnis BORNHÄUSSER : HEUERLING von 389 : 158 bzw. ca. 2,5 : 1 weist klar aus, dass ein nicht unerheblicher Teil der Evangelischen trotz der Gegenagitation den katholischen Bewerber gewählt hat . Gewiss spielte über das Vorherrschen der evangelischen Konfession in Wimpfen hinaus auch noch die Herkunft und damit der finanzielle und ansehensmäßige Hintergrund des Wahlsiegers ÖKONOM JOHANN PHILIPP BORNHÄUßER eine Rolle, der von vom nahen Fürfeld im Kraichgau stammte und durch die Eheschließung mit der vermögenden Lammwirts-Tochter JOHANNE KATHARINE PAULINE DENNER in eine der führenden einflussreichen Ökonomen- und Wirte-Familie Wimpfens eingeheiratet hatte.

Am 7. Mai 1889 wird der scheidende BÜRGERMEISTER FRIEDRICH ERNST von KREISRAT FRIEDRICH GRÄFF verabschiedet und der neue BÜRGERMEISTER PHILIPP BORNHÄUßER in einer feierlichen Gemeinderatssitzung verpflichtet.

Knapp 3 Monate später ausgangs Juli 1889 ist wieder eine Ersatzwahl zum Gemeinderat fällig. Es werden unter „sehr lebhafter Beteiligung“ von den 424 (bei 624 Wahlberechtigten) von ihrem Wahlrecht Gebrauch Machenden gewählt:

HEINRICH BECK (Rentner) mit 360 Stimmen,

JULIUS ERNST (Sohn des früheren Bürgermeisters, Inhaber eines im Herbst 1880 eröffneten Farb- und Eisenwaren-Geschäfts), mit 287 Stimmen,

CARL SCHWENZER (Seifensieder) mit 253 Stimmen,

WILHELM KÜNTZEL (Kaufmann) mit 210 Stimmen,

HEINRICH MAYER (Ochsenwirt) mit 158 Stimmen.

Anfang Oktober wird GEMEINDERAT HEINRICH BECK, dem die meisten Stimmen zugefallen sind, zum Mitglied des Kreistages gewählt. Im Dezember ist wieder die Wahl des Beigeordneten für Wimpfen am Berg fällig, bei der nur 30 von 458 Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben. DR. EMIL MÖRICKE wird wiedergewählt. Er legt ausgangs Oktober sein Amt als Ortsgerichtsvorsteher nieder; sein Nachfolger wird BÜRGERMEISTER PHILIPP BORNHÄUßER. Jetzt sollen die Gemeinderatssitzungen nach dem Beschluss des Gemeinderats künftig öffentlich sein und als solche in der Zeitung ausgeschrieben werden. Doch sind im Fortgang in dieser dergleichen Mitteilungen nicht zu finden.

  1. Trotz des abklingenden Kulturkampfes setzt sich in Wimpfen die insbesondere nach der Wiederbesetzung der Katholischen Pfarrei eingetretene Konfrontation der beiden Konfessionen, ausgelöst durch den Antrag auf die Wiederzulassung des Jesuitenordens, verstärkt fort.

Knapp vier Wochen nach der den Frieden zwischen den beiden Konfessionen und darüber hinaus der Einwohnerschaft in ihrer Gesamtheit erheblich schädigenden Bürgermeisterwahl kann STADTPFARRER KLEIN die wachsende Bedeutung und Akltivität seiner katholischen Diasporagemeinde innerhalb des protestantisch geprägten Wimpfen wieder dadurch demonstrieren, dass – wie er in der Chronik der Katholischen Kirchengemeinde berichtet – vom 28. April bis 5. Mai 1889 einer achttägige Volksmission von KAPUZINERPATER ALPHONS, Provinzial in Mainz, und den beiden FRANZISKANERPATRES JOSEPH, Vikar in Mainz, und JOSEPH MARIA aus Sigolsheim abgehalten wird, die aus der näheren und weiteren Umgebung außerordentlich stark besucht ist. Die Standeslehren hält der HOCHWÜRDIGSTE BISCHOF DR. PAULUS LEOPOLD HAFFNER, der vom 30. April bis zum 3. Mai abermals in Wimpfen weilt und auch am 2. Mai 137 Firmlingen das heilige Sakrament der Firmung spendet, darunter 20 solchen aus Wimpfen, die anderen aus badischen und württembergischen Orten der Umgebung. Die Zahl der Kommunionen bei dieser Mission wird mit 2.720 angegeben. Es gibt dieses Mal keinen großen Empfang wie 1886, um die bereits begonnene Mission nicht zu stören. Trotzdem sind wieder viele Häuser beflaggt.

Ob dieser mehrtägige Aufenthalt des Mainzer Bischofs und diese gleichzeitigen Aktivitäten dreier katholischer Ordensleute die Evangelischen Geistlichen und Gemeindeangehörigen gestört hat oder nicht, Tatsache ist, dass die Konfrontation der Konfessionen sich nach der Beendigung des vom Hader zwischen protestantischen und katholischen Wählern beherrschten Bürgermeister-Wahlkampfes fortgesetzt hat. Die Empfindsamkeit der evangelischen Mehrheit gegenüber der wachsenden Aktivität und öffentlichen Bedeutsamkeit der katholischen Minderheit erklärt sich nicht zuletzt auch aus dem Umstand, dass der Anteil der Letztgenannten in der Gesamtgemeinde nur knappe 9 % betrug. Hierzu sei das Ergebnis der unter dem 1. Dezember 1890 in der „Wimpfener Zeitung“ bekanntgemachten Volkszählung aufgeführt:

Damit betrug der Anteil der Evangelischen 1890 gegenüber dem der Katholiken in der Gesamtgemeinde 88,5 % geg. 8,8 %, in Wimpfen am Berg 87,4 % geg. 9,8 %, in Wimpfen im Tal 90,1 % geg. 9,5 %, in Hohenstadt 95,3 % geg. nur 0,47 %.

Ausgerechnet in den Weihnachtstagen des Folgejahres 1890 wird der Zwist evident durch eine von DEKAN SCRIBA und PFARRER PETERSEN auf Sonntag nach Weihnachten einberufene Versammlung evangelischer Männer in den Wacker’schen Saal. Dieser ist so überfüllt, dass viele der Gekommenen umkehren müssen. Der Zweck besteht darin, dass eine Petition an den Reichstag geschickt und in dieser gebeten werden soll, dem von der Zentrumsfraktion gestellten Antrag auf Wiederzulassung des im Zuge des Kulturkampfes verbotenen Jesuitenordens „im Interesse des konfessionellen Friedens nicht stattzugeben“. Die lebhaften Beifall findende Argumentation lautet: Das Ziel der Jesuiten ist die Vernichtung des Protestantismus. Es droht die Wiederkehr des Unfriedens und die Gefährung des Werks der Reformation. Selbst in Bayern, so heißt es, werden Petitionen dagegen abgesandt. Am Schluss der Versammlung gedenkt PFARRASSISTENT HEINRICH HAHN, der seit 1. Oktober dem gesundheitlich angeschlagenen DEKAN WILHELM SCRIBA zur Entlastung beigegeben ist, des Großherzogs und des Kaisers, auf dessen Gerechtigkeit die Protestanten fest vertrauten. Die Petition wird von 425 Mitgliedern der – wie es ausdrücklich in der Zeitung heißt – „hiesigen evangelischen und katholischen Gemeinde“, dazu 54 Unterschriften aus Hohenstadt, unterzeichnet. Der Wortlaut der im ausgehenden Jahr 1890 abgeschickten Petition lautet:

„Die Unterzeichneten, verschiedenen Religionsbekenntnissen angehörend, fühlen sich gedrungen, gegen die von einer rührigen Agitation und neuerdings auch durch einen Antrag im Reichstag geforderte Aufhebung des Jesuitengesetzes und die damit ermöglichte Wiederkehr des Jesuitenordens in unser deutsches Vaterland den nachdrücklichsten Einspruch zu erheben.- Wir wollen nicht die Wiederkehr eines Ordens, dessen Glieder einem auswärtigen Oberen in bedingungslosem Gehorsam unterworfen sind, dessen Hauptzweck die Bekämpfung jedes anderen Religionsbekenntnisses ist, der in früheren Zeiten durch Entflammung inneren Haders unsägliches Unheil über Deutschland gebracht hat, dessen verderbliche Wirksamkeit die Geschichte und den Zustand der Länder, in denen er heute noch thätig ist, nur allzu deutlich bezeugen.- Seine Wiederzulassung würde in weiten Kreisen des deutschen Volkes als eine Gutheißung seiner Bestrebungen aufgefaßt werden und dadurch heillose Verwirrung der Gemüter herbeiführen.- Im Interesse des religiösen und bürgerlichen Friedens erheben wir die ehrfurchtsvole Bitte: ‚Den Petitionen, welche die Aufhebung des Reichsgesetzes vom Juli 1872, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, fordern, sowie dem in gleicher Richtung erfolgten Antrage der Centrumsfraktion keine Folge zu geben’.“

Ein am Jahresschluss in der Zeitung abgedrucktes „Eingesandt“ gibt einen Bericht über die am selbigen Sonntag von STADTPFARRER KLEIN und dem VERWALTER DES KAPLANEI-BENEFEFIZIUMS PFARRER KÖSTERUS in das Gasthaus „Sonne“ (Ecke Obere Hauptstraße – Langgasse) gelegte „Besprechung katholischer Männer über die Jesuitenfrage“ wieder, die hier, im Schlussteil etwas gekürzt, zitiert werden soll:

„Herr Pfarrer Klein gab der Hoffnung Ausdruck, daß die jetzt erregten Gemüter sich bald beruhigen und man sich allseits wieder des Gebotes des Herrn erinnern werde: Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Es habe ihn gefreut zu hören, daß evangelische Männer sich geäußert hätten: ‚Ich habe noch keinen Jesuiten gesehen, es hat mir noch keiner etwas zuleide getan, wie soll ich da etwas gegen sie unterschreiben?’ Gerecht urteilen über die Jesuiten können wohl diejenigen, welche mit ihnen verkehrten, ihre Werke studierten und vielfach mit ihnen zusammengewirkt hätten, und das seien die katholischen Bischöfe und Priester. Seien die Jesuiten Scheusale, so wären es die sie in Schutz nehmenden Geistlichen und Bischöfe nicht weniger. Den allergrößten Vorwurf träfe dann die katholische Kirche. … Es handle sich um eine Rechtsfrage: Sollen die Deutschen alle gleich sein vor dem Gesetz? Soll Gewissensfreiheit herrschen oder nicht? So gut jedem deutschen Bürger, Sozialdemokraten Freiheit gewährt wird, so gut müßte man sie Jesuiten gewähren. Man habe Polizei und Gerichte genug. Lasse sich ein Jesuit etwas Strafbares zuschulden kommen, so müsse er abgeurteilt werden. Er hoffe, daß das Wort des preußischen Finanzministers Miquel auch in religiösen Fragen Anwendung fände: Wenn die Gerechtigkeit angerufen wird, dann gibt es Gott sei Dank keine Parteien mehr. Herr Pfarrer Kösterus habe es sich vornehmlich zur Aufgabe gemacht, zu widerlegen, daß die Tätigkeit der Jesuiten ‚ausschließlich auf Vernichtung des Protestantismus gerichtet sei’. … Der Kampfesmut der Arbeiterbataillone wird erhöht, wenn sie sehen, daß sich Protestanten vor einer Handvoll Jesuiten fürchteten … Schluß in versöhnlichem Tone: Hoch auf Papst und Kaiser … .“

Diesem langen „Eingesandt“ von katholischer Seite folgt zum Jahresbeginn 1891 ein weiteres solches, das mit „Mehrere Teilnehmer an der Versammlung der evangelischen Männer“ (gemeint ist die Versammlung im Wacker’schen Saal) unterzeichnet ist und zu dem in Wimpfen entbrannten heftigen Streit der Konfessionen um die Frage der Wiederzulassung des Jesuitenordens im Deutschen Reich in komplizierten und schwer verständlichen Verklausulierungen die folgenden – hier gerafft wiedergegebenen – Gedanken äußert: Die Urteile über den Jesuitenorden seien von je her verschieden ausgefallen, wobei oft die einen für wahr halten, was den anderen falsch erscheint. Bei dem Vortrag im Wacker’schen Saal war es keineswegs darauf abgesehen, alles zusammenzusuchen, was dem Orden zur Last gelegt werden kann. Dies gehe schon allein daraus hervor, dass die Bestrebungen dessen Stifters (gemeint: des Ignatius von Loyola) mit einer gewissen Anerkennung geschildert wurden. Ebenso ferne sei es darum dem Redner gelegen gewesen, die Mitglieder des Ordens als „solche Scheusale“ darzustellen. Auch sei dessen Tätigkeit nicht so geschildert, als sei diese „ausschließlich“ auf die Vernichtung des Protestantismus gerichtet gewesen. Dieses Wort stamme nicht aus dem Mund des Redners, sondern aus der Feder des Berichterstatters. Dem Zwecke und Text der evangelischen Eingabe entsprechend, hätte es nicht darum gehen können, den Jesuitenorden nach allen Seiten hin zu durchleuchten, sondern dessen Tätigkeit zur Zeit der Gegenreformation sowie im vorigen Jahrhundert unter den vier katholischen Kurfürsten zu kennzeichnen. Was zu Gunsten der Jesuiten hätte gesagt werden können, sei aber nicht imstande gewesen, das vorhandene Misstrauen gegen die Jesuiten zu überwinden und glauben machen zu können, dass diese sich „nur erlaubter Mittel“ bedient hätten, genau wie man auch ihren Selbstzeugnissen nicht ohne Weiteres Glauben schenken könne. Was Kränken und Gekränktsein betreffe, so beruhe dies auf Gegenseitigkeit. Bei Wacker seien die Zuhörer dringend gebeten worden, nicht bloß alles Kränkende den katholischen Mitchristen gegenüber zu vermeiden, sondern auch deren Eintreten zugunsten der Jesuiten nicht als eine von ihnen und ihren Geistlichen den Protestanten zugedachte Kränkung anzusehen, damit der zwischen ihnen leider schon vorhandene Riss nicht noch größer werde. Der Schluss: „Alle Teilnehmer werden bezeugen, daß überhaupt mit größter Zurückhaltung und Schonung gesprochen wurde und der ganze Vortrag vom Anfang bis zum Ende von versöhnlichem Geiste durchdrungen war. Ein Zusammengehen in sozialer Hinsicht wäre allerdings sehr zu wünschen; leider wird es uns aber oft unmöglich gemacht, selbst den gläubigen Elementen.“

Bediente sich dieses „Eingesandt“ des Jahresbeginns 1890/91 noch eines gewissen versöhnlichen Tones, so entfachte nach dem Jahresanfang ein zweites solches, das wie alle diese keine Namen der Verfasser trug, die Weiterführung des Konflikts. Es ging in diesem den protestantischen Einsendern darum, die 1773 von Papst Clemens XIV. unter dem Druck der von den Bourbonen regierten Staaten in einer Bulle verfügte Auflösung des Jesuitenordens ins Spiel zu bringen und damit quasi die Katholiken in dieser Frage mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Ob dieser Papst damit nicht gegen das 8. Gebot („Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten“) verstoßen habe, so gaben diese vor, wissen zu wollen, und wiesen provozierend auf die „Unfehlbarkeit des Papstes“ hin. Da die wieder über ein „Eingesandt“ erfolgte knappe Antwort auf die Empfehlung auswich, über das Dogma der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes sich durch das Studium des katholischen Katechismus’ Aufklärung zu holen, reagieren die protestantischen Fragesteller prompt mit einem längeren weiteren „Eingesandt“, das am Schluss in den folgenden unfriedmäßigen Anwurf gegenüber dem katholischen Einsender mündet:

„Wir wollten und brauchen von ihm keine Belehrung über die ‚Unfehlbarkeit des Papstes’, sondern verlangten eine runde Antwort, ob Clemens XIV. gegen das 8. Gebot sich vergangen hat. Dies ist unser letztes Wort. Es war uns nur darum zu tun, den Vorwurf einer Sünde gegen das 8. Gebot von uns zu weisen. Wir wollen den Frieden, aber bei ferneren Angriffen sei unser Trost: Matthäus 5,11.“

Dieser letzte Satz, der sich auf die zweitletzte der zehn Seligpreisungen der Bergpredigt Christi „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen“ bezieht und damit das katholische Lager als lügenhaft hinstellt, lässt das Band zwischen den beiden Konfessionen weiterhin zerrissen sein. Zwar wird zu gleicher Zeit im Zuge der damaligen Gründung von einem „Volksverein für das katholische Deutschland“, der sich die Bekämpfung der Sozialdemokratie zur Aufgabe stellt, innerhalb der katholischen Kirchengemeinde Wimpfen eine Vereinigung gegründet, die von Zeit zu Zeit Versammlungen abhalten und im angegeben Sinne wirken will. Auch wird im nachfolgenden harten Winter des Jahres 1891/92 zur Bekämpfung der gesteigerten Not der Armen in Wimpfen ein „Frauenverein“ ins Leben gerufen, der unter der Führung der beiden evangelischen Geistlichen „eine Besserung des Loses der Kinder jeder  Konfession, welche in notleidenden hiesigen Familien aufwachsen, inbesondere durch persönliches Nachgehen erstrebt“.

Doch ist die Schaffung dieser beiden Vereinigungen letztlich als Maßnahme des wachsenden Wettbewerbs der beiden Konfessionen untereinander zu sehen und gehen diese letztlich in der sozialen Fürsorge, wie in einem der obigen „Eingesandt“ gewünscht, in der Abwehr der Sozialdemokratie denn doch getrennte Wege. Und den Protestanten wird die nach der Wiederbesetzung des Mainzer Bischofsstuhles sowie der katholischen Pfarrstelle Wimpfen am Berg und der Benefiziatenstelle Wimpfen im Tal stetig wachsenden Aktivitäten der katholischen Seite immer mehr ein Dorn im Auge. Hierzu gehört ganz besonders das in den Aufwind gelangte jährliche Kreuzfest. Da es zweifelhaft erschien, ob die in der Pfarrchronik der Katholischen Kirchengemeinde für 1855 berichtete Wiedereinführung der Bruderschaft zu Ehren des Heiligen Kreuzes rite (d. h. auf rechte Weise) vollzogen worden war, wurde auf Antrag von PFARRER KLEIN eine neue Urkunde ausgestellt und wurden die dabei gewährten Ablässe durch päpstliches Breve vom 8. April 1892 neu bewilligt. Die Teilnahme der Katholiken an der Kreuzfestfeier des Frühjahres des vorgenannten Jahres aus der württembergischen und badischen Nachbarschaft, ja selbst größerer Ferne (insbesondere aus den katholischen Gemeinden der jenseits des Neckars gelegenen sog. Krummen, d. h. ehemals unter dem Krummstab der Deutschordens gestandenen, Ebene sowie der teilweise ebenfalls deutschherrisch gewesenen katholischen Orte links des Neckars) war laut Bericht der „Wimpfener Zeitung“ unter dem 5. Mai 1892 eine sehr große. Es sollen 3.000 Menschen daran teilgenommen haben und die Kirche stets bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen sein. Hierzu soll der Umstand beigetragen haben, dass damit eine vom 1. bis 3. Mai gegangene Missionserneuerung verbunden worden war, die von den hochwürdigen KAPUZINERPATRES LUDWIG UND JOSEF AUS MAINZ UND EHRENBREITSTEIN vorgenommen wurde. Die Zahl der dabei erfolgten Kommunionen betrug 1.214. Darüber veröffentlichte laut Erklärung in der „Wimpfener Zeitung“ unter dem 16. Mai 1892 der Stuttgarter „Schwäbische Merkur“ in seiner Nr. 109 die folgende diesem aus Wimpfen zugegangene kritisch-tendenziöse Zuschrift:

„Zwei Kapuzinerpatres aus Mainz, feurige Redner für die allein selig machende katholische Kirche, entwickelten am 1., 2. und 3. Mai eine rastlose Tätigkeit in der hiesigen katholischen Kirche. Aus Württemberg war der Zulauf zu den Kapuzinerpredigten ein ganz reger. Viele katholische Geistliche aus Württemberg unterstützten die Kapuziner im Beichthören. Obgleich unsere Stadt nur sehr wenige Katholiken zählt und die Herbeirufung der Kapuziner im Grunde das Machwerk ihres Landsmannes, des Bischoffs Haffner in Mainz, und der katholischen Geistlichkeit ist, so wurde die dreitägige Kapuzinermission auch von der evangelischen Stadtbevölkerung, namentlich von den Gewerbetreibenden, gern gesehen, weil in den Geschäften viel Geld liegen blieb. Die Kanzelreden der Kapuziner waren scharf zugespitzt und trugen keineswegs den Geist der Nächstenliebe gegen Nichtkatholiken. Geld für die Kapuziner ist viel eingegangen, namentlich vom weiblichen Geschlecht.“

Dieses rief den katholischen Stadtpfarrer mit der folgenden – von Zynik keineswegs freien – Erwiderung auf den Plan:

„Ich gebe hiermit die Versicherung, daß nie mehr ein Kapuzinerpater die Kanzel der mir unterstellten Kirche besteigen soll, wenn der Korrespondent den Nachweis liefert, daß in den 6 bei der Missionserneuerung hier gehaltenen Predigten irgendetwas vorkam, was die Nächstenliebe gegen Nichtkatholiken verletzte. Auch stellte ich ihm für diesen Fall das eingegangene angeblich ‚viele’ Geld zur Verfügung. Für die Kapuziner ging allerdings nichts ein, da für sie gar nicht gesammelt wurde, sondern nur an den Kreuzfesten hier die von jeher übliche Kollekte stattfand. Im übrigen überlasse ich die Beurteilung der ganzen obigen Herzensergießung dem gesunden Sinne der Bevölkerung Wimpfens.- Klein Pfarrer.“

Alle diese weiteren und steigenden Aktivitäten der kleinen Katholischen Kirchengemeinde waren geeignet, weiteres Missfallen der großen evangelischen Mehrheit zu erzeugen. Stolz und bewegt – den Aktivitäten der Katholiken zu begegnen suchend – begeht die Evangelische Kirchengemeinde am 28. August 1892, wie der I. PFARRER WILHELM SCRIBA in der Kirchenchronik berichtet, das 400-jährige Jubiläum ihrer Pfarrkirche (gemeint die Grundsteinlegung des spätgotischen Teils derselben) in Anwesenheit des SUPERINTENDENTEN DEKAN KÖSTLIN, der zuvor am 8. Mai eine ordentliche Kirchenvisitation in Verbindung mit einer Schulvisitation durchgeführt hat. Die Stadt präsentiert sich in fahnengeschmücktem Festkleid. Die Festpredigt hält der 1. STADTPFARRER VON MAINZ LUDWIG FROHNHÄUSER, weiland (von Februar 1868 bis Juni 1869) Verwalter der 1. bzw. Vikar der 2. Pfarrstelle, Autor der „Geschichte der Reichsstadt Wimpfen …“ (1870) und bis dahin der vielbeachteten heimatgeschichtlichen Erzählung „Das Kräuterweible von Wimpfen“ (Erstausgabe 1884/85). Die Zeitung berichtet darüber begeistert Folgendes:

„Nachdem er in sinniger Weise auf seine alten Beziehungen zur hiesigen Gemeinde hingewiesen, entrollte er in ergreifenden Zügen ein farbenreiches Bild unseres Gemeindelebens von der Gründung der Kirche bis auf die neueste Zeit und wies das Walten Gottes nach im kirchlichen wie in weltlichen Dingen. Mit atmenloser Spannung lauschte die Gemeinde den mit entflammender Begeisterung vorgetragenen Auslegungen des Predigtextes (87. Psalm, Vers 1 – 3) und innerlich erbaut und gestärkt verließ sie nach dem Schlußgesang die Kirche.“

Mit dem Jubiläum ist ein Kirchengesangfest verbunden, an dem sich die Vereine von Mosbach, Heilbronn und Weinsberg beteiligen. Solches Gegenhalten, dazuhin Missfallsbekundung und Widerstand von evangelischer Seite, regte sich umso mehr, als nach dem endgültigen Abschied des ERSTEN EVANGELISCHEN PFARRERS WILHELM SCRIBA und Wegzug nach Darmstadt im Herbst 1892 die Konfrontation unter dessen Nachfolger DR. RICHARD WEITBRECHT und damit der Konfessionshader sich nicht nur fortsetzte, sondern über die konfessionelle Ebene hinausgehenden und um die anderthalb Jahrzehnte dauernden Krieg der beiden führenden Köpfe ausartete. Somit findet der sog. Kulturkampf, obgleich die Reichspolitik Bismarcks diesen unter Beibehaltung der Zivilehe, des Kanzelparagraphen wie des Verbots des Jesuitenordens zum Zwecke der Bekämpfung der sich mehr und mehr ausbreitenden „Sozialistenseuche“ längst aufgegeben und im Großherzogtum Hessen nach der Einsetzung von BISCHOF HAFFNER durch beiderseitiges Entgegenkommen zu entspannen begonnen hat,[10] auf örtlicher Ebene in Wimpfen in geradezu extremer Weise fort. Darüber wird an späterer Stelle in den Rubriken J.4 und J.5 allerlei Weiteres zu berichten sein.

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[1] Haberhauer, Günther, 1999, S. 66

[2] Diese und die nachfolgenden Angaben von Ergebnissen der Gemeinderatswahlen sind hauptsächlich entnommen:
Haberhauer, Günther, 1999, S. 32, 39, 54, 56, 59, 65, außerdem der Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde der jeweiligen Jahrgänge

[3] Aus: Haberhauer, Günther, 2012, S. 270

[4] Haberhauer, Günther, 1999, S. 32

[5] Haberhauer, Günther 1999, S. 54

[6] Mündliche Mitteilung von Friedrich Feyerabend (1871 – 1959)

[7] Haberhauer, Günther, 1999, S. 72

[8] Haberhauer, Günther, 1999, S. 73

[9] Haberhauer, Günther, 1999, S. 71

[10] Demandt, Karl Ernst, 1972, S. 600