Zeitperiode I (1802/03 – 1806)

Miliärische, zivilrechtliche, verfassungs- und rechtsmäßige Übernahme der Freien Reichsstadt Wimpfen durch die Landgrafschaft bzw. das spätere Großherzogtum Hessen und somit Wimpfen jetzt Exklave in der „Dreiländerecke“

Ausführliche Zeittafel

Sept. – Dez. 1802 Die Freie Reichsstadt Wimpfen und das Dominikanerkloster werden militärisch (Truppenkommando von 35 Mann) und später zivilrechtlich durch Geheimreferendär und Hofratsdirektor Herzog für den Markgrafen Karl Friedrich von Baden in Besitz genommen. Dasselbe geschieht mit dem Ritterstift Sankt Peter in Wimpfen i. T. und dem Wormser Hof in Wimpfen a. B. durch zunächst nur einen Schützen, dann durch den Geheimen Regierungsrat Stockhausen und 30 Mann unter Leutnant Merk für den Landgrafen Ludwig X. von Hessen.
April 1803 Wimpfen und das Dominikanerkloster kommen durch Gebietsaustausch-Vertrag an die Landgrafschaft Hessen, die ca. 2/5 d. jährlichen Einkünfte der Stadt an sich zieht, aber auch anteilmäßig die Schulden (das sind ca. 60.000 fl von ca. 150.000 fl) übernimmt und den Rat (2 Bürgermeister und 5 Ratsherren) sowie das Stadtgericht (8 Richter) vorläufig im Amt belässt.
ab 1804 ff. Verschleuderung der Altäre und der meisten sonstigen Ausstattung der Stiftskirche durch Verkauf als „wertloses Zeug“. Die wertvollen frühgotischen Glasmalereien der Stiftskirche und der Dominikanerkirche gelangen großteils in die landesherrlichen Sammlungen nach Darmstadt, die letztgenannten in den Besitz des Grafen Erbach zu Erbach zur Ausgestaltung seines neugotischen Rittersaales.
Okt. 1805 Weitreichender Verlust der Selbstbestimmung durch Ablösung der reichsstädtischen Verfassung durch eine von Landgraf Ludwig X. erlassene Vorschrift sowie ergänzende Verordnungen mit Ernennung eines neuen 12-köpfigen Magistrats, der aus seinen Reihen jährlich den Bürgermeister (zunächst Johann Friedrich Heinrich -Ernst) wählt und der Oberaufsicht des hessischen Justizamts unter dem früheren Stadtsyndikus Justizamtmann Gottfried Ferdinand Majer untersteht. Besuch des Landgrafen Ludwig X. mit feierlichem Gottesdienst, dabei „Gardinenpredigt“ des betagten Stadtpfarrers Zürner.
1806 Mediatisierung bzw. Säkularisation der umgebenden Reichsritterschaften und der Deutschordensgebiete sowie des (nur kurzzeitig bestandenen) Fürstentums Leiningen; Erhebung der Landgrafschaft Hessen zum Großherzogtum (jetzt: „Großherzog Ludewig I.“ von Napoleons Gnaden). Bezirk Wimpfen (des nunmehrigen Großherzogtums Hessen) jetzt umgeben zu 2/3 von Württemberg und 1/3 von Baden und somit abseits in der „Dreiländerecke“ gelegen.

Die Übernahme durch die Markgrafschaft Baden ergibt sich dadurch, dass die Reichsstadt Wimpfen inklusive des Dominikanerklosters am 24. 9. 1802 durch den Markgräflich Badischen Geheimreferendär und Hofratsdirektor Herzog im Namen eines Dekrets des Markgrafen Karl Friedrich von Baden vorbehaltlich der endgültigen Einwilligung der Reichsentschädigungskommission in Regensburg militärisch besetzt wird und derselbe Beamte am 2. und 3. 12. 1802 deren Zivilinbesitznahme vornimmt. Völlig unmöglich, hier das verwirrende Wie und Warum der diesem Akt folgenden militärischen und zivivilrechtlichen Inbesitznahme der beiden Einrichtungen geistlicher Herrschaftsträger, nämlich des Ritterstifts Sankt Peter Wimpfen im Tal sowie des Wormser Hofes in Wimpfen am Berg, durch den Landgräflich Hessischen Kommissär und Geheimen Regierungsrat Stockhausen im Namen des Landgrafen Ludwig X. von Hessen sowie den darob geführten brieflichen Schlagabtausch der beiden fürstlichen Landesherren zu schildern. Dies lässt sich im Einzelnen im oben bereits schon genannten einschlägigen Aufsatz des Jahres 1950 von Peter Roßkopf „Wie kam Wimpfen zu Hessen?“ nachlesen, der von diesem auf der Basis der von ihm in der Vorkriegszeit exzerptierten und großteils dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallenen Akten des Staatsarchivs Darmstadt gefertigt worden ist. Darüber hinaus finden sich die Vorgänge der Übernahme Wimpfens in ihrer Gesamtheit ausführlich in der aus meiner Feder stammenden Darstellung des Jahres 2004 „Die Geschichte der hessischen Exklave Wimpfen“, Band I: 1802 – 1836“, Kap. A.1 – 4 (S. 94 – 107) beschrieben.

Wir müssen uns hier auf die Kardinalfrage beschränken:

Warum hat Baden schlussendlich Wimpfen und das Dominikanerkloster gegen andere Gebiete an Hessen ausgetauscht?

Die von der Wimpfener Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts (Heid, Frohnhäuser, Lorent) übereinstimmend gegebene und im 20. Jahrhundert immer wieder in einschlägigen örtlichen Beiträgen wiederholte Antwort lautet zusammengefasst folgendermaßen: Weil dem Landgrafen von Hessen der Wormser Hof und das Ritterstift infolge deren besitzmäßigen bzw. historischen Bindungen zum Bistum bzw. zum Hochstift Worms zugesprochen worden und das der Oberhoheit der Memminger Brüder unterstellte Heiliggeisthospital ein Zankapfel zwischen Bayern, Württemberg, Baden, dem Deutschen Orden und Wimpfen gewesen ist, so dass Baden in Wimpfen nicht allein besitzberechtigt war und Komplikationen bei seiner Herrschaftsausübung erwartete, überdies die Stadt Wimpfen eine im letzten halben Jahrhundert ihrer Reichsstadtzeit entstandene ganz erhebliche Schuldenlast drückte.

Mein Studium der einschlägigen Wimpfener Akten in Verbindung mit einer mir erst nach meiner o. a. Veröffentlichung bekannt gewordenen Abhandlung von Erwin Schnell „Die Reichsstädte beim Übergang an Baden“ (Heidelberg 1929 – 10. Kapitel „Wimpfen“, S. 169 – 176) macht folgende aufschlussreiche Ergänzung erforderlich: Mit der damaligen sprichwörtlichen badischen Gründlichkeit hat der als „hervorragend tüchtiger, aber überaus ehrgeiziger und dauernd unzufriedener Beamter“ apostrophierte Geheime Referendär Hofrat Herzog durch gründlichste Inaugenscheinnahme und sogar Vorlegung eines umfangreichen und vor allem auch historisch ausgerichteten Fragenkatalogs, mit welchem er sogar die Schicksalsfragen der unterlassenen Wiedererbauung der vom Eis zerstörten Neckarbrücke sowie des Zerfalls der alten Fernstraßenverbindungen angeschnitten hat, Wimpfens Verhältnisse eruiert und im Bericht an seine unter der Regie des die badischen „Entschädigungslande“ neu strukturierenden höchst versierten Hofratsdirektors Friedrich Brauer stehende Behörde folgendes extrem schlechte Bild Wimpfens gezeichnet:

Es besteht in Wimpfen:

  • drückende Familienrücksicht bei den zwei Bürgermeistern und zwischen beiden großes Misstrauen;
  • fehlende Achtung und mangelndes Vertrauen der Bürgerschaft gegenüber dem Magistrat und vor allem der städtischen Rechnungsführung seit alter Zeit, d. h. seit der gescheiterten „Holzrevolution“ des Jahres 1783;
  • gröbliche Vernachlässigung der städtischen Verwaltung in allen ihren Teilen;
  • empörende Unordnung des Archivs und
  • eine insbes. auch auf die Einrichtung der unrentablen ersten. Saline („Bergsaline“) rückführbare Schuldenlast von mehr als 150.000 fl.

Die Schulden der Stadt hätten, so berichtet Herzog nach Karlsruhe, den in vielen Dingen keinen Bescheid wissenden amtierenden Bürgermeister zu der höhnischen Bemerkung veranlasst, „der Markgraf werde eine Suppe ohne Schmalz bekommen“. So sieht sich Herzog zu dem folgenden abschließenden Gesamturteil bewogen: „Wenn aus dem ganz verworrenen und tief gesunkenen Städtchen je wieder etwas Gutes werden soll, so ist es durchaus erforderlich, dass ein recht tüchtiger Beamter von Kenntnis, Diensteifer und Energie demselben vorgesetzt werde“; vor allem sei „die Finanzveraltung in allen ihren Zweigen nachprüfen und völlig umgestalten zu lassen“.

Genauestens gewogen und geprüft also und vom badischen Markgrafen Karl Friedrich trotz des brieflichen Schlagabtausches mit Landgraf Ludwig X. von Hessen letztendlich zu leicht und zu herabgekommen befunden! Es fügt sich gut, dass vor kurzem ein in der

  • Abbildung 3: Portrait des einen der beiden letzten reichsstädtischen Bürgermeister: Johann Jakob Langer (1749 – 1828)

wiedergegebenes Gemälde aufgetaucht ist, das noch die Handschrift der ausgehenden Barockzeit erkennen lässt und natürlich das gestörte Verhältnis zu seinem Mitkollegen Bürgermeister Johann Friedrich Seyfferth nicht sichtbar machen kann.

Außerdem dürfte bei den Abwägungen Badens hinzugekommen sein, was bei der Betrachtung der

  • Abbildung 4: Karte „Herrschaftsgebiete um die ehemalige Freie Reichststadt Wimpfen nach dem Reichsdeputations-Hauptschluss 1802/03 bis 1805/06

ins Auge springt, nämlich: Nach 1802/03 bleibt von Kern-Wimpfen (in Hellgelb Nr. 37, die angrenzenden Orte als weiße Streifen herausgehoben) die Markgrafschaft Baden (in Rot) trotz ihres Vorrückens nach Osten hin in den Kraichgau hinein in Form von Zugewinnen

  • an hochstiftisch speyrischen Orten (Waibstatt, Eppingen)
  • und landsässig-pfälzischen niederen Adelsherrschaften (siehe die mit senkrechter hellerer Streifung unterlegten roten Gebietsteile; nicht ins Gewicht fallend das aus stiftisch-pforzheimer Besitz eingekommene Kraichgauörtchen Bockschaft!)
  • durch ein mehr oder minder breites Band vorübergehend fürstlich leiningisch gewordener Orte (in Grau: siehe z. B. Kirchardt, Ober- und Untergimpern, Siegelsbach, Sinsheim, Steinsfurt)
  • sowie reichritterschaftlicher Orte (in Braun mit Schrägstreifung und „Kr“ siehe z. B. Fürfeld, Bonfeld, Grombach, Rappenau, Zimmerhof, Heinsheim)

noch beträchtlich entfernt. Denn Baden berührt einzig und allein den Wimpfener Forstbezirk (in Gelb ebenfalls Nr. 37) – und zwar durch die Gewinnung

  • der landsässig-pfälzisch niederadligen Herrschaft Flinsbach
  • sowie des wormsischen Bargen.

Somit stellt das Wimpfen dieser Zeitperiode für Baden ein Exklavenort dar, der von vier verschiedenen anderen Herrschaften umgeben ist, nämlich:

  • dem Ritterkanton Kraichgau (in Braun mit Schrägstreifung und „Kr“) im W (Zimmerhof, Rappenau, Bonfeld) und im N (2/3 von Heinsheim),
  • dem Herzogtum Württemberg (in Blau) im SO (Ober- und Untereisesheim),
  • dem Deutschen Ritterorden (in Grün) im SW (Biberach) und NO (1/3 von Heinsheim) sowie O jenseits des Neckars (Offenau, Jagstfeld)
  • und dem Ritterkanton Odenwald (Braun mit Senkrechtstreifen und „O“) im SO (Kochendorf).

Im Wimpfener Raum muss man also die durch den Reichsdeputations-Hauptschluss angestrebte politische Vereinfachung in Anbetracht des nach wie vor buntscheckigen Kartenbildes immer noch suchen.

Daraus wächst eine zweite Frage: Warum hat dann aber das noch weiter abseits gelegene Hessen trotzdem „zugegriffen“? Die Antwort: Weil das dem Landgrafen Ludwig X. von Hessen durch den Reichsdeputations-Hauptschluss als Haus- und Familieneigentum zugesprochene und ohnehin mit nur rund 10.000 fl verschuldete Ritterstift Wimpfen einen höchst stattlichen Grundbesitz gehabt hat. Dies ergibt sich zunächst aus der Karte der Abb. 4, wo oben (in Gelb Nr. 49r) der rund 370 badische Morgen große Finkenhof über Hochhausen a. N. zu sehen ist, der als Besitz des Stifts mit diesem dem Landgrafen von Hessen ebenfalls als Haus- und Familieneigentum zugefallen ist. Und wie die

  • Abbildung 5: Plan von 1777 über die dem hochadligen Ritterstift in der Talmarkung gehörigen Äcker, Wiesen, Weinberge, Baum- und Grasgärten

erkennen lässt (siehe dort die in Rosarot eingefärbten Flächen = Grundbesitz des Stifts!), befindet sich fast die Hälfte der Gemarkung von Wimpfen im Tal in Stiftsbesitz. Hinzu kommt der ebenfalls der Abb. 4 entnehmbare Umstand, dass der westlich von Zimmerhof gelegene 165 hessische Morgen große sog. Grafenwald (in Abb. 4 in Hellgelb; das ist das spätere sog. Zimmerhöfer Feld) als Erbleihgut des Wormser Hofes gleich dem Finkenhof dem Landgrafen von Hessen zugesprochen worden ist, von den einheimischen und auswärtigen vielen Gerechtsamen sowie den Kurien-, Vikarien-, Verwaltungs- und Landwirtschaftsgebäuden des Stifts in Wimpfen im Tal gar nicht zu reden. So kommt es, dass der hessische Kommissär Stockhausen den Gesamtwert des Ritterstifts auf etwa 1,5 Millionen schätzt. Somit erscheint dem Landgrafen von Hessen das Ritterstift Wimpfen im Tal zusammen mit dem Wormser Hof in Wimpfen am Berg als ertragversprechender Zugewinn, den er sich nicht entgehen lassen will. Und was das Territorium der Reichsstadt Wimpfen mit Wimpfen am Berg, Wimpfen im Tal, Hohenstadt und dem Forstbezirk anbelangt, so erscheint diesem dieses für sein Land als mögliches drittes Besitztum am unteren Neckar „interessant“, was sich daraus ergibt, dass ihm dort 1802/03 aus wormsischem Besitz Neckarsteinach und aus mainzischem Besitz Hirschhorn zugesprochen ist. Hinzu kommt das Wissen um das in Wimpfen gewonnene Salz, außerdem der Umstand, dass die Landgrafschaft Hessen aus dem katzenellenbogischen Erbe seit 1567 im Kondominat mit Württemberg die am Nordostfuß des Heuchelbergs gelegene Ortschaft Kürnbach und damit bereits eine noch ein Stück weiter als Wimpfen vom Hauptland entfernt gelegene Exklave besitzt.

Noch wichtig zu wissen, was laut Austauschvertrags-Entwurf vom 14. März 1803 alles gegeneinander getauscht worden ist:

Die Markgrafschaft Baden tritt an die Landgrafschaft Hessen ab:

  • die Stadt Wimpfen (Berg, Tal, Hohenstadt, Forstbezirk) mit dem Dominikanerkloster, außerdem
  • das zwischen Hirschhorn und Neckarsteinach gelegene Neckarhausen sowie
  • den badischen Anteil an Neckarsteinach und dem angrenzenden Darsberg.

Die Landgrafschaft Hessen tritt an die Markgrafschaft Baden ab:

  • die im nördöstlichen Kraichgau gelegenen (aus Wormser Besitz an Hessen gekommenen) Orte Bargen und Aglasterhausen sowie
  • Eschelbach bei Hirschhorn a. N. und
  • den wormsischen Anteil am Straßenheimer Hof bei Viernheim an der Bergstraße.

Wie Erwin Schnell 1 ½ Jahrhunderte später urteilt, hatte bei diesem Austausch zweifelsfrei Hessen-Darmstadt den Vorteil, weil die eingehandelten Orte keine gleichwertige Kompensation für die Reichsstadt Wimpfen mit ihren berühmten Kunstdenkmälern gewesen seien, obgleich der für Baden handelnde Kommissär Hofrat Sensburg nachher selbstlobend gegenteilig behauptete, dass der Tausch für Baden auf so vorteilhafte Weise zustande gekommen sei, dass man den adhibierenden Darmstädter Beamten Hofrat Stockhausen in Zivilarrest genommen habe. Die abschließende Wertung von Erwin Schnell: „Heute aber berührt es uns Badener schmerzlich, dass man 1803 die alte Reichsstadt, die hinsichtlich ihrer Kunstdenkmäler sehr wohl einen Vergleich mit dem berühmten Rothenburg ob der Tauber aushalten kann, so leichten Herzens aufgegeben hat.“

Wie dem auch sei: Hessen fallen im Austauschvertrag vom 11. 6. 1803 mit Baden stark 2/3 der jährlichen Revenüen (Einkünfte) von Wimpfen zu (z. B. der Große Frucht-, Wein-, Wald- und Salzzehnt, der Zoll, die ordinäre Beeth = jährliche Vermögenssteuer); es muss aber auch ebenso viele Schulden der Stadt (rd. 60.000 fl von rd. 150.000 fl) übernehmen. Demnach entstehen für die Stadt starke dauerhafte finanzielle Einbußen einerseits, zugleich aber hat diese andererseits auch, wenngleich nur einen momentanen, finanziellen Gewinn. Sonst wird vorläufig alles beim Alten belassen; vor allem darf der aus 2 Bürgermeistern, 5 Senatoren (Räten) und 8 Assessoren (Richtern) bestehende Magistrat fürs Erste noch im Amt bleiben, ebenso der reichsstädische Syndikus (Rechtsbeistand) Gottfried Ferdinand Majer, dem aber wegen der Zerstrittenheit der beiden Bürgermeister bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme zugebilligt wird.

Durch die am 1. 10. 1805 „Von Gottes Gnaden, Landgraf zu Hessen … Herr zu Friedberg und zu Wimpfen“ ergangene „Gnädigste Verordnung wegen der künftigen Verfassung“ werden dem Magistrat der Stadt die Regierungsrechte über sein Gebiet sowie die Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit entzogen und teils dem daselbst anzustellenden Justiz- und Polizeibeamten, teils dem für das Fürstentum Starkenburg, dem Wimpfen zugeordnet ist, angeordneten Provinzialkollegien zu Darmstadt unter der Oberaufsicht des geheimen Staatsministers (Du Thil) zugewiesen. Somit wird jetzt das „Großherzogliche Amt Wimpfen“ errichtet, dem als Justizamtmann in Doppelfunktion, d. h. Beamten der Verwaltung (Exeketive) und Justiz (Judikative) gleichzeitig, der frühere Stadtsyndikus Gottfried Ferdinand Majer vorsteht.

Die beiden Bürgermeister Johann Jakob Langer und Johann Friedrich Seyfferth gehen ihres Amtes verlustig und werden mit dem Titel „Hofrat“ belohnt. Der Magistrat in seiner alten Form wird aufgelöst und vom Landesherren ein neuer solcher ernannt. Dieser besteht aus wiederum in der Regel auf Lebenszeit amtierenden 12 Senatoren, die ausnahmslos dem Kreis der früheren Senatoren und Assessoren entnommen sind und durch Wahl innerhalb dieses Gremiums (allerdings unter obrigkeitlicher Bestätigung) ergänzt werden. Diese wählen aus ihrer Mitte (gültig jeweils für ein Jahr) Johann Friedrich Heinrich Ernst zum Bürgermeister. Siehe dessen von der Seite gesehenes und in der Manier der Romantik wiedergegebenes Konterfei in der

06 Johann-FH-Ernst

  • Abbildung 6: Johann Friedrich Heinrich Ernst, der erste nach der Aufhebung der reichsstädtischen Verfassung von den zwölf Senatoren aus ihrer Mitte gewählte Bürgermeister Wimpfens.

Diesem folgen 1808 – 1811 Senator Karl Heinrich Weber, 1811 – 1813 Senator Johann Carl Fuldner, dann tritt 1814 vorübergehend wieder Johann Friedrich Heinrich Ernst auf den Plan und dann für ein Jahrzehnt von 1815 – 1824 Senator Johann Martin Bischoff. Assessoren-, d. h. Richterämter, gibt es jetzt nach dem Verlust der Gerichtshoheit nicht mehr. Damit hat das Wimpfener Hochgericht auf dem Galgenberg mit seinem dreischläfrigen Galgen ausgedient, der aber erst 1827 entfernt wird.

Nach geschehener Umorganisation stattet Landgraf Ludwig X. von Hessen seiner Exklavenstadt Wimpfen 1805 einen Besuch ab. Bei dem aus diesem Anlass gehaltenen feierlichen Gottesdienst hält der hoch betagte, seit 1758 im Dienst der Stadt stehende, Stadtpfarrer Johann Philipp Zürner aus dem Born seiner Erfahrungen den neu ernannten und doch alten Räten hinsichtlich ihres in Reichsstadtzeiten wenig hinterfragten Schaltens und Waltens eine Art „Gardinenpredigt“ (siehe darüber in der 1893 in Buchform erschienenen ortshistorischen Erzählung von Konrad Fron bzw. Ludwig Frohnhäuser „Der Rosenwirt von Wimpfen. Eine alte Geschichte aus einer alten Stadt“ den Schluss auf Seite 219/220), in der er – entgegen deren rückwärts gerichteten Denkungsart – allzu deutlich sein Plazet und sein Vertrauen gegenüber der neuen landesherrlichen Ordnung spüren lässt.

Symbol des weitgehenden Entzugs der Selbstbestimmung ist das neue Wappen der Stadt, das die

  • Abbildung 7: Siegel der Stadt Wimpfen ab 1806

wiedergibt. Als sprechendes Zeichen der Entrechtung ist der stolze Reichsadler des alten Wappens nur noch hälftig zu sehen; die andere Hälfte muss dem hessischen gestreiften Löwen weichen. Diesem ist jetzt der dem Adler aus dem Schnabel genommene Wormser Schlüssel in die Pranken gegeben, was vor allem auch den dem Landesherrn in Person eingekommenen Zugewinn des Ritterstifts und des Wormser Hofes bestens demonstriert. Die Umschrift des Wappens erinnert an die nach dem Aufstieg Napoleons zum Kaiser der Franzosen 1805/06 vollzogene Gründung des Rheinbundes und Auflösung des alten Reiches mit der Erhebung Hessens und Badens zum Großherzogtum und Württembergs zum Königreich. Die Hand in Hand damit gehende Mediatisierung der Reichsritterschaften der Ritterkantone Kraichgau und Odenwald sowie des 1802/03 dort etablierten und somit kurzlebigen Fürstentums Leiningen und die Säkularisation des Deutschordensgebietes macht die Nachbarorte Wimpfens

  • Heinsheim, Zimmerhof und Rappenau badisch, aber
  • Bonfeld, Biberach diesseits des Neckars (Ober- und Untereisesheim waren dies schon sowieso) sowie Kochendorf, Jagstfeld und Offenau jenseits des Neckars württembergisch.

Somit ist die hessische Exklave Wimpfen jetzt, wie die

  • Abbildung 8: Karte zur politischen Gliederung im Bereich der „Dreiländerecke“ ab 1806

ausweist, zu rd. 1/3 (im N und NW) von Baden und zu rd. 2/3 (von SW bis NO) von Württemberg umgeben und liegt demnach jetzt in der „Dreiländerecke“. Auf der Karte erscheinen als zusammengehörig in der Farbe Violett:

  • Wimpfen (mit Wimpfen am Berg, Wimpfen im Tal und Hohenstadt)

und als weitere im Umland gelegene hessische Exklavengebiete

  • der zu Wimpfen gehörige Forstbezirk (mit hessisch Helmhof, dem Forst- und den Forstgutäckern) sowie außerdem
  • der Finkenhof und
  • das Grafenwäldle (später: Zimmerhöfer Feld).

Damit ist die Anfangsperiode I umrissen.

Wir können uns jetzt der Zeitperiode II der insgesamt 7 solchen der 150-jährigen Herrschaft Hessens zuwenden: