Zeitperiode VI (1918 – 1932)

Kurzlebige Los-von-Hessen-Bemühungen, doch anschließende Akzeptanz des Exklavendaseins unter der eigenständigen Hinentwicklung zum Bau eines städtischen Kurmittelhauses mit Gewinnung des Prädikats „Bad“ Wimpfen.

Ausführliche Zeittafel

1918 Absetzung des hessischen Großherzogs Ernst Ludwig; das Hessenland erhält eine neue Regierung unter Ministerpräsident Carl Ulrich.
In Wimpfen Volksversammlungen mit der Wahl eines Arbeiter- und Bauernrates, später eines sog. Volksrates.
1919 Auf Volksversammlungen formiert sich eine Los-von-Hessen-Bewegung („Die Dynastien samt ihren Grenzpfähl’n sind zerbrochen; der Tag des Selbstbestimmungsrechts ist angebrochen!“), die aber bald wieder durch folgenden Appell von Pfarrer Scriba zum Erliegen kommt: „Wimpfen besinne dich zuerst auf dich selbst!“
Bürgermeister Heinrich Bornhäuser tritt aus „Gesundheitsrücksichten“ zurück und durch Beschluss des Gemeinderats soll mit Genehmigung der Regierung Wimpfen einen Berufsbürgermeister erhalten: Wahl des 27-jährigen Verwaltungsmannes Erich Sailer, Ludwigsburg.
Professor Johannes Eck: „Wimpfen und seine Umgebung im 1. Drittel des 19. Jahrhunderts“ (Zeitungsaufsatz).
1921 Erwerb des Mathildenbades aus der Hand von Hotelier Johannes Albrecht durch die Stadt Wimpfen mit anschließendem Brand und Wiederherstellung desselben mit Art-Nouveau-Ausstattung sowie die Überführung in eine Aktiengesellschaft
Neue Auflage: „Führer durch Wimpfen und Umgebung“ mit Stadtplan und Karte des Umlands durch den Verein Alt-Wimpfen.
1922 Einen guten Werbeeffekt bringt der Besuch des Staatspräsidenten, Ministers für Arbeit und Wirtschaft sowie des Landtagsspräsidenten von Hessen und des Direktors des Kreises Heppenheim Pfeiffer.
1923 Erste Stadtbeleuchtung mit Feuerwerk als beste Reklame und Herausstellung der Großartigkeit der Stadtsil-houette von Wimpfen a. B. und Auftakt auf die später jährlich insbesondere an Pfingsten wiederholten solchen
1924 Einrichtung einer romantischen viel besuchten und sehr bewunderten Jugendherberge im Haus Angelberger an den Arkaden des Burgviertels
1924 Mehrtägiger Besuch des ehemaligen Großherzogs mit Söhnen und Gefolge im Mathildenbad mit Besichtigung der Kulturdenkmäler
1924 Pfarrer Otto Scriba: „Wimpfen am Neckar. Bilder aus der Geschichte und Kunst“ (Sammlung von 17 historischen und kunstgeschichtlichen Aufsätzen)
1925 ff. Gründung des „Neckar-Verkehrsverbandes“ als Interessengemeinschaft zur Hebung des Fremdenverkehrs mit Sitz in Wimpfen
Nach der Inflation großer Aufschwung Wimpfens als „Solbad- und Luftkurort“ sowie insbesondere „Fremdenort“ mit vielen Besuchern: Sonderzüge, „Wimpfener Woche“ an Pfingsten, Stadtbeleuchtungen, Aufführungen historischer Stücke u. v. a. m.
1926 ff. Verbesserung der Zugdichte und Einsetzung von Ausflugszügen für Gruppen- und Einzelreisende nach Kochendorf-Wimpfen;
Besuch des württembergischen Landtags; Erscheinen der Zeitschrift für Handel, Gewerbe und Verkehr „Am schönen Neckar“
1927 Festliche Einweihung der von Hessen und Württemberg sowie der Stadt Wimpfen finanzierten „Hindenburg-brücke“ unter dem rührigen Bürgermeister Erich Sailer (6 ¼ Jahrh. nach der Zerstörung der Römerbrücke)
1928 Die im Zusammenhang mit der Diskussion der Länder- und Reichsreform in der Presse mehrfach angespro-chene Exklaveneigenschaft Wimpfens veranlasst den Gemeinderat zu einer großen Denkschrift, die u. a. fest-stellt: „Wimpfen hat keine Veranlassung, vom hessischen Staatsverband wegzugehen, wir wissen die Fürsor-ge des hessischen Volksstaates zu schätzen und verlangen, falls die Frage deren Aufhebung ansteht, das Selbstbestimmungsrecht.“
1929 Ludwig Will, Lehrer in Hohenstadt, erinnert abermals durch seine Abhandlung in der Folgeschrift „Am schönen Neckar“ des Titels „Die Reichsfreiherren von Wimpffen“ daran, dass dieses weitverbreitete namhafte Adelsgeschlecht im späten Mittelalter unter dem Namen Hermann von der Stadt Wimpfen seinen Ausgang genommen hat.
1930 Eröffnung des „Kurmittelhauses“ (mit Spezialkuren wie für Asthma, Emphysem u. a. m.) auf dem Allezberg und Verleihung des Prädikats „Bad“ Wimpfen durch die Regierung des hessischen Volksstaates
1931 Beginn der wachsenden Auseinandersetzungen zwischen den „Linken“ und „Rechten“ und dem aufkom-menden Nationalsozialismus
1932 Studienrat Dr. Eduard Betzendörfer: „Wimpfener Sagen aus dem Munde des Volkes und der Dichter“

Am bitteren Ende des Ersten Weltkriegs steht im Gefolge des Sturzes der Monarchen in der Novemberrevolution des Jahres 1918 die unspektakuläre Absetzung des Großherzogs Ernst Ludwig und die Übernahme der Regierung unter dem Ministerpräsidenten des neu konstituierten hessischen Volksstaates und gemäßigten Sozialdemokraten Carl Ulrich. Jetzt kommt es in der Exklave Wimpfen erstmalig zu einer Los-von-Hessen-Bewegung, und zwar nunmehr „von unten her“. In einem Gedicht in der „Wimpfener Zeitung“ vom 13. Februar 1919 plädiert der Kaufmann Georg Karl Allmendinger unter dem Leitvers „Die Dynastien samt ihren Grenzpfähl’n sind zerbrochen; der Tag des Selbstbestimmungsrechts ist angebrochen“ für eine Änderung des Exklaveneigenschaft Wimpfens:

Wimpfen und Neudeutschland

Wimpfen, die alte Reichsstadtperl’ am Neckarstrande
Kam durch Napoleons eiserne Faust zum Hessenlande.
Obgleich weit außer dessen Grenzen gelegen,
Wurd’s nicht gefragt, ob’s sei zu seinem Nutzen oder Segen,
Nur einzig, weil hier ein Schloss das Bistum Worms gehabt!
Fast 100 Kilometer liegt es von der Kreisstadt ab.
Der Weltkrieg nun ein neues Deutschland hat geboren;
Selbst leiten sein Geschick ist es nun auserkoren.
Die Dynastien samt ihren Grenzpfähl’n sind zerbrochen;
Der Tag des Selbstbestimmungsrechts ist angebrochen.
Auch Wimpfen darf und soll sein Schicksal selbst bestimmen!
Wem will es fürder sein? –Wie soll es das beginnen?
Will’s preußisch, bayrisch, sächsisch oder gar französisch sein?
O Nein! Oder badisch, zoll’risch, württembergisch? O Nein!
Zum stammverwandten Schwabenland will es heimkehren,
Zu dem Rhein, Neckar, Tauber, Donau mög’s gehören.-
Drum lasst uns all vereinen zu einem Schwabenbund,
Am Neckar und am Rheine, vom See zum Taubergrund.
Auf, auf! Ihr Frauen! Männer! Werbt all für diesen Bund!
Macht’s allen Volksgenossen! Macht’s allen Wimpfnern kund!

Georg Allmendinger

In diesem originellen Gedicht wird allerdings nicht die bislang diskutierte bloße schwierige Lostrennung von Hessen durch einen Gebietsaustausch verlangt, sondern der eigentlich utopische Appell ist, durch eine Vereinigung der Länder vom Bodensee bis zum Main ein größeres staatliches Gebilde unter Vereinigung von Schwaben und Franken („Südweststaat“) zu bilden und somit die hessische Staatszugehörigkeit irrelevant zu machen. Wie sich die Einstellung der Wimpfener zu diesem Problem entwickelt, das schildert die diesbezügliche Passage der langen Eintragungen des Pfarrers Otto Scriba in der Pfarrchronik der evangelischen Kirchengemeinde für das Jahr 1919 wie folgt:

„In Friedenszeiten war wohl schon manches Mal unangenehm empfunden worden, dass Wimpfen von dem Sitz des Kreisamts Heppenheim sehr weit entfernt sei. Die Missstände waren besonders im Krieg durch die Misswirtschaft des Kommunalverbandes noch empfindlicher zu Tage getreten. Wie es nun überall in Zeiten erregter Volksmassen zu geschehen pflegt, über den hie und da sich zwingenden im Leben der Menschen gegründeten Mängeln, werden die Vorteile und Vorzüge, die man bisher gehabt, übersehen. Nur die Schatten werden gesehen, aber nicht das Licht, dem sie doch letztlich entstammen. Hessen hat für Wimpfen vom Anfang an sehr viel getan, mehr wie für irgendeine andere Stadt im Land und jedenfalls viel mehr als Baden und Württemberg für Städte in ähnlicher Lage wie Wimpfen. Weil eben mal die Verwaltungsmaschine des Kreisamts und des Kommunalverbands des Kreises Heppenheim nun einmal nicht so tadellos funktionierte, wie man sich allgemein wünschte, so setzte mit der Revolution die Bewegung: Los von Hessen! immer stärker ein und erreichte in einer Volksversammlung am 16. 2. ihren Höhepunkt. Für und Wider wurde hin und her geredet. In der Wimpfener Zeitung wurde darüber berichtet. Und ein längerer Aufsatz des Schreibers dieser Zeilen scheint endlich dafür gewirkt zu haben, dass man wieder nüchtern und ruhig darüber denken lernte. Nicht die Staatszugehörigkeit entscheidet über das Wohl unserer Gemeinde, sondern ihre Selbstbesinnung auf die ihr durch ihre Lage, Kultur, Boden erwachende Aufgabe. Aufwachen aus dem seitherigen Schlendrian, an die Arbeit mit den von Gott verliehenen Kräften unter sachgemäßer Benutzung der Lage, das sind die Grenzfähigkeiten der Entwicklung Wimpfens. Diese Gedanken scheinen in manchen Köpfen doch gewirkt zu haben und die anfänglich starke Stimmung für den Anschluss an Württemberg, die nach Ansicht der Mehrheit allein die Neuregelung der Frage in Aussicht genommen hatte, wurde bereits so weit umgeschwenkt, dass ein Hauptführer dieser Sache meinte, bei einer Abstimmung würde wohl 2/3 für die Zugehörigkeit zu Hessen stimmen. Was man hat, weiß man, was man dafür eintauscht, ist sehr ungewiss. Im Mittelpunkt steht die Frage des Amtsgerichts, der Realschule und des Steueramts. Bleiben wir bei Hessen, so bleiben diese Einrichtungen bestehen, ob Württemberg sie uns ließe und gar eine Oberamtsstadt aus Wimpfen machte, ist sehr ungewiss.“

Die Auswertung der vielen Presseberichte sowie der einschlägigen Akten erbringt folgendes konkretere (doch immer noch sehr verkürzte) Bild:

Der ausgangs 1818 über einen Arbeiter- und Bauernrat entstandene Volksrat organisiert laufend Volksversammlungen, bei denen zunächst die schlimme Nahrungs-, Kohlen- und Wohnungsnot sowie die schwierige diesbezügliche Versorgungslage im Vordergrund stehen und schließlich auch vielerlei Klage laut wird über die Zugehörigkeit zum „ärmsten Kreis Hessens Heppenheim und Hessens überhaupt“. So kommt es am 16. Februar 1919 zu einer sehr stark besuchten Volksversammlung im am Beginn der Alten Heilbronner Straße gelegenen Ost’schen Saal, bei der einzig und allein die „zukünftige Staatszugehörigkeit Wimpfens“ zur Debatte steht, eine große Anzahl von Diskussionsrednern aus allen Bevölkerungs- und Berufsschichten ausführlich zu Wort kommen und die aus historischer wie gegenwärtiger Sicht vorgebrachte Flut von Klagepunkten die Positivpunkte der Zugehörigkeit zu Hessen erdrücken. Dieses versucht Forstmeister Zeh, der auf den durch die hessische Hochwaldwirtschaft erzielten Güte- und Wertgewinn der Waldungen sowie auf den Umstand hinweist, dass bei einem badischen Wimpfen für den Forstbezirk Steuer dorthin gezahlt werden müsse und bei einem württembergischen Wimpfen eine neue Enklave entstünde, vergeblich abzuschwächen. (Nebenbei gesagt: Diese von Zeh angesprochene Problematik des vom Wimpfener Kerngebiet getrennten Forstbezirks hat der Gemeinderat 1952 dadurch für immer gelöst, dass er schweren Herzens dessen Abtretung an Neckarbischofsheim akzeptierte.) Und Pfarrer Scriba verweist zwar auf die von Hessen „in den letzten 20 Jahren großen und keiner anderen gleichgroßen Stadt gebrachten Opfer“, muss aber zunächst unter dem Druck der Masse einräumen, dass er die Frage, ob ein mit Württemberg verbundenes Wimpfen nicht besser fahre, nicht verneinen könne; nur müsse man bei einem etwaigen Wechsel darauf dringen, dass es nichts, so die Realschule und das Amtsgericht, verliere.

Mit Mehrheit fasst die Versammlung schließlich folgenden Beschluss: „Die seitherigen Verhältnisse Wimpfens im hessischen Staatsverband sind unhaltbar. Ein Besserung könnte am besten erreicht werden durch Angleichung Wimpfens an einen der uns angrenzenden Staaten.“ Es wird ein 17-köpfiger Ausschuss aus Mitgliedern aller Berufsgruppen gebildet, zu dem auf Betreiben des Gemeinderates noch der seit längerer Zeit den „aus Gesundheitsrücksichten“ beurlaubten Bürgermeister Bornhäußer vertretende Beigeordnete Kieffer hinzukommt. In einem längeren Zeitungsartikel ruft jetzt jedoch Pfarrer Scriba zur Besonnenheit durch vielerlei Fragestellungen auf und kommt zu der folgenden Schlussfolgerung: „Ob rot-weiße oder schwarz-rote Grenzpfähle oder Fahnen ist weniger von Bedeutung als die willensstarke Anspannung aller Kräfte des Körpers, Geistes und der Hand … Ein Gemeinwesen, das alle Hilfe und jede Besserung seiner Lage nur von der Regierung erwartet, ist verloren … Darum Wimpfen besinne dich zuerst auf dich selbst, die Frage, wohin wir dann gehören, wird sich leicht entscheiden lassen.

Schließlich wird vom Gemeinderat Anfang Mai 1919 eine 3-köpfige Kommission, bestehend aus dem Beigeordneten Kieffer, Gemeinderat Friedrich Feyerabend und Kaufmann Ernst Mannheimer, gebildet, die eine Eingabe an den Kommunalverband Heppenheim wegen Lostrennung von Wimpfen von demselben und den Anschluss an einen benachbarten württembergischen Kommunalverband ausarbeiten soll. Diese Eingabe wird vom Kommunalverband Heppenheim und dem Landesernährungsamt Darmstadt jedoch abgelehnt. Mitte Juli beschließt daraufhin der neu gewählte Gemeinderat, in dem die Demokraten mit 9 gegenüber den Sozialdemokraten mit 6 Stimmen die Mehrheit errungen haben, die Anträge wegen Loslösung vom Kommunalverband Heppenheim mit der Begründung zurückzuziehen, dass das neue Wirtschaftsjahr in greifbare Nähe gerückt sei.

Inzwischen hat der Bürgermeisterwahlkampf begonnen, nachdem der Gemeinderat beschlossen hat, für Wimpfen die Städteordnung einzuführen und somit die bereits schon anderthalb Jahrzehnte zuvor bei der Wahl des Jahres 1906 im Gemeinderat aufgetauchte, jedoch damals nicht mehrheitsfähig gewesene Idee zu realisieren, einen besoldeten Berufsbürgermeister anstatt einen bisher nach der Landgemeindeordnung mit einer Art Unkostenbeitrag abgefundenen Bürgermeister im Ehrenamt einzustellen. Bei der wegen eines Formfehlers notwendigen Nachwahl kann sich, wie beim ersten Wahlgang, der aus Württemberg kommende und zuvor als Oberamtsassistent an der Oberamtssparkasse Ludwigsburg tätig gewesene 27 Jahre alte Erich Sailer gegen seinen aus dem hessischen Mainz kommenden Hauptgegner Stadtsekretär Wagner mit einer knappen Mehrheit (von nur 107 dank der ihm in den Teilorten zugefallen hohen Stimmenzahl) durchsetzen. Siehe dazu die

  • Abbildung 47: Erich Sailer, der erste Berufsbürgermeister in Wimpfen von 1919 – 1933.

Es zeigt sich bald, dass damit sowie mit dem gewählten Kandidaten die richtige Entscheidung getroffen worden ist, und in der Tat steht nach einiger Zeit, befördert durch die bedrängenden großen Nachkriegsprobleme, die Anschlussfrage in keiner Weise mehr zur Debatte. Mit dem Berufsbürgermeister Sailer erscheint Wimpfen „aus seinem 50jährigen Dornröschenschlaf erwacht“ zu sein, um eine Formulierung aus der „Anlage“ zum bereits erwähnten Aufsatz von Friedrich Feyerabend (Untertitel „Vom Bauernstädtchen zur Kurstadt. Entscheidende Bürgerversammlung. Wird der Wurf gelingen? Versammlung in der Turnhalle 1927“) zu benützen, der damals als Gemeinderat aus den schlimmen Erfahrungen mit den Ehrenbürgermeister-Familien – siehe z. B. die Bürgermeisterwahl des Jahres 1898! – entscheidend zur Anstellung eines Berufsbürgermeisters beigetragen hat. Nachdem alle durch die Lage des Bahnhofes und des Tals im Hochwassergebiet von vorneherein sowieso schon fragwürdigen Bemühungen um die Ansiedlung von Industrie entweder durch Angebote „halblebiger“ Fabriken oder der übertriebenen Forderung, kostenlos Gelände bei zehnjähriger Steuerfreiheit zur Verfügung zu stellen, sich zerschlagen, steht es fest: Zielgerichtet soll die Weiterentwicklung Wimpfens zum Bade- und vor allem auch zum Kurort (im Sinne von Spezialkur-Angeboten) und auch verstärkt zum Fremdenort (im Sinne von Touristenort) in den Vordergrund gestellt werden, wobei die Mehrheit des Gemeinderates dieses Ziel unterstützt.

Dieser Weg ist auch insofern vorgezeichnet, als der Hotelier Johannes Albrecht im Jahr 1900 ein modernes Hotel in Bordighera bei Nizza an der italienischen Riviera übernommen hat, um den geschäftsstillen Winter Wimpfens besser ausnützen zu können, und nun nach dem Kriegsende dieses mit dem Ertrag aus dem Verkauf des Mathildenbades weiterzuführen und auszubauen gedenkt. Zu diesem Entschluss trägt der Umstand bei, dass ein bis in den Ersten Weltkrieg hinein betriebener Plan des nunmehr verstorbenen Neckargemünder Konsuls Menzer, das baulich nicht mehr auf dem zeitgemäßen Stand stehende Hotel über die Gründung einer Aktiengesellschaft mit dem hessischen Staat als dem Hauptbeteiligten durch ein großzügig angelegtes modernes Kurhotel in architektonischer und dem altertümlichen Stadtbild angepasster Geschlossenheit zu ersetzen, nicht zur Ausführung gelangen konnte. Hierfür sowie vor allem auch für den schon früher gehegten Plan der Anlegung einer breiten Fahrstraße vom Bahnhof den Haag hinauf zum Hotel war sogar der als Vermittler tätige Großherzog gewonnen worden. Im Krieg teilweise als Erholungsheim für Verwundete benutzt, war das Haus ziemlich abgewirtschaftet worden.

So steht im März 1919 der Verkauf des Mathildenbades an, und es will im Hin und Her des Verkaufs und schließlich sogar des reumütigen Rückkaufs durch den früheren Besitzer die Stadt Pforzheim dort ein Kinderheim einrichten, was, wie man meint, den Todesstoß für Wimpfen als Bade- und Kurort bedeutet hätte. Das wird dadurch hinfällig, dass Ende Mai 1920 das unter den Besitzern Nicolaus Hofmann und Ehefrau Marie (1903 – 1906) sowie Hermann Wohlfahrt bzw. später Agnes Wohlfahrt und Tochter (ab 1906 bzw. 1910) abgewirtschaftete Badhotel Ritter von der Stadt Pforzheim gekauft und zu einem Schullandheim umfunktioniert wird. Dafür erwirbt, rasch handelnd, im Oktober 1821 unter dem neuen Bürgermeister Sailer die Stadt Wimpfen das Hotel Mathildenbad für den vereinbarten Kaufpreis von 450.000 Mark, ohne jedoch vorläufig den Kaufpreis zu entrichten und dafür Albrecht die Wirtschaftsführung auf eigene Rechnung zu belassen. Das unvorhergesehene Ereignis eines Kaminbrandes im Seitenflügel mit Ausdehnung auf das obere Stockwerk bringt den ungelösten Fragenkomplex der Lösung näher: Es findet unter der Initiative von Bürgermeister Sailer Anfang Februar 1923 (inmitten der rasenden Inflation!) die Gründung der „Mathildenbad-Solbad-Aktiengesellschaft“ – gegen die von der sozialdemokratischen Gemeinderatsfraktion vertretene Umgestaltung des Komplexes zu Wohnungen und einen gewaltigen Sturmlauf in der Presse – mit einem Grundkapital von 30.000.000 Mark bei ca. 1/3 Beteiligung der Stadt als Gründer bei selbstschuldnerischer Bürgschaft derselben gegenüber der AG statt. Pfingsten 1823 kann ein Großteil des Hotels den Betrieb aufnehmen. Es folgt in den nächsten Jahren der weitere Ausbau zu einer Anlage mit großen Glasfronten auf zwei Stockwerken zum Neckar hin mit teilweise gedeckter Terrasse und einer schicken Ausstattung im Art-Nouveau-Stil der 1920er Jahre.

Wie sich das Hotel jetzt darstellt, zeigt die

  • Abbildung 48: Aus der Bebilderung eines Prospekts des Mathildenbades: Tal- und Stadtansicht, geschlossene Terrasse des Hotels, Blick von dort ins Neckartal (1926), und die

  • Abbildung 49: Aus einer Werbeanzeige des Mathildenbades mit Foto der Diele des Hotels (1926).

Viel zum langsam auch im Zuge der allgemeinen finanziellen Konsolidierung des „Kurhotels Mathildenbad“ bei manchen (vor allem Schulden-)Sorgen sich einstellenden Erfolg trägt der dem Bürgermeister als dem Vorsitzenden des 7-köpfigen Aufsichtsrats und des 3-köpfigen Verwaltungsausschusses freundschaftlich zur Seite stehende Vorstand (und vormalige Kurdirektor in Bad Mergentheim) Diplomkaufmann Helm Wienkötter bei, dessen nach seinem Weggang 1926 nach Bad Soden erstellte historisch-gegenwartsgeschichtliche Broschüre „Gesundheits- und Gaststättenwesen im alten Wimpfen nebst einer Geschichte des Mathildenbades daselbst“ (1927/28) wertvolle Informationen für die Erstellung dieser Abhandlung bietet. Diesem folgt C. Dathe aus Heilbronn nach. Von großer Werbe- oder Stützkraft sind bzw. werden über die restlichen 1920er Jahre hinweg zum Publikumsmagneten und tragen darüber hinaus für die Belebung des Fremdenverkehrs zum Vorteil insbesondere auch der übrigen sich jetzt enorm entwickelnden Wimpfener Gastronomie und Geschäfte aller Art die folgenden (natürlich hier nur auswahlweise wiedergebbaren) Fakten bei:

  • August 1823: Der zweitägige Besuch des Staatspräsidenten des neuen Volksstaates Hessen Carl Ulrich zusammen mit dem Minister für Arbeit und Wirtschaft Raab, dem Präsidenten des hessischen Landtags Adelung und dem Kreisdirektor des Kreises Heppenheim Pfeiffer in Wimpfen. Bei diesem versichern der Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister in der öffentlichen Gemeinderatssitzung als dem Höhepunkt des hohen Besuchs auf die Bitte des Bürgermeisters hin, Hilfe bei der Entwicklung zur Kurstadt sowie auch zur Ansiedlung von Industrie zu leisten, dass diese berechtigt sei und sie sich für deren Erfüllung, so weit es ihnen gegeben sei, einsetzen würden. Und Präsident Adelung knüpft an die Geschichte der Kunstdenkmäler Wimpfens an und verspricht, alles zu tun, dass Wimpfen, „die Perle im Neckartal“, weiterhin noch besser bekannt werde, ja, er glaube, den Landtag zu einem Besuch Wimpfens bewegen zu können.
  • September 1823: Zum ersten Mal (und in den Folgejahren immer wieder) wird eine dem Vorbild der berühmten Heidelberger Schlossbeleuchtung folgende Beleuchtung der Stadtsilhouette (fortan „Stadtbeleuchtung“ genannt) veranstaltet, nachdem ein Gewitterregen beim Besuch der hessischen Regierung eine solche verhindert hat. Die

  • Abbildung 50: Kunstkarte „Stadtbeleuchtung“ nach einem Aquarell von E. Gruber (1925/26)

als eine der vielen solchen künstlerischen und fotografischen Darstellungen vermag vielleicht eine Ahnung dieses oft wiederholten viel bestaunten und viel besuchten Spektakels der Hervorhebung der Wimpfener Stadtsilhouette zu geben. Und als weitere wichtige Ereignisse bzw. Schrittmacher auf dem Wege zur Belebung des Fremdenverkehrs dieses Jahres und der nachfolgenden Jahre sind zu nennen:

  • Oktober 1923: Gründung der Vereinigung der „Mathildenbad-Freunde“ und des „Rudervereins Wimpfen“;
  • April 1924: der mehrtägige Besuch des früheren hessischen Großherzogs mit Familie (Großherzogin Eleonore und Söhne Erbprinz Georg Donatus und Franz Ludwig sowie Hofmarschall Graf Hardenberg); Begleiter ist Pfarrer Otto Scriba, der in diesem Jahr sein Buch mit 17 Sammelaufsätzen „Wimpfen am Neckar, Bilder aus Geschichte und Kunst“ herausbringt;
  • Ende Mai/Anfang Juni 1924 (Pfingstzeit): Veranstaltung der ersten, in den späteren Jahren fortgesetzten, „Wimpfener Woche“ mit Festspiel („Unruhige Ostern“ – 1525), Paradekonzerten, großem nicht enden wollendem Festzug am Pfingstsonntag und Stadtbeleuchtung; am Dienstag und Mittwoch nach Pfingsten erfolgt der im Vorjahr vom Landtagspräsidenten angesprochene Besuch des Hessischen Landtags mit Führungen und Besichtigungen, Kirchenkonzert, gemeinsamem Mahl im Mathildenbad, Stadtbeleuchtung, Morgenfeier mit geschichtlichem Vortrag, Besichtigung des im Bau befindlichen Neckarkanals bei Kochendorf; den Abschluss bildet am Mittwoch die farbenfrohe Auffahrt der Boote des deutschen Kanu-Verbandes zu seiner großen Pfingst-Neckarfahrt mit einer dritten großen Stadtbeleuchtung; die Teilnehmer sind bereits am Samstag mit Bahn oder Schlepper angefahren; es spielt sich ein, dass nunmehr in der warmen Jahreszeit viele Faltbootfahrer von Mannheim/Heidelberg her mit ihrer Ausrüstung per Bahn anfahren, um dann, befördert von der Strömung des Flusses, am Sonntag neckarabwärts wieder heimzukehren.
  • Juni 1924: Eröffnung einer viel bewunderten und rege besuchten Jugendherberge im bereits 1914 in Landeseigentum übergegangenen Angelberger’schen Haus an den Arkaden der Kaiserpfalz mit 70 Betten in 3 Räumen, schönem Aufenthaltsraum und Diele unmittelbar bei den Pfalzarkaden; Einweihung durch den Mitbegründer des Deutschen Jugendherbergswerks und Leiter der ersten deutschen Jugendherberge in Altena/Westfalen Richard Schirrmann; im ersten Vierteljahr werden schon 800 Übernachtungen gezählt. Hier kehren begeistert vor allem viele Angehörige der Jugendbewegung ein. Am Tag der Einweihung wird ins Gästebuch geschrieben:

Kaiser haben hier gewohnt,
Schloss und Pfalz errichtet.
Schicksal hat sie nicht geschont,
Hat auch sie vernichtet.
Heute kommt ein neu Geschlecht,
Die Jugend zieht hier ein!
Die Mauern flüstern still mit Recht:
„Wird dies Geschlecht von Dauer sein?“

Und ein junger Kaufmann lobt:
Ich wollt, ich fänd auf meiner Fahrt
Stets Herberg vor von solcher Art.

Ein Anderer singt:
Du traute Stadt am Bergeshang, leb wohl,
Du hoher Turm, du Glockenklang, leb wohl, ade.
Ihr Häuser, alle wohlbekannt,
Noch einmal wink ich mit der Hand
Und dann, seitab gewandt.

Ein Berliner schreibt:
Wimpfen lass Dir nicht gefallen,
Dass man Dich vergessen will.
Du kannst Dich mit Deinen Hallen
Seit’ an Seit’ mit Roth’burg stellen.

  • September 1924: Gründung einer „Vereinigung der Freunde der Realschule“;
  • 1924/25: Herausgabe von Führungsplänen, Veranstaltungskalendern, Stadtprospekten sowie im Folgejahr 1926 einer 35-seitigen neu von Realschuldirektor Luley und Bürgermeister Sailer gestalteten und reich mit Fotos sowie mit Darstellungen des Darmstädter Malers und ausgeprägten Wimpfen-Freundes Wilhelm Gerling Senior versehenen vierte Auflage des „Führer durch Wimpfen und Umgebung“; daraus sollen nachfolgend vier instruktive Seiten gezeigt werden:

  • Abbildung 51: Eröffnungsseite 1 des vorgenannten Führers mit der Darstellung (Radierung) der ostwärtigen Stadtsilhouette von Wilhelm Gerling Senior, Darmstadt;

  • Abbildung 52: Liste der Beherbergungsbetriebe auf Seite 33 desselben;

  • Abbildung 53: Verzeichnis der Fremde aufnehmenden Privatwohnungen auf S. 34;

wimpfen-hessische-enklave-54

  • Abbildung 54: Verzeichnis „Sonstige Gaststätten“ auf Seite 35.
  • Januar 1925: Gründung des „Neckar-Verkehrs-Verbandes“ im Mathildenbad mit Sitz in Wimpfen, einer Interessengemeinschaft zur Belebung des Fremdenverkehrs am Unteren Neckar mit 26 Mitgliedsorten, was Wimpfen zum Motor desselben macht und von dem her auch der Bau einer Neckarbrücke bei Wimpfen ins Gespräch gebracht wird;
  • 1925: Erstes Erscheinen einer Werbebroschüre „Ferien am schönen Neckar“ sowie des (in den Folgejahren „weitergeschriebenen“) illustrierten aktuellen Reiseführers „Am schönen Neckar“ unter der Herausgeberschaft vom „Neckar-Verkehrs-Verband“ Sitz Wimpfen. Hierzu seien gezeigt:

  • Abbildung 55: Titelblatt des 34-seitigen „Illustrierten Führers durch das Untere Neckartal“ des „Neckar-Verkehrsverbandes“, 2. Auflage 1926;

  • Abbildung 56: Innenseite des vorgenannten Titelblattes mit dem Veranstaltungskalender des Jahres 1926.
  • April 1925: Die von der Bürgermeisterei Wimpfen vertretene „Interessengemeinschaft für die Erbauung einer Straßenbrücke über den Neckar zwischen Wimpfen und Jagstfeld“ von 26 Anrainergemeinden gibt eine Art Denkschrift heraus, in der abschließend das Reich und die Landesregierungen von Württemberg, Hessen und Baden ersucht werden, eine Entschließung zum Bau einer solchen mit Kostenbeteiligung dieser Gemeinden in Bälde zu erstellen. Motto: „Drei Länder – ein Wille!“
  • September 1925: Besuch des württembergischen Landtags, der den angestrebten Erfolg der Überwindung der Ländergrenzen ausweist;
  • 1926 ff.: Initiativen zur Verbesserung der Zugdichte und von Ausflugszügen der Reichsbahn nach Kochendorf-Wimpfen zum Einzel- und Gruppenbesuch des „Solbad- und Luftkurortes Wimpfen“;
  • 1926 – 1929: Erscheinen des Werbeträgers „Am schönen Neckar! Eine Zeitschrift für Handel und Verkehr“ durch das inzwischen errichtete „Verkehrsbüro Wimpfen“; hierzu sei gezeigt die

  • 57: Kopfstück der Zeitschrift „Am schönen Neckar!“ mit dem Anfangsteil einer Fremdenliste vom September 1928.

Rückblickend auf das Jahr 1926 kann die Kurverwaltung folgende langsam sich einstellende positive Bilanz ziehen, die auch die Änderung der gesellschaftlichen Strukturen und die Entwicklung hin zum Sozialstaat mit der Entwicklung des Krankenkassenwesens spüren lässt:

 Erstmals wieder seit langer Zeit hat Wimpfen das gehabt, was man „Kursaison“ nennen kann. Ungefähr 1 200 Fremde, die länger als eine Woche blieben, wurden vom Verkehrssausschuss festgestellt. Freilich ist es zum großen Teil ein ganz anderes Publikum gewesen wie zu jener Zeit, als das Mathildenbad noch über den ganzen Sommer mit voll besetztem Hause aufwarten konnte. Waren es früher in der Hauptsache höhere Beamte, Kaufleute, Angehörige freier Berufe usw., kurz das, was man als Mittelstand bezeichnete, so traten die schlichteren Gestalten von Angehörigen der Krankenkasse in Erscheinung. Auch das äußere Leben, so wie es sich auf der Straße und in den Gasstätten abspielte, hat sich gegen früher geändert. Damals waren es Leute, die mehr oder minder zu ihrem Vergnügen hier weilten, heute sind es Männer und Frauen, welche zur Kräftigung und Wiederherstellung ihrer Gesundheit systematische Kuren mit Wimpfens heilkräftiger Sole machen: der untere Beamte, das bleichsüchtige Ladenfräulein der Großstadt, die nervöse überanstrengte Stenotypistin, das aus dem Krankenhaus entlassene Dienstmädchen, die abgeschaffte Arbeiterfrau. Über den gemeinsamen Typus des kranken Menschen hinaus können die paar Ausnahmen in Gestalt lebenslustiger Städterinnen nicht hinwegtäuschen. Während man fast überall in den Sommerfrischen und Bädern über schlechten Besuch hörte, hat Wimpfen einen guten Besuch gehabt. Es ist den Bemühungen des Verkehrsausschusses und vor allem der rastlosen Tätigkeit des Bürgermeisters Sailer und der Opferfreude des Direktors Dathe unter Mithilfe der hiesigen Ärzte zu danken, dass die Abmachungen mit den Krankenkassen zum Ziele führten. Durch Werbeschriften, Prospekte, Fühlungnahme mit den maßgebenden Persönlichkeiten, Besuche an Ort und Stelle, Werbetätigkeit der letzten Jahre ist Wimpfen außerordentlich bekannt geworden. Der Erfolg ist also die Folge der eifrigen Tätigkeit von früher. Stadt und Einwohner haben sich schnell auf den Zustrom eingestellt. Überall werden dem Verkehrsausschuss Zimmer zur Verfügung gestellt, da die Gasthöfe nicht ausreichten. Damit gab es die ersten Unzuträglichkeiten, da viele Räume den Ansprüchen nicht genügten. Vor allem sind die Klosettverhältnisse der wundeste Punkt der Wohnungshygiene der alten Reichsstadt. Deshalb streben die Vermieter den Umbau an. Das Mobiliar ist meist gut. Bei der Verpflegung setzt man alle Ehre drein. Das Verhältnis von Wirt zu Gast ist zum Teil familiär. Im Blick auf 1927: Wenn sich die Menschen in der alten Reichsstadt in ihrem Vorhaben einig sind, so kann es für die Zukunft nicht fehlen. Hat ihnen doch die Natur die allerbesten Vorzüge gegeben, das Dreigestirn: Landschaft, Luft und Sole. Bis zum 1. November kamen 70 000 Mark nach Wimpfen herein.

  • Pfingsten 1927: Die nunmehr zum 4. Male an Pfingsten veranstaltete Stadtbeleuchtung findet in der Presse begeistertes Echo: Wen haben nicht die stolzen Linien der am Himmel sich abzeichnenden wundervollen Silhouette der Stadt entzückt, wenn er vom rauschenden Neckar hinaufblickt zu dem kraftvoll emporstrebenden Türmen und Zinnen. Und nun denke er sich bei Nacht diese herrliche Front, die wohl kaum ihresgleichen findet, aus dem dunklen Untergrund des steilen Berghanges mit seinem Busch- und Laubwerk in glühender Lohe emporsteigend zum dunklen Nachthimmel. Alles Unwesentliche, alles Ablenkende und Störende ist verschwunden, nur die reinen Linien und Formen der Architektur dieser romanischen Bauweise treten in der roten Glut des bengalischen Feuers umso klarer und edler hervor. Die zierlichen Säulenreihen der Arkaden, das Entzücken jedes Beschauers, sie wirken wie ein steinernes Märchen. Wuchtig recken sich die beiden Türme der Pfalz und der Zackengiebel des Steinhauses empor. Vom Roten Turm bis zum Mathildenbad ein zusammenhängendes Bild von so überwältigender Schönheit, dass ich ihm nichts Ähnliches an die Seite zu stellen wüsste. Aus dem Dunkel des Haages leuchten da und dort die roten Feuer und lassen das Laubwerk wie feines Filigranwerk erscheinen. Des Neckars Fluten geben das herrliche Bild zurück …  Dankbar genießen wir die Schönheiten, die unser raffinierter Zeitgeist ins rechte Licht rückt.“
  • Oktober 1927: Festliche Einweihung der „Hindenburgbrücke“ zwischen Wimpfen am Berg und im Tal unter großer Beteiligung von Gästen; womit nach 6 ¼ Jahrhunderten Wimpfen wieder eine Straßenbrückenverbindung über den Neckar hat, unter Kostenleistung von 100.000 Reichsmark durch die Stadt Wimpfen bei Baukosten von ca. 600.000 Reichsmark. Deren Restsumme wird zu rund 65 % von Württemberg und 35% von Hessen bestritten. Als Dankesgeste wird die Zubringerstraße „Karl-Ulrich-Straße“ genannt und werden für ihre Verdienste um den Brückenbau das Mitglied der Baukommission Ministerialrat Professor Walter Knapp, Darmstadt, und der die auch die sonstige Förderung Wimpfens tatkräftig und verständnisvoll unterstützende Kreisdirektor Hermann Pfeiffer zu Ehrenbürgern ernannt. Es zeigt sich im Fortgang, dass die Brücke vor allem im Hinblick auf den immer stärker aufkommenden Auto- und Motorradverkehr besonders wichtig ist. Der Betrieb der diesem in keiner Weise gewachsenen Kahnfähre wird jetzt eingestellt. Hierzu die

  • Abbildung 58: Foto von der Einweihung der Neckarbrücke am 2. Oktober 1927 und

  • Abbildung 59: Blick auf die Neckarbrücke vom Mathildenbad aus;

  • Abbildung 60: Zwei Gedichte von Ernst Mannheimer anlässlich der Einweihung der Neckarbrücke.

Als dann

  • im Sommer 1928 der hessische Innenminister Leuschner der Stadt einen Besuch abstattet, wird dieser herzlich begrüßt und drückt man die Hoffnung aus, „dass er mit allem Nachdruck und weitgehendster Unterstützung für die berechtigten Wünsche von Wimpfen zur weiteren Hebung als Kurstadt eintritt, damit das schönste Fleckchen hessischer Erde endlich den Platz einnimmt, der ihm als Solbad und Luftkurort dank seiner schönen Lage und heilkräftigen Sole gebührt.“ Der Blick in die in der Zeitschrift „Am schönen Neckar“ vom September 1928 zu findende umfangreiche „Fremdenliste“ weist nicht nur ein buntes Bild von vermöglicheren Besuchern aus weiten Teilen Deutschlands sowie dem Ausland (Amerika, England, Holland) des Mathildenbades aus, sondern auch viele solche eher einfachere in den Gasthäusern (zur Sonne, zur Traube, zum Grünen Baum, zum Klosterkeller, in der Pension Wittmann, im Kaffee Bergmann, im Milchkurhaus Joos, im Gasthaus Perkeo, in der Pension Haffelder) sowie bei den Privatleuten wie z. B. Alexa Dürr, Otto Stecher, Hugo Roßbach, Marie Pfau, Eduard Traut v. a. m. Die große Zahl von Annoncen von nunmehr stark auf den Fremdenverkehr eingestellten Geschäften vieler Art sowie Wirtschaften, wie diese in

  • Abbildung 61: Letzte Partie des umfänglichen Annoncenteiles der ersten Nummer der Zeitschrift „Am schönen Neckar“ vom August 1928

zu finden sind, lässt regen Gewerbegeist erkennen und hinterlässt den Eindruck, dass es richtig ist, was Friedrich Feyerabend in Erinnerung an die 1920er Jahre eindrucksvoll herausstellt:

„Man fühlte sich glücklich, nach so vielen jahrzehntelangen planlosen Dahinlebens nun einen Plan und ein Ziel vor sich zu haben, die von dem streng verantwortungsbewussten Mann (gemeint: Bürgermeister Erich Sailer) mit aller Energie in die Tat umgesetzt wurde. Freudig stand man für den freundlichen und tätigen Mann und belohnte seinen eisernen Fleiß durch treue Unterstützung. So ging es Zug um Zug. Durch die genialen Werbungen in Illustrierten und Tageszeitungen sowie in der Inszenierung von Wochenendfeiern, Tagungen, Sonderzügen usw. lag ein gut ausgearbeitetes System. In raschem Tempo wurde Wimpfen, von dem man weit und breit nichts wusste, schnell überall bekannt, so dass es für jeden Einheimischen eine Freude war, mitzuhelfen. Die ersten so schönen Erfolge gaben dem Bürgermeister den gewaltigen Elan zu weiterer Entwicklung seiner Ideen und immer klarer stellte sich das Ziel heraus, wohin der Weg gehen musste. Nicht allein, dass die Stadtverwaltung in die Pläne eingeweiht werden musste, vielmehr galt es doch, die ganze Bevölkerung zu einer neuen Einstellung zu erziehen und der aufwärts strebenden Bewegung im Umgang und Verständnis anzupassen. Hierin wirkte vor allem das Vorbild. Jeden Sonderzug, jede Feierlichkeit und jeden angemeldeten Besuch empfing der Bürgermeister selbst mit seiner Stadtkapelle, durch die Stadt übernahm er die Führung und hielt seine Ansprache. Er opferte seine Sonntage ganz im Dienste für die Stadt und es war ihm keine Stunde bei Tag und Nacht zu viel.“ Siehe dazu die
wimpfen-hessische-enklave-62a

  • Abbildung 62a: Programmzettel für den Empfang eines Sonderzugs mit Gästen aus dem Raum Karlsruhe etc. am 1. August 1926;

  • Abbildung 62b: „Wimpfen a. Berg, das ,Rothenburg ob dem Neckar'“, Radierung von W. Gerling, Darmstadt (1924), im „Führer durch Wimpfen und Umgebung“ (1926).

Als im Zusammenhang mit der Diskussion der Länder- und Reichsreform (Bildung eines „Südweststaates“) in der Presse mehrfach die Exklaveneigenschaft Wimpfens sowie der Gedanke des Austausches angesprochen wird, sehen sich der Gemeinderat und der Bürgermeister im Frühjahr 1928 veranlasst, an die hessische Regierung eine 18-seitige Denkschrift unter dem Titel „Die Hessische Exklave Wimpfen“ mit eingehender Beschreibung der historischen wie gegenwärtigen Gegebenheiten Wimpfens zu senden und u. a. Folgendes vorsorglich zu erklären:

„Nun hat die Stadt Wimpfen auch die Fürsorge des Hessischen Volksstaates erfahren und hat ihm auch so manches zu verdanken, vorweg die Straßenbrücke über den Neckar. Auch ist manch anderes Projekt genehmigt und harrt der Ausführung, da kommt nun auf einmal das Aufwerfen der Exklaven-Frage. – Wir in Wimpfen haben keine Veranlassung, von Hessen weg zu gehen. Wir wissen die Fürsorge des Hessischen Volksstaates zu schätzen, und es hat deshalb auch der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 13. Januar 1928 beschlossen, folgende Erklärung abzugeben: ‚Verschiedene Veröffentlichungen in der Presse zu der Frage der Aufhebung der Enklaven und Exklaven im Deutschen Reich geben dem Gemeinderat Veranlassung zu erklären, dass Wimpfen keine Veranlassung hat, von sich aus dem Hess. Staatsverband auszuscheiden. Wird die Frage der Aufhebung der Enklaven und Exklaven praktisch, so verlangt der Gemeinderat für die Stadtgemeinde Wimpfen das Recht der Selbstbestimmung.’ – Der Gemeinderat unterstützt die Bestrebung der Schaffung eines großen Südwestdeutschland und wird sich, für den Fall sich eine Organisation hierfür bildet, hieran beteiligen. Wimpfens Wünsche bei der Abtretung von Hessen und Zuteilung an ein anderes Land sind folgende:

  • Wir wünschen nicht verkauft zu werden, wie dies einst Landgraf Friedrich von Hessen-Kassel mit seinen Landeskindern tat, sondern wir wünschen von Hessen wie eine Tochter behandelt zu werden, die man aussteuert ehe man sie verheiratet.
  • Wir wünschen, dass wir Behörden und Einrichtungen in Wimpfen, wie Realschule, Amtsgericht, Forstamt nicht nur behalten, sondern dass der übernehmende Staat sich verpflichtet das Vorhandene auszubauen, wir wollen Amtsstadt werden und dadurch Hinterland bekommen, das unserem leistungsstarken Gewerbe notwendig ist.
  • Wir wollen, dass unsere Realschule zur Oberrealschule ausgebaut wird.
  • Wir wollen, dass unsere Straßen nach den benachbarten Orten verbessert werden, damit diese dem modernen Verkehr genügen. Wir wollen insbesondere auch die Einführung des Omnibusverkehrs mit unseren benachbarten Orten.
  • Wir wollen, dass zur Unterhaltung unserer alten Kunstbaudenkmäler Staatsbeiträge gewährt werden, um sie vor dem Verfall zu retten.

Es besteht aber von uns aus auch gar keine Veranlassung von Hessen wegzugehen, so lange uns der Hessische Staat noch behalten kann. Wir wissen, was wir haben, was wir bekommen, ist ungewiss.“ Insbesondere weist die hier natürlich nur in den Kernpunkten wiedergebbare Denkschrift auf den großen, die Dinge verkomplizierenden, Grundbesitz Hessens in Wimpfen im Tal und am Berg hin: „Der Staat ist Eigentümer des Wormserhofes, der Stiftskirche, der Pfalzkapelle, der Angelberger’schen Hofreite, in welcher sich die Jugendherberge befindet, zweier Beamtendoppelwohnhäuser, eines Einfamilienhauses sowie des Amtsgerichtsgefängnisses.“ Wenngleich die Diskussion um die „Länderreform“ im Folgejahr 1929 wieder ansteht, sorgt die sich abzeichnende allgemeine große Wirtschaftskrise dafür, dass sich in dieser Frage fortab nichts mehr bewegt und somit die Zugehörigkeit Wimpfens in den 1930er Jahren so gut wie unhinterfragt bleibt.

Was die Denkschrift mit den geplanten Projekten, die noch der Ausführung harren, vor allem meint, das ist die Erstellung eines allen Ansprüchen der damaligen modernen Medizin gerecht werdenden sog. Städtischen Kurmittelhauses. Eine solche Einrichtung ist im Gegensatz zur Gründung und Betreibung des Mathildenbades von der Einwohnerschaft insofern getragen, als im Jahr 1925 eine Bittschrift mit nahezu 700 Unterschriften die Errichtung eines städtischen Solbades verlangt hat und Bürgermeister Sailer sich Ende April 1927 in einer vom Verkehrsausschuss einberufenen Bürgerversammlung des Einverständnisses der Bürgerschaft zum Bau eines solchen noch einmal versichert. Sailers Ziel geht dahin, aus der halbjährigen Sommersaison Wimpfens einen ganzjährigen Betrieb zu entwickeln. Das kann nur erreicht werden, wenn die einfache Solbadkur zu ausgesprochenen Spezialkuren umgewandelt und erweitert werden kann. In weiter Sicht sollen sich Mathildenbad und Kurbetrieb gegenseitig ergänzen und dadurch die Rentabilität gesichert werden. Nach vielen Erkundigungen und Beratungen neben Einsichtnahme in Spezialkurbetriebe sieht man die günstigste Möglichkeit insbesondere in der Asthmaheilkur.

So kommt es dazu, dass am 27. April 1930 das in einem reizvollen kleinen Kurgarten erstellte sog. Kurmittelhaus bei der Villa Osterberg auf dem Allezberg eröffnet werden kann, das in schlichtem Stil eines walmbedachten langgestreckten (im Basisteil vom Bauhausstil beeinflussten) Rechteckgebäudes nach Plänen der Architekten Mössinger und Beil, Stuttgart-Heilbronn, errichtet ist. Durch die Ausstattung mit Inhalationsapparaten und -kammern, Spezialeinrichtungen für viele Arten der Hydrotherapie oder Pneumatischen Kammern usw. bietet dieses beste Möglichkeiten für die Behandlung eines breiten Bandes von Atemwegs- sowie auch Muskel- und Gelenks-, Rheumaerkrankungen etc. und für Erholungskuren, wie sie damals nur wenige der anderen hessischen Bäder besitzen. Die Leitung der Kurverwaltung (Kur- und Verkehrsamt) übernimmt der (seit 1924 im Dienste der Stadtverwaltung als Leiter des Verkehrsamts tätige) Kurdirektor Udo Raetz

Dazu seien gezeigt:

  • Abbildung 63: Kopfstück der Sonder-Beilage der „Wimpfener Zeitung“ zur Einweihung des Kurmittelhauses am Sonntag, den 27. April 1930, sowie die

  • Abbildung 64: Der Eingang des auf dem Allezberg 1930 eröffneten Kurmittelhauses.

Dessen Standort außerhalb der Stadt auswärts des Alten Friedhofs hat sich schon in der Zeit von Helm Wienkötter insofern herauskristallisiert, als die vorgenannte Villa Osterberg samt Umgelände nach der Inflation 1924 gegen großen Widerstand der sozialdemokratischen Gemeinderatsfraktion über die Schaffung der für gemeinnützige wohltätige Zwecke bestimmten „Natalien-Augusten-Stiftung“ im Blick auf die für dringend notwendig erkannte Einrichtung eines Kurmittelhauses in den Besitz der Stadt gebracht worden ist. Der aus der Art der Stiftung sich ergebenden Gemeinnützigkeit des Kurmittelhauses ist dadurch Rechnung getragen, dass die Einwohnerschaft die Bädereinrichtung zu bestimmten Zeiten und ermäßigten Preisen benutzen kann. Damit ist die Voraussetzung für die angestrebte Aufnahme Wimpfens in die Reihe der mit dem Prädikat „Bad“ ausgezeichneten Orte des Volksstaates Hessen geschaffen, die am Tag vor der Einweihung durch die Unterschrift des hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner vollzogen wird. Als dieser dem Bürgermeister die Urkunde überreicht, betont dieser „die enge Verbundenheit mit Wimpfen, das sich seines Lieblingskindes Wimpfen mit besonderer Sorgfalt annehme“. Damit ist dem von hessischen Kreisbeamten ein knappes Jahrhundert zuvor gewiesenen Weg endgültig wieder Bahn gebrochen.

Schon vor der Eröffnung des Kurmittelhauses hat sich Wimpfen am späten Nachmittag des Sonntag, dem 2. März 1930, in der Fortsetzungs-Sendung „Unsere Heimat“ des beliebten Gestalters von Radiosendungen Carl Struve, durch die „Funk-Illustrierte für Süddeutschland“ im Titelbild und auf zwei bebilderten Seiten angekündigt, wirkungsvoll von verschiedenen Plätzen der Stadt aus im jetzt mächtig aufkommenden Rundfunk unter dem Motto „Wimpfen, die alte Hohenstaufenstadt am Neckar“ über anderthalb Stunden hinweg akustisch unter gemeinsamen Einsatz von vielerlei Einwohnern und Gruppen präsentiert: so des Bürgermeisters Sailer, der Pfarrer, einer Reihe von Lehren der Real- und der Volksschule, des Stadtmusikus Barth und der Turmbläser, der Stadtkapelle, der beiden Gesangvereine, der Glocken der Stadtkirche, des Schülerchores der beiden Schulen sowie eines der vielen Wimpfener Originale, nämlich des „Dedor“ (Theodor Kühner), u. a. m. Und im Rückblick auf die erste Saison des Kurmittelhauses des Jahres 1930 kann man melden, dass die Einnahmen mit rd. 32.000 Mark die Ausgaben einschließlich Verzinsung und Betriebskosten mit rd. 31.000 Mark „trotz der schlechten Wirtschaftslage“ überschritten haben.

Man spürt deutlich aus dieser Meldung die im Zuge der seit 1927 sich jagenden „schwarzen Freitage“ entstehende Weltwirtschaftskrise mit steigender schlimmer Arbeitslosigkeit heraus. So wird das Jahr 1929 wegen Kürzung der Arbeitszeiten und Entlassungen in den Fabriken und Sinken der Preise für landwirtschaftliche Produkte als „Sorgenjahr“ beklagt. Und so muss z. B. die Zeitschrift „Am schönen Neckar“ 1929 nach drei Jahren des Erscheinens wegen fehlender Rentabilität eingestellt werden. Und die Stadt Wimpfen ist vermehrt zu Sparmaßnahmen sowie zur Verhinderung der Gefahr der Aussteuerung der Arbeitslosen und Überweisung an die Armenfürsorge ab 1929 und 1930 sowie im „Notjahr 1931“ zu sog. Notstandsmaßnahmen gezwungen, die letztendlich aber auch vielfach dem Bade- und Fremdenbetrieb dienlich sind. Somit erfolgt damals die Teilkanalisation von Wimpfen am Berg und im Tal, die Teerung von Ortsstraßen im Anschluss an die Provinzialstraße, so der Mathildenbadstraße und eines Teils der Heinsheimer Straße, die Herrichtung von Feldwegen, Steinbrucharbeiten, die Umwandlung des Feuersees in eine Anlage mit zwei Wassertretbecken zum „Kneippen“ und Plantschen u. a. m. Unter diesen ungünstigen Umständen schätzt sich die Gemeindeverwaltung glücklich, dass die Saline (seit 1921) insbesondere zur Herstellung von Kryolith als Mittel der Aluminiumherstellung auf synthetischem Wege eine chemische Abteilung mit gutem Absatz angegliedert hat, und gibt klaglos der Hoffnung Ausdruck, dass die von dieser verursachten sog. Fluorschäden (gemeint: deren giftige Emissionen mit Schädigungen des Obstes und Krankheit des Viehs durch das verseuchte Futter) „zur Zufriedenheit der Geschädigten (gemeint: durch Zahlung von durch Schätzung per Inaugenscheinnahme ermittelten Geldausgleich) erledigt werde“, obgleich sich diese Kalamität vor allem mit dem Anspruch eines Luftkurortes und Spezialbades für Atemwegserkrankungen überhaupt nicht verträgt.

Dennoch gehen die Anstrengungen der Stadt und der angegliederten Kurverwaltung Wimpfen weiter. So wird, um nur sporadisch einige wenige Punkte anzuführen, 1929 unterhalb der Neckarbrücke auf der Offenauer Seite ein Neckarfreibad eingerichtet oder kommen beim Exbummel der Handelshochschule Mannheim, am Bahnhof begrüßt von großen Teilen der Einwohnerschaft, 500 Studenten in die Stadt. In den Jahren 1928/29 schafft der unternehmungslustige Automobilbesitzer Wilhelm Pitsch zwei Omnibusse an und die Kurverwaltung Wimpfen organisiert zusammen mit dem Verkehrsausschuss für Fremde wie für Einheimische Gesellschafts-Ausflugsfahrten in die nähere und weitere Umgebung: Ins romantische Neckartal, nach Weinsberg und zur Weibertreu, in den hessischen Odenwald, in die Löwensteiner Berge, in den Forstwald, zum Hohenasperg, nach Schwäbisch Hall, ins Zabergäu, zum Kloster Schönal an der Jagst, nach Stuttgart zum Schloss Solitude, nach Mergentheim und Weikersheim. Und im Mai 1930 gelingt es immer noch, dass Kochendorf-Wimpfen das Ziel eines von Aalen her über Stuttgart-Heilbronn kommenden Sonderzugs der Reichsbahn bleibt, in dessen Programm wiederum außer dem Salzbergwerk auch die dort entstehenden Schleusenanlagen des seit über einem halben Jahrzehnt im Bau befindlichen Neckarkanals einbezogen sind. Oder im beginnenden April 1931 wählt die Ortsgruppe Darmstadt des Deutschen Touring-Clubs, dem Beispiel anderer solcher Ortsgruppen der Vorjahre folgend, Wimpfen als Ziel einer zweitägigen Osterfahrt mit einer Geschicklichkeitsprüfung auf dem Lindenplatz in Wimpfen im Tal, einem Festabend im Mathildenbad und einer Führung durch Alt-Wimpfen und die Kureinrichtungen; die Gäste werden von Bürgermeister Sailer und einem Ehrenausschuss hochrangiger Funktionsträger, darunter Baron Fritz von Falkenhayn, dem in Wimpfen im Tal wohnenden Direktor der N.S.U-Werke Neckarsulm, herzlichst im „hessischen Rothenburg“ willkommen geheißen. Und im selben Jahr erscheint auch ein neuer 25-seitiger Führer unter dem Titel „Rund um Bad Wimpfen am Neckar. Ein Verzeichnis von 100 Spaziergängen und Halbtagsausflügen, sowie Autobus-Fahrten nebst einem Führungsplan durch Bad Wimpfens Sehenswürdigkeiten“, dessen Kargheit der Ausführung ohne Bebilderung jedoch die großen Sparzwänge ahnen lässt.

In Jahr 1931 sowie im ausgesprochenen „Notjahr 1932“ wird seit der Umbruchszeit nach dem Ersten Weltkrieg zum ersten Mal wieder starke Klage über Hessen geführt: Zunächst wird zu einer Protestversammlung gegen die vom hessischen Kreisamt Heppenheim verfügte Bürgersteuer aufgerufen und im Fortgang folgende Kritik geübt: „Bad Wimpfen hat im vorigen Jahr keinerlei Mittel weder vom Reich noch vom Staat (Hessen) zur Unterstützung seiner Wohlfahrtserwerbslosen erhalten, auch sonst fehlt es zur Zeit bei verschiedenen hessischen Stellen (Provinzialverwaltung, Landwirtschaftskammer) an dem nötigen Verständnis der Belange der hessischen Exklave Bad Wimpfen. Die ganze Not der Zeit lässt sich durch Zahlen ausdrücken: Wohlfahrtsausgaben 50.149 Mark einschließlich jener für Wohlfahrts-, Erwerbslosen- sowie Krisenfürsorge-Unterstützungsempfänger; für 1932 rechnet man mit 76.000 Mark …  Das neue Rechnungsjahr bringt neue Notverordnungen und in Ihrer Auswirkung neue Lasten. Die Zahl der Erwerbslosen und damit auch die Unterstützungen der Gemeinde sind bis zur Untragbarkeit gestiegen. Und wenn wir bei der Reichshilfe wieder von den maßgebenden Stellen umgangen werden sollten, so sind wir …  nicht in der Lage, unsere Aufgaben zu erfüllen.“ Gab es z. B. im Jahr 1931 noch 14.259 Übernachtungen durch Kurfremde, so im Jahr 1932 nur noch 10.404. Es werden auch manche Klagen über die durch die Abwanderung von Käufern in die größeren Geschäfte von Heilbronn geführt (Aufruf: „Einheimische kauft am Ort“). Der seit 1828 im Saal seines Gasthofs „Hirsch“ (früher „Deutscher Kaiser“) auch ein Kino betreibende Gastwirt Busch, bietet im März 1932, Zeichen der schweren Krisenlage, den wegen der vermutlich wirtschaftlichen Notlage wegbleibenden geschätzten Stammkunden an, ruhig zu kommen und, wenn nicht mit Geld, dann ohne Geld, noch einige Stunden der Zerstreuung zu genießen.

Schon im August 1931 steht der im Kurgarten und auf dem Festplatz bei der Turnhalle abgehaltene „Wimpfener Heimattag“, bei dem wie in vielen der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg auch ein Historisches Spiel (wiederum: „Unruhige Ostern“ von Richard Weitbrecht) aufgeführt wird und wieder der sozialdemokratische Innenminister Leuschner in Bad Wimpfen anwesend ist, im Zeichen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und auch dem Kommunismus, indem das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (die „Rechte“) gegen „Thälmanns Bolschewistengarde“ (die „Linke“) sowie gegen die „Umstürzler aus Hitlers Hakenkreuzlager“ demonstriert.

In dieser wirtschaftlich ausgesprochen schlechten Zeit erscheint 1932 wiederum ein gehaltvolles kleines wissenschaftliches Werk, das einen Gang durch die Wimpfener Geschichte bis hin zur Gegenwart unter dem Blickwinkel der ausgeprägten Sagenüberlieferung in Poesie und Prosa vornimmt und wieder von einem der hessischen Beamten, dem rege im Verein Alt-Wimpfen tätigen Studienrat an der Realschule Dr. Eduard Betzendörfer, geschrieben ist: „Wimpfener Sagen aus dem Munde des Volkes und der Dichter“. Am Schlusse der 48 Seiten umfassenden und mit einigen Radierungen sowie Fotos und kleinen Lithografien geschmückten Broschüre sind aufschlussreiche ergänzende neuere wissenschaftliche „Deutungen des Ortsnamens ‚Wimpfen’“ zusammengestellt und vergleichend interpretiert. Hinter den in diese Schrift eingestreuten unsignierten Radierungen dürfte durch die Vergleichung mit anderen Werken die Handschrift des in Wimpfen 1885 als Sohn des Zimmermalers, Gemeinderats und Mitglieds des Vorstandes des Vereins-Alt Wimpfen Wilhelm Pfau geborenen deutschen Landschafts- und Bildnismalers sowie Radierers Conrad Pfau stecken. Dieser hat nach dem Besuch der Großherzoglich-Hessischen Realschule Wimpfen und dem Studium in Straßburg, Düsseldorf und München sich in München niedergelassen, einen Namen durch seine aus der Beherrschung der graphischen Technik gewonnen Exaktheit und Sicherheit der Zeichnung gewonnen und ist 1954 in München gestorben. Unter seinen unzähligen Einzelwerken finden sich auch zahlreiche über seine Heimatstadt Wimpfen, von denen in den 1920er Jahren seine Neckaransichten in den Dienst der Werbung für Wimpfen und den Neckarverkehrsverband e. V. gestellt worden sind. Davon sei nachfolgend ein prägnantes Beispiel wiedergegeben:

  • Abbildung 65: „Wimpfen am Neckar“, Radierung von Conrad Pfau, Vorsatzblatt in: Dr. Eduard Betzendörfer, Wimpfener Sagen im Munde des Volkes und der Dichter, 1932

Was, rückblickend auf die nunmehr zu Ende gehenden 15 Jahre Wimpfens in der „Weimarer Republik“ bzw. im „Volksstaat Hessen“, in denen die Stadt in Rückbesinnung auf ihre eigenen Kräfte eine entscheidende Wende eingeleitet hat, in diesem Rahmen an Problemen und Errungenschaften nicht geschildert werden kann, das sei hier wenigstens stichwortartig in bunter Mischung, allerdings ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, angerissen:

  • die Erhaltung, Pflege und Erweiterung der mangelnden und für das Fremdenwesen wichtigen Anlagen (Alter Friedhof, Haag, Hälde, Kurwäldchen);
  • der Kampf mit der großen Wohnungsnot, der z. B. zur Errichtung städtischer Mietwohnungen im Bereich Zeppelinstraße-Lenaustraße (im Volksmund „Schuldenbuckel“ genannt) führt und auch die unschöne „Waggonia“ beim Hohenstädter Weg erzeugt;
  • die Wiedereinrichtung von Zuchtviehmärkten zur Förderung der Landwirtschaft;
  • die Diskussion um die allerdings auf Eis gelegte Notwendigkeit der Feldbereinigung und Aussiedlung landwirtschaftlicher Betriebe, insbesondere auch des Spitalgutes;
  • die überfällige (und immer nur schrittweise punktuell realisierte) Kanalisation sowie Teerung der Straßen zur Bekämpfung der schlimmen insbesondere sommerlichen Staubplage;
  • die Widrigkeiten um die Verbesserung der Verbindungsstraßen zu den Nachbarortschaften hin;
  • die Bemühungen um eine Verbesserung des Waldwegnetzes insbesondere im Forstwald;
  • die Anstrengungen der Naturschützer um Erhaltung der Vogelwelt (insbesondere der Nachtigallen) sowie des Odenwaldclubs um die Schaffung von Wanderwegen und deren Pflege und Erhaltung;
  • die Sorge um die Erhaltung der immer wieder an Schülermangel leidenden Realschule;
  • die Weiterentwicklung des wachsenden Vereinswesens sowie insbesondere des Vereins Alt-Wimpfen.

Wir gehen nun über in die letzte Zeitperiode VII: