Zeitperiode V (1871 – 1917)

Erfolgreiche Rückführung zum Ziel der Hinentwicklung zum Bade- und Fremdenort als „hessentreues Rothenburg“ trotz der Aufhebung der Kreiseigenschaft und Zuordnung zum weit entfernten Kreis Heppenheim an der Bergstraße

Ausführliche Zeittafel

1871 Der Entwurf an das Großherzogliche Innenministerium, Wimpfens „vielfach unzuträgliches Enclave-Verhältnis in einer Zeit, wo sich alles zusammenschließt, im Wege der Unterhandlung mit den Nachbarstaaten unter Vermittlung der Reichsregierung anderweitig zu ordnen“, sowie an „S. Excellenz Graf von Bismarck-Schönhausen Kanzler des deutschen Reiches“ mit der Bitte um „Vermittlung der Reichsregierung für das Zustandekommen“ derselben bleibt unrealisiert.
1872 Gründung einer (um 1835 als private Einrichtung bestandenen, aber als solche bald eingegangenen) Städtischen Real-(und gleichzeitig Latein)schule
1874 Der Kreis Wimpfen wird im Zuge einer Verwaltungsreform dem Kreis Heppenheim an der Bergstraße mit Abzug der Oberförsterei bei Verbleib des Landgerichts (späteren Amtsgerichts) sowie des Steueramts zugeordnet. Der Geheime Regierungsrat Carl Fuhr wird pensioniert und zuständig ist jetzt der Heppenheimer Kreisrat Friedrich Joseph Gräff. Aufhebung auch des evangelischen Dekanats im Zusammenhang mit Edikt der neuen Verfassung der evangelischen Kirche von Hessen.
Anerkennung der Privaten Real- und Lateinschule als städtische „Höhere Bürgerschule“
ca. 1875 Zuzug des ehemaligen königlich-württembergischen Kammerherrn und Rittmeisters Freiherr Wilhelm von Wimpffen (* 1820 in Stuttgart – † und begraben im Herbst 1879 in Wimpfen) mit Familie, womit sich im Städtchen Wimpfen ein Angehöriger des dessen Namen tragenden und mit Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke verwandten sowie damals über viele Staaten Europas und Länder Deutschlands verbreiteten uralten Adelsgeschlechtes niederlässt.
1876 Wiedergründung des 1868 gegründeten, doch bald wieder eingegangenen, „Verschönerungsvereins“ (Vorstand: Landrichter Franz Carl Wilhelm Ceßner, der 1869 Dr. Konrad Heyer nachgefolgt ist).
1877 Thronübernahme durch Ludwig IV. von Hessen, Sohn von Prinz Carl und Neffe des verstorbenen Großherzogs
1878 Landrichter Ceßner und Landgerichtsaktuar Kronenberger werden, weil sie fast ein Jahrzehnt in „gewissenloser und pflichtvergessener Weise“ (Bestechlichkeit) amtierten, vom Dienst suspendiert und bestraft. Nunmehriges Kursieren der von Friedrich Feyerabend überlieferten Anekdoten von der „Darmstädter Windmühle“ und vom „Weltuntergang“. Festliche Eröffnung der im Zusammenwirken der 3 Anrainerstaaten über eine AG-Gründung zustande gekommenen Neckardampfschleppschifffahrt.
Genehmigung zur Erteilung der Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst durch die Höhere Bürgerschule
1879 Gründung einer Landwirtschaftlich-genossenschaftlichen Darlehenskasse („Kreditkasse“) auf Anregung von Kreisrat Gräff
1885 Konkurs des Besitzers des immer mehr herunter gekommenen Mathildenbades Theodor Hammer mit Über-nahme desselben durch die Wimpfener Karl Link mit Ehefrau um 28.000 Mark (ohne Inventar).
Anerkennung der „Höheren Bürgerschule“ als „Großherzoglich Hessische Realschule“ mit staatlicher Bezuschussung.
Konrad Fron (Ludwig Frohnhäuser): „Das Kräuterweible von Wimpfen. Eine Geschichte aus dem Ende des 30jährigen Krieges“.
1888 Übernahme mit Beginn des abermaligen Aufschwungs des Mathildenbads nach über einem Jahrzehnt des Rückgangs durch den Hotelier Johann Albrecht; ein Zeitungsaufsatz „Ein Weg der Beförderung der wirtschaftlichen Blüte Wimpfens“ stellt kritisch heraus, dass diese allein über die Weiterentwicklung des Badebetriebes und Fremdenverkehrs im Zusammenwirken von Stadtverwaltung und Einwohnerschaft Erfolg verspreche.
1890 Erscheinen des ersten Stadtführers: „Führer durch Wimpfen und Umgebung. Mit Illustrationen, Stadtplan …“
1893 Konrad Fron: „Der Rosenwirt von Wimpfen. Eine Geschichte aus einer alten Stadt“ (Holzrevolution von 1783).
Abgeordneter Breimer der 2. Kammer für den Wahlkreis Beerfelden-Hirschhorn-Wimpfen bringt den Antrag auf Wiedererrichtung des Kreises Wimpfen zwar ohne Erfolg ein, doch wird dort der Blick auf Wimpfens besondere Problematik des förderungsbedürftigen Exklavenorts und seine Kunstschätze gelenkt.
1895 – 1897: Ergrabung der Fundamente der Vorhalle und der frühromanischen Vorgängerin (Zentralkirche) der Stiftskirche Wimpfen im Tal unter hessischer Regie und Kostentragung
1896 Gründung der Sektion Wimpfen des „Odenwaldclubs“ insbesondere zur Hebung des Bade- und Fremdenverkehrs
1897 Erster Besuch des seit 1892 regierenden Großherzogs Ernst Ludwig mit Gemahlin Viktoria Melita von Sachsen-Coburg-Gotha und Prinz Battenberg per Zug (Hofwagen) mit Besichtigungen der zahlreichen Kunstdenkmäler von Wimpfen am Berg und im Tal
1898 Dr. Georg Schäfer: „Kunstdenkmäler im Großherzogthum Hessen. Provinz Starkenburg. Ehemaliger Kreis Wimpfen“.  Außerdem: Rudolf Adamy, Eduard Wagner: „Die eh. frühromanische Zentralkirche des Stiftes St. Peter zu Wimpfen i. T.“
Beginn der Generalsanierung der Stiftskirche mit Wiederherstellung des Westwerks der frühromanischen Zentralkirche (beendet 1903)
Einsetzung von Kopien der wertvollen frühgotischen Glasfenster der Stiftskirche durch Professor Geiges, Freiburg (bis 1900 gehend)
Im durch beidseitige Spendierung geistiger Getränke und Speisen über vier Monate hinweg geführten Bürgermeister-Wahlkampf obsiegt der Kaufmann Julius Ernst (die „Harten“) über den Ökonom Heinrich Bornhäußer („die Weichen“).
1899 Bei der Reichstagswahl übertreffen die Sozialdemokraten (158 Stimmen) die bislang am Ort führenden Nationalliberalen (106 Stimmen).
Dies und die Gründung des „Arbeitervereins“ zeigt die kontinuierliche Hinentwicklung Wimpfen zur teilweisen Arbeiterwohngemeinde.
34 Mitglieder der hessischen 2. Ständekammer und der Regierung statten Wimpfen einen Besuch mit vielen Besichtigungen seiner Kunstdenkmäler ab.
Gedicht des Reallehrers und Landtagsabgeordneten Hans Kahl: „So wache, Stadt da droben, auch du aus deinem Schlaf!“
Einrichtung der Wasserleitung (u. a. Wasserreservoir bei den Mäuerleinsäckern an der Bonfelder Straße und Pumpstation an der Steige).
1900 Neuerrichtung der Oberförsterei (Besetzung mit Oberförster Wilhelm Schallas), Beleg der wiederbegonnenen hessischen Obsorge. Einrichtung der elektrischen Beleuchtung (u. a. Elektrizitätswerk an der Steige in der ehemaligen Papierfabrik).
1901 Die Fachwerkfreilegung des Maringerhauses unter Regierungsbaumeister Adolf Zeller signalisiert dessen gute Erfolge bewirkende Devise „Aufdecken statt zuputzen!“.
1902 Konrad Fron: „Das Weltgericht. Eine Erzählung aus dem großen Bauernkrieg (1525)“.
Regierungsbaumeister Adolf Zeller: „Wimpfen am Berg, ein zukünftiges Ziel des Fremdenverkehrs“ (wegweisender Zeitungsaufsatz).
Einweihung des unter Regierungsbaumeister Adolf Zeller von der Kirchengemeinde wiederhergestellten Cornelienkirche Wimpfen im Tal.
1903 Regierungsbaumeister Adolf Zeller: „Die Stiftskirche …, Baugeschichte, Bauaufnahme, Grundsätze ihrer Wieder- herstellung“.
Denkwürdig-herausgehobene Begehung der 100-jährigen Zugehörigkeit Wimpfens zu Hessen insbesondere durch die oftmalige Vorführung des von Realschuldirektor Karl Kemmer und Pfarrer Richard Weitbrecht geschaffenen dreiteiligen Festspiels „Im Wechsel der Zeiten“ mit als Höhepunkt dem Besuch von Großherzog Ernst Ludwig sowie des Historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen; Bürgermeister Ernst versichert dem Großherzog, dass „die Wimpfener allezeit treue Hessen gewesen uns es fernerhin bleiben wollen“.
1905 Gründung des Vereins „Alt-Wimpfen. Kur- und Verkehrsverein“ unter Vorsitz von Stadtpfarrer Dr. Richard Weitbrecht und dem Protektorat von Großherzog Ernst Ludwig.
1907 Rudolf Kautzsch: „Die Kunstdenkmäler in Wimpfen am Neckar“ mit Geschichte der Tal- und der Bergstadt. Im 193-seitigen Tätigkeitsbericht der hessischen Denkmalpflege von 1902 – 07 sind Wimpfen allein 7 Seiten eingeräumt, der mannigfache Denkmalpflege-Maßnahmen (insbesondere Fachwerkfreilegung und -sanierung) herausstellt.
1909 – 1911: Rückbau der zum Bauernhaus umfunktionierten Pfalzkapelle durch die hessische Denkmalpflege (Professor Wickop). In der umfänglichden Fremdenliste des Mathildenbads vom Juli finden sich neben vielen Darmstädtern und sonstigen Honoratioren auch Ihre bzw. Seine Kgl. Hoheit Eleonore Großherzogin und Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, die in diesem Jahr Wimpfen zweimal ihres Besuchs beehren und den Kirchen und sonstigen Baudenkmälern von Berg und Tal großes Interesse zollen.
Nachfolger des verstorbenen Forstmeisters Wilhelm Schallas wird Forstmeister Wilhelm Zeh.
1912 Der Großherzog beauftragt Professor Wickop, den Wimpfenern mitzuteilen, dass er und ganz Hessen gerne den Verein Alt-Wimpfen (ähnlich der Pflege Rothenburgs o. d. T. durch weiteste Kreise von Gönnern in Deutschland) unter der Bedingung weiterhin fördern helfe, dass die Wimpfener und die Stadtverwaltung diesen tatkräftig unterstützen. Wimpfen wird jetzt in der Tat oft „das hessische Rothenburg“ oder „das Rothenburg am Neckar“ genannt.
Pfarrer Otto Scriba, der auch der Geschichte und den Kunstdenkmälern Wimpfens zugewandte rührige Nachfolger von Pfarrer Weitbrecht, veröffentlicht die Schrift: „Die evangelische Stadtkirche Wimpfen am Berg“.
1913 Nachdem ab 1910 in der Darmstädter Presse der Austausch des „am teuersten zu verwaltenden hessischen Städtchens“ Wimpfen und 1911/12 die abermalige Aufhebung der Oberförsterei zur Diskussion stehen, bricht der Abgeordnete Münch in der 2. Kammer für Wimpfen eine Lanze und Finanzminister Braun erklärt, die hessische Regierung denke nicht daran, Wimpfen zu veräußern. Äußerung von Pfarrer Scriba: „Es ist der Mehrheit der Wimpfener noch nicht klar geworden, welche Perle des Hessenlandes ihr gehört!“
Feier des 25. Geburtstags des „geliebten Landesfürsten“ mit Böllerschüssen, Fahnen, Festessen, Glückwunschadresse; Rede von Pfarrer Scriba mit Treueschwur: „Wir Wimpfener wollen allezeit diese Hessentreue hochhalten!“
Abdruck von 2 Ölbildern („Blick auf Wimpfen am Berg“ und „Alte Gasse in Wimpfen am Berg“) des aus Hessen stammenden Malers Carl Geist in „Westermanns Monatsheften“, der sich 1915 in Wimpfen niederlässt, wo er ein reiches qualitätvolles Werk (Landschafts-, Stadt-, Straßen- und Hausansichten, Portraits) schafft und 1931 stirbt.

Ähnlich wie die Umbruchszeit der Revolution von 1848/49, so scheint auch der den Zeitenlauf und vor allem das politische Bild Deutschlands einschneidend verändernde deutsch-französische Krieg der Jahre 1870/71 mit der anschließenden Gründung des Kaiserreiches und der Vereinigung der deutschen Länder unter preußischer Führung in die bislang zwar immer wieder beklagte, doch hingenommene Frage der Zugehörigkeit Wimpfens zum Großherzogtum Hessen plötzliche Bewegung zu bringen. Die Kaiserproklamation in Versailles und die ersten Wahlen zum Reichstag sind gerade beendet und somit die Einheit des neu gegründeten Reiches Wirklichkeit, als unter dem Eindruck dieser die Herzen bewegenden Ereignisse im Frühjahr 1871 in Wimpfen der (undatiert vorgefundene) Entwurf einer an das Großherzogliche Ministerium des Innern zu Darmstadt zu senden gedachten umfänglichen Bittschrift erarbeitet wird. In dieser erlauben sich der oder die unbekannte(n) Verfasser „gehorsamst, die Aufmerksamkeit einer hohen Regierung auf die Zustände von Wimpfen zu lenken und die Frage aufzuwerfen …  , ob nicht im Wege der Unterhandlung mit den Nachbarstaaten Württemberg und Baden unter Vermittlung der Reichsregierung das so vielfach unzuträgliche Enclave-Verhältnis anderweitig geordnet werden könnte“. „Von beiden uns umgebenden Staaten“, so wird optimistisch festgestellt, „wäre es nun wohl Württemberg, das am leichtesten durch passende Gestaltung seiner Nachbarbezirke uns alle Vorteile einer Bezirksstadt zuwenden könnte, die wir bisher entbehren.“ Und als Begründung wird neben

  • der stationär bleibenden bis sogar abnehmenden Einwohnerzahl,
  • der seit Jahren fehlenden Neubautätigkeit,
  • der sinkenden Steuerkraft, Erwerbs- und Kreditfähigkeit,
  • der mangelhaften Besetzung und Kontrolle der staatlichen Ämter,
  • dem Fehlen einer Schule höherer Gattung,
  • der Verweigerung von Krediten der Gewerbebank Heilbronn wegen der mit der örtlichen Rechtspflege gemachten schlechten Erfahrungen u. a. m.

folgendes Argument ins Feld geführt: „In einer Zeit, wo Alles sich zusammenschließt, sind wir nur in äußerlichem Zusammenhang mit unserer unmittelbaren Nachbarschaft und das Mutterland hat wenig Interesse mehr an der Pflege der Beziehungen zu uns.“

Gleichzeitig wird ein Entwurf eines „Sr. Excellenz dem Grafen von Bismarck-Schönhausen, Kanzler des deutschen Reiches“, zugedachten Schriftsatzes erstellt, in dem zunächst überschwänglich Glückwünsche dazu ausgesprochen werden, „dass es Euer Exzellenz vergönnt war, des deutschen Reiches Einheit und Macht … wieder herzustellen“, dann die Zuversicht, dass „die neu erstandene Reichsregierung …, soweit es an ihr liegt, die einzelnen Glieder des Reiches, die im Laufe der Zeit, gewaltsam oder zufällig, so vielfach ein- und ausgerenkt worden sind, zu einer gesunden Gestaltung bringen werde“. Schließlich endet der Entwurf mit der Bitte „um die Vermittelung der Reichsregierung für das Zustandekommen der angedeuteten Übereinkunft der Nachbarstaaten eintreten zu lassen“.

Dass es lediglich bei diesen Entwürfen bleibt und eine Ausfertigung und Absendung nicht erfolgt, dürfte vor allem daran liegen, dass durch den Anspruch auf die Zuerkennung der Eigenschaft einer Bezirksstadt eine solche an sich schon schwierige Regelung zusätzlich kompliziert worden wäre. Überdies hätten sich die auf Bewahrung von Autonomierechten bedachten süddeutschen Länder gegenüber Bevormundungen der Reichsregierung solcher Art alles andere als erbaut gezeigt. Im Übrigen kommen jetzt andere hemmende Länderschranken durch die nach der Reichsgründung in den 1870er Jahren durchgeführte Vereinheitlichung der Maße und Gewichte sowie des Geldwesens (Einführung der Reichsmark) und des Postwesens (jetzt: Kaiserliche Postexpedition im Hause Härlin unter dem originellen Postmeister Wilhelm Schmehl am Unteren Tor) in Wegfall. Und im Mai 1878 ist es die in Wimpfen festlich mit einer Probefahrt einer Flotille von 6 Anhängeschiffen eröffnete Neckarschleppschifffahrt Heilbronn–Mannheim, welche die bestehenden Landesgrenzen vergessen macht und fortschrittsbringend die schon seit vielen Jahrzehnten überholte Pferdetreidelschifffahrt durch das Zusammenwirken der drei Anrainerstaaten Württemberg, Baden und Hessen ablöst. Hierzu seien die

  • Abbildung 27: Grafische Darstellung „Kettenschiff der Schleppschifffahrt auf dem Neckar“ (1878) sowie

  • Abbildung 28: „Wimpfen von der Neckarbrücke aus“ mit einem flussaufwärts von einem Neckarschlepper gezogenen Schiffsverband von F. Naeher 1892

beigefügt, welche von oben nach unten die Seitenansicht, den Grundriss, den Längsschnitt und den Horizontalschnitt eines „Neckaresels“, wie die Kettenschlepper genannt werden, bzw. einen Schleppzug vor der Silhouette der „beiden Wimpfen“ wiedergeben.

Wie sehr sich die Menschen gerade der „Dreiländerecke“ durch die herbeigesehnte Gründung des Deutschen Reiches jetzt plötzlich vereint und zusammengehörig als „Deutsche“ fühlen und somit das Exklavendasein, zumindest psychologisch gesehen, sehr viel weniger eine Rolle zu spielen beginnt, das zeigt die bald nach dem „Siebzigerkrieg“ durch die hessische, badische und württembergische Beamtenschaft des Unterländer Raumes unter der Vorstandschaft des Neckarsulmer Oberamtsrichters Wilhelm Ganzhorn, des Dichters des Volksliedes „Im schönsten Wiesengrunde“, gegründete sog. „Internationale“. Deren aufs Erste irreführender Name soll die nunmehrige Vereintheit der früher voneinander abgekapselten deutschen Länder ausdrücken. Durch wechselnde gesellschaftliche Zusammenkünfte insbesondere in den Badehotels von Wimpfen (Mathildenbad, Ritter), Jagstfeld und Rappenau pflegt diese die länderübergreifende Zusammengehörigkeit und feiert bevorzugt regelmäßig den Tag der Reichsgründung und den Geburtstag des Kaisers, so z. B. 1878 in Wimpfen. Als dann in der Zeit der Sozialistengesetze der 1880er Jahre der Name Anstoß erregt, benennt sich diese Vereinigung fröhlicher Zecher und Hurra-Rufer auf Kaiser und Kanzler und Reich sowie König und Großherzog in „Nationale“ um. Auf der überschwappenden Woge der Kaiser- und Kanzlerverherrlichung schwimmt im Wimpfen der 1870er und 1880er Jahre auch die Verehrung des hessischen Großherzogs Ludwig III. und nach dessen Tod 1877 seines Neffen Großherzog Ludwig IV. durch Feierstunden und Beflaggung zum großherzoglichen Geburtstag mit. Der Letztgenannte wird jedoch seiner Exklave Wimpfen nie die Ehre eines Besuchs erweisen.

In Anbetracht der nunmehr errungenen Reichseinheit trifft die Nachricht des Sommers 1874, dass der so teuer zu verwaltende Kreisbezirk Wimpfen zusammen mit einer Reihe anderer kleiner Kreise aufgelöst und dem Kreise Heppenheim an der Bergstraße „zugestellt“ wird, kaum auf Widerstand oder große Kritik, zumal das seit 1869 unter Amtsrichter Ceßner stehende Landgericht bestehen bleibt, während im Herbst 1875 auch die Großherzogliche Oberförsterei aufgehoben und die Waldungen der Oberförsterei Heppenheim unterstellt werden. Auch wird 1873/74 im Zusammenhang mit einem Edikt für die neue Verfassung der evangelischen Kirche das mit dem Amt des ersten Geistlichen verbundene Dekanamt aufgehoben. Der nach dem Tod von Dr. Gustav Spamer im Jahre 1870 aufgezogene Regierungsrat Carl Fuhr wird pensioniert und nunmehr ist für Wimpfen der Heppenheimer Kreisrat Friedrich Joseph Gräff zuständig. Dieser erweist sich erstrangig als für die Belange der Landwirtschaft, aber auch der Gewerbetreibenden sehr aufgeschlossen. Auf dessen Anregung hin wird 1879 die erfolgreich arbeitende „Landwirtschaftliche Darlehenskasse, eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht Wimpfen am Neckar“ nach dem Modell von Raiffeisen für die Landwirtschaft und Schulze-Delitzsch für den gewerblichen Mittelstand, kurz die „Kredikasse“ genannt, die Vorläuferin der späteren „Wimpfener Bank“, ins Leben gerufen. Kreisrat Gräff regt auch an, dass laufend hauptsächlich vom Landwirtschaftlichen Bezirksverein Heppenheim ausgerichtete lehrreiche, dem technischen Fortschritt (z. B. Bodenbearbeitung per modernen Pflügen, neuzeitliche Düngung, Saatgutwechsel, Tabak- und Zuckerrübenbau und v. a. m. ) dienende Vorträge über den Acker- und Obstbau sowie die Viehzucht und die Milchwirtschaft in Wimpfen veranstaltet werden.

Als im Rahmen des damals stark auflebenden Vereinswesens im Frühjahr 1878 eine Gruppe Honoratioren den Gedanken hegt, den ein Jahrzehnt zuvor gegründeten, doch wieder bald eingeschlafenen „Verschönerungsverein“ zum Vorteil vor allem des Badeortgedankens wieder ins Leben zu rufen, ist es unter diesen Landrichter Ceßner, der die Vorstandschaft übernimmt und wider die ablehnende Haltung insbesondere der Landwirtschaft Treibenden folgenden, sich mit denen des Vorgängervereins deckenden, Zielen Geltung zu verschaffen sucht. Es sollen vor allem:

  • Wege und freie Plätze in nächster Umgebung der Stadt angelegt und in gangbarem Zustand gehalten sowie
  • Schatten gewährende Bäume angepflanzt und
  • Ruhebänke an geeignete Stellen aufgestellt werden.

Die dafür notwendigen Mittel sollen durch Spenden und den Mitgliedsbeitrag von mindestens 1 Mark pro Jahr aufgebracht werden. Was diesem Programm des wiedererweckten Vereins noch weitgehend fehlt, das ist die Herausstellung und Pflege des reichen Schatzes an Kunstdenkmälern und sonstigen Altertümern. Jetzt finden sich immerhin wieder vermehrt auf einmal in der Zeitung, nicht zuletzt Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins, die aus der der Stein-Riedling’schen Ära sattsam bekannten bürgermeisterlichen Gebote, so des regelmäßigen Reinigens der Straßen, Dungstätten und Misthaufen an den Straßen, da der Gesundheit und dem Ansehen in den Augen Auswärtiger schadend, in der Hoffnung auf Vermeidung von Zwangsmaßnahmen zu entfernen, außerdem Verbote bei Strafe wie des Peitschenknallens, des Umherlaufenlassens von Gänsen, des Lärmens, des Wäscheheraushängens u. v. a. m.

Da aber nicht Wenige es geahnt oder schon immer gewusst haben wollen, ist es keine große Überraschung, als im Mai 1878 die Nachricht kursiert, dass gerade dieser Landrichter Ceßner sowie sein Aktuar Kronenberger bezichtigt werden, fast ein Jahrzehnt hindurch zum großen Nachteil ihrer Gerichtsuntergebenen in gewissenloser pflichtvergessener Weise (Bestechlichkeit) geamtet zu haben. Die beiden hessischen Beamten werden mit Suspension von Dienst und Gehalt für 5 bzw. 9 Monate bestraft. Dieses Aufsehen erregende Ereignis befördert bei den Wimpfenern die allgemein schlechte Meinung sowohl über die noch in Wimpfen belassenen als auch die in Heppenheim für Wimpfen zuständigen hessischen Beamten und nähren die im Wimpfen der 1870er und 1880er Jahre nach der Überlieferung von Friedrich Feyerabend (1871 – 1959) kursierenden beiden Anekdoten von der „Darmstädter Windmühle“ und vom „Weltuntergang“. Diese sind an dem originellen volkstümlichen, nicht unter hessischer Hoheit stehenden und den hessischen Beamten gegenüber eine scharfe Zunge führenden, Postmeister Wilhelm Schmehl festgemacht und sollen hier zur Belebung wiedergeben werden:

  1. Die Darmstädter Windmühle:

Den hessischen Beamten, die nach Wimpfen beordert wurden, hatte sich – da weit vom Schuss – eine gewisse Sicherheit und Selbständigkeit bemächtigt. Jedoch hatte ein hoher Regierungsbeamter in Darmstadt das Gefühl, einmal nach dem weit entfernten Wimpfen zu reisen, um zu hören, wie man dorten die hessischen Beamten beurteilt. Selbstverständlich kam er unangemeldet, denn er strebte zunächst nach einer Äußerung direkt vom Volke, bevor er seine Beamten aufsuchte. Was lag näher, als dass er sich in ein Wirtshaus begab, wo er eine Gesellschaft oder Tischrunde traf und aus deren Munde er eine ungeschminkte Wahrheit erfahren konnte. So war sein Vorsatz und er hatte hierin Glück. In einer Wirtschaft saß eine fröhliche Tischrunde beim Frühschoppen, darunter auch der Postmeister. Der Regierungsbeamte gesellte sich zu diesen, griff langsam und vorsichtig in die Unterhaltung ein und lenkte allmählich das Gespräch auf die hessischen Beamten und was die Bevölkerung von diesen halte. Die Tischrunde wurde plötzlich etwas misstrauisch. Die einen zuckten mit den Achseln, die andern nun ja, so …  so. Es trat plötzlich eine Stille ein.- Nun schob sich der Postmeister einen zu Gemüte und begann: „Der Sprache nach sind Sie ein Darmstädter“, was der Herr auch bestätigte; worauf der Postmeister weiterfuhr: „Man spricht im allgemeinen hier davon, dass in Darmstadt sich eine Windmühle befände zu folgendem Zweck: Bei Beorderung der Beamten würden dieselben in die Windmühle geschüttet die Guten (Schweren) bleiben bei Darmstadt liegen, die Mittleren an der Bergstraße und im Odenwald und die ganz leichten (Spreu) bis nach Wimpfen. Und wenn alles der Meinung ist, so wird auch etwas Wahres daran sein.“ Es setzte ein herzliches Lachen und Beifall ein. Besonders der Postmeister lachte, dass ihm die Tränen die Backen herunter liefen. Aber der Herr Regierungsbeamte wusste Bescheid; es trat hierauf wesentliche Besserung ein.- N. B.: Trotz aller Verschwiegenheit wurde diese Beurteilung auch in Darmstadt populär, ja es soll damals in einem Faschingsumzug die Mühle in natura aufgeführt worden sein. 

  1. Der Weltuntergang

An das Kreisamt Heppenheim kam Beschwerde auf Beschwerde, insbesondere wegen der schleppenden Verzögerung in Beantwortung der Eingaben und Gesuche. – „Da steckt wieder der Postmeister dahinter, der uns ständig aus der Ruhe bringt!“ bemerkte der Kreisrat. Der Kreisrat, der den Postmeister persönlich kannte, nahm sich vor, per Gelegenheit diesem Postmeister eins auszuwischen. Er machte seinen Dienstbesuch auf dem Rathaus in Wimpfen (d. h. in Wirklichkeit als großer Liebhaber von Altertümern war er zu 4/5 der Zeit beim Altertumshändler und zu 1/5 auf dem Rathaus). Nach diesem begab er sich in eine Weinwirtschaft und wer saß am Tisch!? Der Postmeister, der sein Frühschöppchen zu sich nahm. „Diese Gelegenheit ist äußerst günstig“, dachte der Kreisrat, begrüßte den Postmeister und lenkte sofort zum Angriff ein. „Sie sind zu beneiden, Herr Postmeister, denn Sie genießen hier alle Vorzüge, die man sich nur denken kann. Sie können sich als Beamter ihr Frühschöppchen erlauben, haben gesunde Luft, schöne Aussicht, Badegelegenheit, weit vom Schuss genießen Sie eine beneidenswerte Selbständigkeit und Freiheit, ja Sie haben alle Vorzüge.“ – Der Postmeister schob sich Einen zu Gemüte und begann: „Herr Kreisrat, Sie haben Recht, doch den größten und wertvollsten Vorzug haben Sie vergessen.“ – „Nun, das würde mich interessieren“, erwiderte der Kreisrat. „Man spricht heute viel vom Weltuntergang, da haben wir den Vorzug, dass Wimpfen sechs Wochen später untergeht, denn zu dem Kreis Heppenheim gehörig, dauert alles mindestens sechs Wochen, bis es der Herr Kreisrat genehmigt hat.“ – Ein stürmisches Gelächter und Bravo setzt ein; besonders freute sich der Postmeister und schob sich auf Grund des Sieges einen äußerst Kräftigen zu Gemüte.- Jedoch der Kreisrat hielt es für das Beste, das Schlachtfeld zu räumen mit der sonderbaren Bemerkung: „Die Wimpfener sind doch ein eigenartiges Völkchen. Mit denen ist nicht gut Kirschen essen.“

Die Umbildung des Landgerichts zum Amtsgericht unter Beiziehung gewählter Schöffen (Schöffengericht) im Jahre 1878/79 schiebt Negativentwicklungen der Art des Falles Ceßner einen Riegel vor. Außerdem beginnt gegen Mitte der 1880er Jahre eine Zeitperiode der Wiederaufnahme der gezielten besseren Obsorge für Wimpfen durch Hessen und achtet man in Darmstadt vor allem wachsend darauf, Wimpfen wieder mit qualitätvollen Beamten zu versorgen. Dies zeigt besonders deutlich die in den Jahren nach der Reichsgründung anhebende Geschichte der Großherzoglichen Realschule mit ihrer die Stadtentwicklung in vieler Hinsicht fördernden und in der Regel exzellenten sowie vielfach sich aktiv im Gemeindeleben und in der Gemeindepolitik betätigenden Lehrerschaft. Konsequent arbeitet der Gemeinderat in den 1870er Jahren darauf hin, das schon immer beklagte Fehlen einer Höheren Schule abzustellen, was denn auch durch zähes Festhalten an diesem Ziel und mannigfachen finanziellen Opfern sowie auch Rückschlägen über die nachfolgenden genannten 4 Ausbaustufen im Jahre 1885 volle Erfüllung findet:

  • 1872: Gründung einer (Mitte der 1830er Jahre bereits als private Einrichtung bestandenen, doch bald wieder neben der bestehenden althergebrachten Lateinschule eingegangenen) jetzt Städtischen Real- und Lateinschule;
  • 1874: Anerkennung dieser als städtische „Höhere Bürgerschule“;
  • 1876: Zuerkennung der Berechtigung der Erteilung des begehrten Zeugnisses der wissenschaftlichen Befähigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst (des begehrten „Einjährigen“);
  • 1885: Erhebung durch den Großherzog zur sechsklassigen Großherzoglichen Realschule mit staatlicher Bezuschussung (Nachfolgerin im Dritten Reich die „Oberschule für Jungen“ und nach dem Zweiten Weltkrieg das heutige „Hohenstaufen-Gymnasium“) zunächst noch unter der Direktion des Leiters der früheren „Höheren Bürgerschule“ Karl Landgraf und ab 1886 dem Realschuldirektor Ludwig Münch aus Darmstadt. Siehe dazu die

  • Abbildung 29: Einladung zur Feier der Übernahme der Realschule und Einführung des Direktors am 19. Mai 1885 in der „Wimpfener Zeitung“.

Der Letztgenannte gründet umgehend ein Komitee, das laufende populär-wissenschaftliche Vorträge aus dem Bereich der aktuellen Physik und Chemie, der allgemeinen sowie örtlichen Geschichte und der Literatur anbietet und über ein Jahrzehnt und mehr frischen Wind der Fortbildung und des Fortschritts nach Wimpfen hineinträgt. Darüber hinaus hält in dieser langen Reihe im Januar 1887 der seit 1881 in Wimpfen und Hohenstadt tätige evangelische Pfarrer Petersen im Mathildenbad beim Verschönerungsverein einen Vortrag zu dem Thema „Zusammenhang zwischen der Geschichte und Lage Wimpfens“.

Was die Entwicklung der beiden Badeeinrichtungen anbelangt, so fällt auf, dass die meisten von der Stadt und den immer zahlreicher werdenden Vereinen sowie sonstigen Gruppen ausgerichteten vielen Festlichkeiten und wichtigen Veranstaltungen der 1870er und 1880er Jahre im Ritter stattfinden. Das geht nicht nur auf eine gewisse örtliche (aus der Stein-Riedlung-Ära überkommen) Abneigung gegen das  Mathildenbad zurück, sondern auch darauf, dass die Nachfolger des 1861 abgetretenen tüchtigen Ritter-Wirtes Georg Adam Schlegel ausnehmend gut gewirtschaftet haben, zunächst der im Zusammenhang mit dem Bahnbau schon erwähnte Wilhelm Vörg (Mitbesitzer der Papierfabrik, nach dem Abgang vom Ritter Pächter der „Harmonie“ Heilbronn, Freimaurer, im Jahr vor seinem plötzlichen Tod 1888 zum Landtagsabgeordneten des Wahlkreises Wimpfen-Neckarsteinach-Hirschhorn-Beerfelden gewählt), der gleich dem Mathildenbad Wannenbadeeinrichtungen zur Verabreichung von Solbädern geschaffen hat. Diesem folgen 1869 die versierten Hoteliers Bernhard und Andreas Hatz. Die Aufwärtsentwicklung zeigt sich daraus, dass 1876 über dem schon vorhandenen Saalgebäude des Hotels ein zweites Stockwerk und 1885 gegenüber demselben auf der auslaufenden Ostspitze des Eulenberges unterhalb des Roten Turmes eine Restaurationshalle („Ritterpavillon“) errichtet wird sowie 1889 ein großzügiger weiterer Umbau des Hotels erfolgt und jetzt dort bis zu 60 Gäste Unterkunft finden können. 1901 folgt Frau Jeanette Reith Witwe aus Offenbach durch Kauf des „Badhotels Ritter“, wie es seit längerem genannt wird, für 75.000 Mark nach. Die

  • Abbildung 30: „Badhotel Ritter“ im „Führer für Wimpfen und Umgebung“ des Jahres 1890

zeigt die markante Ansicht des nüchternen nachklassizistischen Hotelkomplexes, wie er sich dem mit der Bahn Ankommenden und über die Steige vorbei am Steigenbrunnen und das Untere Tor der Stadt Zustrebenden darbietet. Zum vorderen der drei Bautrakte, dem alten Hauptbau beim Beginn des Kalte Lochwegs, führt eine steile lange Treppe zum ersten der drei Stockwerke hinauf. Dahinter steht versetzt der im Dachgeschoss einen Zwerchgiebel tragende Solbad-Bau.

Im Gegensatz dazu geht es mit dem Mathildenbad seit dem Beginn der 1870er Jahre mehr und mehr bergab. Diese Entwicklung setzt ein, nachdem das Bad im Jahr 1869 (Restgrundstücke 1878) aus dem Besitz des ordentlich wirtschaftenden und dem alten guten Ruf desselben einigermaßen gerecht werdenden Anton Müller an Theodor Hammer aus Buchen zum stattlichen Preis von 34. 000 fl übergegangen ist. Aus der Zeit dieses Verkaufs stammt die in

  • Abbildung 31: Haupteingang des Mathildenbades vom „Badhof“ her (Fotografie aus dem Album von August von Lorent – ca. 1869)

wiedergebene Ansicht des Zugangstraktes, auf der das in diesen integrierte „Schneckentürmchen“ zu sehen ist. Nach und nach kommt das Mathildenbad, aus welchen Gründen auch immer, herunter und verlieren sich die Gäste mehr und mehr, bis 1885 der Konkurs ansteht und das Mathildenbad für nur (ohne Mobilien) 28.000 Mark durch den Wimpfener Karl Link und Ehefrau erworben und 1887 an deren Schwiegersohn Ludwig Breuninger für 30.000 Mark + 15.000 Mark für das Inventar weiterverkauft wird.

Es geht erst wieder richtig aufwärts, als 1888 zunächst als Pächter und 1889 durch Kauf für 32.000 Mark + 25.000 Mark der aus der Gegend von Kassel stammende versierte Hotelfachmann Johannes Albrecht auf den Plan tritt. Dieser bringt das Unternehmen zu einem zweiten Aufblühen. Unter diesem wird das Mathildenbad 1901 bedeutend erweitert und modernisiert, so dass es jetzt 100 Betten bietet. Und 1903 erhält es eine auf 14 Betonpfeilern über der ehemaligen offenen „Esplanade“ errichtete 24 m lange gedeckte Terrasse, die der ganze Stolz des Bades wird. Wie es sich jetzt dem Neckar zu darbietet, zeigt die

  • Abbildung 32: Ansicht des Mathildenbades in einem Hotelprospekt von ca. 1900.

Und die

  • Abbildung 33: Kopfteil eines Prospekts des Mathildenbades von ca. 1900

lässt erkennen, dass dieses jetzt mit der Dreifachbezeichnung „Solbad, Wasserheilanstalt und Luftkurort“ wirbt. Und 1903 erhält es eine auf 14 Betonpfeilern über der talseitigen offenen Aussichtsplattform „Esplanade“ errichtete 24 m lange gedeckte Terrasse, die der ganze Stolz des Badehotels wird.

Kaum hat Albrecht das Bad als Pächter übernommen, als Ende August 1888 in der „Wimpfener Zeitung“ unter dem Titel „Ein Weg zur Beförderung der wirtschaftlichen Blüte Wimpfens“ ein langer Aufsatz erscheint, der im Wiederaufgreifen der früheren Zielsetzungen der hessischen Kreisräte Hallwachs und von Stein dem Gemeinderat und dem Stadtvorstand neue (und doch alte) Wege zu weisen sucht. Dessen Credo ist: Wimpfens Blüte wird am besten durch die Förderung und Weiterentwicklung des Badebetriebes und Fremdenverkehrs erreicht. Der Verfasser ist höchstwahrscheinlich Johannes Albrecht, wenn nicht, so vielleicht einer der anderen in Wimpfen noch amtierenden hessischen Beamten und engagierten Förderer des Verschönerungsvereins. Es werden die Verhältnisse und Zukunftschancen Wimpfens mit analysierendem Blick, wenngleich dessen in den Kunstdenkmälern steckenden Vorzüge keinerlei Erwähnung finden, unter ziemlicher Kritik und Schelte in Richtung Gemeinderat und Einwohnerschaft sowie auch auf die hessische Ärzteschaft und Ständekammer bezogen, folgendermaßen ausgebreitet:

„Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!“ – Die Arbeit des Landmannes ist groß, die Erträgnisse sind spärlich, und von der Gründung der Landwirtschaftlichen Kreditkasse und der Einrichtung von Viehmärkten „dürfen wir schon dessentwillen nicht viel erwarten, weil unsere politische Zugehörigkeit zu Hessen uns einigermaßen vom Verkehr mit der Umgegend ausschließt. Auf uns selbst beschränkt, umschlossen von württembergischen und badischen Landesteilen, entbehren wir vielfach der Beziehungen, welche irgendein anderes Städtchen mit seinen benachbarten Orten verbindet. Nicht nur, dass diese Verhältnisse unseren Verkehr mit der Nachbarschaft einschränken, wird unser eigenes Lokal-Geschäft durch die erdrückende Nähe einer größeren Stadt (gemeint: Heilbronn) geschädigt, während sowohl ungünstige Eisenbahn-Verhältnisse als unser bergiges Terrain der Anlage von Fabriken hinderlich sind.“ – Versagen unsere Verhältnisse die Entwicklung des Handels und die Errichtung von Fabriken, so weist Wimpfens Lage, seine überaus schöne Aussicht und die von den Fremden so sehr gelobten natürlichen Reize des Städtchens ihm den Weg zur Förderung seiner Blüte durch den weiteren Ausbau zum Badeort. Die beiden vorhandenen Badehotels und Badeanstalten haben schon einigermaßen Leben in das sonst so stille Städtchen gebracht und manche Geschäftsleute spüren auch schon den Einfluss des Fremdenbesuchs auf ihr Geschäft. Aber damit ist nur ein Anfang gemacht. Der Fremdenbesuch sollte im gemeinsamen Zusammenwirken aller Klassen im Interesse Aller und der Erkenntnis, dass Jeder teilhat so gesteigert werden, dass der sichtbare Nutzen für das gesamte Gemeinwesen, so für die Landwirtschaft, die Kaufleute, die Handwerker, die Bäcker, Wirte, Metzger, Wirte usw. in weite Kreise der Bevölkerung dringt. „Der Standpunkt muss aufhören: Was habe ich davon? … Die Saline beschämt mit ihrer Unterstützung durch die Lieferung der Sole die Stadt, welche anstatt einen Erfolg versprechenden Erwerbszweig zu unterstützen, demselben Steine des Anstoßes und Hindernisse aller Art in den Weg legt … Wir wollen uns nicht einbilden, aus Wimpfen ein Kreuznach oder Nauheim zu machen, wir können es aber im kleinen … Wie anders, wenn die Hälfte der Kosten des Neckarfahrs verwendet worden wären für Verschönerungen der Stadt und ihrer Umgebung, zur Anlage und Verbesserung von Spazierwegen, Anpflanzung von Schatten spendenden Bäumen längs der Straße nach dem Eisenbahndamm, Anlegung einiger Kanäle, welche für die Reinhaltung der Stadt so wichtig sind. Man hätte dem ganzen Städtchen ein anderes Aussehen verleihen könne …  Zu dem, womit die Natur unser Städtchen ausgestattet hat, müsste sich das Bemühen gesellen, das Innere ebenso freundlich zu gestalten, als es sich dem Fremden von ferne darstellt …  Der einzelne Hotelbesitzer kann nichts anderes tun als in Blättern sein Hotel empfehlen. Es kann ihm mit diesem Mittel z. B. nicht gelingen, das Interesse der hessischen Ärzte, welche gar nichts für uns tun, für Wimpfen zu wecken …  Auf unsere Vertreter im Landtag kann er auch nicht wirken, dafür Sorge zu tragen, dass von dem reichen Tische, welchen die Kammer alljährlich dem Bade Nauheim vorsetzt, einige Brosamen für Wimpfen abfallen. Aber der Stadtvorstand, der Gemeinderat kann es, ihre Stimme wird gehört werden, und selbst, wenn sonst nichts zu erreichen, so wird es in Hessen eines guten Eindrucks nicht verfehlen, wenn unsere Stadtväter dies tatkräftig in die Hand nehmen.“ Schließlich geißelt der Schreiber mit höchst abschätzigen Worten „die abscheuliche Verunreinigung unseres schönen Weges um den Haag und anderer öffentlicher Wege …  schlimmer als es im geringsten Dorfe zu finden ist“ und schließt zukunftshoffend und den Zeigefinger hebend: „Wenn man aber einmal zur Einsicht gelangt sein wird, dass die Fremden ein Nutzen für alle sind, dass man sie demnach heranziehen muss, dann wird sich auch wohl die Erkenntnis Bahn brechen, dass der artige Rohheiten unterbleiben müssen, und darnach wird ein weiterer Nutzen des Fremden-Verkehrs darin bestehen, dass er auf hiesige Sitten bessernd wirkt.“

Als Erfolg dieses Appells in der Zeitung dürfte im Jahr 1890 das Erscheinen des ersten Stadtführers zu werten sein, der 37 Seiten umfasst: „Führer für Wimpfen und Umgebung. Mit Illustrationen, Stadtplan und Spezialkarte der Umgebung“. Hierzu sei gezeigt:

  • Abbildung 34: Titelseite und Ansicht des Vorsatzes von Wimpfen am Berg vom Tal her des „Führers für Wimpfen und Umgebung“ (1890)

sowie

wimpfen-hessische-enklave-35a

  • Abbildung 35 a und b: Beispiele der zahlreichen Illustrationen dieses Führers (Arkaden der Kaiserpfalz sowie Kreuzigungsgruppe von A. Clohs nach Vorlagen von F. Kallmorgen).

Die Texte stammen von Architekt Dr. Cathiau, Dr. Th. Frank und Reallehrer Hans Kahl; Druck und Verlag erfolgt durch S. Dohany (Verlag der „Wimpfener Zeitung“).

Auf welchen Kanälen die Botschaft des oben wiedergegebenen Zeitungsartikels auch immer die Zweite Kammer der Landstände erreicht haben mag, entscheidend ist, dass im Februar 1893 der Abgeordnete für den Wahlkreis Beerfelden-Hirschhorn-Wimpfen Privatier Breimer den Antrag auf Wiedererrichtung des Kreises Wimpfen einbringt. Zwar ist diesem kein Erfolg beschieden, doch ist jetzt der Blick der hessischen Volksvertretung sowie der Regierung auf die Exklave Wimpfen und ihre spezifischen Probleme sowie ihre besonderen landschaftlichen und kunsthistorischen Vorzüge gelenkt. So stattet im Mai des genannten Jahres der Historische Verein des Großherzogtums Hessen Wimpfen einen zweitägigen Besuch ab. Unter der Führung von Realschuldirektor Dr. Karl Kemmer werden viele Besichtigungen durchgeführt. Der Erfolg des Besuchs spiegelt sich in einem umfänglichen Bericht der Darmstädter Zeitung wieder, wo es u. a. heißt: „Dieser Bericht soll … unsere Vereinsmitglieder auf die schöne Stadt Wimpfen aufmerksam machen, die als vorgeschobener Posten unseres Hessenlandes vor allen anderen Städten des engeren Vaterlandes unsere Teilnahme verdient. Ihre natürliche Lage ist reizend – der Ausblick auf das fruchtbare gesegnete Neckartal allein kann diese Reise dahin reichlich entlohnen. Und welche Fülle von Denkmälern aus vergangener Zeit, welche reichliche geschichtliche Vergangenheit!“ Der Bericht schließt mit dem Aufruf zum Besuch des Städtchens, dem in diesem Jahr noch die Sektion des Alpenvereins Darmstadt Folge leistet.

Und wenngleich im Bürgermeisterwahlkampf 1889 nach dem Ausscheiden von Friedrich Ernst wegen Alters für beide Kandidaten, den katholischen Kaufmann Heinrich Heuerling wie den evangelischen Ökonom Philipp Bornhäußer, immer noch die Hebung der Landwirtschaft als oberstes Gebot gilt und der Letztgenannte als der Vertreter der Bauernschaft mit Abstand obsiegt, stellt sich eine spürbare Verbesserung der Frequentierung der beiden Badehotel-Betriebe (insbesondere auch wieder des Mathildenbades) sowie wachsendes Interesse wichtiger hessischer Instanzen ein. Dazu tragen bei:

  • insbesondere die verstärkte Wirksamkeit des Verschönerungsvereins;
  • des weiteren die 1896 durch die Initiative des Oberamtsrichters Sander, des Reallehrers Kahl und des Lehramtsassessors Gebhard sowie der Kaufleute Heinrich Heuerling und Julius Ernst zum Zwecke der Förderung vor allem des Fremdenverkehrs und der Geselligkeit erfolgte Gründung einer Sektion des hessischen „Odenwaldclubs“, der drei Jahre später schon 66 Mitglieder hat;
  • außerdem die Anstrengungen der obengenannten beiden Hoteliers.

Vermehrt sind die Blicke auf die Stiftskirche Wimpfen im Tal sowie auch auf die anderer herausragenden kunsthistorischen sowie vielen weiteren baulichen Schätze Wimpfens gelenkt, seitdem

  • 1890 die hessische Denkmalpflege in Person des hessischen Hofrats Dr. Schäfer die Erforschung der Wimpfener Kunstdenkmäler begonnen hat,
  • 1894, 1896 und 1898 die Ergrabung des römischen Talwimpfen durch die Reichslimeskommisssion unter Professor K. Schumacher und
  • 1895/96 – 1997 die Ergrabung der Fundamente der Vorhalle und des frühromanischen Vorgängerbaus der Stiftskirche unter Regierungsbaumeister Eduard Wagner und Professor Rudolf Adamy nach vorausgegangener Besichtigung ihrer Spuren durch den Geheimen Baurat von Weltzien, Darmstadt, und den Dombaumeister Tornow, Metz, durchgeführt worden ist, sowie
  • 1897 der Mainzer Prälat Dr. Friedrich Schneider im „Centralblatt der Bauverwaltung“ die jetzt vielgenannte Stiftskirche zum Gegenstand einer baugeschichtlichen Studie gemacht hat, die insbesondere auf die sensationelle Entdeckung der Fundamente der älteren frühromanischen Polygonalanlage verweist.

Es rühren währenddem auch die ansässigen hessischen Beamten, so die Pfarrer, der Oberamtsrichter und manche der Realschullehrer, fest die Trommel. Und so kommt es schließlich, dass Ende Mai 1897 der seit 1892 nach dem Tod seines Vaters Ludwig IV. an die Regierung gekommene Großherzog Ernst Ludwig mit seiner Gemahlin Victoria Melita (von Sachsen-Coburg-Gotha) sowie seinem Schwager Ludwig Prinz von Battenberg (ältester Sohn von Prinz Alexander von Hessen und Gräfin Julie Hauke) und dessen Gemahlin Prinzessin Victoria von Hessen (die Schwester des Großherzogs) Wimpfen per Bahn mit großem Hofwagen einen Besuch abstatten:

Zur Ankunft um ½ 2 Uhr stehen auf dem Perron die Honoratioren der Stadt bereit und ist in Reihen der Kriegerverein und die Stadtkapelle sowie die gesamte Schuljugend aufgestellt. Der Großherzog begrüßt zuerst den Bürgermeister, schreitet dann unter den Klängen der Stadtkapelle die Front des Kriegervereins ab, spricht mit einigen Veteranen und lässt sich dann vom Kreisrat die an den Bahnhof befohlenen Herrn vorstellen. Zwei kleine Mädchen überreichen den hohen Damen Blumensträuße. Dann geht es zu Fuß zum nahen „Ritter“ zum Mittagessen. Nach einer Stunde begeben sich die hohen Herrschaften zu Fuß, überall von einer begeisterten Menge empfangen, durch die prächtig geschmückte Stadt zum „Mathildenbad“. Von dessen Balkon aus bewundern diese die herrliche Aussicht und nehmen dann einen Vortrag von Dr. med. G. Geiger über die beabsichtigte Einrichtung einer Kinderheilstätte entgegen. Es folgen intensive Besichtigungen der Evangelischen und der Katholischen Kirche unter Führung der Stadtpfarrer Weitbrecht und Klein, wobei sogar die Schätze der Sakristeien zu ihrem Recht kommen. Per Wagen fahren die immer wieder lebhaftes Interesse zeigenden, mannigfach Lob und Bewunderung äußernden Gäste nach Wimpfen im Tal. An der schön geschmückten Saline haben sich sämtliche Beamte und Arbeiter aufgestellt und empfängt die Großherzogin von einem Kind ein sehr schönes Bouquet. Unter Glockenklang ziehen die Besucher zur Besichtigung in die Stiftskirche ein. Danach fahren sie weiter nach Jagstfeld, wo sie noch die 1862 dort entstandene Kinderheilanstalt Bethesda besichtigen. Im 5 Uhr kehren sie mit dem Schnellzug nach Schloss Heiligenberg heim. Die „Wimpfener Zeitung“ schließt ihren genauen Bericht mit den Worten: „Der Tag des großherzoglichen Besuches wird Wimpfen unvergesslich bleiben und wir dürfen gewiss annehmen, dass die hohen Herrschaften von unserer schönen Stadt und deren loyaler Bevölkerung einen erfreulichen Eindruck mitgenommen haben.“

Beschämend erweisen sich allerdings die bald nach diesem hohen Besuch erfolgten ortspolitischen Vorgänge der Bürgermeisterwahl des Jahres 1898, wenngleich bei dieser Wahl wenigstens der im Blick auf die Wiederaufnahme der Bemühungen um die Hinentwicklung zum Bade- und Fremdenort wohl besser dafür geeignete Vertreter des Gewerbes und Handwerks, nämlich der Sohn des 1890 verstorbenen Bürgermeisters Friedrich Ernst und ehrenamtliche Kirchenrechner sowie Rechner des Odenwaldclubs Kaufmann Julius Ernst, und nicht der eher stärker sich der Landwirtschaft verpflichtet sehende Ökonom Heinrich Bornhäußer, der Sohn des ausscheidenden Bürgermeisters Philipp Bornhäußer, zum Zug kommt. Da die Art und Weise des von diesen beiden Kandidaten aus der Warte ihrer Herkunft und des Familienprestiges geführten Wahlkampfes die großen Schwächen des seit 1821 bestehenden Ehrenbürgermeister-Amtes bloßlegen, sei zunächst die diesbezügliche Eintragung des seit 1893 amtierenden Ersten Stadtpfarrers Dr. Richard Weitbrecht aus Mähringen bei Ulm in der evangelischen Kirchenchronik zitiert:

„Das Jahr 1898 stand anfangs unter dem Zeichen einer Bürgermeisterwahl und jetzt noch sind die Nachwehen der damit verbundenen Erregung nicht verschwunden. Die Amtszeit des 1889 gewählten Bürgermeisters Bornhäuser lief im April des Jahres ab und wegen Kränklichkeit kandidierte dieser nicht mehr. Sein Wunsch war, dass sein Sohn Heinrich an seine Stelle trete. Von der anderen Seite wurde der Sohn des frühere Bürgermeisters Kaufmann Julius Ernst aufgestellt und ein heißer Wahlkampf entbrannte. Dieser wurde leider nicht mit Gründen geführt, denn es ließen sich weder für noch gegen beide Kandidaten besondere Gründe geltend machen, sondern mit geistigen Getränke, mit deren Spendung schon im Januar begonnen wurde. Nach sicheren Nachrichten haben beide Kandidaten zusammen mehr als 10. 000 Mark diesem Zweck geopfert! Wer mit dem Unfug begonnen hat, lässt sich nicht ganz sicher feststellen. Tatsache ist, dass beide bzw. beide Parteien (die „Harten“ für Ernst, die „Weichen“ für Bornhäuser) sich gegenseitig in der Gewinnung von Wählern durch geistige Getränke zu überbieten suchten. Jeder Versuch, der zuletzt auch noch durch Vermittlung des 1. Pfarrers bei beiden Kandidaten gemacht wurde, den sinn- und schamlosen Saufereien Einhalt zu tun, scheiterte. Beide erklärten, weil der eine das tue, müsse der andere es auch tun. Die sittlichen Missstände, welche dieses monatelang währende kostenlose Saufen hatte, lassen sich denken; die Feindschaften, die entstanden, waren unzählig, und am Wahltage selbst kam es zu Stechereien und Schlägereien. Zuletzt verschärften sich diese Gegensätze auch noch durch gegenseitige heftige Vorwürfe und Angriffe in der Wimpfener Zeitung, und bei alledem waren die beiden Programme der beiden Kandidaten gar nicht sonderlich verschieden, und wer die Verhältnisse kennt, wusste, dass auf dem Rathaus und in der Gemeindeverwaltung nichts wesentlich geändert werde, ob der eine oder der andere Kandidat siege. Dennoch darf man sagen, dass der einsichtsvollere Teil der Bürgerschaft, insbesondere alle alten Beamten, auf Seiten des Kandidaten Ernst standen.“

Friedrich Feyerabend, der 1895 als 24-jähriger unternehmungsfreudiger junger Bäckermeister an der Ecke Salzgasse-Pfarrhausgasse über dem Adlerbrunnen ein Bauernhaus mit schönem steinernen Renaissanceerker gekauft und dort die heute noch weithin bekannte Weinwirtschaft (damals „Zur Starkenburg“; vor einigen Jahren von dessen Urenkeln Udo Schachtsiek und Bärbel Lasotta  räumlich und angebotsmäßig erweitert und umbenannt in „Restaurant – Weinstube – Friedrich Feyerabend – Konditorei – Cafè“) eingerichtet hat, gibt seine Erinnerungen daran in einem noch farbigeren Bericht „Wie Wimpfen 1998 seinen Bürgermeister wählte“ wie folgt wieder:

„Eine Wimpfener Zeitung vom 8. Mai 1898 erlaubt mir einen kleinen Rückblick auf die damalige Bürgermeisterwahl, die nicht gerade in rühmlichen Lettern in der Chronik der Stadtgeschichte weiterlebt. Der Bürgermeister zu jener Zeit war ehrenamtlich und musste seinen Ratsschreiber selber bezahlen, welches bewirkte, dass nur gut situierte Bürger der Stadt dieses Ehrenamt bekleiden konnten. Wählen selbst durften nach dem damaligen Wahlgesetz nur die Männer. Zur Wahl selbst stellten sich zwei Bürger der Stadt: Herr Julius Ernst und Herr Heinrich Bornhäußer. Sofort nach dem Bekanntwerden der Kandidaten spalteten die Wähler sich in zwei Gruppen: Die ‚Bockelharten’ mit Sitz Ihres Comités im ‚Grünen Baum’, damals Bäckerei und Weinstube, und die Gegenseite die ‚Breiweichen’ im ‚Lamm’, damals Bäckerei und Wirtschaft, heute Neubau der Handels- und Gewerbebank. Die Kandidaten selbst traten wenig in Aktion. Die Wahlschlacht führten die Comités, die aus allen Schichten der Bevölkerung aufgebaut waren.- Noch nie gab es so viele Einladungen, Geburtstagsfeiern, jede familiäre Feier wurde durch die Comités zur Werbung ihres Kandidaten hochgespielt. Die Stammtische in den verschiedenen Lokalen der Stadt waren Zentren. Hier wurde die Wahlschlacht von morgens bis in die späte Nacht zum Leide der Frauen geführt. Es gab auch schon zu dieser Zeit die sogenannten Wasserträger, die auf beiden Seiten mitsoffen und die zahlenden Kandidaten ausnutzten. Als dann endlich der Wahltag kam, erreichte das Geschehen seinen Höhepunkt. Gearbeitet wurde an diesem Werktag nichts. Schon am Morgen kamen die Hohenstädter Wähler auf geschmückten großen Leiterwagen unter dem Jubel der Bevölkerung zur Wahl. Als dann die Helmhöfer sogar vierspännig, mit laubgeschmückten Wagen vom Forstwald einzogen, war schon alles auf den Beinen. Der damalige Türmer und Kapellmeister Hummel, der ein besonders eifriger Verfechter der Bockelharten war, eröffnete den Wahltag vom Blauen Turm mit dem Lied: ‚Das ist der Tag des Herrn’. Was nun geschah, darüber möchte ich mich kurz fassen. Allein am Wahltag wurden, und das nur in einem Lokal, 95 Pfund Schinkenwurst, 23 große Dosen je 25 Stück Bismarckheringe verzehrt sowie 230 Liter Steinweger Wein und 1,5 Hektoliter Bier getrunken. Herr Julius Ernst wurde zum Bürgermeister gewählt. Die ‚Bockelharten’ siegten. Die Bilanz: 25.000 Goldmark, was heute dem zehnfachen Wert entspricht, gingen allein auf das Konto des Gewinners. Die Namen ‚Bockelhart’ und ‚Breiweich’ leben noch heute im Wimpfener Sprachschatz weiter.“

Dessen ungeachtet oder gerade deswegen wird dem Sieger eine „großartige Ovation“ dadurch dargebracht, dass ein prächtiger Lampionzug durch die Mitglieder von 6 Vereinen vom Bahnhof bis zu seinem Haus (damals Obere Hauptstraße Nr. 65, heute Nr. 78) veranstaltet wird, wo der Gesangverein Concordia singt, Reallehrer Kahl eine Glückwunschrede und Bürgermeister Ernst eine versöhnliche Gegenrede halten. Dann geht der Zug weiter zum Mathildenbad, wo in allen Räumen mit reichem Speisezettel, Wein und Bier und mit der langen Serie von acht Reden im bis über Mitternacht hinaus gehenden Festbankett u. a. folgendes gesagt wird:

Reallehrer Kahl: Dieser spricht den Wunsch aus, dass von jetzt ab aller Zwist und Hader ruhen, Friede in der Gemeinde einkehren und alle bestrebt sein möchten, in Einmütigkeit zusammenzuwirken für ein ferneres Blühen, Wachsen und Gedeihen der Stadt.

Bürgermeister Ernst: Er dankt für die bereitete Ehrung und erklärt, dass er gern seinen Gegnern die Hand zum Frieden bietet und verspricht, in der Verwaltung des übernommenen Amtes Niemandem zu dienen als allein dem Wohl der Gemeinde.

Reallehrer Kahl: Der Friede wird umso leichter einkehren, wenn die „Weichen“ sich bemühen werden, etwas härter zu werden, die „Harten“ dagegen etwa weicher. Sein Hoch gilt der Einigkeit der Bürgerschaft.

Der Ruf nach Friedfertigkeit und Einigkeit im Wimpfen der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert ist auch deshalb notwendig, weil nicht nur zwischen den Landwirten und den Handwerks- und Gewerbetreibenden eine Kluft besteht, sondern auch das Verhältnis zwischen den Konfessionen stark gestört ist. Die Gründe sind, dass die Evangelischen sich noch wie in Reichsstadtzeiten nach wie vor den Katholiken, deren Zahl konstant zunimmt und die einen Katholischen Kirchenchor und Männerverein gegründet haben, gar nicht hold sind. Das gilt auch umgekehrt von den Katholiken, was sich vor allem in der Frage der Akzeptanz gegenüber Mischehen immer wieder entzündet. In dieser Frage stehen sich der katholische Stadtpfarrer Jakob Klein, im Volksmund „Klouschdä’bä’ (Klosterbär) genannt, weil er seine in der Diaspora stehende Kirche unnachgiebig verteidigt, und der stark national und dezidiert protestantisch gesonnene, den „Ultramontanen“ ganz und gar abholde, evangelische Stadtpfarrer Dr. Weitbrecht unversöhnlich gegenüber. Diese führen quasi den im neugegründeten Deutschen Kaiserreich in den über die 1870er Jahre von Reichskanzer Bismarck zum Zwecke der Eindämmung des Einflusses des Katholizumus’, des Papstes und der Katholischen Bischöfe geführten sog. Kulturkampf über Jahrzehnte bis über die Jahrhundertwende hinweg bis in den Ersten Weltkrieg hinein fort. So kommt es z. B., um nur eines der vielen endlosen Beispiele des (immer wieder auch in der örtlichen Presse geführten) Kampfes der Konfessionen aufzuführen, im Jahr 1900 wegen der Taufe in einer Mischehe zu scharfen Auseinandersetzungen, die sogar zum Abbruch der Beziehungen zwischen den beiden Pfarrern führt. Vorausgegangen ist, dass Pfarrer Klein sich geweigert hat, einen bei einem Unglücksfall plötzlich gestorbenen in Mischehe lebenden Katholiken zu beerdigen und bei dieser Gelegenheit angeblich ausgesprochen hat, dass er allen in Mischehen mit evangelischer Kindererziehung lebenden Katholiken das kirchliche Begräbnis versagen wird. Die Folge davon ist, dass 7 Katholiken, so ein Dienstmädchen im Tal, eine katholische Witwe und 5 in Mischehe lebende Ehemänner, zur evangelischen Kirche übertreten.

Unter solchem Blickwinkel erscheint das Ergebnis der Volks- und Konfessionszugehörigkeits-Zählung vom Dezember 1900 aufschlussreich, wonach der Anteil der Katholiken 9,4 % beträgt:

Evangelische:         2 763

Katholiken:                 295

Israeliten:                     59

Baptisten:                     10

Mennoniten:                  8

Methodisten:                  1

Konfessionslose:            1

Summe:                    3 137

Das Ergebnis der Viehzählung desselben Jahres 1900 weist die der Hinentwicklung zum Bade- und Fremdenort besonders hinderliche starke über den Ackerbau hinausgehende Ausrichtung der Landwirtschaft auf die Viehhaltung aus:

Wimpfen am Berg Wimpfen im Tal Hohenstadt Summe
Pferde 91 23 24 138
Rindvieh 355 166 215 736
Schafe 320 153 473
Schweine 398 112 106 616
Ziegen 327 90 24 441
Federvieh 1864 887 742 3493
Bienenstöcke 17 22 39

Ein tiefer Riss spaltet auch die „gutbürgerlichen Kreise“ von der „Arbeiterklasse“, deren wachsende Schar mehr und mehr der Sozialdemokratie anhängt und deren Anhänger als „Rote“, „vaterlandslose Gesellen“, „Majestätsbeleidiger“ und „Gottlose“ verschrieen sind. Deren nach der Aufhebung der Sozialistengesetze ab 1890 mächtig steigender Einfluss wird dadurch evident, dass bei der Reichstagswahl des Jahres 1898 der Kandidat der Sozialdemokraten, Buchhändler Berthold aus Darmstadt, mit 158 Stimmen die bis dahin vorhandene unangefochtene Majorität des Kandidaten der Nationalliberalen, des Fabrikanten Freiherr von Heyl zu Herrnsheim aus Worms, mit jetzt nur 109 Stimmen bricht, was Pfarrer Weitbrecht durch das Vorhandensein der Saline bzw. der Salinearbeiter sowie auch auf die geringe Wahlbeteiligung und diese wiederum auf die Verärgerung der Bevölkerung wegen der Verzögerung der Anerkenntnis der Bürgermeisterwahl durch das Kreisamt Heppenheim zurückführt.

Somit ist der Ruf nach Einigkeit wirklich angesagt, zumal denn ein knappes Jahr nach den die Bürgerschaft spaltenden Wahlvorgängen im Mai 1899 per Bahn 34 Mitglieder der hessischen Zweiten Kammer der Stände und der Regierung Wimpfen einen Besuch mit Frühstück im Ritter, Mahl im Mathildenbad, Besichtigung der Stiftskirche und der Kreuzigungsgruppe abstatten. Dies geschieht vor allem deshalb, weil der hessische Kreisrat von Offenbach a. M. und Präsident der Zweiten Kammer sowie Wimpfen-Verehrer Wilhelm Haas wegen des Zustands der Stiftskirche in der Zweiten Kammer Alarm geschlagen hat. Dabei spricht Bürgermeister Ernst den Wunsch aus, dass der Besuch dazu dienen möge, das Interesse der gesetzgebenden Faktoren für das abgelegene hessische Gebiet Wimpfen zu erhöhen; und von sachverständiger Seite wird bei diesem Besuch die Notwendigkeit und die Art und Weise der geplanten Wiederherstellung des romanischen Westwerks der Stiftskirche in der Erwartung erläutert, eine Steigerung der bewilligten staatlichen Mittel zu erreichen. In der Zwischenzeit ist 1898 die große Dokumentation über die Ergrabung der Vorhalle und der Fundamente der frühromanischen Vorgängerin der Stiftskirche durch Museums-Direktor Professor R. Adamy und Regierungsbaumeister E. Wagner erschienen, außerdem das prächtige Werk der Beschreibung der Kunstdenkmäler des ehemaligen hessischen Bezirks Wimpfen-Kürnbach von Professor Dr. Georg Schäfer.

Als dann im Juni desselben Jahres der Darmstädter Gewerbeverein mit 125 Mitgliedern nach Wimpfen kommt, da vergleicht Reallehrer Hans Kahl Wimpfen „mit einer Dame zwar schon reiferen Alters, die aber noch so viel Schönheit und mannigfache Reize bewahrt habe und der es an heimlichen und offenen Verehrern nicht fehle und die trotz eifriger Liebeswerbungen des badischen und württembergischen Hausfreundes dem ihr im Jahre 1803 angetrauten Ehegemahl allezeit Treue bewahrt habe“. Er verspricht, dass das auch weiterhin der Fall sein werde und bringt „dem lieben alten Hessenland“ ein Hoch aus. Und die Wimpfener Zeitung stellt optimistisch fest: „Endlich zeigt es sich, dass die Bemühungen, die in dieser Richtung (gemeint: Badeort, Fremdenverkehr) obwalten, von Erfolg gekrönt sind.“

Diese vermehrte Zuwendung und Unterstützung Wimpfens durch Hessen wird vor allem auch durch das 1902 verabschiedete musterhafte hessische Denkmalgesetz befördert. Deren Fortführung wird denn auch bestätigt durch:

  • die von 1898 – 1900 erfolgte Ersetzung der nach Darmstadt gebrachten Chorfenster der Stiftskirche durch Professor Geiges, Freiburg;
  • die 1901 geschehene Freilegung des Fachwerks des Maringerhauses unter Leitung des hessischen Regierungsbaumeisters und Privatdozenten Adolf Zeller, erfolgreiches Signal für die Bürger, aufzudecken statt zuzuputzen; sowie
  • die 1902 von der Evangelischen Kirchengemeinde unter der Regie des Vorgenannten vorgenommene Wiederherstellung der Cornelienkirche und
  • die 1898 – 1903 durchgeführte Generalsanierung der Stiftskirche und des Westwerks ihrer frühromanischen Vorgängerin.

Die im kurzen Zeitraum von 5 Jahren (1898 – 1903) als Dokumente dieser intensiven Zuwendung und finanziellen Opfer Hessens entstandene Kette wertvoller Veröffentlichungen und deren Verfasser wurden bereits genannt und sind auch der „Zeittafel“ zu entnehmen. Der feste Helferwille und das Interesse Hessens zeigt sich auch darin, dass 1900 die Oberförsterei neu errichtet und mit dem bisher als solcher in Messel bei Darmstadt tätig gewesenen Forstmeister Wilhelm Schallas besetzt wird. Dieser stirbt im Juli 1909 und sein Nachfolger wird der zuvor an der Oberförsterei Jägersburg tätig gewesene Forstmeister Wilhelm Zeh. Ergänzend hervorzuheben noch, dass der durch die Jahre seiner Tätigkeit am Ort mit den Verhältnissen Wimpfens eng vertraut gewordene Regierungsbaumeister Adolf Zeller zur Feder greift und in einem im Mai 1902 in der „Wimpfener Zeitung“ veröffentlichten ungewöhnlich langen und höchst detailierten Aufsatz unter dem Titel „Wimpfen am Berg, ein zukünftiges Ziel des Fremdenverkehrs“ sowohl die vorhandenen reichen Voraussetzungen als auch die eingeschlagenen wie noch einzuschlagenden Wege zur Erreichung dieses Ziels Wimpfen als Aufgabe vorstellt und damit eine (allerdings wohl in Unkenntnis derselben) zeitgemäße Neufassung der Pläne der 1830er Jahre unter den Kreisräten Hallwachs und von Stein vornimmt. Deren Hauptgewicht ist jetzt allerdings auf die Pflege und Präsentation der Kunst- und Baudenkmalgutes gerichtet, was auch in der Zielfassung „Fremdenverkehr“ zum Ausdruck kommt, ohne jedoch die Wege des Ausbaus des Badewesens zu übersehen. Hier in kurzer Zusammenfassung wiedergegeben, zeichnet Zeller folgendes Zielbild künftiger Entwicklung:

Er erinnert an die opferwillige Arbeit und die Erfolge der Männer und Mitglieder des Wimpfener rührigen Verschönerungsvereins und dessen Berufung, sich erweiterten und größeren Zielen zu nähern und stellt fest, dass Wimpfen unter den kleineren Städten Süddeutschlands, dadurch dass Natur und historische Kunst sich in hervorragendem Maße vereinen, „mit an erster Stelle“ stehe. Dann zieht er unter Aufführung der herausragenden Kunstdenkmäler Wimpfens einerseits und dem Absinken von der bevorrechteten Reichsstadt zur im Schatten Heilbronns ungünstig gelegenen „kleinen Amtsstadt“ andererseits Parallelen zum weltbekannten und doch so weltverlorenen Rothenburg und meint kühn, dass dieses Wimpfen durch den Reiz seiner Befestigungen zwar übertreffe, Wimpfen jedoch an „altehrwürdigen, weltberühmten Bauten“ (Trümmer des Hohenstaufenplastes, Stiftskirche mit Resten der vorhergegangenen Zentralkirche des Wormser Bischofs) „weit überlegen“ sei.Dazu träten als Vorzug „die prächtige Lage und die unschätzbaren Werte der Salzlager“. Bezüglich der Nützung der Sole zeige sich „ein gewisses mangelndes Vorwärtsschreiten“; es müsse von der Stadt ein weiteres „Badehaus“ geschaffen werden, das „mit allen Erfordernissen der Neuzeit namentlich für Kinder, Ferienkolonien, schulärztliche Aufsicht der Jugend eingerichteten öffentlichen Unbemittelten offen steht“, und so Wimpfen „eine weitere nicht zu unterschätzende Zahl von Besuchern und Freunden zuführen“ könne.Zur Verbesserung der „durch seine Lage so erschwerten Verkehrsverhältnisse“ listet er die in Jagstfeld zahlreich passierenden D-Züge der Berliner und Frankfurter Route auf und plädiert für die Einrichtung einer Omnibus- oder Autoverbindung bis zum dortigen linken Ufer. Da Wimpfen „in der großen Welt viel zu wenig bekannt“, müssten geeignete Bahnhofsplakate mit Auskünften über Bahnnetz, Umgebung, Ankunfts- und Abfahrtszeiten, Notizen über Hotels sowie vor allem auch ein ganz besonders notwendiges „organisiertes Auskunftsbüro ohne zu große Unkosten durch freiwillige Arbeit, bei steigender Frequenz allerdings in Gestalt eines honorierten Amtes oder Nebenamtes“ geschaffen werden. Über die Aufgaben des letztgenannten lässt er sich besonders breit aus: Auskunft über Hotels und Wohnungen, Prospekte, Unterhaltungen, Führungen u. a. m. – Seine Vorschläge der verbesserten Betreuung von Gästen seien nur andeutungsweise angesprochen: Regenschutzdächer am Waldrand, Sitzgelegenheiten, Herrichtung des Alten Friedhof als schattigen Kurpark, wie es auch der Wunsch der Einwohnerschaft sei; evtl. Anlegung eins Gradierhauses und einer Flussbadeanstalt am schönen Neckarfluss; Möglichkeit von Ruderpartien, Entwicklung des Kanusports; Veranstaltungen deklamatorischer Art und von Vorträgen, Nützung der bereits vorhandenen vier „Liebhaberbühnen“ für den Fremdenverkehr; außerdem: Verbesserungen allgemeiner Art wie z. B. die Kanalisation. Noch konkreter und zahlreicher sind die Vorschläge bezüglich der Kunstdenkmäler: Heilige Pflicht ist die Wahrung der Stadtansicht; über das Beispiel der durch die Fürsorge des Staates für die Stiftskirche und der Kirchengemeinde für die Cornelienkirche hinaus: Erhaltung der anderen Denkmale wie Wormser Hof, Haupteingangstor der Kaiserpfalz, Westfassade der Stadtkirche, des vernachlässigten Steinhauses; Befreiung der Kaiserpfalz von störenden Einbauten und Rettung der Arkaden; Verbesserung des jämmerlichen Zustands der Kreuzigungsgruppe, Bedachung und Besteigbarmachung des Roten Turmes; hier wie anderswo Rettung der Details (verwitterndes Skulpturenwerk), Schaffung eines kleinem Museums; vor allem auch Pflege im Kleinen (Fachwerkfreilegungen sowie Herrichtung der charakteristischen Wohnbauten wie Aff’sches Haus, Elseeserhaus usw. mit einer langen Reihe konkreter Beispiele, Freilegung statt Verputzung, vor allem Schutz der künstlerischen Holzbauten vor Überputzung; Herstellung der Zugänge etwa zu den Kellern, Erkern). – „Mancher möchte zurückschrecken vor der Flut von Aufgaben. Denn woher die Mittel nehmen?“ Der Staat wird, sofern er nicht gesetzliche Verpflichtungen hat, nicht einspringen; Bürgersinn geltend machen; evtl. städtischen Fonds zur Unterstützung bilden; Erweiterung des Verschönerungsvereins mit Bildung einzelner Kommissionen unter Sachverständigen für einschlägige Fragen wie Verkehr, Kunstdenkmäler, Anlagen, insbes. auch Auskunfts- und gleichzeitig Reklamebüro. – Zellers ebenso realistischer wie Zuversicht setzender Schluss: „Allerdings, der Anfang ist schwer. Nur mit einigen pekuniären Opfern wird sich das Programm verwirklichen lassen, zunächst wohl auch mit wenig großen Einnahmen aus dem Fremdenverkehr zu rechnen sein. Aber der Erfolg wird kommen mit dem Bekanntwerden Wimpfens; seine Kunstdenkmäler werden die Fremden erfreuen, wie diese anderwärts die Mittel der Stadt zuführen werden, die kostbaren Reste einer großen Vergangenheit würdig zu schützen und zu erhalten. Wimpfen im Mai 1902.“

Was fürs Erste sich damals in Wimpfen an Neuem tut, das ist die 1897 beim Besuch von Großherzog Ernst Ludwig von Dr. med. G. Geiger angesprochene Einrichtung einer sog. Kinderheilstätte. In Fräulein August(in)e Osterberg aus Stuttgart (* am 3. März 1862 in Schluchtern – † am 5. Januar 1945 in Bad Wimpfen) findet sich eine vermögende feine Dame von ausgeprägt gönnerhaft-sozialem Wollen, die 1901/02 in Wimpfen am Allezberg über dem Weg nach Heinsheim ein als Grasgarten und Weinberg ausgewiesenes 65 a großes Grundstück gekauft hat und darauf die repräsentative kleine „Villa Osterberg“ sowie unweit davon mit zum Neckar hin gerichteter Front das „Kindersolbad Villa Osterberg (Nathalien-Augusten-Heim)“, einen aus zwei langgestreckten Längs- und zwei flankierenden Quertrakten bestehenden Fachwerkkomplex, errichtet. In

  • Abbildung 36: Ansichten des Kindersolbades und der Villa Osterberg (Natalien-Augustenheim) auf einem Werbeblatt von ca. 1904

sind die beiden Baulichkeiten wiedergegeben. Und in der

37 Kindersolbad Kinderschar

  • Abbildung 37: Schar der im Kindersolbad Wimpfen auf dem Allezberg aufgenommenen Kinder zusammen mit ihren Betreuerinnen (darunter hinten ganz rechts auch Fräulein Osterberg) mit der Villa Osterberg im Hintergrund (Fotografie von bald nach der Eröffnung 1901/02 aus der Sammlung von Richard Müller)

ist die verdienstvolle Dame zu finden.

Als „Badearzt“ fungiert Dr. med. G. Geiger. Aufgenommen werden – ähnlich wie schon seit über einem halben Jahrhundert im Kindersanatorium Bethesda in Jagstfeld – Kinder im Alter von 4 – 15 Jahren, so weit es die Raumverhältnisse zulassen, auch Erwachsene zu einer in der Regel einen Monat dauernden Kur mit Verpflegung in den Klassen I, II und III, die beiden ersten für bemittelte, die letzte für weniger bemittelte Gäste. „Die Solbäder werden angewendet“, so lautet die Indikation, „bei frischen und veralteten Krankheiten der verschiedensten Art, besonders zur Nachbehandlung von Puerperalerkrankungen, zur Resorption nach Bauchfell- und Rippenfellentzündung, bei Scrophulose, Drüsenanschwellungen, Erkrankungen der Gelenke, Rheumatismus, Knochenerweichung, Kinderlähmung, Rachitis, chronischem Bronchialkatarrh, überhaupt bei allen Krankheitszuständen, bei denen eine Beschleunigung des Stoffwechsels und gleichzeitig eine Hebung des Ernährungszustandes beabsichtigt wird.“ Das Prospekt stellt lobend heraus: „Es ist auf einer Anhöhe unmittelbar am Neckar gelegen und eignet sich vermöge seiner gesunden Lage an einem der schönsten Punkte des Neckartales, sowohl für diejenigen, welche Solbäder gebrauchen, als auch für Gäste, welche sich in einer schönen Gegend mit mildem Klima und vorzüglicher Luft aufhalten wollen … Um das Haus befindet sich ein 4 Morgen großer Garten, ganz abgeschlossen vom werktäglichen Getriebe, mit prachtvoller Aussicht ins Neckartal, sehr schönen Anlagen und Wald in nächster Nähe (gemeint ist das ein Stück weiter außerhalb linkerhand des Weges nach Heinsheim um ca. 1900 anzulegen begonnene sog. „Kurwäldchen“), kaum 5 Minuten zu gehen …  Zu jeder Auskunft sind gerne bereit: Frau Oberbürgermeister von Rümelin, Frau Professor Berta Lachenmaier, Julius Grieb, Ratsschreiber, alle in Stuttgart.“ So wird ansatzweise eine der Zeller’schen Zielsetzungen realisiert, wobei die Initiative und Förderung von Personen aus Württemberg ausgeht. Dass knapp 3 Jahrzehnte später dort einmal das städtische Kurmittelhaus entstehen wird, das kann damals noch niemand ahnen.

Und in der Tat regt sich jetzt auch bei der Wimpfener Bevölkerung große Aktivität im Hinblick auf das im nachfolgenden Jahr 1903 anstehende Jubiläum der 100-jährigen Zugehörigkeit zum Lande Hessen. Zellers Anregung, den Umstand, dass die sanges- und spielfreudige Einwohnerschaft auf den „Brettern der Welt“ bereits durch das Vorhandensein von vier Liebhaberbühnen daheim sei, für den Fremdenverkehr zu nutzen, wird im Blick auf dieses Jubiläumsjahr aufgegriffen: Realschuldirektor Dr. Karl Kemmer und Pfarrer Dr. Richard Weitbrecht schaffen ein dreiteiliges „Wimpfener Festspiel zur Feier der hundertjährigen Zugehörigkeit Wimpfens zu Hessen“, das Bilder von den folgenden drei dramatischen Hoch- und Tiefpunkten der Wimpfener Geschichte wiedergibt:

  • Teil I: „Ein Kaisertag“ spielt am Mai 1224 im Saal der Kaiserpfalz Wimpfen, wo Kaiser Friedrich II. unter dem Reichsschultheiß Wilhelm von Wimpfen mit vielen Edlen aus nah wie Engelhard von Weinsberg und fern wie Walter von der Vogelweide und Vertretern der Wimpfener weltlichen und geistlichen Führungsschicht Hof hält.
  • Teil II: „Unruhige Ostern“ vollzieht sich am Ostermontag des Jahres 1525 in der Wohnstube des Wimpfener Kaufmanns und Ratsherrn Anton Lebkücher, des Schwiegervaters des Bauernhauptmanns Wendel Hipler, in das die Wogen des Bauernkrieges mit Hipler, dem „Herren- und Pfaffenschreck“ Jäcklin Rohrbach aus Böckingen, dem von der Bauernschaft zum Führer auserkorenen Ritter Götz von Berlichingen und dem zur Mäßigung mahnenden Magister und Reformator Erhard Schnepf hereinbranden.
  • Teil III: „Im Sturm des Krieges“ handelt in der ersten Maiwoche des Jahres 1622 in der Ratsstube und auf dem Marktplatz von Wimpfen und entrollt ein anschauliches Bild von den Vorgängen unmittelbar vor der Schlacht bei Wimpfen, wo die Vertreter der Stadt sowie der protestantische Pfarrer Johann Georg Glocker und die Bürger den Tilly’schen Offizieren und Soldaten unter dem Obersten von Montaigne an der Spitze gegenüber stehen und der badische Oberst von Fleckenstein als Vermittler hinzukommt.

Die in

  • Abbildung 38: Szenen zum dreiteiligen „Wimpfener Festspiel 1903“

gezeigte Dreiergruppe der bildlichen Darstellung, die damals von Kaufmann Friedrich Muckh, Wimpfen, verlegt und vertrieben worden ist, lässt diese behandelten Stoffe der Wimpfener Geschichte sowie die von den Verfassern gewählten Örtlichkeiten und Personen ahnen. Die für das Festspiel sich begeisternden Wimpfener erfahren aus der Residenz gute Hilfe; denn Regierungsbaumeister Zeller entwirft die Pläne der Bühne und Hofschauspieler Viebig verteilt die Rollen und führt Regie.

Eine Deputation des Gemeinderates und des Festspielausschusses lädt Großherzog Ernst Ludwig zu der am Donnerstag, 3. September 1803, geplanten großen Festfeier ein und erhält von diesem die Zusicherung, dass er gerne zu dieser Gedächtnisfeier komme. „Diese Nachricht“, so kommentiert die „Wimpfener Zeitung“, „wird hier allgemein im höchsten Maße erfreuen und als ein Beweis der Huld des Landesherren gegenüber unserer Stadt, sie wird aber auch ein Ansporn sein, alles daranzusetzen, dass das Fest und die Festspielaufführung aufs beste gelingt.“ Und auch die am Tag des Beginns der vom 23. August – 14. September dauernden Festspiele in der Zeitung erschienen in Reimwünsche gekleidete Huldigung Wimpfens hebt auf das Wohlgelingen der Spiele, darüber hinaus aber auf einen „neuen Morgen durch die Mutter Hessen“ ab:

Der Feststadt Wimpfen zum Beginn ihrer Spiele

Sieh dort die Jagst des Neckars Lauf beflügeln;
Rasch eilt er hin durchs herrliche Gefild,
Ganz nahe zieht er dann an deinen Hügeln
Vorbei und prägt sich ein dein lieblich Bild.
Gar freundlich schaust du auch mit deinen Warten
Hinaus auf deinen schönen Gottesgarten.

Doch mag’s den Fluss, den alten Freund, bekümmern,
Denkt deiner einst’gen Größe er und Pracht.
Wie vieles schlummert in dir unter Trümmern!
Vielleicht bricht ihm nach langer dunkler Nacht
Ein Morgen an.- Auch deine Schätze schliefen
Gar lang, eh sie ein Tag entriss den Tiefen.

Kann auch zum Fluge sich nicht mehr vermessen
Dein Adler – über Stärke schritt die Zeit.
Nicht blind für dich ist deine Mutter Hessen,
Dein Wohl zu fördern ist sie stets bereit;
Zumal ein edler Fürst ehrt deine Treue,
Die nunmehr du geloben willst aufs Neue.

Sei frohgemut, zum Feste dich zu schmücken,
Die treuen Schwestern fern im Mutterland,
Sie werden Söhne dir und Töchter schicken,
Dass stärker werde eurer Freundschaft Band;
Und Kinder auch von Württemberg und Baden,
Sie werden gern bei dir zu Gast sich laden.

Ja, weither werden Freunde zu dir kommen.-
Vergangner Zeiten Auferstehn im Bild
Gereich es dir zum Nutzen und zum Frommen,
Zu neuem Glanze deinem Namensschild.
Gar viel hast du getan mit keckem Wagen,
O, möge es dir gute Früchte tragen!

Was im Februar dieses Jahres noch als Wunsch ausgesprochen wird, dass endlich ein Plakat von Wimpfen die Schönheit von Stadt und Umgebung weit herum auf den Bahnhöfen und in den Gasthäusern verkündet, wird jetzt im Herbst Wirklichkeit: In Heidelberg prangen jetzt die Reklamebilder für das Wimpfener Festspiel bereits in allen entsprechenden Lokalen und im dortigen Verlag Küstner erscheint in modernem Lichtdruck eine Jubiläumskarte mit Wimpfen am Berg in der Mitte und flankiert von den Großherzögen Ludwig I. 1803 und Ernst Ludwig 1903 sowie eine lange Serie von Ansichtskarten mit Wimpfen am Berg, im Tal und einer Vielzahl ihrer kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten.

Auf den Tag seines Besuchs verleiht der Großherzog eine Reihe von Orden an verdiente Wimpfener Einwohner, so an die beiden Festspieldichter Kemmer und Weitbrecht das Ritterkreuz I. Klasse des Verdienstordens Philipps des Großmütigen, an Bürgermeister Ernst dessen II. Klasse, dem Beigeordneten Rossbach im Tal das silberne Kreuz, dem Gemeinderat Chr. Ludwig Dieruff I. das Allgemeine Ehrenzeichen mit der Inschrift „Für langjährige Dienste“ am Bande des genannten Ordens; außerdem erhalten Orden die maßgeblich an der Erforschung und Renovation der Stiftskirche beteiligten Männer (Schäfer, Zeller, Schneider, Tornow).

Als Seine Königliche Hoheit der Großherzog dann bei herrlichem Wetter am Vormittag um 10 Uhr mit Extrazug eintrifft, befindet sich in seiner Begleitung ein großer Stab von Abgeordneten und hohen Beamten: Ihre Exzellenzen der Herr Staatsminister Karl Rothe sowie der Herr Finanzminister Dr. Feodor Gnauth, Geheimer Staatsrat Wilhelm Wilbrand, Ministerialrat Freiherr von Biegeleben, Ministerialrat Weber, Reichtagsabgeordneter und Abgeordneter der Ersten Kammer der Landstände Freiherr von Heyl zu Herrnsheim, Geheimer Oberbergrat Braun, Geheimer Oberbaurat Hoffmann, Präsident der Zweiten Kammer Wilhelm Haas, die Abgeordneten der Zweiten Kammer Breimer, Beerfelden, und Häusel, Michelstadt. Am Bahnhof von den Spitzen der Behörden empfangen, begeben sich die hohen und höchsten Herrschaften zunächst Richtung Wimpfen im Tal, wo unterwegs eine Begrüßung durch den Salinedirektor Frik im Namen des Vorstandes, der Verwaltung und der Arbeiterschaft der Saline Ludwigshalle erfolgt. Vor allem weist dieser in seinen Begrüßungs- und Dankesworten darauf hin, dass die Saline ihre Entstehung und ihren Aufstieg der Gunst der Privilegien des großherzoglichen Ahnen Ludwig I. verdankt, der, indem er der Saline seinen Namen zu führen erlaubte, sozusagen Gevatterstelle vertreten habe. Nach der Begrüßung durch den Beigeordneten Rossbach am Eingang zum Tal findet in der Stiftskirche ein Dankgottesdienst durch Pfarrer Klein statt, in dem dieser Gott und dem Ahnen Dank sagt dafür, dass er den Vorschlag ablehnte, aus Sparsamkeitsgründen die Kirche niederzureißen, sowie dem regierenden Großherzog dafür, dass nach seinen Intentionen die Restauration unternommen worden ist. Es schließt sich eine Besichtigung des Inneren der Kirche an, bei der der kunstsinnige Großherzog Bewunderung wie Verständnis für die Kunst zeigt.

Unter Hochrufen der Schuljugend wieder in den Kutschwagen gestiegen, folgt auf der Rück- und dann Hinauffahrt nach Wimpfen am Berg vor dem Unteren Tor der feierliche Hauptempfang des Monarchen und seiner Begleiter. Dieser ist dokumentiert in

  • Abbildung 39: Bewillkommnung des zum Besuch der Stadt und des Festspiels am 3. September 1903 mit der Kutsche einfahrenden Großherzogs Ernst Ludwig mit Begleiter durch die Honoratioren der Stadt beim laubwerkgeschmückten Unteren Tor (Fotografie).

Zu diesem denkwürdigen feierlichen Akt haben sich Bürgermeister und Gemeinderat sowie Spitzen der Beamtenschaft auf und über der vom Eulenbergweg zur obersten Steige hinunterführenden Treppe postiert. Der Bogen des dort angrenzenden Unteren Tores ist mit einem Laubwerkgehänge geschmückt, in dem die großherzoglichen Namensinitialien „EL“ prangen. Dort hält die zweispännige Kutsche (Landauer) mit ihren drei unter preußischer Pickelhaube und in Uniformmontur steckenden Insassen, Großherzog Ernst Ludwig, Staatsminister Rothe und Finanzminister Dr. Gnauth, an. Bürgermeister Julius Ernst reicht dem Großherzog den Ehrentrunk mit in etwa folgenden Worten: „Ich spreche Ihrer Königlichen Hoheit den tiefgefühlten Dank der getreuen Stadt für die Güte des Besuchs als neuen Akt der Gnade und des Wohlwollens aus sowie auch den der Regierung geltenden Dank für die Wiederherstellung der Stiftskirche, wodurch zwei Ereignisse der Gnade zusammenfallen. Und wenn wir dieses historische Ereignis heute festlich begehen, so kann Eure Königliche Hoheit darin den Beweis erblicken, dass wir Wimpfener, wenn unsere Stadt auch vom Mutterland getrennt ist, uns allzeit als ‚treue Hessen’ fühlen. Möge deshalb Eure K. H. das Gelöbnis entgegennehmen, dass wir, wie bisher so auch fernerhin, in der Treue und Liebe zum angestammten Herrscherhause und in der Verehrung unseres allergnädigsten Landesherrn keiner anderen Stadt im Hessenland nachstehen werden. Mit dieser Versicherung gestatte ich mir, Eurer Königlichen Hoheit mit ehrfurchtsvollem Dank für den Besuch im Auftrag der gesamten Bürgerschaft durch Überreichung dieses Bechers, gefüllt mit Wein, der am Neckar gewachsen, herzliches ‚Willkommen in Wimpfen’ zu entbieten.“ Wie auf der Fotografie zu sehen, steht währenddessen Fräulein Elisabeth Heuerling in weißem Kleid mit einem Blumenstrauß bereit, den es dann dem Großherzog mit den folgenden Reimworten überreicht:

Der Sommerrosen letzte Pracht
Ist heute herrlich aufgewacht.
Wohl welkt der Strauß bald, Blatt um Blatt,
Nie welkt die Treue unsrer Stadt.

Während der Weiterfahrt zum Mathildenbad stehen sämtliche Vereine und die gesamte Schuljugend unter kräftigen Hochrufen Spalier. Um die Mittagszeit werden dort im Vorsaal die Spitzen der Behörden, der Gemeinderat und der Festspielausschuss vorgestellt und auch die Auszeichnungen überreicht. Nach dem Gabelfrühstück im herrlich dekorierten Saale sagt Bürgermeister Julius Ernst dem Landesherren noch einmal Dank für die hohe Ehre des Besuchs, versichert wiederum, dass „die Wimpfener allezeit treue Hessen gewesen und es fernerhin bleiben wollen“ und bekräftigt dies durch ein dreifachen Hoch auf den Herrscher und sein Land. Seine Königliche Hoheit sagt Dank für den festlichen Empfang, rühmt Wimpfens Treue zu seinem Hause und wünscht, dass Wimpfen fernerhin durch Tüchtigkeit und Arbeitsamkeit blühen möge. Nach dem Essen geht es zu Fuß zur 1901 eröffneten Turnhalle, die als Festhalle dient. Dort folgt die Begrüßung durch den Beigeordneten Heinrich Heuerling, den 2. Vorstand des Festspielausschusses.

Und nun beginnt das Festspiel, das durch Militärmusik des 4. Württembergischen Infanterieregiments eingeleitet wird und dem ein von Fräulein Eck als Wimpina gesprochener Prolog vorausgeht:

Im Wechsel der Zeiten

Wie, Wimpfen, sich in ferner Zeit
Einst fügte dein Geschick,
Das zeigt sich in drei Bildern heut‘
Voll Wirkung unserm Blick.

Ein edler Fürst aus hohem Haus
Stand einst auf jenen Höh’n.
Gar reichen Segen goss er aus,
wie wir mir Staunen seh’n.

Im zweiten Bilde wird uns kund
Des Aufruhrs grausig Spiel;
Es lehrt uns: Aller Bürger Bund
Führt friedlich nur zum Ziel.

Wie grimmen Krieges Leidenschaft
Zertritt der Bürger Glück,
Und wie frohlockt die wilde Kraft,
Zeigt uns das dritte Stück.

Von den drei Teilen des Festspiels gefällt vor allem „Unruhige Ostern“ und das Soldatenlied des dritten Stücks. Der Großherzog äußert lebhafte Befriedigung; Spieler und Spielerinnen stellen sich in den Pausen im Kostüm diesem vor und er unterhält sich mit diesen aufs Freundlichste; wiederholt wird ihm von diesen ein Trunk gereicht; in der letzten Pause begibt er sich auf den Wirtschaftsplatz hinaus und weilt dann unter Hochrufern unter dem dort versammelten Volk. Dem beendeten Spiel folgt noch der folgende wieder von der Wimpina gesprochene Epilog:

Und wieder steht aus hohem Haus
Ein Fürst auf Wimpfens Höh’n,
Und auch von ihm geht Segen aus,
wohin wir immer seh’n.

Gerecht und milde, friedensreich
Tritt stets mit ernster Kraft
Er ein für Kaiser und für Reich,
Für Kunst und Wissenschaft.

Es öffnen alle Herzen sich
Dem Gast in warmer Treu!
Wie stehen heut so feierlich
Die Türme in der Reih’!

Der Neckar schmieget dichter sich
Dort an die Höhen steil;
Sein Rauschen höre rufen ich:
„Heil uns’rem Fürsten, Heil!“

Nach dem beendigten Festspiel begibt sich der Großherzog auf den Bahnhof, wo sich eine große Menge versammelt hat und wohin ihm auch einige Darstellerinnen im Kostüm gefolgt sind, an welche der Großherzog, wie die Zeitung berichtet, „noch manch freundliches Wort richtet“. Unter den Klängen der Landeshymne und den Hochrufen der Erschienenen fährt der Großherzog um 5 Uhr wieder ab. Die Zeitung versichert: „Die Liebe zu dem allverehrten Landesherrn ist hier durch diesen Tag neu befestigt worden und Wimpfen wird ihn als ein Ehren- und Festtag im ewigen Gedächtnis behalten.“

Somit demonstrieren dieser Besuchtstag des Großherzogs wie auch die anderen Festspieltage zusammen mit den Fest- und Lobgedichten, der Aufmachung der Wimpfener Zeitung, den Sonderansichtskarten, den Zeitungsberichten und den Volksbekundungen unverstellte Herrscherverehrung und Hessentreue. Bei den über 3 Wochen hinweg stattfindenden Festspielaufführungen, die am 14. September mit einer Schlussvorstellung für die Schulen enden, sind die um die 80 Mitwirkenden mit Stolz und Begeisterung bei der Sache und dringt das Geschehen in deren Herzen als unvergessliches großes Erlebnis ihres Lebens ein. Die

  • Abbildung 40: Die Mitwirkenden der Wimpfener Festspiele der 100-jährigen Zugehörigkeit zu Hessen des Jahres 1903 (Groß-Fotografie)

hat gottlob diesen Gipfelpunkt der „Hessenzeit“ Wimpfens für die Nachwelt festgehalten. Allzu schade, dass heutzutage nur noch ganz wenige der abgebildeten Spielerinnen und Spieler sowie Begleiter identifiziert werden können. Sicher erscheint, dass es sich bei dem rechts außen einzeln Stehenden um Pfarrer Dr. Weitbrecht, dem links außen vorne in der zweiten Reihe Stehenden um Realschuldirektor Dr. Kemmer und bei dem hinter diesem Sichtbaren wohl um Bürgermeister Julius Ernst handelt. Und Hans-Gerhard Müller (Jahrgang 1936), dem in seiner unüberschaubaren Wimpfen-Bilder- und Ansichtskartensammlung ein Exemplar dieser wertvollen Foto-Dokumentation von seiner Großmutter Luise Muckh überkommen ist, weiß diese als die in der vorderen Reihe links als die Vierte der dort gereihten jungen Damen (mit Krone und langen schleifengeschmückten Zöpfen), außerdem den vorne in der Mitte als Kaiser Friedrich II. Erscheinenden als Lehrer Johann Kubach zu identifizieren. Das Fest, das monatelang die Gemüter bewegt hat, endet mit einem Schlussbankett des Ausschusses und der Spieler, bei dem konstatiert wird: „Der Wurf ist gelungen“. Denen, die prophezeit haben, dass Wimpfen sich in Schulden stürzen würde, kann gesagt werden, dass die Ausgaben mit rund 6.400 Mark zwar von den Einnahmen nicht ganz erreicht werden, doch zwei Drittel davon den örtlichen Handwerkern zugute gekommen sind. Was den erhofften Werbe- und Besuchserfolg betrifft, wertet der Kassier und zentrale Mitwirkende des Festspiels Lehrer Johann Kubach in seinem langen Schlussgedicht diesen folgendermaßen:

Es tat uns wohl, was schwarz auf weiß
Zu Wimpfens und des Festspiels Preis
Sich vor der Welt geoffenbart;
Doch sind von ein’ger Blätter Art,
Die g’rade hier zumeist gelesen,
Wir nicht gar sehr erbaut gewesen.

Nun sei es drum, war es der Neid,
War’s schäbige Gleichgültigkeit:
Es kamen doch zu deinem Feste,
Ehrwürd’ges Städtlein, viele Gäste.
Ein dreifach Hoch soll heut sie ehren;
O zieh’ sie’s, öfter einzukehren!

Das Echo, das Wimpfen in den Augen des volkstümlichen und beliebten Großherzogs Ernst Ludwig findet, liest sich in dessen Memoiren, in denen er sich über seine Erlebnisse mit den Wimpfenern bei seinem Festbesuch ziemlich gaudiert, so:

„Zum Fest der hundertjährigen Zugehörigkeit von Wimpfen zu Hessen fuhr ich dorthin (1903). Erst war ein großer Empfang und dann ein großes Festessen, welches die Stadt mir gab. Neben mir saß der Bürgermeister. Er wurde immer stiller und ich merkte bald, dass der arme Mensch eine furchtbare Angst vor der Rede hatte. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, indem ich sagte, ich wüsste ja selbst nur zu genau, wie furchtbar das Gefühl wäre, man müsste aber versuchen, die Zähne zusammenzubeißen. Es half aber nichts. Seine Verzweiflung war, dass er wusste, dass er stecken bleiben würde, und dann könnte er nicht weiter. Ich frug ihn, ob seine Rede nicht aufgeschrieben wäre. Er bestätigte es, sagte aber, in der großen Aufregung würde er sie nicht lesen können. Da schlug ich ihm vor, die Abschrift mir zu geben, ich würde sie nachlesen und ihm soufflieren, so oft er nicht weiter könne. So geschah es auch. Ich hatte das Papier neben meinem Teller und soufflierte eifrig. Auf diese Art gelang es sehr gut, ich glaube, niemand hat den Trick bemerkt. Danach wurden wir in der Erleichterung Freunde. Aber es war doch ein sehr komisches Gefühl gewesen, eine Rede auf sich selber zu soufflieren. – Dann kam noch ein großes Festspiel, in dem beinahe alle Bürger mitspielten. Nach dem Ende begleiteten alle mich in ihren Kostümen durch die Stadt hinunter nach dem Bahnhof. Mein Salonwagen war gleich voll von mittelalterlich angezogenen Mädchen, die absolut bis zur nächsten Station mitfahren wollten. Da dieselbe ziemlich weitab lag, wären die armen Wesen in ihren Schleppkleidern furchtbar müde geworden. Ich hatte aber große Mühe, sie davon zu überzeugen und sie endlich aus dem Salonwagen heraus zu bugsieren.“

Als wichtiger Wellenschlag des Jubiläumsfestes sowie der Empfehlungen des Regierungsbaumeisters Zeller ist die im 1904 in einer außerordentlichen Sitzung des bislang nur „geringe Wertschätzung“ genießenden „Verschönerungsvereins“ beschlossene und in einer Bürgerversammlung im Saal zum „Deutschen Kaiser“ sanktionierte Umwandlung und Erweiterung desselben zum Verein „Alt Wimpfen, Kur- und Verkehrsverein“. Eine aus dem Bürgermeister Julius Ernst, Stadtpfarrer Dr. Richard Weitbrecht, Bäckermeister Friedrich Feyerabend III., Reallehrer Friedrich Frank, Malermeister Wilhelm Pfau und Baumwirt Emil Müller bestehende Kommission arbeitet eine umfangreiche Satzung aus. Diese sieht einen 12-köpfigen gewählten Vorstand, zu dem 5 weitere ständige Mitglieder aus den Spitzenvertretern des Kreises und der Stadt hinzugezogen werden: der Großherzogliche Kreisrat des Kreises Heppenheim, der für den Bezirk Wimpfen zuständige hessische Denkmalpfleger, der Bürgermeister der Stadt sowie der Oberförster der Oberförsterei Wimpfen, der jeweilige örtliche Vertrauensmann der Denkmalpflege. Dadurch erscheint die Gewähr für die unabdingbar erscheinende Zusammenarbeit von Bürgerschaft mit Orts- wie Kreisbehörden gegeben. 70 Bürger treten spontan dem neuen Verein bei.

Die Zielsetzung des Vereins ist wesentlich weiter gesteckt als die des einstigen Verschönerungsvereins und richtet sich auf drei Bereiche:

  1. Pflege der Kunstdenkmäler Wimpfens und möglichste Erhaltung des altertümlichen Charakters der Stadt;
  2. Verschönerung der Stadt und ihrer Umgebung;
  3. Förderung des Fremdenverkehrs und aller Einrichtungen, welche geeignet sind, den Besuch Wimpfens als Badeort zu heben.

Am 26. Februar 1905 wird im Ost’schen Saale auf einer Hauptversammlung die Satzung beschlossen und in Anwesenheit von Kreisrat von Hahn die Wahl des Vorstands vorgenommen, der sich folgendermaßen zusammensetzt:

Dr. Richard Weitbrecht, Pfarrer,
übernimmt den Vorsitz; Nachfolger
wird 1911 Forstmeister Wilhelm Zeh.

Der 12-köpfige Vorstand setzt sich zusammen aus:

  1. Otto Link, Fabrikant und Gemeinderat,
  2. Heinrich Engel, Reallehrer,
  3. Heinrich Heuerling, Kaufmann; dieser übernimmt

das Amt des 2. Vorsitzenden sowie Schriftführers;

  1. Friedrich Frank, Reallehrer,
  2. Ludwig Breuninger, Fabrikant,
  3. Otto Muckh, Gemeinderat,
  4. Wilhelm Pfau, Malermeister und Gemeinderat,
  5. Christian Elser, Buchdrucker,
  6. Max Mannheimer, Kaufmann; dieser übernimmt

das Amt des Schatzmeisters;

  1. Emil Müller, Baumwirt und Gemeinderat,
  2. Max Frik , Salinedirektor,
  3. Peter Gillmann, Stadtrechner.

Zum örtlichen Vertrauensmann der Denkmalpflege wird Professor Johannes Eck gewählt, dem nach dessen Weggang 1912 Lehramtsassessor Jakob nachfolgt. Kreisrat von Hahn macht der Versammlung die Mitteilung, dass der Großherzog geneigt sei, das Protektorat über den Verein zu übernehmen und dass diesem keine größere Förderung zuteil werden könne als durch diese Gunst. Eine vom Großherzog empfangene Abordnung des Vereins trägt diesem die Zielsetzungen des Vereins vor und bittet diesen mit Erfolg, das Protektorat zu übernehmen. Die Signatur „C. Kempin fec.“ der

  • Abbildung 41: Mitgliedskarte des Vereins „Alt-Wimpfen, Kur- und Verkehrsverein“ mit Bildzier (ca. 1805),

welche die Mauerpartie am Schwibbogentor mit dem Brustbild eines mittelalterlichen Herolds darstellt, lässt die helfende Hand des damaligen Darmstädter Bühnenmalers- und Theater-Spielleiters sowie Mitglieds der dortigen berühmten Jugendstil-Künstlerkolonie Kurt Kempin erkennen, die sicherlich durch Vermittlung des fürstlichen Protektors zustande gekommen ist.

Dass der Verein Alt-Wimpfen bei der Bevölkerung eher angenommen ist als sein bescheidenerer Vorgänger, zeigt die bereits im Jahre 1906 erreichte Zahl von 315 Mitgliedern. Und wie erfolgreich und zielgerichtet dieser an die Arbeit geht, das lässt die im selben Jahr erfolgte Herausgabe eines neuen bebilderten kleinen Stadtführers mit Unterstützung des Odenwaldclubs „Wimpfen, Eine Perle des Neckartales“ erkennen. Dessen geschmackvolle Aufmachung wird belegt durch die

  • Abbildung 42: Titelblatt des kleinen Stadtführers (1906) mit dem „Nürnberger Türmchen“, Stich des Holzschneiders A. Clohs (1840 – 1894) nach der Vorlage von Friedrich Kallmorgen (1856 – 1824) von ca. 1890, sowie

  • Abbildung 43: Rückseite des vorgenannten kleinen Stadtführers: „Salzgasse“, Stich des Holzschneiders A. Clohs (1840 – 1894) nach einer Vorlage von Friedrich Kallmorgen (1856 – 1924) von ca. 1890.

Allerdings ist das Bildgut dem ersten Stadtführer des Jahres 1890 entnommen. Die Umrahmung der Darstellungen dieser beiden augengefälligen Wimpfener Motive des Einbands in der Ornamentik des Jugendstils erinnert genau wie das Bildmotiv der Mitgliedskarte von Kurt Kempin daran, dass der „Allerhöchste Protektor“ des Vereins, Großherzog Ernst Ludwig, wie es unter der Betitelung heißt, der Begründer besagter Darmstädter Jugendstil-Künstlerkolonie auf der „Mathildenhöhe“ gewesen ist.

Diesem Führer mit nur 8 Seiten Umfang folgt 1907 unter Herausgeberschaft des Vereins „Alt Wimpfen“ der später immer wieder aufgelegte umfangreiche erste wissenschaftliche Stadtführer Wimpfens des hessischen Kunsthistorikers Dr. Rudolf Kautzsch „Kunstdenkmäler in Wimpfen am Neckar“. Jetzt bieten über die beiden örtlichen Badehotels und eine Reihe von Gasthäusern wie der „Grüne Baum“, die „Sonne“, die „Traube“ und „Zum Perkeo“ hinaus auch einige Private „Zimmer mit Frühstück“ an und empfiehlt sich Wimpfen als „Solbad und Luftkurort“. Wie stark wirksam und nachhaltig in Anwendung des hessischen Denkmalpflege-Gesetzes die diesbezügliche Zuwendung gewesen ist, das zeigt der Umstand, dass die hessische Denkmalpflege in ihrem 193 Seiten umfassenden Tätigkeitsbericht der Jahre 1902 – 1907 Wimpfen allein 7 Seiten mit zahlreichen Fotos der in diesem Zeitraum freigelegten sowie auch anderweitig sanierten Fachwerkgebäude widmet.

Als herausragend wichtiges Thema der Vortragsveranstaltungen des Vereins „Alt Wimpfen“ ist der auf der Generalversammlung des Jahres 1908 gehaltene und auch im Druck erschienene Vortrag des nunmehrigen Privatdozenten Adolf Zeller aus Darmstadt „Die Bedeutung der Wimpfener Baudenkmäler in der Geschichte der deutschen Kunst“ anzusehen. In diesem wird der Stiftskirche mit den gefundenen Resten der Vorgängerkirche ein besonders breiter Raum eingeräumt und abschließend an die Zuhörer der folgenden Appell gerichtet und folgende Zukunftsvision vermittelt: „Möchten Sie, meine Herren, den Lohn für Ihre rege Tätigkeit darin finden, vielen, ungezählten Besuchern die Möglichkeit erhalten, hier künstlerische Eindrücke zu sammeln und ideale Schätze spenden, die das wirtschaftlicher Leben allein zu verleihen außer Stande ist. Dieser Zweck wird nicht ungelohnt bleiben: er wird der Einwohnerschaft Mittel zuführen, die sonst ihr nicht erreichbar sind, und wird sie erkennen lassen, dass – wie im Gebirge die schöne Natur – so in Städten alter Vergangenheit die erhaltenen Kunstwerke einen Fremdenstrom anziehen, der manchen außerhalb des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes liegenden Ort wirtschaftlich hebt und zu neuer Bedeutung führt.“ Weiteres über die Arbeit des Vereins „Alt Wimpfen“ findet sich in der zum 100. Jubiläumsjahr 2005 herausgebrachten Festschrift.

Was den unter hessischer Beratung erfolgten Bemühungen des Vereins „Alt Wimpfen“ allerdings nicht gelingt, das ist der Plan, über die Gründung einer „Gemeinnützigen Baugesellschaft“ nach dem Muster vom „Ernst Ludwig-Verein. Hessischer Zentralverein für Errichtung billiger Wohnungen“ vor allen Dingen eine Aussiedlung der im Zentrum der Stadt in der Hauptstraße und in der Langgasse sowie den anliegenden Gassen angesiedelten Bauernhöfe in das Gelände „Steinweg-Gänsäcker“ umzusiedeln. Zwar nimmt man schon 1906 einen Anlauf der Gründung einer solchen und erscheinen die Vorbedingungen, insbesondere die Kapitalbeschaffung zu einem Zinssatz von nur 2 %, sehr günstig. „Statt nun“, wie Friedrich Feyerabend in seiner Abhandlung „Der große Wendepunkt in der Geschichte von Wimpfen – 1918 – 1932“ berichtet, „wie erhofft wurde, die Landwirtschaft mit Freunden zugreifen würde, löste sich eine geradezu erbärmliche Gegenströmung aus, die noch durch die teilnahmslose Stadtverwaltung verstärkt wurde. Die Genossenschaft hatte demnach viel zu wenig Mitglieder, um wirklich aktionsfähig zu sein.“

Dass trotz dieser und anderer Kalamitäten der Kontakt des Großherzogs und Protektors des Vereins Alt-Wimpfen mit Wimpfen nicht verloren geht und dessen Interesse an Wimpfen weiterhin gegeben ist, zeigt der Umstand dessen zweimaligen Besuches im Jahr 1909:

  • Das erste Mal trifft am 24. Mai Großherzog Ernst Ludwig mit seiner zweiten Gemahlin Eleonore und Gefolge unerwartet in strengstem Inkognito per Automobil ein; man übernachtet im Mathildenbad und besucht den Wormser Hof und die Kapuzinerkirche sowie alle Kirchen in Berg und Tal mit dem Versprechen des baldigen Wiedersehens.
  • Das zweite Mal kommt ausgangs September der Großherzog mit Gemahlin und zwei Prinzessinnen von Battenberg und von Lich sowie einer Hofdame, dem Hofmarschall Freiherr von Ungern-Sternberg und einem mährischen Monsignore. Man kehrt im Mathildenbad ein und besichtigt u. a. das Rathaus und Archiv und beschaut dessen Kaiserurkunden, das Steinhaus und das katholische Pfarrhaus (d. h. den ehemaligen sog. Kaiserbau) sowie den Laden des Antiquitätenhändlers Adolf Bär am Marktrain.

In der aufschlussreichen 

  • Abbildung 44: Fremdenliste des Mathildenbades vom Juli 1909

findet sich außer dem Namen des Großherzogs und der Großherzogin sowie vielen Namen hoher hessischer Herrschaften sowie solcher aus einer weit gestreuten Anzahl von Städten und Orten auch der Name des Denkmalpflegers Professor Wickop aus Darmstadt. Dieser wird damals damit betraut, die infolge des Umbaus zu einem Bauerngehöft demolierte und 1906 zusammen mit dem angrenzenden Garten, Hofraum und der ostwärtigen Scheuer in Landeseigentum übernommenen Pfalzkapelle durch Rückbau auf Staatskosten in den alten romanisch-gotischen Zustand zu versetzen; deshalb auch die Besichtigung derselben beim zweiten Besuch. Dies wird denn auch 1909 bis 1911 mit einem Kostenaufwand von etwa 40.000 Mark realisiert, womit die Kette der Baumaßnahmen Hessens im „hessischen Rothenburg“, wie Wimpfen jetzt öfters genannt ist, noch einmal fortgeführt wird.

Immer wieder erkundigt sich der kunstsinnige Großherzog von der Residenz aus vor allem über Professor Wickop nach den Fortschritten der Arbeit des von ihm protegierten Vereins, konkret nach vielen Einzelheiten wie z. B. nach der Umgestaltung des Alten Friedhofes in eine Anlage, nach den in der Dominikanerkirche entdeckten alten Wandmalereien, nach dem Zustand der Stadtmauer und des am Hohenstaufentor noch erhaltenen Wehrgangs sowie des (evtl. vom Land Hessen zu kaufen beabsichtigten) Steinhauses. Und zu Anfang des Jahres 1912 beauftragt er Professor Wickop, den Wimpfenern mitzuteilen, dass er und ganz Hessen gerne bereit ist, den Verein zur Erhaltung und Verschönerung Wimpfens – ähnlich wie das bei der Pflege Rothenburgs an der Tauber durch weiteste Kreise von Freunden und Gönnern in Deutschland geschehe – weiterhin fördern zu helfen. Doch knüpfe er die Bedingung daran, dass die Wimpfener und deren Gemeindeverwaltung die Bestrebungen des Vereins tatkräftig unterstützen, was Wickop natürlich dem Stadtvorstand brieflich übermittelt und von der Wimpfener Zeitung der Öffentlichkeit bekannt gemacht wird.

Nachdem aber bereits

  •  1910 in Darmstädter Blättern sowie in der Folgezeit des öfteren u. a. unter Bezugnahme auf den 1905 erfolgten Austausch des hessischen Dorfanteils an Kürnbach gegen badisches Gebiet der Vorschlag gemacht wird, man solle das „hessische Rothenburg“ als das für Hessen lediglich das am teuersten zu verwaltende Städtchen mit einer an viertletzter Stelle des Landes stehenden Kommunalsteuer von nur 65.000 Mark austauschen, und
  • 1911 die vom Protest des Gemeinderats begleitete Wiederaufhebung der Oberförsterei im Gespräch ist,

kommt es im März 1912 zu einer denkwürdigen Sitzung der Zweiten Kammer der hessischen Landstände. In dieser bricht der Abgeordnete und Geheime Schulrat (und ehemalige Direktor der Wimpfener Realschule) Ludwig Münch für Wimpfen eine Lanze: Wenn immer wieder vom Austausch Wimpfens die Rede sei, so gelte es zu sagen, dass dieses eine Perle von bedeutender Vergangenheit wegen ihrer Denkmäler sei und ein Austauschobjekt dafür sehr schwer zu finden sein würde. Auch hätten die Wimpfener durch die Feier der 100-jährigen Zugehörigkeit zu Hessen bewiesen, dass sie Hessen bleiben wollen. Man solle darum für die Stadt alles tun, die doch so lange recht vernachlässigt worden sei, und somit keine Beamtenstellen wie die der Oberförsterei eingehen lassen und eine gute Auswahl bei der Besetzung derselben treffen. Schließlich stellt gegenüber einsetzender Kritik Finanzminister Dr. Ernst Braun fest, die hessische Regierung denke nicht daran, Wimpfen zu veräußern, vielmehr denke der Großherzog daran, dort ein Absteigequartier zu errichten. In der Sitzung der Chargierten der Freiwilligen Feuerwehr Wimpfen wird daraufhin die Münch’sche Sentenz zu „Wimpfen der glänzendste Edelstein der hessischen Krone“ hochstilisiert.

Zwar liegt schon seit September 1908 auf dem Tisch des Bürgermeisters eine von der Firma Schaffstedt, Gießen, Fabrik für gesundheitstechnische Anlagen, erstellte Beschreibung mit Vorplänen einer „Solbadanlage für Wimpfen am Neckar“, welche die Gründung einer Gemeinen Gesellschaft auf genossenschaftlicher Basis mit dem Ziel der Erstellung eines klassisch-modernen Badegebäudes im Empirestil mit hochragendem Mittelbau mit Freitreppe, Entree, Kasse etc. und zwei durch Querbauten flankierten niedrigeren Seitengebäuden für die Verabreichung von 100 Sol-, Süßwasser und Lichtbädern in 5 – 6 Stunden und einem Inhalatorium vor. Die veranschlagten Bau- und Betriebsmittel sollen durch eine sog. gemischte Finanzierung bestritten werden, bei der durch die Stadt Wimpfen 100.000 Mark, durch bestimmte Interessenten 150.000 Mark, durch 65 – 70 Darlehensgeber insgesamt 45.000 Mark sowie durch die Landesversicherungsanstalt Darmstadt 70.000 Mark einzubringen wären. Doch braucht es drei Jahre, bis schließlich im Herbst 1911 der Gemeinderat an das Innenministerium eine Eingabe um eine staatliche Beihilfe zur Errichtung einer solchen Badeanstalt (im Rahmen von Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsverhältnisse) richtet. Auch beweist sich der hohe Einsatz des Vereins Alt-Wimpfen sowie des guten Willens von Teilen der Einwohnerschaft z. B. durch die seit 1909 regelmäßig unter guter Beteiligung veranstalteten Blumenschmuckwettbewerbe. Außerdem beginnt der Verein in der nunmehr wieder im ursprünglichen historischen Gewand hergerichteten Pfalzkapelle mit dem Aufbau einer kleinen ortsgeschichtlichen Sammlung und der Herrichtung eines Archivraums. Und im Hochsommer 1912 bringt Pfarrer Otto Scriba, der rührige Nachfolger des verstorbenen Pfarrers Weitbrecht in Sachen Geschichtsforschung und Voranentwicklung der Stadt, einen abermaligen Besuch des Historischen Vereins und 1913 der Historischen Kommission Hessens mit gutem Nachhall zustande.

Doch tut sich seit der Fertigstellung der Pfalzkapelle in Sachen der hessischen Denkmalhilfe nichts mehr, ebenso nichts in Bezug auf die staatlichen Förderung für die Errichtung der Solbadanlage. Kein Wunder, denn Pfarrer Scriba muss im Mai 1913 unter Verweisung auf den Brief eines Freundes der Stadt namens Lars Svanström resigniert feststellen, „dass es der Mehrheit der Wimpfener noch nicht ganz klar geworden sei, welche ‚Perle des Hessenlandes’ ihr gehört.“ Und der Besitzer des Mathildenbades Johannes Albrecht sieht sich kurz danach im Herbst 1913 veranlasst, in dieselbe Wunde zu schlagen: „Der Bürgermeister sagt immer, die Bürgerschaft wolle nichts von einem Wimpfen als Fremdenplatz wissen und, wie mir vorkommt, wird diesem so hallkräftig Ausdruck gegeben, dass man es bis Darmstadt gehört hat.“. Sein Appell: „Die Wimpfener mögen ernstlich wollen, nur die elementarsten Schritte selbst unternehmen, dann finden sie auch von außen her Unterstützung dazu.“ In diesem Zusammenhang erscheint es wichtig zu wissen, dass 1906 dem aus Gesundheitsgründen nicht mehr kandidierenden Bürgermeister Julius Ernst nun doch sein früherer Rivale, der Ökonom Philipp Bornhäußer, dieses Mal ohne jeden Wahlkampf, nachgefolgt ist.

Ungeachtet dessen wird natürlich der runde 45. Geburtstag des „geliebten Landesfürsten“ (25. 11. 1913) mit Böllerschüssen eröffnet und von den Honoratioren mit einem Festabend im Hotel Ritter gefeiert, bei dem Stadtpfarrer Scriba der Verbundenheit, „obgleich wir Wimpfener etwas abseits liegen von dem schönen Hessenlande … mit unseren Stammesbrüdern an Rhein und Main“, Ausdruck gibt und dies am Schluss mit folgendem Treueschwur bekräftigt: „Wir Wimpfener wollen allezeit diese Hessentreue hochhalten und dieses Gelöbnis aussprechen, indem, wir mit unseren Brüdern im Hessenlande in den Ruf stimmen: S. K. Hoheit der Großherzog, er lebe hoch!“

Warum im Wimpfen nach der Jahrhundertwende gegenüber dem Bade- und Fremdenstadt-Gedanken trotz großherzoglicher Huld und geschlossenem Optieren und Tätigsein der hessischen Beamtenschaft ziemliche Vorbehalte bestehen, ist neben der damals noch vorhandenen Dominanz der Landwirtschaft noch auf das von Jahr zu Jahr immer gewichtiger werdende Faktum der Hinentwicklung zur Arbeiterwohngemeinde zurückzuführen. Diese findet 1907 z. B. den Niederschlag in der Gründung eines Arbeitervereins sowie 1910 eines Arbeiterturnvereins. Bei der Stichwahl zum Reichstag des Jahres 1912 stehen 342 sozialdemokratischen Stimmen nur 271 Stimmen des bereits erwähnten und von den Bürgerlichen hoch verehrten sehr regsamen nationalliberalen (und gleichzeitig auf Lebenszeit in die Erste Kammer der hessischen Landstände berufenen) Reichtagsabgeordneten Cornelius Wilhelm Freiherr Heyl zu Herrnsheim gegenüber, der dieses Amt von 1874 – 1878 und von 1879 – 1881 innegehabt hat sowie dann ab 1893 ununterbrochen innehat und der größte Steuerzahler Hessens genannt wird. Die Bürgerlichen werten dieses Ergebnis als einen „Tiefstand der nationalen Gesinnung“. Und typischerweise geschieht es schließlich am 1. Mai 1913, dass die Sozialdemokraten die rote Fahne an einem Baum des Marktplatzes aufhängen, die der neben dem ehemaligen zweiten evangelischen Pfarrhaus wohnende Wachtmeister herunterholt. Als dann genau in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai des folgenden Jahres 1914 in einer Scheune neben demselben Feuer ausbricht und außer auf das daran gebaute Wohnhaus auch auf das einstige zweite Pfarrhaus übergreift, da ist man allgemein der Ansicht, dass es sich um Brandstiftung und einen Racheakt der Sozialdemokraten gegenüber dem dort wohnenden Wachtmeister handele. Wie dem auch sei: In steigenden Maße sind in Wimpfen vor allem die weniger Besitzenden gezwungen, sich ihr Brot in den nach der Reichsgründung weiter expandierenden Industrie- und Gewerbebetrieben der ebenso expandierenden Städte und Orte im Württembergischen jenseits des Neckars zu suchen, z. B. bei Knorr oder Weipert in Heilbronn, der „Fahrrad“ in Neckarsulm, im Kochendorfer „Schacht“ usw.

Die Arbeiterschaft wie auch der große bäuerlich geprägte Bevölkerungsteil stehen der Förderung des Bad- und Fremdengedankens gleichgültig, wenn nicht ablehnend gegenüber. Ein Indiz für das wieder erlahmte Interesse der Bevölkerung an der Arbeit des Vereins Alt-Wimpfen dürfte der Umstand darstellen, das dessen Zahl der Mitglieder von 315 des Jahres 1906 auf nur noch 173 im Jahr 1912 abgesunken ist. Dessen ungeachtet, unternimmt der immer noch unter dem Vorsitz von Forstmeister Zeh stehende Verein Alt-Wimpfen insbesondere mit Unterstützung von Pfarrer Scriba am 20. Juli 1914 einen neuen Anlauf, wenngleich der drei Wochen zuvor in der Schwüle des Hochsommers erfolgte Mord in Sarajewo für die Erhaltung des Friedens durch den Wettlauf der Aufrüstung und dem Mächtespiel der europäischen Großmächte nichts Gutes ahnen lässt. Nachdem, dem Vorschlag des Denkmalpflegers folgend, das Erstellen und Setzen einer Gedenktafel mit einem Relief von zwei lesenden Knaben und der Inschrift „Zum Gedenken an Richard Weitbrecht für den verstorbenen Vorsitzenden und Volksschriftsteller“ an der Nordseite des Alten Friedhofs beschlossen worden ist, wird Folgendes vereinbart: Es soll die Heilwirkung der Wimpfener Sole für weitere Kreisen besser nutzbar gemacht und Wimpfen als Badeort bessere Würdigung dadurch finden, dass für Kassenkranke günstige Wohngelegenheiten geschaffen werden. Regierungsrat von Hahn, Heppenheim, will bei der Landeskrankenkasse und der Landesversicherungsanstalt dahingehend wirken, dass Wimpfen als Solbad besser ausgenützt wird. Es sollen über die Villa Osterberg und die beiden Hotels hinaus Kranke in Privatwohnungen zum Wohl der Bürger eingewiesen und dazu im Blatt Anzeige gemacht werden. Eine Kommission soll die gemeldeten Wohnungen besichtigen. Der Berichterstatter und stellvertretende Vorsitzende Reallehrer Volz stellt dazu fest: „Dann hat Wimpfen wenigstens einmal nach der Richtung etwas getan, wo es sich überhaupt noch eine Zukunft sichern kann: als Badeort.“

Diese Aktion läuft auch gut an, da erklärt Kaiser Wilhelm am 1. August den Kriegszustand und alle Pläne werden, wie Pfarrer Scriba bedauernd berichtet, zunichte gemacht. Zwar erlebt Wimpfens Fremdenverkehr in den vier Jahren des Ersten Weltkriegs und unmittelbar danach gerade durch seine starke Bindung an die Landwirtschaft und das bäuerliche Umland der Dreiländerecke, wo relativ ordentliche Möglichkeiten der Nahrungsversorgung – sprich auch der Hamsterei – gegeben sind, plötzlich vorübergehend eine Art Scheinblüte des Bade- und Fremdenbetriebes durch die in Scharen sich einfindenden Städter und Hamsterer, wodurch die Fremden aber schließlich als eine Art Landplage empfunden werden.

Hier sei noch angefügt, dass im März 1913 in den viel gelesenen „Westermanns Monatsheften“ in einem Aufsatz von Professor Heinrich Werner „Alt-Wimpfen im Neckartal“ zwei Ölgemälde des in Reichelsheim/ Odenwald 1870 geborenen, in Grünberg/Oberhessen aufgewachsenen und damals in Kassel tätigen Genre-, Landschafts- und Portraitmalers Carl Geist abgedruckt sind: „Blick auf Wimpfen am Berg“ (vom Hang über dem Kalten Loch her) und „Alte Gasse in Wimpfen am Berg“ (untere Pfarrhausgasse). Dieser Maler lässt sich 1915 in Wimpfen ständig nieder, wo er ein qualitätvolles Werk von Landschafts-, Stadt-, Gassen- und Gebäudeansichten sowie auch Blumenstücken und Portraits schafft und 1931 (verarmt) stirbt. Mit der

  • Abbildung 45: Silhouette der Stadt Wimpfen a. N. von Carl Geist (1870 – 1931) und

  • Abbildung 46: Das Hohenstaufen-Tor in Wimpfen a. N. von Carl Geist (1870 – 1931)

soll hier seines Schaffens in Wimpfen und seines künstlerischen Vermächtnisses für Wimpfen gedacht werden. Diese prächtigen Pinselschöpfungen stehen hier auch stellvertretend für die fast unübersehbare Fülle von Bildwerken aller Art, die eine Vielzahl anderer Maler, Zeichner und Stecher aller Rangstufen in der „Kaiserzeit“ sowie davor in der Zeit des Biedermeier und der Romantik und danach in der Zeit der Weimarer Republik und auch des „Dritten Reiches“ in und um Wimpfen geschaffen hat und die nicht nur die Wände Wimpfener Häuser schmücken, sondern darüber hinaus eine nicht mehr fassbare weiteste Verbreitung im Hinblick auf die sich hier bietenden vielen bezaubernden Motive gefunden haben. 

Damit treten wir ein in die Zeitperiode VI: